Gespräch des Tages

Kreditgeschäft I - Klemme oder doch nicht?

Eine allgemeine Besorgnis ist berechtigt. Die derzeit so heftig diskutierte Kreditklemme wollen gewiss alle Beteiligten vermeiden. Schon ein wenig glätten lassen sich die Aufgeregtheiten der Debatte allerdings, wenn man die Fakten zusammenstellt und dann die Interessenlagen der Beteiligten betrachtet.

Mitte des Jahres 2009 ist die viel zitierte Kreditklemme zumindest den offiziellen Zahlen nach noch nicht zu konstatieren. Weder die Bundesbankstatistik mit vorläufigen Zahlen bis Ende Mai 2009 noch die Daten der EZB, wie sie gerade im Finanzstandortbericht der IFD veröffentlicht werden, zeigen einen akuten Engpass der Kreditvergabe. Zwar lässt sich seit Jahresbeginn 2009 eine Verlangsamung des Kreditwachstums feststellen, doch haben alle großen Bankengruppen der Tendenz nach eine steigende Kreditvergabe bis in den letzten Monat hinein aufrechterhalten. Alle statistischen Zahlen sind jedoch naturgemäß vergangenheitsbezogen. Und festzustellen ist eine gespaltene Situation je nach Fristigkeit der Kredite und nach Bonität der kreditsuchenden Unternehmen. Langlaufende Kredite für die Projekt- und Unternehmensfinanzierung sind derzeit viel schwieriger darzustellen als kurze Laufzeiten. Und Kreditnehmer mit schlechter Bonität haben es eindeutig schwieriger als in den vergangenen Jahren, ihre Finanzierung unter Dach und Fach zu bringen. Nachweislich verschlechtert haben sich für die Unternehmen auch die Kreditkonditionen, obwohl sich die Refinanzierungsbedingungen der Kreditwirtschaft durch diverse Zinssenkungsschritte der EZB und weitere Maßnahmen wie das 60-Milliarden-Aufkaufprogramm für Covered Bonds oder die Fristverlängerung für langfristige Refinanzierungsgeschäfte auf ein Jahr klar verbessert haben.

Vor dem Hintergrund dieser Fakten kommen in der öffentlichen Diskussion nun immer stärker die Interessenlagen der Beteiligten ins Spiel, insbesondere der Banken, der Notenbanken, der Politik und der Unternehmen. Keine dieser Seiten, so ist das nun mal im Leben, will bei der Bewältigung der Finanzkrise als unberechtigt empfundene Einbußen hinnehmen und/oder in ihrem Agieren schlecht aussehen. Und so sind in den letzten Wochen aus der Politik und aus den Notenbanken verwirrende Statements zu sehen, zu hören oder zu lesen. Die teils drohend klingenden Aussagen zur Einleitung wirksamer Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der notwendigen Kreditvergabe - notfalls gar unter Umgehung des Bankensektors - erscheinen dem neutralen Betrachter als ein einziges großes Missverständnis.

Da sind zunächst die hoch angesehenen Notenbanken, die mit ihrer Zinspolitik wie auch mit den sonstigen Maßnahmen Wirkung erzielen wollten und in der Tat zu einer Marktberuhigung beigetragen haben. Eine drohende Systemkrise konnte abgewendet werden. Nun aber müssen sie mit ansehen, wie ihre Impulse möglicherweise im Bankensystem verpuffen. Eine realistische Gefahr dabei: Seitens der Öffentlichkeit könnten immer weitere expansive Maßnahmen gefordert werden, obwohl eigentlich schon darüber nachgedacht werden müsste, wie man aus der zugeführten Geldschwemme wieder geordnet herauskommt. Wie es um die aktuelle Datenlage bei der Kreditvergabe steht, ist der Deutschen Bundesbank wie auch der Europäischen Zentralbank bekannt. Man weiß dort nur zu genau, wie die Kreditvergabeprozesse der Institute verlaufen. Vielleicht wird es deshalb seitens der Notenbanker hin und wieder als notwendig erachtet, die Banken wachzurütteln, sprich vom Vorstand über das Kreditmanagement bis hin zur Vertriebsmannschaft alle Beteiligten an den komplexen und teilweise stark Technik getriebenen Kreditvergabeprozessen an eine gewisse gesamtwirtschaftliche Verantwortung zu erinnern.

Die Banken sehen das naturgemäß aus einem anderen Blickwinkel. Viele haben sehr wohl Ungereimtheiten in ihren Geschäftsmodellen und das hohe Risikopotenzial in ihren Häusern registriert und rechnen angesichts des regen Treibens auf verschiedensten internationalen Ebenen auch mit der Knute neuer aufsichtsrechtlicher Anforderungen. Zudem wappnen sie sich der scharfen Rezession und der ungewissen Aussichten für viele Wirtschaftszweige wegen im Zweifel stärker als bisher gegen die absehbaren Widrigkeiten höherer Kreditausfälle, sei es durch bessere Margen, durch höhere Anforderungen an die Sicherheiten oder durch das Horten von Liquidität. Dass die Kreditwirtschaft die Zinssenkungen der EZB in den letzten Monaten weitergegeben hat, lässt sich laut IFD- Finanzstandortbericht eindeutig mit Zahlen belegen. Ob man unter diesen Rahmenbedingungen am Markt wirklich verbesserte Kreditkonditionen im Verhältnis 1 zu 1 verlangen darf, bleibt aber weiterhin diskussionswürdig.

Die Politiker als dritter wichtiger Mitspieler haben nicht nur in Deutschland viel Geld in die Hand genommen, um der Krise mit diversen Aktivitäten Herr zu werden. Mit der Stabilisierung des Bankensystems haben sie der Sache nach überwiegend an erkannte Maßnahmen getroffen. Die Abwrackprämie wie auch die Rettung einzelner Unternehmen finden hingegen hierzulande keineswegs ungeteilte Zustimmung. Aber vor allem wollen Politiker bei den nächsten Wahlen für ihre Wohltaten möglichst belohnt werden. Das freilich wird gerade in Deutschland wegen des schon recht nahe gerückten Wahltermins umso schwieriger, je stärker sich bis September die Zahl der Unternehmen häuft, die in akute wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Jede Insolvenz und die damit verbundenen Schlagzeilen stören einfach das erwünschte Szenario von einem exzellenten politischen Management der Krise. Und die Unternehmen als vierter einflussreicher Mitspieler wissen derzeit sehr genau, dass sie die Karte mangelnder Kreditversorgung zumindest bis zur Bundestagswahl mit gewisser Erfolgsaussicht spielen können.

Als große Unbekannte erweist sich bei all dieser undurchsichtigen Fakten- und Interessenlage die weitere Entwicklung der Wirtschaft. Und die wird bekanntlich selbst von Fachleuten unterschiedlich beurteilt. Je nachdem, ob sich im Konjunkturszenario das V, das L, die Badewanne oder das Wurzelzeichen als das richtige Bild für die Zukunft erweisen, werden die Argumente der einzelnen Beteiligten stärker in den Vordergrund rücken beziehungsweise mehr Gehör finden. Der Disput um eine Kreditklemme wird sich bis zur Bundestagswahl kaum beruhigen.

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