125 Jahre WGZ Bank

"Fünf Generationen Genossenschaftsbanking"

"Am 11. Juli des Jahres 1884 lud der Vorstand des westfälischen Bauernvereins, Dr. Burghard Freiherr von Schorlemer-Alst, die fast fünfzig Spar- und Darlehnskassen Westfalens zur konstituierenden Generalversammlung ihrer neuen Ländlichen Centralkasse ein; als Hinweis auf die zukünftige Entwicklung mag man gelten lassen, dass diese Veranstaltung in Münster, also im Herzen Westfalens, ausgerechnet im Rheinischen Hof stattfand. Das ist nun, nicht ganz auf den Tag genau, 125 Jahre her. Fünf Generationen Genossenschaftsbanking sind seitdem vergangen. Eine lange Zeit. Grund genug, innezuhalten und sich an die Ursprünge zu erinnern.

Gegen Ausbeutung und Wucherei

, Ohne Zweifel wird auch in Westfalen ein großer Teil der Grundbesitzer sowohl als Pächter, kleine Kaufleute und Gewerbetreibende auf dem Lande von Kapitalisten und Geschäftsleuten ausgebeutet und fällt dabei den Letzteren ein unverhältnismäßiger Gewinn zu, während die Ersteren verhindert werden, in ihren Verhältnissen voranzukommen, vielfach auch zurückgehalten und ihr Besitzthum der Familie nicht erhalten werden kann.' So berichtete der Verein für Socialpolitik in einer Untersuchung aus den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Mit Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch begann das moderne deutsche Genossenschaftswesen. Eine zentrale Zielsetzung bestand darin, der Ausbeutung und der Wucherei wirksam zu begegnen.

Im Zuge der damals entstehenden Bewegung wurden die ersten Vorschussvereine und Spar- und Darlehnskassen und auch die ersten Zentralkassen gegründet. Neben dem Förderprinzip standen die Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung im Mittelpunkt der Genossenschaftsbewegung. Der Ländlichen Centralkasse schlossen sich sofort 27 Kreditvereine an. Die junge Bank begann in Personal- und Bürogemeinschaft mit der Westfälischen Landschaft. Die verwandtschaftliche Beziehung zur WL Bank spiegelt diese Tradition auch heute noch wider.

Bis 1905 domizilierte die Ländliche Centralkasse jeweils in der Privatwohnung des Vorstands. Erst 1905 wurde das eigene Haus in der Schorlemerstrasse 4 bezogen durchaus in einer gewissen Zurückhaltung. An der Haustür gab es zunächst keinen Hinweis auf eine Bank.

Die ersten beiden Jahrzehnte der Bankgeschichte standen ganz im Zeichen des Wachstums. Kurz nach dem Start der Ländlichen Centralkasse setzte ein regelrechter Gründungsboom von Spar- und Darlehnskassen ein. 1894 gehörten schon 250 und Ende 1904 dann fast 500 Kreditgenossenschaften zum Eigentümerkreis der Ländlichen Centralkasse. Nicht nur im Münsterland, sondern auch im Rheinland brach sich die Genossenschaftsidee ihre Bahn. So konstituierte sich im Jahr 1892 die Hauptgenossenschaftskasse für Rheinpreußen eGmbH zu Bonn. Sie nahm am 26. September ihre Geschäftstätigkeit auf.

Auch die niederrheinischen Bauern riefen zur Vertretung ihrer Interessen den Rheinischen Bauernverein ins Leben. Aus ihrer Mitte gründeten am 17. Dezember 1892 dann 20 rheinische Spar- und Darlehnskassen in Neuss den "Rheinischen Bauern-Creditverein eGmbH" mit Sitz in Kempen. Die berufsständische Verbundenheit dokumentiert auch der Standort des ersten Büros der Bank. Es befand sich auf dem Hof von Bauer Bongartz in Kempen. Es gab weitere Gründungen. So gründete 1895 der Trierer Kaplan Georg Friedrich Wilhelm Dasbach zahlreiche Spar- und Darlehnsvereine im verarmten Hunsrück, der Eifel und dem Westerwald. Am 4. Dezember schlossen sich 13 bestehende Ortskassen dieses ländlich geprägten Gebiets zusammen und riefen eine Verbandskasse zur Förderung des Kredits ins Leben.

Während in Westfalen das ländliche Genossenschaftswesen unter der Führung der Ländlichen Centralkasse zu einer einheitlichen starken Organisation heranwuchs, waren im Rheinland die Kräfte zersplittert. Im Jahr 1895 erblickte schließlich auch die Rheinische Genossenschaftsbank eGmbH mit Sitz in Köln das Licht der Welt. Sie nahm am 1. Juli 1896 ihre Tätigkeit auf. Ihr Geschäftsgebiet umfasste die gesamte Rheinprovinz. Im angemieteten Haus, Ma-ria-Ablaß-Platz Nr. 12, wurde das erste Geschäftslokal eingerichtet.

Kostenbewusstsein im genetischen Code

Auch im gewerblichen Genossenschaftssektor entstanden deutschlandweit weitere Verbandskassen. So wurde am 24. Januar 1897 in Münster die Westfälische Genossenschaftsbank eGmbH gegründet. Fünf Volksbanken standen an der Wiege der neuen Zentralbank. Der erste Vorstand der Westfälischen Genossenschaftsbank zählte drei Mitglieder, die in Personalunion auch die Volksbank Münster führten. Die Geschäfte wurden am 1. März 1897 in der Privatwohnung des Vorstands Hermann Kleist im Alten Steinweg 40 aufgenommen, nicht zuletzt um die Betriebskosten denkbar gering zu halten - das Kostenbewusstsein der WGZ Bank ist in ihrem genetischen Code tief verankert.

Die Zersplitterung der Kräfte im Rheinland führte kurz nach der Jahrhundertwende zu ersten Einigungsbestrebungen. So kam es bereits am 16. Oktober 1901 zur Fusion der Landwirtschaftlichen Genossenschaftskasse mit dem Rheinischen Bauern-Creditverein zur Rheinischen Bauerngenossenschaftskasse eGmbH in Köln.

Der Erste Weltkrieg brachte auch für die Zentralkassen tiefgreifende Veränderungen. Enorme Barverfügungen bereits in den ersten Tagen der Mobilmachung führten zu einem Ansturm der Einleger. Dank der Rückendeckung durch die Zentralkassen bewältigten die Kreditgenossenschaften den Run auf ihre Schalter ohne größere Probleme. Auch bei der Vermittlung von Kriegsanleihen spielten die Kreditgenossenschaften eine wichtige Rolle. In den Turbulenzen erwies sich die auf persönlichen Beziehungen aufgebaute genossenschaftliche

Bankengruppe als flexibler und widerstandsfähiger als andere Institutsgruppen.

Die militärische Niederlage brachte dann aber eine Geldkatastrophe bisher nicht gekannten Ausmaßes und erschütterte die Zentralkassen in ihren Grundfesten. Im Jahr 1923 war 100 Millionen Mal mehr Geld im Umlauf als zum Jahresende 1918. Die Kreditgenossenschaften und ihre Zentralkassen wurden vom Währungsverfall stark getroffen, da auch erhebliche Teile ihres Vermögens vernichtet wurden. Aufgrund des weitgehend eingebüßten eigenen Vermögens und des inflationsbedingten Vertrauensverlustes vieler Menschen konnten die Kreditgenossenschaften ihren eigentlichen Zweck, die Kreditwünsche ihrer Mitglieder aus eigener Kraft zu stemmen, nur bedingt erfüllen. Angesichts dieser Probleme erwiesen sich die Zentralkassen als Helfer in der Not.

Mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 geriet die genossenschaftliche Bankengruppe aber erneut in schwere Turbulenzen. Ende 1931 wurden von den Volksbanken beträchtliche Einlagen abgezogen. Die Ländliche Centralkasse in Münster konnte dennoch allen berechtigten Ansprüchen ihrer Mitgliedsgenossenschaften prompt nachkommen. Ganz anders aber sah die Situation im Rheinland aus. Zunächst wurde in Erwägung gezogen, das "lebende Geschäft" - wie es hieß - vom "toten" zu trennen. Heute würden wir das eine "Bad-Bank- Lösung" nennen. Stattdessen sollte eine Zweigstelle der Deutschen Zentralgenossenschaftskasse den rheinischen Instituten einen sicheren Kreditrückhalt gewähren.

Währungsreform als Initialzündung

Die Regierungsübernahme der Nationalsozialisten brachte in den kürzesten 1 000 Jahren der deutschen Geschichte auch für die Genossenschaftsorganisation schmerzliche Einschnitte. Das 1934 neu gefasste Genossenschaftsgesetz schrieb in seiner Präambel den Genossenschaften den Willen zu , den Gemeinschaftsgedanken zu vertiefen und dem deutschen Volk zu dienen'. So wurde das genossenschaftliche Prinzip der Selbsthilfe in einen völkischen Gemeinschaftsgedanken umfunktioniert.

Besonders dramatisch wirkte sich die Gleichschaltung in der Ländlichen Centralkasse in Münster aus. Bereits in den ersten Monaten des Jahres 1933 wurden der Aufsichtsrat und der Vorstand ausgewechselt, teils durch Rücktritt, teils durch Abwahl oder Entlassung aus fadenscheinigen Gründen. Unter der neuen Leitung startete die Bank eine linientreue Karriere, die 1938 in der Auszeichnung als Nationalsozialistischer Musterbetrieb gipfelte.

Mit dem Kriegsbeginn im Jahre 1939 waren die Kreditinstitute auf Anlagen in Reichstitel angewiesen, da andere Möglichkeiten fehlten. Die Geldillusion der Bevölkerung konnte gleichwohl lange Zeit konserviert werden. In der letzten Kriegsphase zerstörten Luftangriffe die Gebäude der Zentralkassen in Koblenz, Köln und Münster. Bankunterlagen wurden vernichtet und Buchungen mussten wieder manuell ausgeführt werden.

Nach dem Kriegsende verlor die Reichsmark mehr und mehr an Wert. Gewiss nicht nur vor diesem Hintergrund war der Start für das Bankgeschäft äußerst mühselig. Dies beleuchtet eine Begebenheit bei der Raiffeisen-Zentralkasse in Koblenz. Auf der Generalversammlung im Mai 1948 teilte der Vorstand mit, dass es leider nicht möglich gewesen sei, den Jahresabschluss von einem Wirtschaftsprüfer beurteilen zu lassen, weil man sich außerstande gesehen habe, , einen Prüfer ausreichend zu ernähren und anständig unterzubringen.'

Die Währungsreform vom 20. Juni 1948 brachte dann die Initialzündung zum Wiederaufbau. Zum Jahresende 1949 hatte die deutsche Wirtschaft schon wieder das Produktionsniveau von 1936 erreicht. Als Finanziers des Wiederaufbaus spielten die Banken eine überragende Rolle. Die genossenschaftlichen Zentralkassen erfüllten wieder ihre eigentliche Aufgabe als zentrale Verrechnungsstelle.

Mit der Einführung der Deutschen Mark erloschen allerdings alle Forderungen gegen die öffentliche Hand und der Kreditinstitute untereinander. Im Durchschnitt schrumpften die Bilanzen der ländlichen Zentralkassen auf 0,6 Prozent der Reichs-mark-Bilanzsumme, die der gewerblichen Zentralkassen auf 0,4 Prozent. Zum zweiten Mal innerhalb einer Generation starteten die Zentralkassen wieder fast bei Null.

Im Jahre 1950 wurde der Plan einer Vereinigung der rheinischen und der westfälischen gewerblichen Zentralkassen wieder aufgegriffen und am 9. Dezember die Zentralkasse westdeutscher Volksbanken eGmbH Münster-Köln formiert. Ein wachsender Teil der Bevölkerung benötigte ein erweitertes Angebot an Bankdienstleistungen. Im Zuge dessen beteiligten sich die Zentralkassen 1956 an den neu gegründeten Verbundunternehmen, der Bausparkasse Schwäbisch Hall und der Union Investment in Frankfurt. Die Verbindungen zur R+V Versicherung reichten bereits zurück bis ins Jahr 1922.

"Der große Wurf"

Angesichts der zunehmenden Konkurrenz durch die Großbanken und die Sparkassen sowie der notwendigen stärkeren Professionalisierung musste die genossenschaftliche Bankengruppe ihre Schlagkraft weiter verstärken. So schlossen sich 1968 die beiden ländlichen Zentralkassen aus Koblenz und Köln zur Genossenschaftlichen Zentralbank Rheinland eGmbH zusammen. Am 29. April 1970 folgte dann der große Wurf: Die drei rheinisch-westfälischen Zentralbanken überwanden die Gräben zwischen der ländlich geprägten Raiffeisengruppe und den gewerblich dominierten Volksbanken und formierten im Juni die Westdeutsche Genossenschafts-Zentralbank eGmbH, die Vorgängerin der heutigen WGZ Bank AG.

Bereits seit den sechziger Jahren schlossen sich auch zahlreiche Primärbanken zu größeren Instituten zusammen. So unterschritt im Jahr 1972 die Zahl der Mitgliedsbanken der WGZ Bank die Schwelle von 1 000 Instituten. Die KWG-Novelle von 1976, die für jedes Institut zwei Bankleiter vorschrieb, forcierte den Konzentrationsprozess abermals. Die wachsenden Anforderungen der deutlich größeren Primärbanken brachten und bringen bis heute zusätzliche Erwartungen bezüglich des Leistungsspektrums der Zentralbank mit sich."

Zitiert aus der Rede von Dieter Philipp, Vorsitzender des Aufsichtsrates der WGZ BANK, Düsseldorf, Präsident der Handwerkskammer Aachen, und Ehrenpräsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks AG, Berlin, anlässlich der Hauptversammlung der WGZ BANK im Juni 2009.

Die Zwischenüberschriften sind von der Redaktion eingefügt.

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