Frage an ...

Christine Bortenlänger - Ist die Aufsicht über Regionalbörsen reformbedürftig?

Es scheint zu den Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaftspolitik zu gehören, dass Reformvorschläge immer wieder neu aufgewärmt werden. Ein Beispiel dafür ist das Bestreben, die Aufsicht über die deutschen Regionalbörsen zu reformieren. Treibende Kraft hinter dieser Absicht ist das Bundesfinanzministerium. Es würde lieber heute als morgen die Aufsicht über die Regionalbörsen - und natürlich auch über die Frankfurter Börse - der BaFin übertragen und so die Umwandlung des ehemals föderal organisierten deutschen Börsen- und Börsenhandelsüberwachungssystems in ein bundeseinheitliches System abschließen. Dafür müsste Paragraf 1 des Börsengesetzes geändert werden, der die Börsenaufsicht "der zuständigen obersten Landesbehörde" zuschreibt. Zumindest aus heutiger Sicht, ist eine solche Maßnahme allerdings weder sinnvoll noch folgerichtig.

Seinerzeit "überlegenswert" - heute überholt

Warum das so ist, zeigt ein Blick in die nähere deutsche Börsengeschichte: Rund zehn Jahre sind inzwischen vergangen, seitdem das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht und der Münchner Kapitalmarktexperte Bernd Rudolph ein umfangreiches Gutachten zum Thema "Börsenreform in Deutschland" vorgelegt hatten. Konkret ging es in dem 1 400-seitigen Werk vor allem darum, welche Rahmenbedingungen ein modernes marktorientiertes Börsengesetz festlegen sollte und welche gesetzgeberischen Änderungen in Deutschland erforderlich sind, um ein solches Gesetz zu schaffen. Ihre Ergebnisse fassten die Gutachter in 30 Handlungsempfehlungen zusammen. Einer der wesentlichen Punkte beinhaltete dabei auch den Vorschlag, die "staatliche Markt- und Rechtsaufsicht ... zentral zu organisieren".

Zugegebenermaßen war diese Empfehlung der im Auftrag des Bundesfinanzministeriums tätigen Gutachter angesichts ihrer Argumentationslinie, ihrer weiteren Reformvorschläge und nicht zuletzt auch angesichts der damaligen Wettbewerbssituation zwischen den deutschen Börsenplätzen überlegenswert. Zwar gab es in Deutschland noch acht Börsenplätze. Die von diesen angebotenen Produkte und Börsendienstleistungen waren aber weitgehend standardisiert. Eine Differenzierung, ein echter Wettbewerb zwischen den Börsen, fand nicht statt. Warum also benötigte man in den acht Bundesländern, in denen die Börsen ihren Sitz hatten, jeweils eine eigene Börsenaufsichtsbehörde, wenn das System sowieso beinahe gleichgeschaltet funktionierte? Das hätte man in der Tat einfacher haben können.

Intensiver Wettbewerb

Diese Aussage gilt allerdings schon beinahe so lange nicht mehr, so lange die Studie auf dem Markt ist. Denn seitdem hat sich die deutsche Börsenlandschaft stark verändert. Deutschland hat sich in dieser Zeit zu dem Land neben den USA entwickelt, in dem der aktivste Wettbewerb zwischen den einzelnen Börsenplätzen herrscht: Zwischen den hiesigen Finanzplätzen gibt es echte Konkurrenz.

Verantwortlich dafür sind in erster Linie die Regionalbörsen. Während Frankfurt beim Handelsvolumen dominiert und mit seinen internationalen Ambitionen den zurzeit herrschenden länderübergreifenden Börsenfusionsprozess aktiv mitgestalten will, konzentrieren sie sich mit den unterschiedlichsten Nischenstrategien auf die deutschen Privatanleger als Kunden. Dabei haben sie sich in der Vergangenheit etwa durch neue Produkte und anlegerbezogene Segmentierungen als Innovationstreiber profiliert. Beispiele dafür sind die Verlängerung der Handelszeiten, die Euwax für verbriefte Derivate in Stuttgart oder die von der Böag (der Trägergesellschaft der Börsen in Hamburg und Hannover) initiierte "Fondsbörse Deutschland".

Vorteile durch Schnelligkeit

Die Börse München wiederum hat mit dem im Mai 2003 gestarteten Handelssystem Max-One ein eigenes elektronisches Handelssystem eingeführt, mit dem sie für über 9 000 Werte die sofortige, vollständige Ausführung einer Order zum besten Preis am Markt garantiert. Damit verfügt die Börse über ein in Deutschland einzigartiges Angebot. Zudem wurde in München im Juli 2005 mit M-Access ein qualitativ hochwertiges Marktsegment für mittelständische Unternehmen auf den Weg gebracht. Die Zahl der in M-Access gelisteten Unternehmen ist inzwischen auf 20 gestiegen. Sie haben eine Marktkapitalisierung von rund einer Milliarde Euro.

Dass die Regionalbörsen mit ihren Innovationen immer wieder auch die Frankfurter Börse gezwungen haben, nachzuziehen, zeigt, wie gut der Wettbewerb unter den deutschen Börsen funktioniert.

Für die Börse München hat sich dabei gerade in den vergangenen Jahren gezeigt, wie wichtig die föderale deutsche Börsenaufsichtsstruktur ist. Dass es zum Beispiel gelungen ist, ein System wie Max-One in vergleichsweise kurzer Zeit zu starten, ist auch einer engen Zusammenarbeit mit dem bayerischen Wirtschaftsministerium, der für die Börse München zuständigen Aufsichtsbehörde, zu verdanken. Generell ist der kurze Draht der Regionalbörsen zu Ihren jeweiligen Aufsichtsbehörden eines der wesentlichen Argumente dafür, warum die föderale Börsenaufsichtsstruktur beibehalten werden sollte. Denn sie verschafft ihnen die Möglichkeit, schnell bedarfsgerechte neue Angebote - möglicherweise auch unter Berücksichtigung regionaler Bedürfnisse - im Wettbewerb mit den anderen Börsenplätzen zu schaffen. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist für die Regionalbörsen dabei auch, dass ihre jeweiligen Aufsichtsbehörden auch deshalb einen sehr engen Kontakt mit ihnen pflegen, weil die einzelnen Bundesländer ein originäres Interesse an einer leistungsfähigen Regionalbörse in ihren jeweiligen Regionen haben.

Mit einer Verlagerung der Börsenaufsicht auf die BaFin würden diese Wettbewerbsvorteile definitiv verloren gehen. So zeigen etwa die Erfahrungen aus anderen Bereichen, dass Abstimmungsprozesse mit der BaFin sehr lange dauern können. Falls die Börsenaufsicht auf die BaFin übertragen würde, hätte dies in letzter Konsequenz zur Folge, dass der Wettbewerb zwischen den Börsenplätzen eingeschränkt würde. Das aber kann weder im Sinne der Anleger, des Finanzplatzes Deutschland und natürlich auch nicht im Sinne der Regionalbörsen selbst sein - die dadurch im Extremfall in ihrer Existenz bedroht wären.

Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Dass die Kompetenzen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht im Bereich der Börsen in den vergangenen Jahren zunehmend erweitert wurden, ist größtenteils zu begrüßen. So war der im Jahr 2002 im Rahmen des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes erfolgte Übergang der Insiderhandels- und der Marktmanipulationsüberwachung von der Länderebene auf die BaFin ein nötiger und sinnvoller Schritt. Er hat mit dazu beigetragen, das Erscheinungsbild des Finanzplatzes Deutschland gerade auch im Ausland zu verbessern. Denn aufgrund der Komplexität des heutigen Börsengeschehens und der Interdependenzen zwischen den einzelnen Börsenplätzen ist nur eine bundeseinheitliche Handelsüberwachung in der Lage, Gesetzesverstöße in diesem Bereich schnell und effektiv aufzudecken.

Auch die erfolgte Verlagerung etwa der Prüfung und Billigung von Börsenzulassungsprospekten und die Überwachung der Zulassungsfolgepflichten auf die BaFin, macht zumindest teilweise Sinn, auch wenn - wie zu hören ist - sich manche Emittenten hier eine praxisgerechtere Vorgehensweise durch die BaFin wünschen würden.

Die Argumente derjenigen, die aber auch noch eine Verlagerung der Börsenaufsicht auf die BaFin befürworten, sind dagegen alles andere als stichhaltig. Dass etwa ausländische Marktteilnehmer die aktuelle Aufsichtssystematik nur schwer nachvollziehen könnten und deshalb möglicherweise auf ein Listing oder eine Orderaufgabe an einen deutschen Börsenplatz verzichten - wie der Leiter der Finanzmarkt-Abteilung im Bundesfinanzministerium im Oktober 2004 erklärte. Oder dass die Aufsichtskompetenzen der Bundesländer den Initiativen zur Schaffung eines gemeinsamen Finanzmarktes in Europa zuwiderlaufen, wie die Bundesregierung im Mai 2003 auf eine kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion antwortete, die ihrerseits "eine unterschiedliche Auslegung börsenrechtlicher Vorschriften durch die Börsenaufsichtsbehörden der Länder" beklagte, und durch solche Formen der "Aufsichtsarbitrage" die Bemühungen konterkariert sah, den Finanzplatz Deutschland effizient, konkurrenzfähig und offen für in- und ausländische Akteure zu gestalten.

Politische Argumente

Solche Argumente sind auch heute in der einen oder anderen Form immer wieder zu hören. Dass sie auf tatsächlichen wirtschaftlichen Fakten beruhen, darf bezweifelt werden. Sie scheinen eher auf politische Interessen zurückgeführt werden zu können. Ganz abwegig wird es gar, wenn in der Börsen-Zeitung - wie vor Kurzem geschehen - die föderale Börsenlandschaft dafür verantwortlich macht, dass die Frankfurter Börse beim Werben um Euronext gescheitert ist.

Nun mag der deutsche Föderalismus in Zeiten der Globalisierung, der weltweiten Börsen-Zusammenschlüsse und der damit zusammenhängenden Tendenz zur Größe kleinstaatlerisch und antiquiert wirken. Aber dennoch: Die Aufsicht über die deutschen Regionalbörsen ist alles andere als reformbedürftig. Denn das in der Bundesrepublik gepflegte föderale Börsenaufsichtssystem hat mit dazu beigetragen, dass es in Deutschland ein einzigartig vielseitiges Börsen-Dienstleistungsangebot gibt - zum Wohle der Anleger und der Wettbewerbsfähigkeit des Börsenplatzes Deutschland generell.

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