Leitartikel

Das Ende einer Geschichte

Es war einmal eine Bank. Diese Bank war groß und stolz. Ihre Vorstandsvorsitzenden waren mächtig und geachtet - und gefürchtet. Ihr Arm reichte weit. Diese Bank regierte über das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands. Und weil sie diesem Land willfährig Dienst tat, hatte sie viele Freiheiten und genoss viele Annehmlichkeiten. Mehr als 11000 Menschen arbeiteten in der Spitze in dieser Bank. Man war stolz, sich mit den Verantwortlichen zu zeigen und noch stolzer an der Entwicklung mitzuwirken, beispielsweise als Mitglied im Aufsichtsrat. Dieser Bank ging es gut.

Doch Macht und Erfolg verlangen immer nach mehr. Also waren dieser Bank das Rheinland und Westfalen bald zu klein. Sie wollte größer, mächtiger, bedeutender sein. Sie eröffnete Auslandsniederlassungen sogar in Amerika, erweiterte ihre Geschäftsfelder bis hinein in die City von London mit einer eigenen Investmentbank namens Panmure. Sie beteiligte sich an den Kollegen in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein und wollte - über diese Banane hinaus - Nukleus der Konsolidierung aller ihrer Verwandten sein. Sie nannte sich fortan Konzern und firmierte als AG, wie die großen Privatbanken. Diese Bank heißt heute Portigon.

So weit ist es also gekommen mit der guten alten WestLB, die in der 1832 gegründeten Westfälischen Provinzial-Hülfskasse ihren Ursprung hatte. Aufgabe dieser Institution war die Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung der Provinz hin zu einem modernen Industriestaat. Gleiches gilt für die 1854 ins Leben gerufene Rheinische Provinzial-Hülfskasse, ebenfalls eines der Vorgängerinstitute. Siehe da, sieh da, da wurde so manches also schon in die Wiege gelegt. Anfang des 19. Jahrhunderts übernahmen diese beiden "Landesbanken" dann auch den bargeldlosen Zahlungsverkehr und die Funktion der Girozentrale für die angeschlossenen Sparkassen ihrer Provinzen. Es folgten die Zeiten mit den beiden Weltkriegen und dem deutschen Wiederaufbau, sicherlich keine einfache Zeit gerade für das Ruhrgebiet und das Rheinland. Die Banken waren da. 1969 schließlich entstand durch die Fusion der Rheinischen Girozentrale und Provinzialbank Düsseldorf mit der Landesbank für Westfalen (Girozentrale) Münster die Westdeutsche Landesbank. Ein feiner Stammbaum dieses Hauses ist auf Seite 357 zu finden.

Unter dem ersten Vorstandsvorsitzenden Ludwig Poullain entwickelte sich die Westdeutsche Landesbank zu einer breit aufgestellten Universalbank - aber mit ihren Wurzeln und den Füßen in der Sparkassenorganisation verankert. Auf Poullain folgte alsbald 1981 Friedel Neuber, der "rote Baron" oder der "Große aus dem Westen". Das allein beschreibt schon die Erscheinung und die Rolle Neubers. Nichts ging in Nordrhein-Westfalen ohne ihn. Unter Neuber wurde die WestLB zum Inbegriff des rheinischen Kapitalismus, jener Wirtschaftsordnung also, die charakterisiert ist durch strategisch motivierte Personal- und Kapitalverflechtungen zwischen den Großunternehmen, einem auf Universalbanken beruhenden und nicht unmittelbar auf den Kapitalmarkt ausgerichtetem Finanzsystem, kooperativen Beziehungen zwischen den Faktoren "Kapital" und "Arbeit" und vor allem einer sehr aktiven Rolle des Staates. Das alles wusste Neuber wunderbar zu bedienen, zu begleiten und zu nutzen. Die WestLB war das Infrastuktur-Instrument des Landes NRW.

Doch dann folgten die neunziger Jahre, in denen die Großmannssucht übertrieben wurde und der Niedergang schleichend begann. Die übertriebene Expansion, jahrelange Verfahren wegen der Beihilfe zur Steuerhinterziehung, die Flugaffäre um den späteren Bundespräsidenten Johannes Rau - als Jürgen Sengera im September 2001 die Nachfolge von Friedel Neuber als Chef der WestLB antrat, verbanden nicht wenige Nordrhein-Westfalen mit dem Stabwechsel den Wunsch, die Landesbank würde endlich aus den Schlagzeilen herauskommen. Zu lange schon hatten Filzvorwürfe das Ansehen des Instituts beschädigt. Man mag es bezeichnend finden, dass Friedel Neuber im fünfzehnseitigen Redemanuskript, verlesen auf seiner letzten Pressekonferenz als Vorstandsvorsitzender im Frühjahr 2001 gerade mal eine Seite der "Struktur der Bank" widmete, den Skandalen kein Wort. Ludwig Poullain, bei dem ein lukrativer Beratervertrag mit einem Finanzmakler zum Ende seiner Amtszeit hin Fragen aufgeworfen hatte, drückt es heute so aus: "Friedel Neuber war überfordert, die Weichen zu stellen. Ich habe in den neunziger Jahren gelitten wie eine Hund, als ich sah, wie der Geist des Hauses zerstört wurde. Ich habe das Ende kommen sehen - die vergeblichen Deals, die von vornherein zum Scheitern verurteilten Versuche, mit stets neuen Modellen etwas Neues zu schaffen. Das Ende scheint mir konsequent zu sein. Die Bank hat ohne Geist gelebt, ohne sich klarzumachen, wo ihre Position in Zukunft sein wird." (Handelsblatt, 20. März 2012)

Und man mag es ebenso bezeichnend finden, dass die WestLB, die in ihrer gesamten Geschichte neun Vorstandsvorsitzende aufzuweisen hat, sieben davon in den letzten zehn Jahren verschliss und mit jedem Wechsel an der Spitze dieselben Wünsche verknüpft wurden: Rückbesinnung auf das ursprüngliche Geschäft, engere Orientierung an den Sparkassen, keine Skandale, keine Verluste mehr. Doch weder Jürgen Sengera, noch Alexander Stuhlmann, Thomas Fischer oder Heinz Hilgert ist dies gelungen. Box Clever, Boullioun Aviation, VW-Aktien, wir erinnern uns. Geschafft hat es Dietrich Voigtländer, dem die traurige Ehre zuteil wird, der letzte Vorstandsvorsitzende der WestLB gewesen zu sein. Doch da war es schon zu spät. Man darf sanft anmerken, dass es nie alleine Schuld der Vorstände war. Wo sind denn all die ehedem so stolzen Aufsichtsräte der WestLB? Manche von ihnen sind immer noch aktiv. Nur mit dieser Bank wollen sie nichts zu tun haben und erst recht nichts zu tun gehabt haben. Und doch haben sie an entscheidenden Stellen nicht entscheidend genug gewirkt. Auch sie haben Schuld!

Es ist gut, dass es nun vorbei ist - auf Geheiß der EU-Kommission und nicht aus Einsicht der Beteiligten. Denn immer noch haben Ministerpräsidenten nur zu gerne auch eine Landesbank. Der Schrott der Havarie liegt in der Ersten Abwicklungsanstalt (EAA) und wird die Verantwortlichen und den Steuerzahler sicherlich noch ein paar Jahre gut beschäftigen. Das Backofficegeschäft, Service- und Portfoliomanagement genannt, geht in Portigon Financial Services auf, von der die Betroffenen hoffen, dass hier ein neues Unternehmen entsteht. Und das gesamte Verbundgeschäft übernimmt (hoffentlich) die Landesbank Hessen-Thüringen. Auch das ist wieder ein Stück Geschichte: Es sind nicht die ehedem großen und mächtigen Landesbanken aus dem Westen oder Süden, es ist die kleine, beschauliche Helaba, die zum Nukleus einer bundesweiten Verbundbank werden kann und vielleicht sogar werden soll. Eine Landesbank also, die ihre Existenz bedrohende Krise Anfang der neunziger Jahre hatte, sich seitdem äußerst vorsichtig geführt aus allem Schwierigen herausgehalten hat und über die ihr eigener Vorstandsvorsitzender jüngst sagte, sie sei altbacken und langweilig. Nun regiert sie über die Sparkassen und den Mittelstand in Hessen, Thüringen, dem Rheinland bis hoch nach Westfalen.

In jedem Ende wohnt immer auch der Anfang einer neuen Geschichte inne - nur nicht mehr für die WestLB. Das ist zwar konsequent, aber auch schade. Denn damit geht wieder ein Stück deutscher Bankengeschichte traurig dahin.

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