Retailbanking

Privatkundengeschäft - es wird enger im deutschen Markt

Ende der fünfziger Jahre sind die privaten Banken in das Geschäft mit
den Privatkunden eingestiegen. Dieses sehr erfolgreiche Marktsegment
war seit seiner Erschließung einem stetigen Wandel unterworfen. Auch
heute verlangt der Markt von den Banken wieder, sich im
Privatkundengeschäft neu zu positionieren:
\
- Die Globalisierung der Märkte stellt hohe Renditeanforderungen an
das stark umkämpfte Mengengeschäft mit der privaten Kundschaft.
\
- Mit der Integration der europäischen Finanzmärkte nimmt der
Wettbewerb auch und gerade in Deutschland, dem mit 83 Millionen
Einwohnern größten Land in der EU, zu.
\
- Steigende Mobilität und die veränderte Altersstruktur unserer
Gesellschaft erfordern bedarfsgerechte Produkte und Vertriebskanäle.
\
- Technologische Errungenschaften wie das Internet eröffnen neue
Geschäftsmöglichkeiten. Gleichzeitig führen sie zu einem intensiveren
Wettbewerb: Klassische Bankprodukte werden durch Angebote neuer, zum
Teil branchenfremder Wettbewerber verdrängt.
\
- Nationale und internationale Regulierung bedeutet zusätzliche
Belastungen und setzt so die Margen der Banken unter Druck.
\
All diesen Veränderungen müssen sich die Banken stellen, wenn sie ihre
Erfolge im Privatkundengeschäft der letzten Jahrzehnte fortsetzen
wollen.
\
Standardisierung im Privatkundengeschäft
\
Seit seinen Anfängen vor nahezu einem halben Jahrhundert erweist sich
das standardisierte Mengengeschäft mit den privaten Kunden als
Erfolgsgeschichte. Bedeutenden Anteil daran hatten vorausschauende
Banker der privaten Institute, die die Veränderungen der Einkommens-
und Sozialstrukturen der Bevölkerung im Nachkriegsdeutschland als
Chance für das Bankgeschäft erkannten. Mit der Einführung des
persönlichen Kleinkredits im Jahr 1959 legten die privaten Banken den
Grundstein für das standardisierte Privatkundengeschäft - ein
Wendepunkt in ihrer bis dahin stark durch die Industriefinanzierung
geprägten geschäftspolitischen Ausrichtung.
\
Zielstrebig nutzten die Banken die Möglichkeiten, die der technische
Fortschritt bot und setzten sie in innovative Geschäftsmodelle um. So
trieben sie den Ausbau des Privatkundengeschäfts in den folgenden drei
Jahrzehnten in großen Schritten voran. Dabei wurden grundlegende
Weichenstellungen vollzogen, ohne die der Erfolg der privaten Banken
in diesem für sie noch jungen Geschäftsfeld nicht denkbar gewesen
wäre.
\
Richtungweisend war beispielsweise die Entscheidung, das neue
Ratenkreditgeschäft nicht in Teilzahlungsinstitute auszugliedern,
sondern in das Universalbankgeschäft zu integrieren und dem Kunden
damit einen umfassenden Service aus einer Hand zu bieten. Auch bei der
Baufinanzierung, einem der Pfeiler des privaten Kreditgeschäfts, wurde
der Vorzug des Filialnetzes - nämlich der enge Kontakt zum Kunden -
erkannt. Als Konsequenz führten die Geschäftsbanken den persönlichen
Kredit ein, bei dem das Einkommen des Kreditnehmers stärker in den
Vordergrund trat. Damit vollzogen sie einen Paradigmenwechsel zum
traditionellen Realkredit und profilierten sich gegenüber den zentral
organisierten Hypothekenbanken.
\
Einführung des Eurocheque-Systems
\
Die Nähe zum Kunden war auch das Leitmotiv für innovative Strategien
der Banken im Zahlungsverkehr. Auf Initiative der deutschen Banken
wurde am 10. Mai 1968 die Einführung des Eurocheque-Systems
beschlossen. Damit war es den Kunden möglich, in Geschäften, Hotels
und Restaurants auch im europäischen Ausland sicher und bequem
bargeldlos zu bezahlen und sich mit Bargeld bei allen Banken zu
versorgen. Mittlerweile ist daraus ein elektronischer Service
geworden, der aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Weltweit und
rund um die Uhr kann dieses Angebot in Anspruch genommen werden und
trägt damit nicht zuletzt der gewachsenen Mobilität der Kunden
Rechnung.
\
Die damalige Entscheidung zugunsten der Einführung einer
Scheckgarantiekarte gegenüber der Kreditkarte erwies sich als
wegweisend. Mit der engen Anbindung der EC-Karte an das persönliche
Konto wurde dieses zum Dreh- und Angelpunkt für viele andere
Bankdienstleistungen.
\
Die EC-Karte war zugleich der Ausgangspunkt für eine weitere
Revolution im Bankgeschäft: die Kundenselbstbedienung. Bargeld
abheben, Überweisungen tätigen oder Kontoauszüge ausdrucken - all das
war von nun an auch ohne Kassierer und außerhalb der
Schalteröffnungszeiten möglich. Damit sanken die Kosten im
Privatkundengeschäft nachhaltig, für die Kunden und auch für die
Banken.
\
Zudem erweist sich die starke Position des deutschen
Debitkartensystems heute beim Aufbau eines einheitlichen
Euro-Zahlungsverkehrsraums, der Single Euro Payments Area (Sepa), als
bedeutender Trumpf und eine echte Alternative zu den internationalen
Kartensystemen.
\
Vertriebsweg Internet
\
Eine ähnliche Erfolgsgeschichte nahm mit der Einführung des Online
Banking Ende der siebziger Jahre ihren Lauf. Die Bank rückte sehr viel
näher an den Verbraucher heran und schuf ihren Kunden einen völlig
neuen Zugang zu ihrem Konto. Auch für die Institute erwies sich dies
als Vorteil, stellt das Online Banking aus betriebswirtschaftlicher
Sicht doch eine kostengünstige Ergänzung zum vergleichsweise
kostenintensiven Filialbetrieb dar.
\
Wie sehr die Kunden die Abwicklung ihrer Bankgeschäfte über das
Internet schätzen, zeigt eine Umfrage des Bankenverbandes. Danach
nutzen mittlerweile 37 Prozent der Deutschen das Online Banking,
Tendenz steigend. Allen voran sind dies die Kunden der privaten
Banken. Die Entwicklung des Privatkundengeschäfts - von den Lohn- und
Gehaltskonten in den sechziger Jahren über die EC-Karte,
Selbstbedienungsterminals und elektronische Bezahlsysteme im Handel in
den siebziger und achtziger bis zur Gründung der Direktbanken in den
neunziger Jahren - hat nicht nur das Geschäft der Banken verändert.
\
Heute verfügt der Privatkunde über eine nie da gewesene Auswahl an
attraktiven Produkten und Dienstleistungen rund um das Konto. Motor
dieser Entwicklung ist der Wettbewerb; im Retailbanking ist er stärker
denn je. Die Kunden profitieren davon in Form immer günstigerer
Konditionen. Doch Kunden wollen auch gewonnen werden, weshalb die
Banken auf den Wettbewerb mit der ständigen Weiterentwicklung ihrer
Marketingkonzepte reagieren.
\
Die Möglichkeit, Bankdienstleistungen über das Internet anzubieten,
hat nicht nur einen zusätzlichen Vertriebs- und Transaktionskanal für
etablierte Banken geschaffen, sondern auch neuen Wettbewerbern den
Markteintritt erleichtert.
\
Vor allem aber wurde damit die Markttransparenz für die Konsumenten
erhöht. Diese wählen heute Bankdienstleistungen wesentlich flexibler
aus. Sie nehmen vermehrt Produkte von verschiedenen Anbietern in
Anspruch und sind schneller zum Wechsel ihrer Kontoverbindung bereit
als früher. In der Summe resultieren aus dieser Entwicklung sinkende
Margen der Banken auch im Privatkundengeschäft.
\
Rahmenbedingungen erfordern Neupositionierung
\
Dieser Margenrückgang und höhere Refinanzierungskosten haben in
Verbindung mit den gestiegenen Ansprüchen der Kapitalgeber dazu
geführt, dass das Privatkundengeschäft der Banken seit den neunziger
Jahren einem erhöhten Wettbewerbsdruck ausgesetzt ist. Vor diesem
Hintergrund legten einige private Institute vorübergehend ein
stärkeres Gewicht auf andere Geschäftsfelder, die bessere
Ertragschancen versprachen, etwa das Investment Banking, das
Unternehmenskreditgeschäft oder das Asset Management. Es liegt im
Wesenskern privater Banken, dass sie sich nicht nur im nationalen,
sondern auch im internationalen Wettbewerb behaupten und dabei den
Renditeerwartungen ihrer Kapitalgeber genügen müssen. Das ist - gerade
auch mit Blick auf günstige Konditionen für die Kunden - nur möglich,
wenn Banken bestimmte Betriebsgrößen und damit Economies of Scale
realisieren können. Gerade im standardisierten Privatkundengeschäft
lässt sich eine höhere Rentabilität nur durch steigende Kundenzahlen
erreichen. Dies wiederum ist an eine wichtige Grundvoraussetzung
gebunden: eine spürbare Konsolidierung im deutschen Bankenmarkt.
\
Diese Konsolidierung scheitert jedoch zu einem großen Teil an der
strikten Trennung des deutschen Bankenmarktes in private,
öffentlich-rechtliche und genossenschaftliche Institute ohne die
Möglichkeit der diskriminierungsfreien "säulenübergreifenden"
Konsolidierung, sprich: ohne die Möglichkeit auch des Erwerbs
öffentlichrechtlicher durch private Institute. Für die
Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland insgesamt ist es
ein großer Nachteil, dass öffentlich-rechtliche Institute sich -
anders als private Banken - von den Renditeerwartungen im Markt
abkoppeln, dass die starren Strukturen der deutschen Kreditwirtschaft
hier marktgetriebene Lösungen verhindern und im Ergebnis die
notwendige Konsolidierung der Branche ausbleibt.
\
Diskriminierungsfreie Konsolidierung in Deutschland nicht möglich
\
Gleichzeitig steigt die Zahl der Anbieter im deutschen Markt.
Autobanken oder ausländische Institute, die zunächst mit gezielten
Nischenstrategien angetreten waren, weiten ihr Produktangebot stetig
aus. Daneben besetzen auch so genannte Non- und Ne-ar-Banks, wie
Finanzvertriebe oder Zahlungsdienstleister, immer häufiger die
klassischen Geschäftsfelder der Banken. Filialbanken bieten
demgegenüber die gesamte Produktpalette an und sind auch aufgrund
ihres Geschäftsstellennetzes mit anderen Kostenstrukturen
konfrontiert. Um die Ertragsituation im deutschen Privatkundengeschäft
wieder zu stabilisieren, haben die privaten Banken konsequent
Kostensenkungsprogramme aufgelegt und mit Erfolg umgesetzt. Damit
wurde die Basis geschaffen, die anstehenden Herausforderungen mit
individuellen Strategien zu meistern.
\
Für den langfristigen Erfolg im Privatkundengeschäft ist es allerdings
unverzichtbar, neue Ertragsquellen zu erschließen. Vor dem Hintergrund
der durch die bestehenden rechtlichen Restriktionen begrenzten
Konsolidierungsmöglichkeiten in Deutschland und angesichts der
voranschreitenden Marktöffnung in Europa bietet der gemeinsame
Binnenmarkt dafür vielfältige Optionen. Mit über 8 000 großen wie
kleinen Instituten ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten, durch
Konsolidierung oder Kooperation am gemeinsamen Markt mit seinen mehr
als 450 Millionen Einwohnern zu partizipieren.
\
Europa als Markt der Zukunft
\
Die Europäische Union hat mit dem Financial Services Action Plan
(FSAP) die Weichen für einen einheitlichen Finanzdienstleistungsmarkt
in Europa gestellt. Mit der Öffnung der nationalen Bankenmärkte soll
das grenzüberschreitende Angebot von Bankprodukten selbstverständlich
werden. Gleichzeitig sollen auch die Wettbewerbsbedingungen unter den
europäischen Retailbanken angeglichen werden.
\
Die deutschen Institute werden dann von der Verbesserung ihrer
Wettbewerbsfähigkeit profitieren, die auf vielfältige
Restrukturierungsmaßnahmen in den vergangenen Jahren zurückgeht. Mit
Produkten auf der Basis schlanker und effizienter Prozesse können sie
neue Marktanteile gewinnen und zusätzliche Erträge generieren. Was in
diesem Sinne gut für die Banken ist, ist noch besser für die Kunden:
Durch die Marktöffnung wird der verschärfte europäische Wettbewerb im
Retailbanking zu neuen, weiterentwickelten Produkten, einer größeren
Angebotsvielfalt und günstigen Konditionen führen.
\
Noch wird der Markteintritt für Dritte oft durch nationale Regelungen
erschwert. Neben politisch motivierten Zugangsbeschränkungen bestehen
historisch gewachsene Unterschiede zum Beispiel beim
Verbraucherschutz, dem Insolvenzrecht oder der Besteuerung von
Zinserträgen. Das behindert den Zugang zu anderen attraktiven
Privatkundenmärkten in Europa wie auch das europaweite Angebot von
Bankdienstleistungen.
\
Gerade aus deutscher Sicht sind die Forderungen von
EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy nach mehr Wettbewerb und
einer vereinfachten grenzüberschreitenden Nutzung von Bankprodukten zu
befürworten. Dabei ist von der Politik freilich Augenmaß gefragt.
Eingriffe, wie etwa Regulierungen zur Marktöffnung, sollten stets eine
funktions- und wettbewerbsfähige Ausgestaltung des Marktes zum Ziel
haben.
\
Auch dürfen keine neuen Ungleichbehandlungen unter den
Marktteilnehmern herbeigeführt werden. Dies wäre aber beispielsweise
dann der Fall, wenn im künftigen Sepa-Raum Anbieter zugelassen würden,
die nicht denselben aufsichtsrechtlichen Anforderungen unterliegen wie
Kreditinstitute.
\
Länderübergreifende Kooperationen
\
Der gemeinsame europäische Privatkundenmarkt eröffnet vielfältige neue
Möglichkeiten. In einigen Marktsegmenten kann schon die schlichte
Übertragung erprobter Geschäftsmodelle auf das Ausland zum Erfolg
führen. In anderen Bereichen sind völlig neue Strategien gefragt. Eine
nahe liegende Option bieten Kooperationen mit Banken und
Finanzdienstleistern, die in anderen Ländern etabliert sind.
Branchenübergreifende strategische Partnerschaften werden dabei
zunehmend an Attraktivität gewinnen.
\
Andererseits können gerade im grenzüberschreitenden Vertrieb
Technologien wie das Internet für einfache, keine beziehungsweise kaum
Beratung erfordernde Bankprodukte eine echte Alternative zum eigenen
Filialnetz darstellen. Die Einführung von digitalen Personalausweisen
und Signaturkarten in Europa schafft die notwendigen Voraussetzungen,
um Konten online zu eröffnen und Bankprodukte über das Internet zu
vertreiben. Jetzt ist die Politik gefordert, die derzeit noch
bestehenden rechtlichen Barrieren zu beseitigen.
\
Knackpunkt Online-Bezahlverfahren
\
Wie in der erfolgreichen Vergangenheit des Privatkundengeschäfts
sollten neue technische Entwicklungen als Chance für die
Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle der Banken, im Interesse
größerer Vielfalt für die Kunden betrachtet werden. Eine wichtige
strategische Option sind Online-Bezahlverfahren. Hier gilt es,
rechtzeitig Kundenbedürfnisse zu erkennen und Erfolg versprechende
Konzepte zu entwickeln. Diese werden dann auch zu neuen Ertragsquellen
führen, die mit den traditionellen Zahlungsinstrumenten nicht
erschlossen werden können.
\
Aus veränderten Gewohnheiten, Wünschen und Bedürfnissen der Kunden
erwächst also großes Geschäftspotenzial für die Banken. Mit neuen
Produkten und bedarfsgerechten Vertriebskonzepten haben sie viele
Optionen, um ihre Zukunft erfolgreich zu gestalten.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X