Aufsätze

Bewährungsprobe für die institutionelle Kapitalanlage

Die jüngste Finanzmarktkrise kann in ihrer Bedeutung für die Kapitalanlage institutioneller Investoren nicht isoliert betrachtet werden. Um die gesamte Dimension der Verwerfungen zu erkennen, bedarf es eines Blicks sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft.

Zwar waren die Verluste vieler Investoren im Jahr 2008 für sich genommen schon gravierend. Die wahre Bedeutung dieser Vermögensschmelze ergibt sich aber erst vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Jahr 2001. Damals hatte das Platzen der Tech-Bubble ebenfalls zu schmerzhaften Verlusten in den Portfolios der Großanleger geführt. Gerade hatten sich die meisten von ihnen mühsam von diesem Tiefschlag erholt, da tauchte nur wenige Jahre später mit der Subprime- und Finanzmarktkrise das nächste negative Großereignis auf.

Der Doppelschlag zweier gravierender Kursrückschläge innerhalb relativ kurzer Zeit hat somit nicht nur erneut die Kapitalanlage der Investoren unter Druck gesetzt, sondern auch deren Vertrauen in die gängigen Modelle und Methoden des Risikomanagements beschädigt.

Probleme mit geschrumpften Risikobudgets

Die mittelfristigen Auswirkungen dieses Befundes sind erheblich. Sie manifestieren sich in faktischen, psychologischen und nicht zuletzt regulatorischen Beeinträchtigungen, die das Erzielen der notwendigen Renditen in Zukunft zu einer komplexen Herausforderung werden lassen. Zunächst lässt sich feststellen, dass infolge der Kursverluste die Risikobudgets vieler Investoren deutlich zusammengeschrumpft sind. Die Risikotragfähigkeit ist damit faktisch stark eingeschränkt und beengt den dringend für das Chancenmanagement benötigten Handlungsspielraum.

Einer aktuellen Umfrage zufolge liegt die zu erzielende Zielrendite institutioneller Investoren derzeit bei durchschnittlich 4,4 Prozent. Das Spektrum reicht von 3,5 Prozent bei Sozialversicherungsträgern über Sparkassen mit 3,9 Prozent bis zu Volks- und Genossenschaftsbanken sowie Kirchen, die jeweils eine Rendite von 5,2 Prozent erwirtschaften wollen. Banken, Pensionskassen und Stiftungen streben Renditen von 4,5 bis 4,6 Prozent an. Angesichts des gegenwärtigen Zins- und Kapitalmarktumfeldes wird schnell klar, dass sich diese Renditen ohne ein erhöhtes Risiko nicht realisieren lassen.

Defensives Risikoverständnis

Dies liegt nicht nur an der faktischen Beeinträchtigung durch gesunkene Risikobudgets, sondern auch an der Investmentmentalität der Anleger. "Deutsche institutionelle Investoren scheuen das Risiko". Diese Aussage entstammt einer bereits 2006 von den Professoren Lutz Johanning und Bernd Rudolph vorgelegten Studie zur Verlust- und Risikopräferenz professioneller Anleger. Darin beschreiben die beiden Wissenschaftler das Phänomen, dass deutsche Investoren die Risikovermeidung bei der Kapitalanlage klar in Vordergrund stellen und dabei bewusst auf Renditechancen verzichten. Die Einstellung zum Risiko ist im Gegensatz vor allem zu angelsächsischen Investoren also stärker durch Verlustängste als durch Gewinnchancen geprägt.

Die jüngste Krise hat diese Einstellung verfestigt. Erste zaghafte Ansätze deutscher Investoren, ihr Risikoverständnis in den vergangenen Jahren zu adjustieren, wurden durch die Verlusterfahrungen der jüngsten Vergangenheit schonungslos konterkariert. Mehr denn je betrachten Anleger hierzulande Risiko als Gefahr denn als Chance.

Dies kommt auch bei einem Blick auf deren Asset Allocation zum Ausdruck. Im Vergleich zum Jahr 2007 hat sich die Aktienquote in den institutionellen Portfolios aufgrund der niedrigen Risikoneigung nahezu halbiert. Sie fiel von 11,4 auf aktuell 5,9 Prozent. Dies jedenfalls ist das Ergebnis der jüngsten Studie von Feri Euro Rating Services zum Markt für institutionelles Asset Management. Die ohnehin immer schon dominierende Rentenquote stieg demgegenüber an und liegt nun bei 80 Prozent. Im Vergleich mit den anderen Investorengruppen sind vor allem die Banken mit 85,7 Prozent stark in Rentenpapiere investiert. Die darin zum Ausdruck kommende Risikoscheu wird auch in einer entsprechend niedrigen Aktienquote von lediglich 1,3 Prozent sichtbar.

Zunahme externer Restriktionen

Die Frage, ob und in welchem Ausmaß die Investoren bereit sind, ins Risiko zu gehen, hat allerdings nicht nur mit den gesunkenen Risikobudgets und der generell eher niedrigen Risikoneigung zu tun. Auch der zunehmende aufsichtsrechtliche Regelungsdruck spielt eine wichtige Rolle. Die Treiber dieser Entwicklung formierten sich zwar nicht erst mit der jüngsten Kapitalmarktkrise, erhalten durch sie jedoch einen zusätzlichen Schub.

Beispielhaft sei hier auf die Regelungen von Solvency II verwiesen, die zunächst die Versicherungsunternehmen und mit einer zeitlichen Verzögerung voraussichtlich in abgeschwächter Form auch die Pensionskassen treffen werden. Ziel ist die Fortentwicklung der bisher hauptsächlich quantitativ ausgerichteten Finanzaufsicht von Versicherungsunternehmen hin zu einem umfassenden, risikoorientierten System. Mit der nationalen Umsetzung von Solvency II voraussichtlich ab 2012 müssen die betroffenen Unternehmen nicht nur umfangreiche qualitative Anforderungen an ihr Risikomanagement umsetzen, sondern ihre Kapitalanlage auch mit mehr Eigenkapital unterlegen.

Viele Versicherungsunternehmen sind damit vor erhebliche und teilweise existenzielle Herausforderungen gestellt. Für sie stellt sich die Frage, ob unter den neuen Regelungen sowohl das Kapital als auch die individuelle Kompetenz im Risikomanagement ausreichen, um die für die Verpflichtungen erforderlichen Erträge auf Dauer erwirtschaften zu können. Mit Blick auf die Eigenkapitalunterlegung ist davon auszugehen, dass es einigen Versicherern nicht leichtfallen dürfte, das nötige Eigenkapital zur Verfügung zu stellen, um damit risikobehaftete Assets zu sichern. Experten halten es nicht für ausgeschlossen, dass manches Unternehmen unter den Bedingungen möglicherweise nicht in der gewohnten Weise am Markt weiter operieren kann.

Auch Banken sehen sich infolge der Finanzmarktkrise einem verstärkten Regulierungsdruck ausgesetzt. Zur Stabilisierung der Finanzmärkte und intensiveren Überwachung der Beteiligten werden gegenwärtig von verschiedenen Institutionen und Gremien auf nationaler und internationaler Ebene zahlreiche regulatorische Änderungen vorangetrieben. Die Folge: Die Finanzbranche wird es künftig mit einer nie da gewesenen Vielzahl regulatorischer Änderungen in unterschiedlichen Stadien mit wechselnden geplanten Umsetzungsterminen zu tun haben. Was davon schließlich in geltendes Recht umgesetzt werden kann, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch, dass sich der Handlungsrahmen für die Kapitalanlage voraussichtlich weiter einengen wird.

Die Weltwirtschaft im Umbruch

Als wären all die beschriebenen Beeinträchtigungen nicht schon problematisch genug, müssen sich institutionelle Investoren darüber hinaus auch auf ein sich weiter veränderndes Kapitalmarktumfeld einstellen. Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hat das alte Gefüge ins Wanken gebracht und erfordert ein Umdenken der Anleger. Dies gilt sowohl für die Entwicklung der Weltwirtschaft als auch mit Blick auf die Kapitalmärkte.

Zwar scheint die Rezession im globalen Maßstab überwunden. Ob und wann die Wirtschaft allerdings zu einem selbsttragenden Wachstum zurückfinden kann, bleibt ungewiss. In jedem Fall ist jedoch nicht mit einer schnellen Rückkehr zu den Wachstumsraten der Vorjahre zu rechnen. Vielmehr wird sich das Wachstumspotenzial der Weltwirtschaft um ein Viertel auf drei Prozent statt bislang vier Prozent pro Jahr vermindern.

Auslaufende Konjunkturprogramme

Mit ein Grund hierfür ist die weiterhin zögerliche Investitionsplanung auf Unternehmensseite. Es fehlt an der Bereitschaft oder Finanzkraft, sich auf längerfristiges Wachstum einzustellen. Zudem laufen die Konjunkturpakte der großen Volkswirtschaften aus. Der hohe Verschuldungsgrad der meisten Staaten macht weitere substanzielle Stimuli unwahrscheinlich. Erst auf dem letzten G20-Gipfel in Toronto wurde der Rückführung der Verschuldung der Vorzug vor weiteren staatlich finanzierten Hilfspakten gegeben.

Neue Herausforderungen ergeben sich darüber hinaus aus der Verkürzung der Wirtschaftszyklen. Dauerten die letzten drei Aufschwungphasen im Durchschnitt acht Jahre, ist künftig von einer Halbierung auszugehen. Die Trends an den Märkten werden also schneller wechseln als bisher. Das Auf und Ab an Märkten und damit die Verunsicherung der Marktteilnehmer werden zunehmen. Kurz gesagt: Einem schwächeren Wirtschaftswachstum steht eine erhöhte Volatilität der Wirtschaftsentwicklung gegenüber (Abbildung 1).

Verändertes Kapitalmarktumfeld

Diese Veränderungen der globalen Ökonomie betreffen selbstverständlich auch die Kapitalmärkte. Die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hat hier zu Umbrüchen geführt, die wahrhaft als Zäsur bezeichnet werden können. Jetzt schon ist zu beobachten, dass das generelle Renditeniveau quer über viele Assetklassen deutlich gesunken ist. Dies führt zu enormen Herausforderungen vor allem in dem für institutionelle Investoren so bedeutsamen Segment der Anleihen.

Konnten es sich Versicherungen, Pensionskassen, Banken oder Stiftungen früher noch erlauben, überwiegend im sicheren Hafen der Rentenwelt zu verweilen, so stellt in heutigen Zeiten gerade das Ankern in diesen Häfen die größte Gefahr für die Anleger dar. Denn eines ist klar: Mit einer aktuellen Rendite langlaufender Staatsanleihen (zum Beispiel: zehnjährige Bundesanleihe) von nicht einmal drei Prozent lassen sich die erforderlichen Zielrenditen von durchschnittlich 4,4 Prozent kaum erzielen. Und auch die zusammengeschmolzenen Risikobudgets können so nur schwer wieder aufgebaut werden. Jeder Tag im Hafen wird vor diesem Hintergrund selbst zu einem Risiko, ganz abgesehen davon, dass sich mancher dieser vermeintlich sicheren Häfen während der Finanzmarktkrise eben nicht unbedingt als solcher erwiesen hat. Galten Pfandbriefe und Staatsanleihen noch vor der Krise als liquide beziehungsweise risikoarme Anlagen, so hat sich diese Einschätzung in den vergangenen 24 Monaten doch deutlich verändert.

Wege aus der Krise

Vor zusätzliche Probleme dürften sich insbesondere die zunehmend kurzfristig orientierten Investoren auch durch die Zunahme der Volatilität an den Kapitalmärkten gestellt sehen. Der Anstieg der Schwankungsintensität betrifft dabei sowohl die Kursentwicklung einzelner Assetklassen als auch deren Verhältnis zueinander. Die Gefahr, dass die Wirtschaft mittelfristig zunächst in Minizyklen gefangen sein könnte, wirkt sich zudem auf die Bewertung der unterschiedlichen Vermögensteile aus. Es ist davon auszugehen, dass sich die Attraktivität der einzelnen Assetklassen vor dem Hintergrund der unübersichtlichen Wirtschaftslage schneller verändern wird. Die Favoriten werden häufiger wechseln. Mit den gängigen Investmentansätzen fällt es damit zunehmend schwerer, stabile und damit planbare Renditen zu erzielen. Die klassischen Buy-and-Hold-Strategien führen nicht mehr zum Erfolg.

Wie können institutionelle Investoren auf die neuen Herausforderungen reagieren? Ein Königsweg ist angesichts der unterschiedlichen Interessen der einzelnen Investorengruppen nur schwer vorstellbar und nicht erkennbar. Dennoch lassen sich drei Grundvoraussetzungen identifizieren, die bei der Beantwortung der Frage im Auge behalten werden sollten. Neben der Nutzung des gesamten Spektrums der Anlageklassen und Strategien sowie der Hinwendung zu einem stärker dynamischtaktisch ausgerichteten Vermögensmanagement wird es künftig insbesondere um die effiziente Ausnutzung der Risikobudgets gehen.

Angesichts der niedrigen Kapitalmarktrenditen erhält der durch aktives Management erzielbare Zusatzertrag künftig einen noch größeren Stellenwert. Dabei spielt der Grundsatz der Diversifikation eine zentrale Rolle. Die bereits erwähnte Feri-Studie zeigt, dass es in dieser Hinsicht bei der Asset Allocation nicht zum Besten bestellt ist. Der Immobilienanteil am Gesamtvermögen institutioneller Anleger liegt derzeit nahezu unverändert gerade einmal bei 4,7 Prozent. Und das, obwohl Investoren in den Umfragen der vergangenen zwei Jahre stets betont hatten, diesen ausbauen zu wollen. Geradezu unbedeutend nehmen sich die Investitionen in Rohstoffe mit 0,1 Prozent oder Währungen mit 0,3 Prozent aus. Immerhin werden Private Equity mit 0,8 Prozent und Hedgefonds mit 0,7 Prozent aktuell etwas höher gewichtet als noch vor zwei Jahren.

Dynamische Portfoliosteuerung rückt in den Vordergrund

Insgesamt scheint jedoch evident, dass die Anleger ihr Investmentspektrum künftig nach Möglichkeit werden erweitern müssen. Denn im gegenwärtigen Marktumfeld kommt es entscheidend darauf an, bestehende Fehlbewertungen in einzelnen Marktsegmenten zu nutzen. Die damit verbunden Chancen wahrzunehmen heißt auch, globale Märkte stärker ins Auge zu fassen, etwa mit Investitionen in Schwellenländern.

Zudem lässt es sich für einige Investoren nicht mehr vermeiden, Abschied zu nehmen von der strategischen Asset Allocation. Die beiden großen Kapitalmarktkrisen der ersten Dekade des neuen Jahrtausends haben den Nutzen entsprechender Ansätze erheblich infrage gestellt. An einer strategischen Asset Allocation lässt sich nur festhalten, wenn man als Investor in der Lage ist, Extremereignisse am Markt nach unten auszuhalten. Gerade dies fällt aber vielen Großinvestoren zunehmend schwer. Denn die bilanziellen und aufsichtsrechtlichen Erfordernisse erzwingen mehr und mehr die Perspektive auf einen kurzfristigen Anlagehorizont. Die taktisch-dynamische Steuerung der Kapitalanlage dürfte vor diesem Hintergrund eine wachsende Bedeutung erlangen.

Gleiches gilt für dynamische Ansätze im Risikomanagement, die in der Lage sind, die verknappten Risikobudgets effizient auszunutzen, ohne Renditechancen vorbeiziehen zu lassen. Auch hier erhalten taktische beziehungsweise dynamische Steuerungselemente einen größeren Stellenwert. Asymmetrische Wertsicherungskonzepte rücken damit in den Vordergrund. Sie bieten die Möglichkeit, die Chancenorientierung risikokontrolliert in den Anlageprozess zu integrieren (Abbildung 2).

Besonders Erfolg versprechend sind dabei dynamisch ausgerichtete Ansätze. Bei diesen erfolgt eine kontinuierliche Umschichtung zwischen risikoarmen und risikoreichen Anlagen. Steigt also der Wert des angelegten Vermögens, führt dies zu einer stärkeren Berücksichtigung risikobehafteter Assets. Bei dynamischen Strategien ist das Anlageergebnis in der Praxis somit nicht nur von der Marktsituation, sondern auch von der Wertentwicklung während der Laufzeit abhängig. Dies führt dazu, dass Risikobudgets stets angepasst und effizient ausgenutzt werden können.

Ansätze, um mit den neuen Herausforderungen in der Kapitalanlage umzugehen, sind also durchaus vorhanden. Nicht alle mögen für jeden Investor gleich gut geeignet sein. Ob und gegebenenfalls welche der Ansätze sich als hilfreich erweisen können, gilt es im intensiven Dialog zwischen Investor und Asset Manager herauszufinden.

Alexander Schindler , Mitglied des Vorstands , Union Investment
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