Leitartikel

Wissen ist Macht

"Die Banken sind die Stahlindustrie der neunziger Jahre." Sicherlich kam dieses 1990 von Ulrich Cartellieri in einem Vortrag verwendete und seitdem oft zitierte Menetekel ein wenig verfrüht, aber recht behalten sollte das ehemalige Vorstandsmitglied der Deutschen Bank schließlich doch: In den letzten zwanzig Jahren ging die Beschäftigtenzahl im deutschen Kreditgewerbe kontinuierlich zurück, die Mitarbeiterzahl sank von 744 800 in 1991 um mehr als zwölf Prozent auf 653 550 im vergangenen Jahr. Angesichts der Finanz- und Staatsschuldenkrise und der sich abkühlenden Konjunktur ist das Schlimmste mit Sicherheit noch nicht überstanden, ein Ende des Stellenkahlschlags bislang nicht in Sicht.

Verantwortlich für den Stellenabbau waren bekanntlich in erster Linie die Konsolidierung und die verstärkte Automatisierung durch den technologischen Fortschritt. Getrieben von Rationalisierungsdruck und verschärften Eigenkapitalregeln werden die Banken und Sparkassen die Zahl ihrer Mitarbeiter in den nächsten Jahren aber noch weiter reduzieren müssen. Bislang konnten die Stellen durch Altersteilzeit oder den Verzicht auf Nachfolger für regulär ausscheidende Mitarbeiter noch relativ lautlos und sozialverträglich abgebaut werden, größere Entlassungen wie zuletzt unter anderem von Großbanken angekündigt, blieben die Ausnahme. Inzwischen sind die Instrumente des schonenden Abbaus jedoch weitgehend ausgereizt, was für eine gewisse Unruhe insbesondere bei Arbeitnehmern im mittleren Alterssegment sorgt.

Unbehagen schürt auch der dramatische Reputationsverlust, den das Bankgeschäft in den letzten Jahren zu beklagen hat. In Schlagzeilen und Medienberichten wird das Renommee der Kreditinstitute täglich ein Stück weiter erschüttert. Hierbei handelt es schon nicht mehr nur um einen nachhaltigen Vertrauensschaden, sondern bereits um den öffentlichen Zerfall eines ganzen Reputationssystems, der auch Auswirkungen auf die Realwirtschaft hat. Zählte der Beruf des Bankiers respektive Bankers einmal zu den Tätigkeiten mit dem höchsten Ansehen, so kann man den nachkommenden Generationen heute nicht mehr guten Gewissens einen Job in der Bank empfehlen. Spurlos wird dies sicherlich nicht an den Auszubildendenzahlen vorübergehen.

Bislang hat sich der Reputationsverlust allerdings noch nicht nennenswert in Zahlen niedergeschlagen. Im Gegenteil: Wie der jüngste DGB-Ausbildungsreport bestätigt, bleiben die Banken als ausbildende Unternehmen attraktiv und beliebt. Angesichts des demografischen Wandels wäre es allerdings auch fatal, wenn der Nachwuchs der Branche den Rücken kehren würde. Nicht nur auf der Kundenseite müssen sich Kreditinstitute vor allem in ländlicher geprägten Geschäftsgebieten mit der alternden Gesellschaft auseinandersetzen, sondern selbstverständlich auch in den Reihen der Mitarbeiter. Einer Studie der Kölner Organomics GmbH zufolge verspüren 87 Prozent der befragten Institute einen "Nachwuchsmangel", auf den Plätzen zwei und drei der drängendsten Probleme folgen die "Überalterung der Belegschaft" (61 Prozent) sowie eine "höhere Fluktuation durch Abwerbung" (52 Prozent). Dabei befürchten die Häuser den Fachkräftemangel besonders in den Abteilungen "IT" (56 Prozent), "Beratung/Vertrieb Retail" (49 Prozent) und "Steuerung" (Controlling, Revision et cetera, 44 Prozent).

Einen Königsweg zur Bewältigung dieses Problems gibt es selbstverständlich nicht, sodass gemäß der Studie Banken und Sparkassen unterschiedliche Maßnahmen aus den Bereichen Gesundheitsmanagement, Personalentwicklung und Weiterbildung, Wissensmanagement sowie Führung ausprobieren. Im Themenfeld Gesundheitsmanagement etwa ist der Großteil der befragten Kreditinstitute mit "Betriebssportaktivitäten" (70 Prozent), "ergonomischer Beratung am Arbeitsplatz" (59 Prozent), und "Angebot zur Rückenschule" (50 Prozent) am weitesten fortgeschritten. Mit einer "systematischen Work-Life-Balance-Planung", wie es inzwischen viele Nachwuchsmitarbeiter fordern und angesichts der stetig zunehmenden Zahl von Burnout-Fällen wünschenswert wäre, können jedoch lediglich vier Prozent der Institute aufwarten. Im Bereich der Personalentwicklung und Weiterbildung liegen die Umsetzungsschwerpunkte bei "Anreizen zur fachlichen und persönlichen, altersunabhängigen Weiterbildung" (56 Prozent) und "Programmen für Mitarbeiter mit außergewöhnlichem Entwicklungspotenzial" (48 Prozent). "Motivationsprogramme für eine längere Erwerbstätigkeit" hingegen werden eher selten geplant oder umgesetzt (29 Prozent). Eine "altersgerechte Fort- und Weiterbildung" haben nur zwei Prozent der Institute verwirklicht.

Beim Wissensmanagement gibt es ebenfalls noch großen Nachholbedarf: Lediglich neun Prozent der Unternehmen können bereits planmäßig das Expertenwissen ihrer Mitarbeiter vor deren Pensionierung sichern. Und bei nur elf Prozent ist der systematische Wissenstransfer zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern umgesetzt. In der Kategorie Führung kommen insbesondere "Altersstrukturanalysen" (60 Prozent) und "Prognosen zur künftigen Altersstruktur" (45 Prozent) zur Anwendung. Gleichwohl plant die Hälfte der befragten Institute keinen Aufbau einer Wertschätzungskultur gegenüber älteren, erfahrenen Mitarbeitern. Grundsätzlich reagieren die Kreditinstitute somit auf den demografischen Wandel, indem sie Mitarbeiterbindung vor -gewinnung setzen. Dies bestätigt auch eine Studie des Personalvermittlers Hays. Sie zeigt darüber hinaus, dass die befragten Finanzinstitute verstärkt auf externe Mitarbeiter setzen, etwa aus dem Bereich der Selbstständigen, aber auch aus der Arbeitnehmerüberlassung.

Zentrale Herausforderung im Personalwesen von Banken wird es aus diesem Grunde künftig sein, die Mitarbeiter über Personalentwicklung und Weiterbildung in die entsprechenden Stellenprofile zu entwickeln. Der Stellenwert umfangreicher Weiterbildungsmaßnahmen hat deshalb in den letzten Jahren überaus stark zugenommen. Während noch vor 25 Jahren die Ausbildung zur Bankkauffrau respektive zum Bankkaufmann oftmals "das Ende der Fahnenstange" bedeutete, sind inzwischen Lehrgänge an Akademien und privaten Bildungseinrichtungen zum festen und überaus bedeutenden Bestandteil der bankbetrieblichen Weiterbildung geworden. Nach einem Studium - nicht selten ausbildungsintegriert oder an einer Dualen Hochschule - folgen fachspezifische Lehrgänge an Akademien und - bei der Sparkassen- und Genossenschaftsorganisation - an Bildungseinrichtungen der Regionalverbände. Darüber hinaus gibt es diverse Angebote zur innerbetrieblichen Weiterbildung sowie zum Training-on-the-job und Coaching. Und neben diesen Schulungen sehen nicht wenige Führungskräfte in Banken und bei Finanzdienstleistern das Management-Studium mit MBA-Abschluss als einen wichtigen Baustein für das Weiterkommen im Beruf.

Gerade angesichts der zunehmenden Komplexität in Kreditinstituten durch die immer neuen aufsichtsrechtlichen Anforderungen werden die Bankmitarbeiter mit ihrem umfangreichen Wissen und Know-how immer bedeutender. In den letzten Jahren schien diese Erkenntnis bei einigen Häusern in Vergessenheit geraten zu sein, wirklich neu ist sie allerdings nicht. So stellte etwa der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, vor Absolventen der damaligen Frankfurter Hochschule für Bankwirtschaft Ende 2004 fest: "Die Akkumulation und die Pflege des Humankapitals sind die entscheidenden Faktoren bei der Leistungserstellung von Finanzintermediären - nicht umsonst spricht man davon, dass das Kapital einer Bank jeden Abend das Haus durch die Tür verlässt."

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