Aufsätze

Finanz- und Bankenmarkt Europa: den Motor der Integration auf Touren halten

Vor zehn Jahren, in der Nacht zum 3. Mai 1998, fiel der Startschuss für die Europäische Währungsunion (EWWU) und somit für eine neue Stufe der europäischen Integration. Der Rat der Europäischen Union traf die Entscheidung über die ersten Euro-Mitgliedsländer. Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal, Österreich und Spanien erfüllten die Konvergenzbedingungen und waren bereit für den Eintritt in eine neue Ära - das Zeitalter des Euro. Einen Monat später, am 1. Juni 1998, nahm die Europäische Zentralbank in Frankfurt ihre Arbeit auf, und am 1. Januar 1999 löste der Euro die nationalen Währungen der an der EWWU teilnehmenden Länder als Buchgeld ab; wiederum drei Jahre später hielt er auch als Bargeld Einzug in die Portemonnaies: D-Mark und Franc, Lira und Peseta, Gulden und andere Währungen, die stets auch wichtige nationale Symbole waren, wurden Geschichte.

Ein Quantensprung für Europa

Das war ein Quantensprung für Europa, und - zumal für Deutschland, das viel auf die Stabilität der D-Mark gehalten hatte zugleich ein mutiger Schritt: einschneidend und ehrgeizig, aber, wie wir heute wissen, erfolgreich. Wie erfolgreich, das gerät leicht aus dem Blick: Denn wer etwa heute kritisch nach der Inflationsentwicklung in Europa und dem hohen Außenwert des Euro fragt, der übersieht leicht zweierlei: Zum einen gab es vor der EWWU weder in Deutschland noch in Europa über eine derart lange Zeit insgesamt eine so niedrige Inflation wie seit Beginn der EWWU. Und zum anderen wäre die D-Mark, so es sie als nationale Währung noch gäbe, heute einem sehr viel höheren Aufwertungsdruck ausgesetzt, als es der Euro ist.

Denn dieser ist durch sein ungleich größeres Währungsgebiet und als global bedeutende Währung deutlich resistenter gegen externe Schocks und hat sich insgesamt als überaus stabile Währung erwiesen. Überhaupt verdient die geldpolitische Leistung der Europäischen Zentralbank Anerkennung - ebenso wie die der Deutschen Bundesbank, die ja Teil des Europäischen Systems der Zentralbanken ist.

Für das wirtschaftliche Zusammenwachsen Europas, das schon 1951 mit der Montanunion seinen Ausgang genommen hatte, war die Währungsunion eine folgerichtige, notwendige und entscheidende Ergänzung. Aber sie war keineswegs die einzige Voraussetzung für das Entstehen eines Finanzbinnenmarktes Europa. So stand noch vor der Weichenstellung für den Euro die vollständige Liberalisierung des Kapitalverkehrs zwischen den Ländern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auf der Agenda; und nach dem Beginn der EWWU gelang mit dem Financial Services Action Plan (FSAP) ein weiterer wichtiger Schritt. Mit ihm wurde 1999 ein Bündel von Maßnahmen auf den Weg gebracht, das Hindernisse vor allem auf den Wertpapiermärkten aus dem Weg räumte. Heute sind der Interbanken- und der Wholesale-Markt weitestgehend integriert.

EWWU, FSAP, Sepa - kryptische Kürzel mit großer Wirkung

Auch für den europäischen Zahlungsverkehr ist inzwischen eine einheitliche Grundlage geschaffen. Mit der Single Euro Payments Area (Sepa) haben die europäischen Banken die technischen Voraussetzungen für einen einheitlichen Zahlungsverkehrsraum geschaffen. Auf dieser Basis können Kunden erstmals europaweit einheitliche Verfahren für ihre Zahlungen nutzen. Damit ist der gesamte Euro- Zahlungsverkehr so sicher, effizient und komfortabel wie im Inland.

Die Beispiele EWWU, FSAP und Sepa belegen: Wenn der politische Wille zur Integration und die Leistungsfähigkeit der Banken zusammenkommen, dann entstehen Marktstrukturen, die Nutzen für alle stiften, dann erwächst aus dem gemeinsamen Europa ein Mehrwert - in Euro und Cent, aber auch im Sinne kultureller Identität. Der Nutzen für die Kreditwirtschaft ist evident: Die 20 größten europäischen Banken haben 2006 mit 52 Prozent mehr als die Hälfte ihrer Erträge nicht in ihrem Heimatland, sondern im Ausland erwirtschaftet. Für viele Banken ist somit Europa zum neuen Heimatmarkt geworden. Für die Bankkunden allerdings gilt das - trotz Euro und einheitlichem Zahlungsverkehrsraum - noch nicht in gleichem Maße: Zu sehr ist der Retail-Bereich noch immer entlang nationaler Grenzen fragmentiert, zu wenig können Privatkunden unmittelbar von einem harmonisierten europäischen Finanzbinnenmarkt profitieren. Ohne vollständige Integration aber werden die Kunden Europa nicht als "ihren" Markt erleben können - daher müssen neben den Financial Services Action Plan entsprechende Fortschritte im Retail-Markt treten.

Konsolidierung: Megatrend und Erfolgsfaktor

Der Beitrag der Banken zum Nutzen ihrer Kunden liegt darin, eine möglichst breite und vielfältige Produktpalette kosten- und preisgünstig anzubieten. Unerlässliche Voraussetzung dafür sind funktionierender Wettbewerb und größere Einheiten und beides bedingt einander: Nur bei adäquater Harmonisierung der Finanzdienstleistungen kommen hinreichend konsolidierte Einheiten und Angebotsvielfalt zum Tragen - was, um Missverständnisse zu vermeiden, keineswegs ausschließt, dass auch kleinere Banken auf bestimmten Geschäftsfeldern erfolgreich sind. Insgesamt aber ist der Bankenmarkt Europa längst auf dem zukunftsweisenden Weg der Konsolidierung: Die Zahl der Banken in Europa hat sich in den letzten Jahren drastisch verringert: Gab es in den elf Gründungsländern der EWWU 1985 noch insgesamt 11 200 Kreditinstitute, so waren es 2006 nur noch rund 6 000 - nahezu eine Halbierung. In Deutschland ist die Zahl der Geldinstitute allein in den vergangenen zehn Jahren um rund 40 Prozent gefallen. Dies geht weder zulasten der Kundenversorgung noch der Gesamtstärke des Bankensektors, denn die Konsolidierung beruht vornehmlich auf Zusammenschlüssen und nicht auf Schließungen von Instituten. Worin aber liegt der Erfolg der Konsolidierung aus Sicht der einzelnen Bank? Zunächst bietet die Übernahme eines Instituts die Möglichkeit, neue Geschäftsfelder und Märkte zu erschließen. Diese Strategie wird vor allem mit grenzüberschreitenden, großen Transaktionen verfolgt. Beispiele hierfür sind die Übernahme der französischen Crédit Commercial durch die britische Hongkong and Shanghai Banking Corporation (HSBC) im Jahre 2000 oder die Akquisition der italienischen Banca Nazionale del Lavoro (BNL) durch die französische BNP Paribas vor zwei Jahren. Wenn sich kleinere Einheiten durch Zusammenschlüsse verstärken, besteht das Ziel häufig darin, die Kapitalausstattung zu verbessern, Fixkosten zu senken und Skaleneffekte zu realisieren. Prinzipiell geht es immer - unabhängig von der Größe der fusionierenden Institute - darum, Kosten zu sparen, Synergien zu heben und neues Marktpotenzial nutzbar zu machen. Und diese Rechnung geht auf. Vielen europäischen Banken ist in den letzten Jahren gelungen, ihre Ertragskraft zu steigern und die eigene Marktposition zu festigen. Unter den 25 größten Banken der Welt, gemessen an der Bilanzsumme, fanden sich per Ende 2006 immerhin 18 europäische Häuser - aber nur drei US-amerikanische und drei japanische Banken sowie ein chinesisches Institut. Das zeigt die jüngste Analyse der globalen Bankenmärkte des britischen Fachmagazins "The Banker", und sie kommt zu einem weiteren interessanten Ergebnis: Ende 2006 stellten Banken aus der Europäischen Union 53 Prozent der Bilanzsumme, 42 Prozent des Kernkapitals und 41 Prozent des vorsteuerlichen Gewinns der 1 000 größten Banken der Welt. Damit rangierte der Bankenmarkt Europa klar vor dem US-amerikanischen und dem asiatischen Markt und konnte seine Dominanz gegenüber dem Vorjahr sogar noch ausbauen. Ohne Konsolidierung der europäischen Bankenlandschaft wäre dieser Erfolg nicht denkbar, und es ist keine Kunst zu prophezeien, dass der Trend zu größeren Einheiten weiter anhalten wird.

Deutschland im Hintertreffen

Während aber - in Europa und anderen Teilen der Welt - Banken durch Fusionen zu neuer Stärke finden, geht dieser Prozess an Deutschland bisher weitgehend vorbei. Jedenfalls spielen heimische Institute bei der europäischen Konsolidierung bislang nur eine nachgeordnete Rolle. Dabei ist Deutschland ein attraktiver Markt: In den letzten zehn Jahren hat sich der Marktanteil ausländischer Banken hierzulande auf rund elf Prozent mehr als verdoppelt. Die Position deutscher Institute stärkt das allerdings nicht. Für Deutschland, die größte europäische Volkswirtschaft und den amtierenden Exportweltmeister, summieren diese Befunde sich zu einer bedenklichen Entwicklung.

Deutschland braucht zwei oder drei große Banken, die zu den Marktführern in Europa gehören und im Prozess der Konsolidierung vorn mitspielen. Gemessen an diesem Ziel, sind die meisten deutschen Banken bislang zu klein.

Eine wesentliche Ursache dafür ist die Struktur des deutschen Bankensystems. Seine strikte Teilung in private, öffentlichrechtliche und genossenschaftliche Institute ist und bleibt ein Hemmschuh für wirtschaftliche Dynamik und Innovation die Versäulung wird angesichts der Integration des europäischen Finanzbinnenmarktes immer mehr zum Anachronismus.

In anderen Ländern wie Italien, Frankreich oder Spanien ist es längst keine Besonderheit mehr, dass private Banken mit öffentlich-rechtlichen kooperieren. Institute können in beiden Richtungen übernommen werden oder fusionieren. Schon vor Jahren hat die Politik in diesen Ländern die Weichen zum Nutzen von Kunden, Banken und Gesamtwirtschaft gestellt.

Andere Länder andere Sparkassen

Auch für unabhängige Marktbeobachter wie die Ratingagentur Moody´s ist eine Konsolidierung des deutschen Bankenmarktes überfällig. Die Profitabilität deutscher Banken, so das Argument, sei wegen der hohen Marktdichte geringer als die ausländischer Institute. Die notorische Ertragsschwäche einiger deutscher Institute habe diese veranlasst, sich auf Geschäftsfelder zu begeben, deren Risiken sie offensichtlich nicht komplett überblickt hätten, kommentiert Moody's die Situation mit Blick auf die aktuellen Finanzmarktturbulenzen - und verweist damit vor allem auf einen systembedingten Schwachpunkt des deutschen Bankenmarktes: das Fehlen tauglicher Geschäftsmodelle bei den Landesbanken.

Mit den Verwerfungen an den internationalen Finanzmärkten ist dieser Befund in jüngster Zeit offen zutage getreten. Und wenn es richtig ist - ob es "durchgerechnet" stimmt, sei einmal dahingestellt -, dass die andere Gruppe der öffentlichrechtlichen Institute in Deutschland, die Sparkassen, weitgehend frei sind von Sub-prime-bedingten Lasten, dann ist ihre seit Jahren dürftige Rendite nicht gerade ein Ausweis für Ertragsstärke und tragfähige Geschäftsmodelle.

Zukunftsorientierte Sparkassen gehen andere Wege, wie eine Studie der öffentlichrechtlichen Helaba zeigt. Das Ergebnis: Die Reformen des Sparkassensystems in Schweden, Italien, Frankreich, Spanien und Österreich haben sich ausnahmslos positiv auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Sparkassen ausgewirkt. Auch das ist ein Erfolg versprechender Trend am Bankenstandort Europa - einer jedoch, der an Deutschland nicht nur vorbeigeht, sondern gegen den sich die deutsche Politik sehenden Auges sperrt. Dabei ist es eigentlich eine alte Weisheit, dass mehr und vor allem Wettbewerb das Geschäft belebt und den Kunden wie dem Finanzplatz nutzt.

Europäische Aufsicht für europäische Banken

Die Kreditwirtschaft hat eine lange Tradition als internationale Branche. Mit der europäischen Integration und der Globalisierung nimmt die grenzüberschreitende Natur des Bankgeschäfts aber immer größere Dimensionen an. Wenn eine wachsende Zahl von Banken sich europäisch oder gar global aufstellt, während andere sich weiterhin nur oder jedenfalls vorrangig auf nationalem Terrain bewegen, dann kann diese Entwicklung nicht ohne Konsequenzen für die Struktur der Finanzaufsicht bleiben. Dies liegt im Interesse der Effektivität und der Schlagkraft der Aufsicht und ist eine elementare Voraussetzung für die Stabilität und Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte. Der Übergang in einen harmonisierten Finanzbinnenmarkt ohne europäische Finanzaufsicht ist wie der Ausbau eines Sportflugplatzes zu einem Großflughafen, bei dem ausgerechnet Tower und Radarsystem unverändert bleiben.

Realistischerweise sind europäische Aufsichtsstrukturen nicht von heute auf morgen zu etablieren. Wohl aber muss der Prozess des Zusammenwachsens schon heute angestoßen, der richtige Kurs jetzt eingeschlagen und dann gehalten werden. In einem ersten Schritt ist die Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden in Europa zu intensivieren und zu optimieren, damit diese angemessen auf grenzüberschreitende Entwicklungen reagieren können.

Globale Märkte fest im Blick

Auf längere Sicht brauchen wir ein europäisches System der Aufsichtsinstitutionen, das nach dem Grundsatz prinzipienorientierter Aufsicht arbeitet und in dem grenzüberschreitend tätige Bankkonzerne - und nur diese - von einer Aufsichtsbehörde auf EU-Ebene überwacht werden. Für ausschließlich im Inland tätige Kreditinstitute sollten auch weiterhin die nationalen Aufsichtsbehörden verantwortlich bleiben. Dieses Konzept hat eine Reihe von Vorteilen: Doppelmeldungen an verschiedene Instanzen werden vermieden, Vorschriften vereinheitlicht, Aufsichtspraktiken aufeinander abgestimmt und Wettbewerbsverzerrungen beseitigt. Damit würden Synergieeffekte einhergehen und die Kosten der Aufsicht sinken.

Wettbewerb und zukunftsfähige Strukturen im Innern sind die beste Voraussetzung, um auch im Wettbewerb nach außen zu bestehen. EU-Kommissar Charlie McCreevy hat den europäischen Binnenmarkt einmal als "Trainingslager für die Weltliga" bezeichnet. Diese "Weltliga", die Globalisierung, würde es zweifellos auch ohne die europäische Integration geben - und doch ist Letztere eine treibende und beschleunigende Kraft der Internationalisierung. Dementsprechend richten viele Banken aus Europa den Blick längst auf globale Märkte und sind dort erfolgreich.

Das ist nur konsequent, nicht zuletzt im Hinblick auf neue Zentren real- und finanzwirtschaftlicher Aktivität außerhalb Europas. Länder wie Brasilien, Russland, Indien oder China - die Bric-Staaten spielen eine wachsende Rolle im weltweiten Finanzmarktgeschehen. Die europäischen Banken reagieren darauf und investieren erheblich, um auch von diesem Trend zu profitieren. Ende 2005 lag das Investitionsvolumen des europäischen Finanzsektors in den Emerging Markets weltweit bei 91 Milliarden Euro. Banken werden also zunehmend auch auf globaler Ebene handeln, kooperieren und fusionieren.

Unterdessen haben die US-Subprime-Krise und die durch sie ausgelösten Verwerfungen an den internationalen Finanzmärkten die Frage aufgeworfen, ob der Trend zur Internationalisierung der Finanzmärkte möglicherweise einen Wendepunkt erreicht hat. Ohne Zweifel ist die derzeitige Lage an den Finanzmärkten jedenfalls eine Bewährungsprobe, und es ist nicht vollständig auszuschließen, dass es zu Bremseffekten kommt.

Jede realistische Analyse wird aber ergeben, dass weder auf europäischer noch auf globaler Ebene eine Umkehr des Internationalisierungsprozesses bevorsteht - schon allein deshalb, weil dieser Prozess ohne Alternative ist, wenn Wohlstand und Wachstum gesichert werden sollen. 2008 wird für die Banken ein schwieriges und anspruchsvolles Jahr, aber Internationalisierung und Konsolidierung bleiben die Megatrends der Finanzbranche im 21. Jahrhundert.

Dennoch bergen die Finanzmarktverwerfungen eine Gefahr für die Integration der Finanzmärkte. Sie könnten nämlich zu einer falschen Prioritätensetzung verleiten und den Blick dafür verstellen, dass es bei aller Notwendigkeit, aus Fehlentwicklungen zu lernen, das Krisen- und Risikomanagement zu verbessern und das Regelwerk zu optimieren - unerlässlich bleibt, die Integration des europäischen Finanzmarktes mit Nachdruck und den richtigen Mitteln voranzutreiben.

Nicht die falschen Prioritäten setzen

Das gilt auf der europäischen Ebene - siehe etwa die Harmonisierungsdefizite im Retail-Markt; es gilt für die nationale Ebene - siehe die konsolidierungshemmende Versäulung des deutschen Bankenmarktes; und es gilt für die ebenenübergreifenden Herausforderungen - siehe die Europäisierung der Aufsicht.

Fatal wäre es, ausgerechnet Deutschland dieser wichtige, aber hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibende Finanz- und Bankenmarkt - würde hier zu einem retardierenden Faktor. Wenn die Weichen richtig gestellt werden, dann - aber auch nur dann - hat Deutschland mit seinen leistungsfähigen Banken umgekehrt die Chance, zum Motor Europas und der Finanzmarktintegration zu werden. Darauf lohnt es sich hinzuarbeiten.

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