Leitartikel

Es lebe die Bundesbank!

Vertrauen und Unabhängigkeit! Diese Schlüsselworte zogen sich beim Festakt "50 Jahre Bundesbank" ausnahmslos durch die Jubiläumsansprachen. Gleich zum Einstieg hob Bundeskanzlerin Angela Merkel das unverändert hohe Ansehen bei der Bevölkerung hervor. EZB-Präsident Jean Claude Trichet rühmte darüber hinaus die Souveränität und die festen Grundsätze, mit denen sich die deutsche Notenbank ihre hohe Glaubwürdigkeit an den globalen Finanzmärkten verdient hat. Ministerpräsident Roland Koch lobte das Geburtstagskind als eine der wichtigsten Behörden für Währungsmanagement und schrieb ihm im ureigensten Interesse der Landespolitik eine Weiterentwicklung als Kompetenzzentrum für Währungspolitik ins Stammbuch. Oberbürgermeisterin Petra Roth rechnete die Legende Bundesbank auf gleicher standortpolitischer Schiene zum wichtigen und standhaften Teil des Geld-Know-hows in Frankfurt und freute sich über dessen ungebrochene Anziehungskraft für ein qualifiziertes Dienstleistungsangebot in der Rhein-Main-Region. Und als Gastgeber lenkte Bundesbankpräsident Axel A. Weber den Blick auf die längst praktizierte Mitverantwortung für ein europäisches Handeln und Denken.

Dass bei der offiziellen Geburtstagsfeier solche Jubelarien über die Deutsche Bundesbank zu hören waren, mag man vordergründig als anlassgemäße Routineübung werten. Aber bei dieser speziellen Veranstaltung im Frankfurter Zoo-Palais waren sie beileibe kein "Affentheater", sondern Spiegel der breiten öffentlichen Wahrnehmung. Loblieder auf die Bundesbank kommen in der Bevölkerung auch heute noch gut an und eignen sich jederzeit für die Titelzeilen der Boulevardpresse. Im zehnten Jahr nach Gründung der Europäischen Zentralbank und nach einem fast sechsjährigen praktischen Erlebnis eines sehr stabilen Euros hat die Mehrheit der Deutschen zwar hohen Respekt vor der Arbeit der EZB, hängt aber emotional noch sehr stark an der eigenen Notenbank und stuft diese als besonders vertrauenswürdig ein.

Sich mit den Errungenschaften und edlen Werten der Vergangenheit zu beweihräuchern, reicht indes nicht mehr aus. In etlichen Medien und längst auch bei der Politik, das hat der Präsident aufmerksam registriert, ist das Verhältnis zur Bundesbank viel weniger gefühlsbetont. Von einem Bedeutungs- und Aufgabenverlust ist da die Rede und von einem schwindenden Mythos. Dafür gibt es in der Tat eine Reihe objektiv nachprüfbarer Anzeichen, nicht zuletzt bei der Bank selbst: Deren Hauptstellen- und Filialnetz hat sich in den letzten Jahren auf geplante 47 Filialen per Ende 2007 mit dann 10 500 Beschäftigten ausgedünnt, rund 30 Prozent weniger als fünf Jahre zuvor. Bis Ende 2012 soll es eine weitere Rückführung auf rund 9 000 Mitarbeiter geben - das wären verglichen mit dem Höchststand Anfang der neunziger Jahre noch rund die Hälfte. Abgeflaut ist auch das Medieninteresse. Wer das wahre Blitzlichtgewitter und das totale Kameraaufgebot miterleben will, orientiert sich besser in Richtung EZB beziehungsweise der nationalen Notenbankgouverneure als Mitglieder des EZB-Rats. Dort spielt sich für Viele das wahre Leben der Notenbankpolitik ab.

Ist es angesichts solch ernüchternder Tatsachen also ein letzter Anflug von Nostalgie, mit dem die Mehrheit der Deutschen in alter Verbundenheit auf ein halbes Jahrhundert mit ihrer Notenbank blickt? Oder gibt es wenigstens zaghafte Ansätze für den Blick nach vorn oder gar Aufbruchstimmung? Für die Zukunftsgestaltung der Deutschen Bundesbank ist das zunächst einmal eine knifflige Situation. Wie soll sie in der deutschen Bevölkerung ihr hervorragendes Standing bewahren und die gute Positionierung im Eurosystem verteidigen, wenn ausgerechnet die für die wesentlichen Rahmenbedingungen zuständigen Politiker und ein Großteil der meinungsbildenden Medien nur noch in Maßen Interesse an ihrem Tätigkeitsspektrum zeigen? Da hilft eigentlich nur der sachliche Nachweis der Existenzberechtigung über eine herausragende Qualität der geleisteten Arbeit. Genau diese Herausforderungen hat die Bundesbank angenommen und will sich daran messen lassen: "In der geldpolitischen Entscheidungsfindung des Eurosystems und in der internationalen Debatte über die Stabilität des Finanzsystems kann die Bundesbank nur bestehen, wenn sie im Wettbewerb der Ideen Kompetenz zeigt. Und diese kann sie nur durch Forschung und Analysen gewinnen", heißt es beispielsweise in einer Informationsmappe zum Jubiläum.

Entsprechend intensiv wird die Arbeit in dem 2002 gegründeten Forschungszentrum vorangetrieben. Auf Vorstandsebene hat der Präsident sein Lieblingskind höchst persönlich unter seine Fittiche genommen (siehe auch Beitrag in diesem Heft). Geforscht wird insbesondere in jenen fünf Arbeitsbereichen, die die Bundesbank auch als ihre Kerngeschäftsfelder identifiziert hat, erstens Geldpolitik des Eurosystems, zweitens Finanz- und Währungssystem, drittens Bankenaufsicht, viertens unbarer Zahlungsverkehr und fünftens Bargeld. Speziell in den drei ersten dieser Arbeitsbereiche ist derzeit höchste Kompetenz gefragt. Denn die seit Juli dieses Jahres aufgetretenen Turbulenzen an den Finanzmärkten haben sich bis in die Hochphase der Geburtstagsfeierlichkeiten der Bundesbank hineingezogen und fordern einen permanenten Praxiseinsatz - angefangen von den aufsichtsrechtlichen Sofortmaßnahmen bei der Entschärfung der Liquiditätskrisen bei der IKB und der Sachsen-LB über die Beschlussfassung der EZB zur außerplanmäßigen Liquiditätsversorgung der Finanzmärkte bis hin zur Abwägung über die Aussetzung der eigentlich für Anfang September erwarteten Zinserhöhung der EZB.

Dass die Bundesbank auch in den kommenden Monaten für eine praxisnahe Aufarbeitung und Durchdringung des aktuellen Geschehens mit dem Ausbau ihrer international vernetzten Forschungstätigkeit richtig liegt, lässt sich indirekt aus dem Redaktionsgespräch mit Hermann Remsperger heraushören (Seite 1007). Wenn das für internationale Beziehungen zuständige Vorstandsmitglied die Arbeitsatmosphäre bei der ersten Analyse der Marktstörungen in den europäischen und weltweiten Gremien erfreulich stark von der analytischen Komponente durchdrungen sieht und keinesfalls per se einen Vorrang von politischen Überlegungen registriert, spricht das klar für den eingeschlagenen Weg seines Hauses. Die Bundesbank weiß um die Bedeutung der deutschen Volkswirtschaft, aber auch um ihr fachliches Gewicht. Und ihre Mitarbeiter bringen es in die entscheidungsrelevanten Konsultationen der internationalen Gremien offensiv ein. In Europa kommt dabei ein weiterer Aspekt dazu. Solange die politische Union nicht umgesetzt ist beziehungsweise politisch nicht erreichbar scheint und solange Länder Mitglieder in den internationalen Organisationen und deren Gremien sind, ist es angenehm, dort auch unabhängige Notenbanker vertreten zu wissen. Denn diese denken in globalen Zusammenhängen und gewichten - etwa mit Blick auf die Währungsunion - nationale Interessen etwas differenzierter, als die nationale Politik das zuweilen tun kann.

Ihren gebührenden Einfluss geltend machen will die Bundesbank allen anderen Eindrücken zum Trotz auch in der Geldpolitik. Zwar ist sie rein formal nur noch über den Sitz und die Stimme ihres Präsidenten im EZB-Rat an den geldpolitischen Entscheidungen beteiligt, aber sie definiert die Geldpolitik des Eurosystems ausdrücklich als ihr erstes zentrales Geschäftsfeld. Allein die Volumina sichern ihr dabei eine starke Position: Ihr Anteil an der Menge des Geldes, das sich die Banken im Euroraum insgesamt bei den Zentralbanken kurzfristig beschaffen, beträgt über 50 Prozent. Und die Bank sieht sich auch in der Wahrnehmung ihrer geldpolitischen Teilverantwortung sowie in der Umsetzung und öffentlichen Erläuterung der geldpolitischen Beschlüsse zu Recht in der Pflicht gegenüber den hiesigen Unternehmen und Haushalten. Noch hat der Euro der europäischen Bevölkerung seit seiner Einführung eine Festigkeit beschert, die die D-Mark unter diesem Gesichtspunkt kaum vermissen lässt. Die Beurteilung der Geldpolitik der EZB wird sich freilich erst mit dem Durchlaufen eines oder gar mehrerer Zinszyklen richtig einschätzen lassen. Erst dann wird man sehen, ob die EZB den ungleich vielschichtigeren, weil europaweiten Diskussionen um die Kosten der Inflationsbekämpfung auf dem Arbeitsmarkt wird standhalten können. Erst dann muss möglicherweise auch die Bundesbank eine unpopuläre europäische Geldpolitik im eigenen Heimatland gegen politische Widerstände vermitteln. Nur wer in geld- und währungspolitischen Fragen auf dem aktuellsten Stand ist, kann in einer solchen Situation auch fundiert argumentieren. Neben der gezielten Forschungsarbeit zur Geldpolitik und Geldtheorie darf man gewiss auch das diesbezügliche Symposium zu den Geburtstagsfeierlichkeiten als klares Signal werten, sich keinesfalls aus der Geldpolitik des Eurosystems verabschieden zu wollen.

Einen besonderen Arbeitsschwerpunkt bildet auch die Bankenaufsicht. Gerade auf operativer Ebene tut sich die Bundesbank dabei bei der Implementierung von Basel II hervor. Aufgrund ihrer Geschäftsbeziehungen zum Bankensektor und ihren Zuständigkeiten im für die Finanzwirtschaft manchmal so leidigen Meldewesen, verfügt sie über so viel aussagekräftiges Datenmaterial, dass die empirische Forschung in Bezug auf aktuelle Fragestellungen durch die enge Vernetzung mit externen Wissenschaftlern deutlich optimiert werden kann. In diesen bisher vergleichsweise wenig erforschten Feldern will sich die Bundesbank als Kompetenzcenter etablieren. Klare Interessenlagen formuliert sie aber auch in den institutionellen Fragen der Neuordnung der hiesigen Bankenaufsicht. Mit großer Bestimmtheit hat Axel A. Weber Anfang August beispielsweise die Vorstellungen des Bundesfinanzministeriums zurückgewiesen, sein Haus in diesem traditionellen Aufgabenbereich einer Fachaufsicht aus Berlin zu unterstellen. Und gerade die positiven Erfahrungen mit der Marktnähe zur Kreditwirtschaft bei den aktuellen Turbulenzen dürften seine Position bis zur aufgeschobenen gesetzlichen Regelung im Frühjahr 2008 sicher noch stärken. Unverändert stark positioniert ist die Bundesbank schließlich im Zahlungsverkehr. Sowohl im Großbetragszahlungsverkehr mit dem Start des Gemeinschaftssystems Target-2 als auch in der operativen Umsetzung von Sepa mit den deutschen Banken verleihen ihr die traditionell hohe Effizienz und ihre hohen Volumina ein bedeutendes Gewicht bei der Gestaltung des Zahlungsverkehrs in Europa.

Für eine Sonderaufgabe fühlt sich die Bundesbank derzeit ganz besonders prädestiniert. Gestützt auf eigene einschlägige Erfahrungen (siehe Beitrag Waigel) fungiert sie als große Stütze der EZB bei der Verteidigung der Unabhängigkeit der Notenbanken gegen Kritiker aus Politik und Wissenschaft. Nach westlichem Demokratieverständnis, so wird in die Debatte geworfen, dürfen gewählte Politiker über so existenzielle Fragen wie Steuern, Militäreinsätze, Renten, Atomenergie und Terrorismusbekämpfung entscheiden. Wieso traut man ihnen dann eine verantwortungsvolle Geldpolitik offensichtlich nicht zu? Insbesondere der französische Präsident Sarkozy und sein Umfeld bringen diese Dinge immer wieder vor. Klare Antwort der Bundesbank: Bei der Steuerung der Geld- und Währungspolitik mit ihren vielschichtigen mittel- und langfristigen Effekten dürfen sich die

Bürger wohler fühlen, wenn solche wichtigen Dinge aus dem Gezerre von politischen Konstellationen und Interessengruppen herausgehalten und statt der Politik unabhängigen Instanzen überlassen werden. Auch EZB-Präsident Trichet vertritt standhaft diese Linie und hat der deutschen Politik und Axel A. Weber wiederholt für ihre deutliche Parteinahme gedankt. Die Bundesbank lebt, es lebe die Bundesbank. Mo.

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