Bericht der Rentenkommission: Keine Langfristperspektive für die Altersvorsorge

Angesichts der täglichen Corona-Berichterstattung fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, hat die von der Bundesregierung eingesetzte Rentenkommission ("Kommission Verlässlicher Generationenvertrag") am 27. März 2020 ihren Bericht veröffentlicht, der die Grundlage für die künftige Rentenpolitik über das Jahr hinaus darstellen soll.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung (ursprünglich war ein früherer Termin geplant) war denkbar ungünstig. Denn natürlich kann und wird sich eine Bundespolitik im Krisenmodus des Themas Alterssicherung nicht mit der Energie widmen können, derer es bedarf. Und selbst nach dem Ende des Einfrierens der Wirtschaft wird es eine Weile dauern, bis sich alle neu sortiert haben und bis die wirtschaftlichen Folgen der Stilllegung richtig offenbar werden und deren Konsequenzen für die Alterssicherungspolitik bewertet werden können.

Auch die Rentenkommission hat bewusst die diversen Unsicherheiten bezüglich der ökonomischen Rahmenbedingungen und unvorhersehbarer Krisen aufgenommen und sucht deshalb den Spagat aus Planbarkeit einerseits und Flexibilität andererseits. Für diese Balance empfiehlt die Kommission einen neuen Dreiklang beim Sicherungsversprechen der Rente und der Höhe der Beiträge. Dieser Dreiklang besteht aus

1. gesetzlich verbindlichen Haltelinien für das Rentenniveau und den Beitragssatz für einen Zeitraum von jeweils sieben Jahren,

2. gesetzlich perspektivischen Haltelinien für einen Zeitraum von jeweils 15 Jahren und

3. neuen sozialstaatlichen Bezugsgrößen im Rentenversicherungsbericht.

So will man einerseits die notwendige Flexibilität schaffen, um sich an sich ändernde Rahmenbedingungen anpassen zu können, gleichzeitig jedoch auch Beitragszahlern und Rentnern ein hohes Maß an Sicherheit und Verlässlichkeit bieten.

Der Mechanismus von gesetzlich verbindlichen Haltelinien für Sicherungsniveau (vor Steuern) und Beitragssatz soll über 2025 hinaus fortgeführt werden. Verbindliche Haltelinien sollen ab 2026 für jeweils sieben Jahre gelten und jeweils spätestens ein Jahr vor Inkrafttreten der neuen Haltelinien festgeschrieben werden. Dabei soll sich die verbindliche Haltelinie für das Sicherungsniveau in einem Korridor zwischen 44 und 49 Prozent des Sicherungsniveaus vor Steuern bewegen, die obere Haltelinie für den Beitragssatz im Korridor zwischen 20 und 24 Prozent.

Perspektivische Haltelinien sollten für den Zeitraum der jeweils nächsten 15 Jahre festgelegt werden. Erstmals wären sie damit spätestens ein Jahr vor Auslaufen der bis 2025 geltenden Haltelinien für den Zeitraum der dann folgenden 15 Jahre und damit bis 2040 festzulegen. Für die Festlegung der perspektivischen Haltelinien empfiehlt die Kommission dieselben Korridore wie für die verbindlichen Haltelinien.

Zwei neue Bezugsgrößen

Neben den bislang für die Haltelinien geltenden Bezugsgrößen (Beitragssatz und Sicherungsniveau vor Steuern) schlägt die Kommission zwei weitere Bezugsgrößen vor, über deren voraussichtliche mittel- und längerfristige Entwicklung die Bundesregierung im Rahmen ihres jährlichen Rentenversicherungsberichts informieren sollte:

- Eine Bezugsgröße, die am Gesamtsozialversicherungsbeitrag und zusätzlichen gesetzlich vorgeschriebenen Vorsorgeaufwendungen anknüpft und dem Schutz der Beitragszahler vor Überforderung dienen soll.

- Eine weitere Bezugsgröße zum Schutz der Rentner soll sich an einem Abstand der verfügbaren Standardrente zum durchschnittlichen Bedarf der Grundsicherung im Alter bemessen.

Alterssicherungsbeirat einsetzen

Außerdem soll der Sozialbeirat zu einem Alterssicherungsbeirat weiterentwickelt werden, der Bundesregierung und Parlament mit Informationen, Stellungnahmen und Empfehlungen unterstützt. Er soll alle drei Säulen der Altersvorsorge in den Blick nehmen und dabei die wirtschaftliche Lage älterer Menschen sowie die voraussichtliche Entwicklung der Demografie und der gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Alterssicherung berücksichtigen. Er soll auch Empfehlungen zu den verbindlichen und perspektivischen Haltelinien abgeben.

Um der unterschiedlichen Liquiditätslage der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahresverlauf zu begegnen, schlägt die Kommission eine Kombination aus zwei Maßnahmen vor: Zum Ersten soll die Mindestrücklage auf 0,3 Monatsausgaben erhöht werden, um Liquiditätsschwankungen nach unten besser auffangen zu können. Zum Zweiten sollen die unterjährigen Zahlungen des Bundes vorgezogen werden, um die saisonal bedingten Schwankungen der Beitragseinnahmen zu glätten.

Konsistente steuerliche Förderung bei bAV und privater Vorsorge

Mit Blick auf die betriebliche und private Altersvorsorge werden eine Erhöhung und Dynamisierung der Förderung von arbeitgeberfinanzierter betrieblicher Altersvorsorge für Geringverdiener sowie Verbesserungen und Vereinfachungen im Bereich Riester empfohlen, unter anderem die Einführung einer Digitalplattform für Riester-Produkte mit geringen Verwaltungskosten und die Schaffung eines Standardvorsorgeprodukts. Bei Letzterem sollte sich der Staat, so die Empfehlung, die Möglichkeit offenhalten, mit öffentlichen Trägern selbst ein entsprechendes Produkt anzubieten.

Auch schlägt die Kommission eine konsistentere Ausgestaltung des bislang noch sehr unterschiedlichen steuerlichen Förderungsrahmens in den verschiedenen Bereichen der zusätzlichen Altersvorsorge vor.

Ziel der Empfehlungen ist es, dass die zusätzliche Altersvorsorge zukünftig möglichst umfassend die Erwerbstätigen erreicht. Sollte mit diesen Vorschlägen die Zielsetzung bis 2025 nicht realisiert werden, sollten weitergehende Maßnahmen geprüft werden. Bis zu diesem Zeitpunkt soll die Bundesregierung Vorschläge entwickeln, über die zeitnah entschieden werden kann, wenn eine annähernd flächendeckende private und/oder betriebliche Vorsorge bis dahin nicht erreicht ist. Dabei soll unter anderem auch eine verpflichtende Lösung mit der Möglichkeit der individuellen Befreiung bei Vorliegen einer gleichwertigen Altersvorsorge geprüft werden.

Altersvorsorge weiter in der Warteschleife

Ob und wann von dem Bericht der Kommission die so lange erwarteten Impulse für die betriebliche und vor allem private Altersvorsorge ausgehen, ist unter dem Strich sicher ungewiss. Wie lange das dauert, wird zunächst davon abhängen, wann die Politik sich nach der "Corona-Pause" wieder intensiv mit dem Thema Rentenpolitik auseinandersetzt und wie schnell sie dann welche Weichen stellt.

Es wird aber auch auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise ankommen. Denn auch für Bürger, die durch Kurzarbeit oder vielleicht auch durch Arbeitslosigkeit infolge des landesweiten Stillstands der Wirtschaft Einkommenseinbußen erleiden, wird die zusätzliche Altersvorsorge vermutlich zunächst nicht die oberste Priorität haben.

Viel Diskussionsbedarf

Mit schnellen politischen Entscheidungen ist ohnehin nicht zu rechnen. Denn schon die ersten Stellungnahmen zu dem vorgelegten Bericht zeigen, dass das Papier eine Menge Diskussionsbedarf birgt.

So hat die Deutsche Rentenversicherung Zweifel angemeldet, ob die in Betracht gezogene Einführung einer Pflicht zur Zusatzvorsorge sozialpolitisch vertretbar ist. Die Menschen zu verpflichten, Kapital anzulegen und gleichzeitig die Garantien für die im Alter zu erwartenden Leistungen einzuschränken, müsse angesichts der massiven Veränderungen auf dem Kapitalmarkt im Zuge der Corona-Krise gut durchdacht und abgewogen werden.

Die Gewerkschaften begrüßen es, dass sich die Kommission nicht auf eine Empfehlung zu einer weiteren Anhebung des Regelalters für den Renteneintritt festgelegt hat, sondern diese Entscheidung erst 2026 durch den neu einzurichtenden Alterssicherungsrat treffen lassen will; die deutsche Aktuarvereinigung kritisiert eben dies. Die Korridormethode für Beitragssatz und Rentenniveau begeistert beide Seiten wenig.

Während der lange erwartete Bericht in einer Stellungnahme des DGB mit dem Titel "Weder Fluch noch Segen" bedacht wird, ist die Deutsche Aktuarvereinigung noch deutlich kritischer. "Die Rentenkommission der Bundesregierung hat bedauerlicherweise die Chance verstreichen lassen, das deutsche Rentensystem dauerhaft zukunftsfest zu machen", so deren Vorstandsvorsitzender Dr. Guido Bader.

Die neu definierten Korridore für den Beitragssatz und das Rentenniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung seien aus finanz- und versicherungsmathematischer Sicht "das Gegenteil von ausgewogener Finanzplanung". So laufe die gesetzliche Rente sehenden Auges in eine Unterfinanzierung, die nur durch Steuermittel kompensiert werden könne. Die aber werden in den kommenden Jahren absehbar benötigt, um die coronabedingte Neuverschuldung zurückzufahren.

Wenn einerseits der Beitrags- sowie der Leistungskorridor eingehalten werden sollen und andererseits der Versicherungscharakter der gesetzlichen Rente bewahrt werden solle, dann stehe nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik bereits jetzt fest, es ohne eine Flexibilisierung des Rentenbeginns nicht gehen wird. "Rentenpolitik ohne Mathematik ist genauso verfehlt wie Rentenpolitik ohne sozialen Ausgleich", so. Bader.

Welchen Diskussionsbedarf es noch gibt, zeigen auch die Sondervoten, die im Bericht aufgeführt werden. Wenn nicht einmal die Mitglieder der Kommission sich nach langen Beratungen einig werden konnten, dann ist wohl auch kaum davon auszugehen, dass sich auf politischer Ebene schnell ein Konsens wird finden lassen, so dringlich die Thematik auch ist. Und in welche Richtung diese Entscheidung letztlich gehen werden, ist angesichts der offensichtlichen Uneinigkeit in der Rentenkommission auch kaum absehbar.

Langfristprodukte als Auslaufmodell?

Nur eines scheint klar: Echte Verlässlichkeit für eine langfristige Planung wird es wohl auch nach 2025 nicht geben. Das ist die schlechte Nachricht. Denn Altersvorsorge ist nun einmal ein Thema mit Langfristperspektive. Je weniger hier die Rahmenbedingungen absehbar sind, umso schwieriger wird es, die Menschen zum Handeln zu bewegen.

Umso wichtiger wird es für die Vertriebe werden, auf neue Produkte zu setzen, die hochgradig flexibel sind. Nur damit können die Menschen ihre Vorsorgebemühungen je nach den von der Politik gesetzten Rahmenbedingungen ausrichten und dabei zugleich auf Brüche in ihrer Erwerbsbiografie, auf Krisen (wie jetzt die Corona-Pandemie) oder auch auf finanzielle Glücksfälle wie Erbschaften nach Bedarf reagieren und je nach Kassenlage Zahlungen reduzieren, aussetzen oder aufstocken. Nur bei solchen Produkten könnte in Zukunft noch nennenswertes Abschlusspotenzial liegen.

Denn wenn die Politik keine Langfristperspektive bietet, dann werden klassische Produkte im Sinne einer langfristigen Vertragsbindung über kurz oder lang zum Auslaufmodell. Aufgabe der Berater wird es jedoch sein, die Kunden auch bei hochgradig flexiblen Produkten auf die Bedeutung des langfristigen Sparens hinzuweisen, ohne das die Versorgungslücke nicht geschlossen werden kann. Denn die wird perspektivisch immer größer werden.

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