Aufsätze

Level Playing Field - ein Lehrstück von hehrer Theorie und wettbewerbsgetriebener Realität

Mittlerweile ist das fünfte volle Jahr der Krise an den globalen Kapitalmärkten zu Ende gegangen. Eine anhaltend hohe Volatilität, die Nullzinspolitik der Zentralbanken, angespannte Interbankenmärkte und nicht zuletzt das Aufflackern immer neuer Brandherde in der europäischen Schuldendebatte bestimmen das Bild.

Kurz: Das globale Finanzsystem befindet sich seit 2007 im permanenten Krisenmodus. An sich machtvolle Maßnahmen, etwa die Ein richtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus oder die Ankündigung der Europäischen Zentralbank, unter bestimmten Umständen Staatsanleihen in unbegrenztem Umfang aufkaufen zu wollen, zeigen nur begrenzt Wirkung.

Unsicherheit als Normalzustand

Die Erkenntnis aus den vergangenen Jahren ist ebenso klar wie verbreitet: Unsicherheit ist der neue Normalzustand, ein Zurück zu den Verhältnissen vor der Krise wird es nicht geben. Die Schlussfolgerungen daraus unterscheiden sich jedoch gehörig: Während sich Politiker, Banker und Meinungsführer darüber einig sind, dass eine wirksamere Regulierung des Finanzsystems wichtig und wünschenswert ist, hört die Einigkeit dort auf, wo es um deren konkrete Ausgestaltung geht.

Es sind im Wesentlichen drei große Bruchlinien, die sich quer durch Parteien und Akteursgruppen, vor allem aber quer durch die politische Landschaft und die Regionen der Welt ziehen.

Sie führen dazu, dass das von vielen geforderte "Level Playing Field" - also gleiche Bedingungen für gleiche Geschäfte und für alle Marktteilnehmer, egal an welchem Platz - weiter denn je entfernt ist. Der Regulierungsarbitrage ist damit auf unbestimmte Zeit Tür und Tor geöffnet.

Ein Blick über den Atlantik zeigt eine der markantesten Verwerfungen, nämlich die zwischen den USA und Europa. In der Bankenbranche offenbart sich wie in kaum einem anderen Sektor der weltweite knallharte Wettbewerb zwischen den regulatorischen Systemen einzelner Länder. Während es vordergründig um die Verhinderung der nächsten Finanzkrise geht, wird de facto nicht zuletzt versucht, den jeweils eigenen Banken Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und die eigene Wirtschaft zu stärken.

Zwischen systemischer Notwendigkeit und politischer Instrumentalisierung

Die Ziele, die mit den jeweiligen regulatorischen Vorhaben verfolgt werden, sind auf den ersten Blick kompatibel. In Umfang, Geschwindigkeit und Konsequenz der Umsetzung jedoch zeigen sich gravierende Unterschiede, auch wenn am Ende natürlich die Umsetzung zählt. Die Zwangskapitalisierung der US-Banken zu Beginn der Finanzkrise sowie die Volcker-Rule, also das für Banken geltende Verbot von Eigengeschäft und Beteiligungen an Hedge- und Private Equity-Fonds sind zwei Beispiele für die pragmatische Herangehensweise jenseits des Atlantiks. Die anschließende Verwässerung des Dodd-Frank Act durch den Einfluss einer starken Bankenlobby ist ein drittes. Europa jedenfalls hinkt hinterher - mit Blick auf Kapitalanforderungen im Zuge des EBA-Stresstests 2011, aber auch mit den rigorosen Forderungen nach operationaler Trennung von Kapitalmarktgeschäft vom Firmen- und Privatkundengeschäft im Liikanen-Bericht.

Die Diskussion über die Einführung von Basel III hat zuletzt noch einmal die Differenzen zwischen den USA und Europa verdeutlicht. Zur Erinnerung: Auch Basel II wurde in den USA nie eingeführt. Nun steht dort auch Basel III in Frage, zumindest jedoch seine baldige Umsetzung, was kaum verblüfft. Wenn die USA nicht umsetzen, macht es keinen Sinn, sich mit ihnen in Basel zu koordinieren. Dann sollten die Regeln besser direkt auf die europäische Situation zugeschnitten werden.

Die Europäer schauen derzeit dem Treiben hilflos zu, halten ihrerseits aber an dem Reformwerk fest und rücken allenfalls vom Zeitplan ab. So richtig diese Haltung angesichts der Bedeutung des Vorhabens ist: Die Folgen regulatorischer Alleingänge - die in diesem Fall hoffentlich noch verhindert werden - können verheerend sein.

Direkte und indirekte Belastungen

Die Wettbewerbsposition der Banken in den weniger pragmatisch und strenger regulierten Regionen, und damit auch der jeweiligen Volkswirtschaften, kann sich nachhaltig verschlechtern. Denn die Institute müssen, auch zulasten ihrer Klientel, direkte und indirekte Belastungen übernehmen, die ihren Mitbewerbern in Übersee erspart bleiben. Und das in einer Zeit, in der die größten Banken der Welt längst aus China kommen - und noch völlig unklar ist, ob sie sich künftig überhaupt den gleichen regulatorischen Bedingungen unterwerfen werden.

Hinzu kommt ein nachgerade protektionistischer Faktor. Während europäische Banken strenge US-Regeln mit exterritorialer Wirkung erfüllen müssen - man denke allein an die Durch setzung von Sanktionen beziehungsweise den Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA) -, stellt der europäische Wirtschaftsraum den US-Unternehmen ähnlich harte Anforderungen bisher nicht. Der Vektor der jeweiligen nationalen Interessen definiert hier die Reaktion der Politik.

Eine zweite Bruchlinie verläuft innerhalb des europäischen Kontinents: Der Finanzbinnenmarkt ist nach wie vor gestört. Abzulesen ist dies nicht zuletzt an den Refinanzierungskosten für Banken der Eurozone. Die CDS-Spreads für Kreditinstitute sind in der Breite weiterhin unangemessen hoch. Bestimmte Refinanzierungsmittel, wie etwa unbesicherte Schuldverschreibungen, scheinen bis auf Weiteres fast unverkäuflich zu sein beziehungsweise nur zu prohibitiven Kosten absetzbar.

Die Spread-Unterschiede zwischen den einzelnen Häusern spiegeln dabei nicht in erster Linie die unterschiedlichen Geschäfts- und Risikomodelle. Sie reflektieren vielmehr vor allem die Schuldnerqualität der Länder, in denen die Banken ihren Sitz haben. Teilweise preisen sie damit auch das euphemistisch so bezeichnete Konversionsrisiko, also den Zusammenbruch des Euro, mit ein. Der Sitz der Muttergesellschaft wird für international tätige Banken zu einem der Haupterfolgsfaktoren für ihr Standing - und damit letztlich auch ihre Handlungsfähigkeit am Kapitalmarkt.

Dieser Markteffekt wird auf regulatorischer Ebene dadurch verstärkt, dass einzelne Länder der Eurozone Tendenzen zu einer wieder mehr nationalen Sichtweise bei der Regulierung von Finanzinstituten zeigen. Auslandsbanken und Tochtergesellschaften ausländischer Häuser innerhalb des jeweiligen Hoheitsgebiets sollen auf Stand-alone-Basis betrachtet und dementsprechend reguliert werden.

So sehr diese Vorgehensweise, die sogenannte Subsi diarisierung, vor dem Hintergrund der auf nationaler Ebene erfolgten Rettung einzelner Kreditinstitute durch die Politik zu verstehen ist - dem Grundgedanken eines integrierten Finanzbinnenmarktes und eines geeint auftretenden Europas steht sie diametral entgegen. Damit sind zugleich erhebliche Effizienzverluste verbunden, bis hin zur Einschränkung der Geschäftstätigkeit einzelner Institute.

Schritte zu einem einheitlichen Finanzbinnenmarkt

Die Idee eines einheitlichen europäischen Finanzmarkts ohne Grenzen ist gleichwohl noch nicht tot und wird beflügelt durch die jüngste Einigung zu einer einheitlichen EU-Aufsicht - wenn man auch angesichts des wieder sehr vehementen Eintretens der britischen Regierung für den Finanzplatz London davon ausgehen muss, dass das Vereinigte Königreich hier wohl kaum mit von der Partie sein wird. So sind zum einen Maßnahmen der Europäischen Kommission gegen solche Länder in der Diskussion, die das beschriebene regulatorische Ringfencing so stark betreiben, dass der freie Kapitalverkehr in Europa gefährdet ist.

Zum anderen hat die EU aus der Vergangenheit gelernt: Bestanden früher regulatorische Vorgaben durch die Europäische Union im Wesentlichen in "Directives", also Richtlinien, die viel Spielraum bei der nationalen Umsetzung lassen, was regelmäßig zu Wildwuchs - nicht zuletzt durch nationale Lobbygruppen verursacht - führte, so ist immer häufiger die Verwendung von "Regulations", also europaweit gültige Verordnungen zu sehen, die kaum nationale Flexibilität erlauben.

Zudem werden mit der Einrichtung einer gemeinsamen Finanzaufsicht, einem gemeinsamen Restrukturierungs- und Abwicklungsregime und einer harmonisierten europäischen Einlagensicherung weitere Schritte zu einem einheitlichen Finanzbinnenmarkt gemacht, wenn auch nicht mit letzter Konsequenz. Es kann nicht sein, dass Banken einfach als systemrelevant erklärt werden und in letzter Konsequenz nicht Pleite gehen können. Dieses Konstrukt widerspricht jeglichem marktwirtschaftlichen Verständnis und darf - wenn überhaupt - nur sehr kurzfristig gelten. Die genannte Verwerfung innerhalb Europas wird sich dann jedoch hin zur Unterscheidung zwischen Euro-Ländern und Nicht-Euro-Ländern verschieben.

Systemisch gerechtfertigte und populistisch motivierte Ansätze

Doch selbst um die kleine Einheit der Euro-Länder zu erreichen, müsste es zur Beseitigung einer dritten Bruchlinie kommen, die quer durch die politische Landschaft verläuft: Politisch motivierte Regulierungstendenzen innerhalb Europas und insbesondere Deutschlands gefährden die volkswirtschaftliche Rolle der Banken. Dabei geht es nicht um die Frage, ob überhaupt reguliert werden sollte - die Einigkeit darüber besteht sowohl parteiübergreifend als auch in den Banken. Vielmehr geht es um den Unterschied zwischen systemisch gerechtfertigten Regulierungsbestrebungen und eher populistisch motivierten Ansätzen.

Zu Ersteren zählen Vorhaben wie Basel III und seine Umsetzungen in der Capital Requirements Directive (CRD) IV beziehungsweise der Capital Requirement Regulation (CRR) I oder die OTC-Derivateregulierung EMIR. Obgleich ihre kumulierte Wirkung auf die einzelnen Institute nicht ausreichend untersucht wurde und daher noch nicht klar abzuschätzen ist, dienen diese Regulierungen einem sinnvollen Ziel: Sie begrenzen die Risiken im Finanzsektor.

Hingegen sind Maßnahmen wie die Finanztransaktionssteuer, ein mögliches Trennbankensystem oder eine Bürokratisierung des Bank-Kunden-Verhältnisses - man denke an die ausführlichen Beratungsprotokolle, die selbst Kunden ein Dorn im Auge sind, und nebenbei bemerkt den Direktbanken erhebliche Wettbewerbsvorteile verschaffen - nicht von solch rationalen Erwägungen getrieben. Das Problem liegt darin, dass auf diesem Feld von koordinierten Aktivitäten keine Rede sein kann. So ist das Ziel, eine europaweit einheitliche Finanztransaktionssteuer einzurichten, längst zu den Akten gelegt. Stattdessen gibt es nun Bestrebungen über die verstärkte Zusammenarbeit einiger willigen EU-Länder, diese einzuführen - ohne Großbritannien versteht sich. Die Folgen sind absehbar, denn Kapital ist mobil: Der Trend der vergangenen Jahre zur Kapitalflucht in den sogenannten "Schattenfinanzbereich" wird sich weiter verstärken.

Schon heute verwalten die "Nicht-Banken", also Pensionsfonds, Geldmarktfonds, Hedgefonds, Private-Equity-Häuser, rund 67 Billionen US-Dollar - Tendenz steigend. Dass dies in einem weitgehend unregulierten Umfeld geschieht, ist dort unproblematisch, wo der Schattenbankenmarkt keine externen Effekte verursacht. Es wird aber kritisch, wenn in diesem Bereich Kreditgeschäfte und Fristentransformation wie im Bankgeschäft stattfinden. Es bedarf einer klaren Regel: Gleiche Aktivitäten müssen auch gleich behandelt werden. Ansonsten wird der Weg zum Schlupfloch unwiderstehlich. Natürlich ist das aufgrund der unterschiedlichen vertraglichen Gestaltung zwischen den regulierten und unregulierten Märkten nicht einfach. Das aber kann nicht bedeuten, der Regulierungsarbitrage sehenden Auges Vorschub zu leisten.

Direkte Kosten und indirekte Belastungen

Die Auswirkungen auf den regulierten Bereich der Finanzindustrie sind immens. Denn neben den direkten Kosten, die sich aus der Regulierung ergeben, haben Banken und Volkswirtschaften die indirekten Belastungen zu tragen. Zu den direkten Kosten zählen die Aufwendungen für die erweiterten Berichtspflichten ebenso wie die Kapitalkosten für das zusätzlich vorzuhaltende Eigenkapital, die erhöhten Refinanzierungskosten oder die Belastungen aus der deutschen Bankenabgabe, welche nur ganz wenige Banken - zum Beispiel unser Haus - mit erheblichen Volumina aufbringen müssen.

Zu den indirekten Kosten - und das ist viel gravierender - zählt vor allem der Verlust an volkswirtschaftlicher Dynamik. Denn durch die verstärkte und zum Teil unkoordinierte Regulierung verliert der Bankensektor insgesamt an Attraktivität für Investoren. Eigenkapital wird teurer, wenn es überhaupt einzuwerben ist. In dem Ausmaß, in dem der Bankensektor als Intermediär eine wichtige Rolle für die nichtfinanziellen Unternehmen und Haushalte spielt, ist damit ein Verlust an Funktionsfähigkeit und Effizienz verbunden. Das gegenwärtige Verhalten der Banken in ganz Europa ist unter diesen Voraussetzungen zwingend: Sie reduzieren ihre Risikoaktiva, um den gestiegenen Eigenkapitalanforderungen gerecht zu werden. Dass dies mit einer restriktiveren Kreditvergabe einhergehen muss, lehren uns die Grundrechenarten. Es besteht also die Gefahr, dass die Banken künftig ihrer volkswirtschaftlichen Rolle als Finanziers von Wachstum und wirtschaftlicher Dynamik nur noch begrenzt nachkommen können - und das in einem Wirtschaftsraum wie der EU, wo rund 70 Prozent der externen Unternehmensfinanzierung über Bankkredite läuft.

Ein Level Playing Field als entscheidendes Ziel

Die Schlussfolgerung aus dieser Betrachtung ist ernüchternd: Ein wirkliches Level Playing Field gab es noch nie. Aber gerade heute ist die Gefahr besonders groß, dass sich unter anderem durch die regulatorischen Rahmensetzung die Ungleichheit weiter verstärkt und sich die Wettbewerbsbedingungen nachhaltig verschieben.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Regulierung ist notwendig und wichtig - die Übertreibungen im Finanzsektor und insbesondere in kundenfernen Teilen des Bankgeschäfts, die in der Vergangenheit zu sehen waren, dürfen sich nicht wiederholen. Diese Erkenntnis ist längst bei den Banken angekommen, der Kulturwandel in der Branche ist dort, wo die Exzesse vorgekommen sind, in vollem Gange. Dazu haben auch Politiker und Regulatoren entscheidend beigetragen.

Nun darf aber das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden. Andere Volkswirtschaften agieren pragmatisch und haben den Wert eines funktionierenden Bankensektors längst erkannt. Die Europäer hingegen laufen Gefahr, aus der falsch verstandenen Motivation, die vermeintliche "Bestie Finanzmarkt" bändigen zu wollen und der ganzen Welt ein Vorbild zu sein, wenn es um das Aufräumen nach der Finanzkrise geht, Europa selbst aus dem Spiel zu nehmen. Ein Spiel, das im Übrigen gerade durch die regulatorisch noch völlig unbeachteten chinesischen Superbanken zuletzt völlig neue Mitspieler bekommen hat.

Das Plädoyer muss dementsprechend lauten: Gebraucht wird Regulierung mit Augenmaß. Sie wird dort gebraucht, wo sie sinnvoll wirkt. Aber sie muss so ausgestaltet werden, dass der Wettbewerb nicht weiter verzerrt wird. Gebraucht wird zudem eine clevere, den Wettbewerbsaspekt berücksichtigende und damit nicht naive Regulatorik. Gleiches muss überall gleich reguliert werden. Das wäre der beste Weg, in der neuen Normalität ein Stück Stabilität und den Erhalt wirtschaftlicher Dynamik zu gewährleisten.

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