Leitartikel

Vorauseilendes Problembewusstsein

Die Sorge um eine Kreditklemme ist nicht neu. Was exakt unter diesem Begriff zu verstehen ist, lässt sich aber kaum abgrenzen. Für BaFin-Präsident Jochen Sanio liegt eine echte Kreditklemme vor, "wenn ein Bankensystem nicht mehr in der Lage ist, die Kreditnachfrage kreditwürdiger Personen und Unternehmen zu befriedigen". Wissenschaftler machen sie daran fest, ob und wie stark eine angebotsbedingte Verknappung der volkswirtschaftlich gebotenen Finanzierung der Wirtschaft zu registrieren ist. Welche Gefahren aus einer angebotsseitig verengten Kreditversorgung für den hoffentlich bald kommenden Aufschwung drohen, wurde schon in der Schwächephase 2002/2003 diskutiert. Doch richtig breit und heftig analysiert und debattiert wird seitens der Wirtschaftsverbände, der Notenbanken, der Politik und der Medien erst im Zuge der Finanzkrise.

Schon mehrfach seit Mitte 2007 haben sich dabei die relevanten Beurteilungsgrundlagen verschoben. Das gilt etwa für die Einschätzung der Liquiditätslage und der Risikotragfähigkeit der Kreditinstitute, die erwartete Bonitätslage der Kreditnehmer sowie verschärfte Anforderungen der Banken an das Unternehmensreporting und die Sicherheiten ihrer Kreditkunden. Es betrifft mögliche Verdrängungseffekte zulasten privater Kreditnehmer durch die Finanzierung des Staatssektors. Und es umfasst nicht zuletzt die anhaltende Unsicherheit der Kreditwirtschaft hinsichtlich deutlich steigender Eigenkapitalanforderungen. All diese Dinge konnten und können für die Banken den Ausschlag geben, in ihrer Kreditvergabepolitik vorsichtiger zu agieren. Aber selbst wenn das in der Gesamtwirkung ein schrumpfendes Kreditvolumen zur Folge haben sollte, ist das beileibe noch kein klares Indiz für ein unanständiges oder sanktionswürdiges Verhalten der Banken. Denn zum einen können viele dieser Einflussfaktoren ganz normale Reaktionen der Kreditgeber auf die Marktbedingungen sein. Und zum anderen kommt bei den potenziellen Kreditnehmern auf der Unternehmensseite aufgrund der zeitweise schrumpfenden Wirtschaft als Bremseffekt ein schlichter Nachfragerückgang nach Krediten hinzu.

So facettenreich die Einflussfaktoren sind, so unterschiedlich fällt die Einschätzung der Betroffenen aus. Seitens der Wirtschaft und der Politik wird dabei immer wieder der Vorwurf erhoben, die Kreditwirtschaft neige dazu, die reichlich verfügbare Notenbank-Liquidität zu sehr für die Ertragsaufbesserung des eigenen Hauses zu nutzen und ihr Kreditgeschäft unangemessen einzuschränken. Speziell nach der weiteren deutlichen Liquiditätszufuhr durch die Notenbanken nach der Lehman-Pleite erhielt die Wirtschaft vermehrt Rückendeckung aus den Reihen der Politik. Die aktuellen Bonuszahlungen einiger Banken (siehe Beiträge in diesem Heft) eignen sich da trefflich für eine zusätzliche emotionale Komponente.

Die Kreditwirtschaft ihrerseits tritt solchen Bewertungen vehement entgegen. Insbesondere die beiden großen Verbundgruppen präsentieren auch unterjährig immer wieder Zahlen als Beleg für die Aufrechterhaltung der Kreditversorgung in der Fläche. Dabei betonen sie ausdrücklich ihre im Regionalprinzip angelegte Verantwortung für die Region, die im Prinzip auch in der jetzigen Lage keine Sondermaßnahmen notwendig mache. Zwei Großbanken vermarkten derzeit eigene Initiativen. Die Commerzbank hat einen Beauftragten für Mittelstandskredite ernannt, der unter anderem die Vergabe des zu Jahresanfang angekündigten zusätzlichen Kreditvolumens von fünf Milliarden Euro nach dem Kriterium der Zukunftsfähigkeit sicherstellen soll. Und die Deutsche Bank will den Kreditzugang der Unternehmen indirekt erleichtern - durch eine Stärkung der Eigenkapitalausstattung über Genussscheine. Anfang Februar 2010 hat sie dafür einen zunächst mit 300 Millionen Euro ausgestatteten Mittelstandsfonds aufgelegt.

Diese Aktivitäten fallen in eine Phase, in der das Thema Kreditklemme in der öffentlichen Wahrnehmung schon erste Abnutzungserscheinungen zeigt. Doch das könnte sich bald wieder ändern. Zwar lässt sich die akute Gefahr einer allgemeinen Kreditklemme auch zum Jahreswechsel 2009/2010 nicht klar untermauern. So jedensfalls resümieren übereinstimmend die Bundesbank in ihrer turnusmäßigen Untersuchung des Kreditgeschäftes der Banken und Bankenverbände wie auch die KfW in ihrer Erhebung aus Sicht der Wirtschaft und ihrer Verbände. Gerade letztere Studie deutet aber im Zeitverlauf auf eine Zuspitzung hin (siehe Übersicht). Insgesamt sind die Erwartungen für die drei nächsten Monate wieder so trüb wie vor einem Jahr. So wird generell ein erschwerter Zugang zu Investitionskrediten konstatiert. Die Finanzierungsbedingungen für langfristige Mittel gelten weiter als schwierig, wenn auch weitgehend stabil. Eine Entspannung zeigt sich beim Zugang zu kurzfristigen Krediten. Aber seitens der Anbieter werden aus Sicht der Wirtschaft Lieferantenkredite tendenziell reduziert, und der Zugang zu Kreditversicherungen gilt als deutlich erschwert. Auch bei den Liquiditätslinien droht eine leichte Verschlechterung. Kurzum, die Indikatoren für eine Kreditklemme sind ernst zu nehmen.

Gleichzeitig erschweren zwei andere Rahmenbedingungen die Rückkehr zu einer sich selbst tragenden Unternehmensfinanzierung über die Märkte. Zum einen fällt die ernüchternde Lage mit dem Bemühen der Notenbanken zusammen, sich Schritt für Schritt aus der expansiven Geldpolitik zurückzuziehen. Zum anderen wappnen sich die Banken gegen steigende

Bewertungsrisiken im Kreditgeschäft. Allein das Problembewusstsein ist bei allen Beteiligten geschärft. Denn frühzeitig und gleichermaßen hat die Politik in der Frage einer drohenden Kreditklemme die Banken und den Unternehmenssektor in die Pflicht genommen, nicht nur ihrer betriebswirtschaftlichen, sondern auch ihrer volkswirtschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. Niemand kann sagen, er habe sich nicht auf die aktuelle Konstellation vorbereiten können. Aber wie geht die gemeinsame Kraftanstrengung aus?

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