Gespräch des Tages

Hauptversammlungen - Dringender Änderungsbedarf

Dass Aktionärstreffen notwendig sind, ist unstrittig. Aber sind sie in ihrer heutigen Form für die Märkte auch noch zweckgemäß? Sind sie eigentlich nur noch dazu gut, längst beschlossene Entscheidungen (etwa Fusionen) rechtlich abzunicken? Manchmal könnte man diesen Eindruck durchaus gewinnen. Oder dienen sie nicht häufig als Forum für Finanzinvestoren, die ihren eigenen Vorteil vielleicht nicht immer auf eine angemessene Weise suchen? Das ein oder andere Dax-Unternehmen wird das Szenario sicherlich kennen. Der dringende Änderungsbedarf ist auch am Gesetzgeber nicht vorbeigegangen. Vom KonTraG des Jahres 1998 über das NaStraG des Jahres 2000 und TransPuG des Jahres 2002 bis zum UMAG des Jahres 2005 wurde an den entsprechenden Rechtsrahmen gedreht und geschraubt - allein die Buchstabensuppe der Gesetzeskürzel verrät, dass nunmehr zwar einiges anders ist, das betreffende Gesellschaftsrecht aber noch lange nicht "als Ganzes" renoviert ist. Und in der Tat existieren einige Baustellen, die auch nach dem jüngsten Berliner Anlauf, dem Umsetzungsgesetz zur Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) des Jahres 2009, noch nicht hinreichend, geschweige denn abschließend geklärt sind.

Eine Radikalreform wird vom ARUG freilich nicht bezweckt. Dennoch werden einige jetzt schon aktuelle Punkte wohl auch in Zukunft noch für Gesprächsstoff sorgen. Da wäre zum einen das Problem der grenzüberschreitenden Aktionärslegitimation. Fakt ist, dass längst signifikante Teile der Anteilseigner bundesdeutscher Aktiengesellschaften nicht im Inland sitzen. Gleichwohl bleibt das derzeit praktizierte System des Nachweises der Stimmberechtigung und die Anmeldung zur HV eine nationale Domäne: Für Inhaberaktien läuft das Prozedere weiterhin über die nationalen Depotbanken, bei Namensaktien gilt dasselbe in dem häufig auftretenden Fall, dass ausländische Aktionäre ihre Anteilscheine nur durch schuldrechtliche Beziehung zu ihrer Depotbank halten (also als sogenannter Beneficial Owner). Beide Male bleibt der Direktkontakt zum Emittenten versperrt. Ein System des direkten Legitimationsnachweises könnte hier Abhilfe schaffen. Wenn aus rechtlicher Sicht, wie Experten betonen, nichts gegen eine solche Lösung spricht, stellt sich also die Frage, warum dieses durchaus signifikante Problem auch weiterhin ungelöst ist.

Auch herrscht für Hauptversammlungen deutscher Aktiengesellschaften nach wie vor eine Präsenzpflicht: Wer nicht physisch anwesend ist, zählt nicht als Teilnehmer im rechtlichen Sinne, auch wenn er die Vorgänge online am Bildschirm verfolgt und über Email oder Webformular seine Stimme "in Echtzeit" abgeben könnte. Das birgt nicht nur mitunter große, wenngleich oft absetzbare Reisekosten in sich, sondern führt auch zu einer geringeren Teilnahme. Und beides kann beziehungsweise sollte nicht im Sinne des Unternehmens und des Gesetzgebers sein. Zwar geben sich die Unternehmen bei breiterer Stimmrechtsausübung einer größeren Volatilität preis, etwa was Zufallsmehrheiten angeht. Dennoch sollten sich alle Betroffenen mit dem Ziel, das Aktionärstreffen wieder als ein funktionierendes Organ aller Aktionäre zu etablieren, deutlich stärker als bisher für eine Virtualisierung stark machen. Konzepte dafür gibt es ohnehin genug, zu einem großen Teil sind diese auch bereits im Ausland erprobt.

Weniger von organisatorischer als von rechtlicher und grundsätzlicher Seite bleibt zudem weiterhin die Frage nach Sinnhaftigkeit und Umsetzung von Anfechtungsklagen. Darf ein minimaler Anteilsbesitz die Möglichkeit mit sich bringen, die Umsetzung wichtiger unternehmerischer Entscheidungen zu behindern oder zumindest länger zu blockieren?

Grundsätzlich legen die Aktionärsschützer und Kapitalmarktpropagandisten wie etwa das Deutsche Aktieninstitut dem Staat bei all diesen offenen Fragen etwas mehr Mut nahe, statt dem Verändern zahlreicher kleiner Stellschrauben einmal auch unter der Haube aufzuräumen. Die Aktienmärkte in Deutschland und anderswo haben sich in den letzten Jahren deutlich schneller verändert, als es der gesetzliche Rahmen vertragen hat. Zwar werden im Corporate Governance Kodex hier und da Schritte gegangen, die die Möglichkeiten der Unternehmen zumindest erweitern. Gleichsam gilt es hier aber auch, nicht durch allzu konkrete Vorstellungen Druck zur Umsetzung einzelner Maßnahmen aufzubauen, etwa im Hinblick auf eine Pflicht zur Umsetzung eines Online- Votings. Gewisse Wahlmöglichkeiten sollte den Gesellschaften weiterhin gegeben bleiben. Ob die nächste Gesetzesrunde die brennenden Fragen des Dinosauriers Gesellschaftsrecht mit etwas mehr Entschlossenheit klären wird?

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