ALTERSVORSORGE

"Es ist dringend erforderlich, das Alterssicherungssystem zu reformieren" Interview mit Dr. Marco Arteaga

Dr. Marco Arteaga Foto: DLA Piper

Die Altersvorsorge in Deutschland krankt am Fehlen einer stringenten Systematik der steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Behandlung des Beitragsaufkommens aller Alterssicherungssysteme, so Marco Arteaga. Das ist einer der Faktoren, die den Durchbruch bei Betriebsrenten auf Basis des Betriebsrentenstärkungesgesetzes hemmen. Dass dessen Wirkung zu verpuffen droht, hat allerdings noch eine Reihe anderer Gründe - von terminlichen Koinzidenzen bis zur ordnungspolitischen Frage, ob Altersvorsorge gänzlich in staatliche Hand gehört. Alles in allem hält Arteaga das BRSG zwar für einen großen Wurf und würde tarifvertragliche Regelungen einem Staatsfonds vorziehen. Wenn die Sozialpartner der Politik jedoch nicht bald Anzeichen dafür liefern, dass sie den Ball aufnehmen, wird Letzterer wahrscheinlich. Red.

Sie haben eines der beiden Rechtsgutachten mitverfasst, auf denen das Betriebsrentenstärkungsgesetz beruht. Wie zufrieden sind Sie mit dem Gesetz, das die Politik daraus gemacht hat?

Selbst wenn man technische Einzelheiten kritisiert, ist das Gesetz ein ganz großer Wurf, denn es stößt erstmals in Deutschland die Tür dazu auf, dass wir in der betrieblichen Altersversorgung ein bisher versperrtes Terrain betreten können. Das ist eine ganz wesentliche neue Weichenstellung.

Seit 2002 gab es eine Reformserie bei der Altersversorgung. Zunächst wurde mit dem Altersvermögensgesetz beschlossen, durch die Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors in der gesetzlichen Rente das Leistungsniveau im Verlauf eines fast 30-jährigen Übergangszeitraums um rund 30 Prozent abzusenken, gemessen am "Eckrentner" von rund 60 Prozent auf rund 42 Prozent Mitte der dreißiger Jahre. Der Plan war, die sich dabei auftuende Rentenlücke entweder durch private, zulagengeförderte Altersvorsorge (Riester) und/oder durch betriebliche Renten zu schließen. Das heißt, die Lücke, die bei der umlagebasierten gesetzlichen Rente entsteht, sollte also durch kapitalgedeckte Vorsorgeformen geschlossen werden. Diese Substitution klappt nicht.

Das hat viele Gründe. In der betrieblichen Altersvorsorge liegt das vor allem an der Komplexität der Materie sowie der Unsicherheit bezüglich der Kosten. Hier setzt das Betriebsrentenstärkungsgesetz an.

Erstens wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Arbeitgeber lediglich einen Beitrag versprechen. Das wird zwar auf Arbeitnehmerseite bedauert und natürlich ist es für die Begünstigten schöner, die Zusage über eine bestimmte Rentenhöhe zu erhalten. Aber wenn es für den Arbeitgeber bedeutet, diese Zusage einhalten zu müssen, egal was das kostet, dann macht er es nicht. Denn ein Leistungsversprechen, das bei jungen Arbeitnehmern über 30 oder 40 Jahre geht, hat ja fast eheähnliche Dimensionen - ohne dass man, wie bei einer Ehe, aussteigen kann. Das schreckt gerade kleine Arbeitgeber ab. Das Betriebsrentenstärkungsgesetz hat die Tür dazu aufgestoßen, diese Proble matik zu lösen - wenn auch vorsichtig, indem dies zunächst nur den Tarifparteien erlaubt wird. In diesem Sinn ist das Betriebsrentenstärkungsgesetz ein großer Wurf. Das nützt allerdings nichts, wenn die Praxis keinen Gebrauch davon macht.

Woran liegt es, dass in den Tarifverträgen bisher noch nichts angekommen ist?

Dafür gibt es ganz vielschichte Gründe. Zum einen kommen Tarifverträge nicht dann zustande, wenn es ein neues Gesetz gibt, sondern wenn der alte Vertrag abläuft. Das heißt, man braucht erst einmal Tarifverhandlungen, damit das Thema Altersvorsorge überhaupt auf die Tagesordnung kommen kann. Dazu braucht es vorher eine gewisse Meinungsbildung innerhalb der beteiligten Tarifparteien.

In Deutschland haben wir einige Leitbranchen. Kleinere Branchen neigen dazu, erst einmal zu schauen, was diese Leitbranchen tun. Insofern war es terminlich sicher ungünstig, dass der Tarifvertrag der größten Branche, nämlich Metall und Elektro, Ende des ersten Quartals 2018 ablief. Das Inkrafttreten des Gesetzes Anfang 2018 kam für die Tarifverhandlungen der Metallbranche also zu spät.

Was viele heute schon wieder vergessen haben: Nach der Bundestagswahl im September 2017 hatten wir eine monatelange Hängepartie bei der Regierungsbildung. Auch das führte zu einer abwartenden Haltung, was überhaupt in Sachen Rentenpolitik zu erwarten ist. So gesehen hat diese Entwicklung wohl auch in der Branche Metall und Elektro alles überlagert. Niemand hätte da ernsthaft das Altersvorsorgethema angepackt. In diesem Sinn ist also noch gar nicht so viel Zeit vergangen.

Daneben gibt es natürlich auch sachliche Gründe, die vorgebracht werden. Bisher ist die Altersvorsorge - mit Ausnahme des Baugewerbes - nicht Sache der Tarifparteien. Und es gibt durchaus Stimmen, die sich des Themas nicht annehmen wollen, mit dem Argument, sich nicht auszukennen. Namentlich auf Gewerkschaftsseite gibt es das Argument, nicht gerade für Finanzkompetenz bekannt zu sein.

Viel grundsätzlicher ist der Standpunkt, dass Altersvorsorge nicht auf die Ebene der Tarifparteien gehört, sondern die Verantwortung beim Staat und in der gesetzlichen Rentenversicherung bleiben soll und auch etwaige kapital gedeckte Modelle in der gesetzlichen Rentenversicherung anzusiedeln seien. Insofern gibt es auch einen Richtungsstreit.

Nicht zuletzt gibt es die Meinung, dass die neuen Gestaltungsmöglichkeiten des Betriebsrentenstärkungsgesetzes nicht leicht an die Mitglieder zu kommunizieren sind, weil hier eine Altersvorsorge ohne Leistungsversprechen vorgesehen ist.

Alle diese Argumente sind ernst zu nehmen. Denn sie spiegeln wider, dass die Frage im Raum steht, ob man den neuen Angeboten denn vertrauen kann. Diesen Fragen kann man mit Sachargumenten begegnen.

Rechnen Sie damit, dass die bAV nach dem Sozialpartnermodell noch kommt - oder verpufft der Effekt, den das Gesetz erzielen wollte?

Die Gefahr, dass die Wirkung verpufft, besteht. In einer Reihe von Verbänden, Berufsgruppen und Unternehmen, sind jedoch Bestrebungen vorhanden, die Modelle Wirklichkeit werden zu lassen. Im Lauf der nächsten Monate wird sich herauskristallisieren, ob tatsächlich etwas geschieht oder nicht.

Für ein endgültiges Urteil ist es somit noch zu früh. Aber das Zwischenfazit ist nicht berauschend. Es gibt einige Unternehmen, die angekündigt haben, gern eine zusätzliche Altersversorgung auf der Grundlage der neuen Modelle einführen zu wollen. Hier wird man sehen, wie sich die jeweiligen Gewerkschaften dazu äußern. Auch in den Gewerkschaften wird nach den Vorteilen der neuen Modelle gefragt und werden Modellrechnungen angestellt. Aber das ist alles noch nicht öffentlich. Zwischenstände werden nicht kommuniziert.

Der AGV Banken und Verdi haben sich im neuen Tarifvertrag zumindest zu entsprechenden Verhandlungen verpflichtet ...

Das ist in der Tat eine erfreuliche Nachricht. Das private Bankgewerbe unterhält mit dem BVV seit hundert Jahren ein eigenes Versorgungswerk. Insofern war es naheliegend, darüber nachzudenken, ob nicht der BVV eine solche Versorgungslösung für die angeschlossenen Institute initiiert.

Es gibt auch noch ein paar andere Bereiche, in denen sich etwas bewegt. Das ist allerdings noch nicht öffentlich.

Sind bereits bestehende Versorgungswerke eher förderlich oder hinderlich?

Die bestehenden Systeme spielen eine große Rolle. Denn das, was schon da ist, will man nicht beschädigen. Es soll auch niemand, der heute schon eine Versorgungsanwartschaft besitzt, schlechter gestellt werden. Sondern es geht beim Betriebsrentenstärkungsgesetz und den Sozialpartnermodellen um die Hälfte der privatwirtschaftlich beschäftigten Arbeitnehmer, die noch keine Betriebsrente haben. Für die würde man sich eine solche Versorgungsmöglichkeit wünschen. Viele dieser Beschäftigungsverhältnisse bestehen bei kleineren Arbeitgebern. Hier ist die Mehrheit der Unversorgten tätig. Diese kleinen Unternehmen mit weniger als 500 oder auch 50 Mitarbeitern können sich bisher auf betriebliche Vorsorge kaum einlassen.

Das Problem dabei: Viele von ihnen sind nicht tarifgebunden. Selbst wenn es jetzt zu einem Tarifvertrag käme, braucht es deshalb eine tarifvertragliche Lösung, die auch diese Unternehmen nutzen könnten, es sei denn, man fände eine geschickte, relativ standardisierte haustarifliche Lösung, die auch diese kleinen Unternehmen formularmäßig nutzen könnten, um auf dieser Grundlage eine betriebliche Altersversorgung zu ermöglichen.

Es gibt aber noch ein Hindernis: Branchen, in denen in erheblichem Maße durch Pensionskassenversorgung der steuerliche Rahmen bereits ausgeschöpft ist, werden nicht tarifvertraglich noch eins obendrauf setzen. Beispiel Chemie: Würde hier eine tarifvertragliche Lösung nach dem Sozialpartnermodell vereinbart, dann wären das Beiträge, die in einen Pensionsfonds fließen würden. Weil die großen Chemieunternehmen jedoch alle bereits Pensionskassen haben, würde das zu einer steuerrechtlichen Kollision führen. Denn die bisher schon in die Pensionskassen fließenden Beiträge verbrauchen bereits die schmalen steuerrechtlichen Freibeträge gemäß § 3 Nr. 63 Einkommenssteuergesetz. Kommt ein tarifvertraglich vereinbarter Beitrag, der alternativ Bruttolohn sein könnte, obendrauf und muss versteuert werden, würde das das Nettoeinkommen mindern. Das wäre der Super-GAU - wenn ein Tarifabschluss zustande kommt und im Anschluss die Nettolöhne sinken.

Insofern ist hier von vornherein die Lösung versperrt, mit einem Flächentarifvertrag alle zu beglücken. Denn dieses Glück wäre fragwürdig. Natürlich verbessert sich die Altersvorsorge, aber wenn dadurch das monatliche Netto sinkt, wird das keine Begeisterung ernten.

Was müsste die Politik also tun?

Hier besteht derzeit jedoch ein Dilemma: Es gibt keine stringente Systematik in der steuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Behandlung des Beitragsaufkommens für die Altersversorgungssysteme insgesamt.

Wäre es ein Ansatz, bei bisherigen Mitarbeitern die bestehende Lösung fortzuführen und nur bei Neueinstellungen auf das neue Modell zu setzen?

Das wäre eine Lösung. Man könnte das stichtagsbezogen umsetzen. Diesen Schwenk zu den reinen Beitragszusagen würden viele Unternehmen auch sicher gern vollziehen, weil sie betriebswirtschaftlich sicherer sind. Der Schwenk wäre auch vertretbar, weil es bei gleichen Beiträgen auch ohne Garantie aufgrund der langen Laufzeit die Aussicht auf deutlich bessere Versorgungsleistungen gibt. Aufseiten der Gewerkschaften wird jedoch vielfach befürchtet, dass dadurch eine bestehende, gute Altersversorgung durch eine schlechtere verdrängt wird.

Ich befürchte hingegen, dass eher das Gegenteil geschehen wird, dass nämlich die neuen Systeme etabliert werden und viele in den alten davon ausgeschlossen werden, obwohl die neuen für sie vorteilhafter wären.

Dieses Problem hätten Branchen, in denen es noch gar keine bAV gibt, nicht - Beispiel Friseurhandwerk. Sind solche Branchen zu klein, um Vorreiter zu werden?

Man muss hier etwas konzertieren - beispielsweise für das Handwerk insgesamt. Wir sprechen mit vielen Verbänden darüber, wie man Branchen, die sich aus einer Vielzahl kleiner Unternehmen zusammensetzen, auch in den Genuss eines solchen Modells kommen lassen kann.

Für diejenigen, die bisher nichts haben, und die steuerrechtlichen Freibeträge noch nicht nutzen, könnte man die neuen Sozialpartnermodelle in der Beitragshöhe beliebig steuerfrei stellen.

Die Politik müsste also das Steuerrecht nachbessern, um Schwung in die Entwicklung bei der bAV zu bringen?

In der Tat. Für diejenigen, die sonst keine betriebliche Altersversorgung haben, müsste man für die Sozialpartnermodelle die steuerlichen Daumenschrauben aufdrehen. Wir wollen keine zusätzlichen Freibeträge für diejenigen, die schon eine Altersversorgung haben. Sondern es gilt, zielgenau diejenigen zu treffen, bei denen bisher keine betriebliche Altersvorsorge besteht. Dafür muss man sehen, dass eine vernünftige bAV mit dem heutigen Dotierungsrahmen nicht hinkommt. 8 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze reichen nicht aus, dass ein mittelständisches Unternehmen seine gesamte Altersvorsorge auf dem einen Finanzierungsweg durchführt.

Mit steuerlichen Regelungen, die nach niedrigeren und höheren Einkommen unterscheiden, ist den Unternehmen nicht gedient. Denn sie sind dann gezwungen, allein aus steuerlichen Gründen mehrere Durchführungswege parallel zu betreiben. Sie brauchen stattdessen einfache Lösungen, mit denen sie die ganze Belegschaft in einem einzigen Modell versorgen können.

Ist das Thema Betriebsrente vielleicht überhaupt zu komplex? Taugt es, mit all den Details, die beim Sozialpartnermodell vereinbart werden müssen, überhaupt für einen Tarifvertrag?

Die Frage ist berechtigt. Kompliziert ist das Sozialpartnermodell allerdings nur am Anfang bei der Einrichtung. Dafür ist der Betrieb für die Unternehmen umso leichter. Man kann das vergleichen mit dem Bau eines Hauses. Die Planung und der Aufwand sind mühselig. Das Wohnen ist dann später ganz einfach. So wäre es mit den Sozialpartnermodellen in der Altersversorgung.

Parallel dazu wird derzeit über ein staatlich organisiertes Standardprodukt diskutiert. Könnte so etwas eine Option für die Tarifparteien sein, um die Betriebsrente darüber abzuwickeln und sich damit die Detailfragen zu ersparen?

So ist es. Das wäre eine Alternative. Der Deutschlandrente oder andere Entwürfe liegt der gleiche Gedanke zugrunde: Auch das wäre ein kollektives Modell.

Es gibt eine separate Diskussion, die in diesen Zusammenhang geführt wird, nämlich die, was zu bevorzugen ist, ein staatlich organisiertes Modell oder eine tarifvertragliche Lösung. Aus grundsätzlichen Überlegungen heraus hielte ich den Staatsfonds nur für die zweitbeste Lösung. In anderen Ländern gibt es viele Beispiele dafür, dass solche Fonds in wirtschaftlichen Notsituationen von der Regierung geplündert wurden.

Branchen- oder sogar unternehmensspezifisch organisierte Lösungen würde ich auch deshalb gegenüber einem staatlich verordneten Einheitsmodell bevorzugen, weil nicht alle Branchen das Gleiche brauchen und nicht alle Branchen in der Lage sind, das Gleiche zu leisten. Ein gesetzliches Modell wird diese Differenzierung nicht aufbringen können.

Die Idee der Branchenversorgungswerke hat außerdem den Vorteil, dass hoffentlich eine gewisse Anzahl davon entsteht, sodass sich daraus eine Art Wettbewerb entwickeln kann - nicht um Mitglieder, aber um Leistungen. Auch wenn die Mitglieder gar nicht wechseln können, entsteht aus Unterschieden im Leistungsniveau ein faktischer Druck.

Die Erfahrung zeigt, dass es nur der Wettbewerb ist, der die Kosten sinken lässt.

Was würde dieser Wettbewerb denn bringen? Wenn es so kompliziert ist, ein Sozialpartnermodell zu bauen - wie einfach oder schwierig wäre dann ein Wechsel?

Da die Versorgungswerke im Grunde auf unbefristete Zeit angelegt sind, werden die Tarifpartner vernünftigerweise die Verträge so gestalten, dass ein Wechsel der in Anspruch genommenen Dienstleister möglich wird. Das heißt, es müssen Exitklauseln vorgesehen werden, die das Exitprozedere und die Exitkosten regeln.

Zudem werden die Modelle über die Jahre voraussichtlich in eine Größenordnung hineinwachsen, bei der die Tarifparteien sie irgendwann in die eigene Verantwortung nehmen werden. Dann sucht man sich vielleicht einen Dienstleister, der das sogenannte Record Keeping betreibt, die Anwärter- und Rentnerverwaltung. Auch das Asset Management kann man aus der Hand geben. Fast jede Teildienstleistung lässt sich nach außen geben. Aber es muss die Möglichkeit verbleiben, dass die Mandate turnusmäßig ausgeschrieben werden können. Eine dauerhafte Vergabe an einen Dienstleister ist bei Branchenversorgungswerken nicht sinnvoll.

Hemmt die anhaltende Diskussion über einen Staatsfonds die Meinungsbildung der Tarifpartner zum Sozialpartnermodell, indem sie zu einer Abwartehaltung führt? Müsste die Politik jetzt Nägel mit Köpfen machen?

Es ist eher umgekehrt. Es ist nicht so, dass die Tarifparteien warten, ob der Staatsfonds kommt oder nicht. Sondern wenn sie nichts tun, dann wird (und muss) das staatlich organisierte Standardprodukt kommen. Die Rentenkommission, die im März 2020 ihren Bericht vorlegen soll, prüft die Modelle darauf, ob sie valide Alternativen sind, falls die Tarifparteien tatsächlich den ihnen zugespielten Ball nicht aufnehmen.

Im Herbst 2021 haben wir Bundestagswahl. Und meine persönliche Prognose ist, dass nicht nur die große Koalition bis dahin halten wird, sondern dass sie bis dahin in diesem Bereich Entscheidungen treffen wird. Denn die handelnden Parteien sind daran interessiert, unter Beweis zu stellen, dass sie das gravierende Problem der Altersvorsorge lösen können. Das ist auch Werbung für die Koalitionsparteien.

Gibt es auch Bewegung auf dem Gebiet steuerrechtlicher Anreize?

Ich würde gar nicht von der Schaffung neuer steuerlicher Anreize sprechen. Sondern es geht darum, planwidrige steuerliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Allerdings wird die Politik sicher nicht in vorauseilendem Gehorsam Gesetze ändern, sondern die Sozialpartner müssen sich aktiv melden. Das Arbeitsministerium hat mehrmals erklärt: Wenn Sozialpartnermodelle in bedeutenden Branchen aufgrund ganz konkreter legislativer Hindernisse nicht zustande kommen, werde man sich sofort damit befassen.

Sehen Sie außer der angesprochenen Steuerthematik noch andere Hindernisse?

Ein großes Problem ist aktuell im Sozialversicherungsrecht die berühmte Doppelverbeitragung der Altersvorsorgeleistungen, das heißt der volle Beitragssatz auf die Betriebsrenten. Das ist eine schwere Hypothek, die die betriebliche Altersversorgung insgesamt belastet. Wenn ein solcher Konflikt so lange schwelt wie dieser, wäre es naiv zu glauben, es gäbe nicht massive Interessen, die ihn so lange aufrechterhalten.

Welche meinen Sie da?

Das sind ganz grundlegende ordnungspolitische Überlegungen. Wer die Position vertritt, dass die Altersvorsorge vollständig in staatlicher Hand bleiben muss, hat natürlich keinerlei Interesse, irgendwelche Hindernisse für die private oder betriebliche Vorsorge aus dem Weg zu räumen.

Ist das nicht inkonsequent - einerseits das Niveau der gesetzlichen Rente zu senken, andererseits aber darauf zu pochen, dass die Altersvorsorge komplett in staatliche Hand gehört?

Jein. Altersvorsorge in der ersten Säule muss ja nicht zwangsläufig über das Umlageverfahren erfolgen. Man könnte auch daran denken, in der gesetzlichen Rentenversicherung einen neuen kapitalgedeckten Zweig mit einem Staatsfonds zu eröffnen, in den ein Teil des Beitrags oder ein Zusatzbeitrag fließen würde.

Aus meiner Sicht wäre das nicht die beste Lösung. Aber wenn es im tariflichen Bereich nicht gelingt, die Vorsorgesituation zu verbessern, wäre diese Lösung immer noch besser als gar keine.

Wagen Sie eine Prognose, wohin die Reise geht?

Ich bin immer noch optimistisch, dass wir die Sozialpartnermodelle in der einen oder anderen Form auf den Weg bringen und wichtige Branchen in den nächsten Monaten das Thema aufgreifen werden.

Diejenigen, die mit dem Sozialpartnermodell bislang nur geliebäugelt haben, müssen sich jetzt rasch und konkret damit befassen. Die Verbände müssen jetzt Farbe bekennen. Wenn jetzt den vielen Vorbereitungen und Worten nicht bald Taten folgen, wird es ein anderes Modell geben. Es ist sozusagen fünf vor zwölf.

Die privaten Banken und Verdi haben in ihren gerade erst abgeschlossenen Tarifvertrag eine Verhandlungsverpflichtung über ein Sozialpartnermodell für die bAV aufgenommen. Ist das zu wenig?

Ich denke, nein. Die Verbände und Gewerkschaften sind ja mit der Regierung in engem Austausch. Wenn die Politik auf dieser Grundlage einen glaubwürdigen Eindruck davon gewinnt, dass sich in mehreren Branchen etwas tut, dann hat man nicht den Drang nach einem neuerlichen Gesetzgebungsverfahren, über das man sich wieder mit den Verbänden austauschen müsste. Das heißt: Es müssen nicht unbedingt schon Versorgungswerke geöffnet sein und Beiträge fließen. Sondern es würde genügen, wenn etwas im Status nascendi ist.

Wann ist denn voraussichtlich mit den ersten Modellen zu rechnen, bei denen wirklich Beiträge fließen?

Für die Vorbereitung eines eigenen Sozialpartnermodells von der Grundsatzentscheidung bis zum Fließen der ersten Beiträge braucht man einen ordentlichen Vorlauf. Denn das Modell muss ja nicht nur vertraglich aufgesetzt werden, sondern es muss auch noch in die Unternehmen gebracht werden. Ich kann mir deshalb nicht vorstellen, dass das unter einem Jahr zu schaffen ist. Vermutlich sind zwei Jahre ein vernünftiger Planungshorizont.

Dr. Marco Arteaga, Rechtsanwalt und Partner, DLA Piper UK LLP, Frankfurt am Main

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