Aufsätze

Genossenschaftsbanken: Pfeiler der regionalen Infrastruktur

Grundlage einer entwickelten Marktwirtschaft ist eine flächendeckende Versorgung mit Bankdienstleistungen. Diese sind ein unverzichtbarer Teil der wirtschaftlichen Infrastruktur. So wie unzureichende Verkehrswege oder schlechte Schulen die Attraktivität eines Standortes für Bevölkerung und Unternehmen schmälern, so ist eine hoch spezialisierte und arbeitsteilige Wirtschaft unabdingbar auf eine umfassende und flächendeckende Versorgung mit Bankdienstleistungen angewiesen.

Theorie der zentralen Orte als Grundlage

Nur bestimmte Bankdienstleistungen lassen sich standardisiert ohne unmittelbaren Kontakt zum Kunden bereitstellen. Das eingeschränkte Dienstleistungsspektrum von Nischenanbietern wie beispielsweise im Bereich der Direktbanken verdeutlicht dies. Letztere können den überwiegenden Teil der Geschäftsfelder so nicht bedienen. Nur vor Ort gelingt es im Mittelstandsgeschäft, aber auch im Geschäft mit Privatkunden, wie etwa bei der Anlageberatung, die Dienste den Bedürfnissen des Kunden entsprechend zu erbringen.

Die hohe Bedeutung einer flächendeckenden Versorgung mit Bankdienstleistungen zeigt sich in der Theorie der zentralen Orte. Walter Christaller entwarf dieses raumwirtschaftliche Konzept in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, August Lösch verallgemeinerte es nur wenig später und etablierte es in der Raumordnung Deutschlands. Die Theorie der zentralen Orte geht davon aus, dass Regionen von Zentren aus mit höherwertigen Dienstleistungen versorgt werden. In der Fläche bildet sich ein System von Versorgungszentren. Diese werden üblicherweise als Ober-, Mittel- und Unterzentren klassifiziert.

Die Anbieter einer Dienstleistung rücken durch den Zugang neuer Konkurrenten so lange zusammen, bis eine Mindestgrößenschwelle erreicht ist, die kein Anbieter dauerhaft unterschreiten kann. So entstehen Marktgebiete, deren Größe sich durch die sogenannte innere Reichweite der betreffenden Dienstleistung definiert. Die innere Reichweite bezeichnet den Mindestradius des jeweiligen Marktgebietes.

Güter mit einer niedrigen inneren Reichweite werden in einem dichtmaschigen Netz von Standorten mit entsprechend kleinen Marktgebieten angeboten. Im Bereich der Finanzdienstleistungen hat beispielsweise die Bargeldversorgung eine geringere Reichweite als die Anlageberatung oder die Immobilienfinanzierung. Güter mit höherer Reichweite sind nur an wenigen Standorten mit großflächigen Marktgebieten verfügbar. Die unterschiedlichen inneren Reichweiten ergeben sich aus den verschiedenen Marktmindestgrößen und begründen eine Hierarchie der zentralen Orte.

Restrukturierung weitgehend abgeschlossen

Der genossenschaftliche Finanzverbund kann diese Märkte maßgeschneidert versorgen. Mit einer selbstständigen Bank in jedem Mittel- beziehungsweise Oberzentrum wird er dem Leitbild "ein Markt, eine Bank" gerecht. Die Anzahl der Kreditgenossenschaften von gut 1 200 ist nahe der Zahl der rund 1 000 Ober- und Mittelzentren in Deutschland. Dies ist Ergebnis des erfolgreichen Konsolidierungsprozesses unter den Volksbanken und Raiffeisenbanken. In jedem Fall muss die Entscheidung über eine Konsolidierung immer vor Ort erfolgen, denn dort kennt man den Markt am besten. Vor nur zehn Jahren war die Anzahl der Kreditgenossenschaften noch doppelt so hoch wie heute.

Die weitgehende Übereinstimmung der Zahl der Volksbanken und Raiffeisenbanken mit der Anzahl der Märkte zeigt aber auch, dass die Restrukturierung nun überwiegend abgeschlossen ist. Auch nach der Konsolidierung bleibt die regionale Verankerung aber deutlich stärker ausgeprägt als bei den Sparkassen, die sich in ihrer Struktur an die kommunale Gliederung mit ihren insgesamt knapp 450 kreisfreien Städten und Gemeinden anlehnen.

Das Angebot an Finanzdienstleistungen der Volksbanken und Raiffeisenbanken ist nicht nur flächendeckend, sondern auch engmaschig. Jede dritte Zweig- beziehungsweise Bankstelle Deutschlands gehört zum genossenschaftlichen Finanzverbund. Insgesamt bieten die Genossenschaftsbanken Finanzdienstleistungen an rund 12 600 Zweigstellen und 14 200 Bankstellen an.

Finanzierung des Mittelstandes in den Regionen

Die Präsenz in der Fläche kommt in einem hohen Anteil der Kreditgenossenschaften bei der Versorgung mit und der Annahme von Finanzmitteln zum Ausdruck. Mit einem Marktanteil von 20 Prozent an den Kundenkrediten und 25 Prozent an den Kundeneinlagen der drei Säulen der deutschen Kreditwirtschaft spielen die Volksbanken und Raiffeisenbanken eine tragende Rolle in der deutschen Finanzwirtschaft. Gerade bei der Finanzierung des Mittelstands in den Regionen haben die Volksbanken und Raiffeisenbanken eine herausragende Bedeutung. So stellen Volksbanken oder Raiffeisenbanken bei der Finanzierung von Gewerbekunden und Bauwirtschaft jeden vierten Euro bereit, bei den Krediten an die Landwirtschaft fast jeden zweiten Euro.

Lokale Verankerung durch die Eigentümerstruktur

Doch sind die Volksbanken und Raiffeisenbanken nicht nur aktuell tragende Säule der Finanzwirtschaft, sondern mit ihrem Geschäftsmodell auch für die Zukunft gut aufgestellt. Dies zeigt sich in der positiven Ertragsentwicklung und soliden Eigenkapitalbasis. So liegt das Kernkapital des Finanzverbundes bei 32 Milliarden Euro (2006), zum Vorjahr erhöhte es sich um 6,3 Prozent. Unterstrichen wird die gute Position des Finanzverbunds durch die Ratingnote "A +" sowohl von Standard & Poors als auch von Fitch Ratings.

Die ausgeprägte regionale Verankerung der Volksbanken und Raiffeisenbanken ist Grundlage ihres Erfolges am Markt. Sie basiert auf einer tiefen Kenntnis der regionalen Marktgegebenheiten und -teilnehmer.

Als Stärke der Kreditgenossenschaften kommen kurze und schnelle Entscheidungswege und die Entscheidungskompetenz vor Ort zum Tragen. Verlässlichkeit in der Geschäftspolitik und Kontinuität beim Personal fördern das Vertrauensverhältnis in der zumeist langjährigen Beziehung zum Kunden. Die örtliche Präsenz als lokal verwurzeltes Unternehmen sorgt für einen hohen Bekanntheitsgrad und fördert die emotionale Kundennähe. Einzigartig in der Finanzwirtschaft ist der genossenschaftliche Finanzverbund durch die breite Streuung seines Anteilbesitzes.

Mit inzwischen 16 Millionen Mitgliedern sind die Volksbanken und Raiffeisenbanken der privateste Teil der deutschen Finanzindustrie. Die breite Streuung des Anteilbesitzes und die demokratischen Entscheidungsstrukturen bieten einen wirksamen Schutz vor Entfremdungs- und Konzentrationstendenzen.

Zukunftsfähige Regionen schaffen

Die Mitgliedschaft ist Zeichen einer hohen Identifikation der Kunden mit ihrer Volksbank oder Raiffeisenbank und gleichermaßen der Bank mit ihrer Region. Zusammen mit dem genossenschaftlichen Förderauftrag bedingt die Eigentümerstruktur eine tiefe lokale Verankerung und das Wahrnehmen von Verantwortung für die Region und ihre wirtschaftliche Entwicklung.

Dass die Struktur des Finanzverbundes nicht nur aus betriebswirtschaftlicher Perspektive ein Erfolgsmodell ist, sondern auch einen wichtigen Beitrag zu einem volkswirtschaftlich wünschenswerten Versorgungsniveau mit Bankdienstleistungen leistet, unterstreicht auch die Theorie der zentralen Orte.

Das dort entwickelte räumliche Modell beschreibt ein gesamtwirtschaftliches Optimum. Die Anbieterstandorte sind mit einer optimalen Ausschöpfung des gegebenen Marktpotenzials verbunden und sorgen für eine erwünschte Versorgung der Bevölkerung. Die Präsenz in der Fläche ermöglicht es den Volksbanken und Raiffeisenbanken, gleichzeitig ihr Marktpotenzial optimal auszuschöpfen und ihren Beitrag zur bestmöglichen Versorgung ihrer Kunden und Mitglieder zu gewährleisten. Mit ihrem Beitrag zur regionalen Infrastruktur helfen die Genossenschaftsbanken, eine nachhaltige und zukunftsfähige Entwicklung der Region sicherzustellen.

Dr. Christopher Pleister , Vorsitzender, Appeal Panel, Single Resolution Board, Brüssel
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