Aufsätze

Mehr Transparenz durch den Derivate Kodex

Kein Zweifel, Zertifikate sind eine ausgesprochene Wachstumsbranche. Gemessen an dem investierten Volumen von Privatanlegern legte der Markt in 2006 um gut 30 Prozent auf 110 Milliarden Euro zu. Dabei sind die Investoren mit dem Anstieg des Aktienmarkts 2006 mutiger geworden: Sie verzichteten zunehmend auf die vollständige Kapitalabsicherung in Form von Garantiezertifikaten zugunsten eines höheren Renditepotenzials in Bonus- und Expresszertifikaten.

Gegenüber dem Stand vor zwei Jahren errechnet sich eine satte Verdoppelung des investierten Volumens. Und das Wachstum des Derivatemarkts dürfte sich fortsetzen. Die Transparenz- und Qualitätsoffensive des Derivate Forums trägt dazu bei, dass Zertifikate zunehmend die breite Bevölkerung erreichen.

Vor diesem Hintergrund ist für das Jahr 2007 eine weitere Steigerung des Anlagevolumens auf über 130 Milliarden Euro zu erwarten.

Fondsindustrie zum Vorbild

Vor allem die gut informierten "Selbstentscheider" unter den Anlegern haben inzwischen die zahlreichen Vorteile von Zertifikaten entdeckt. Hingegen herrscht bei vielen durchschnittlich informierten Anlegern wie auch bei manchen Bankberatern noch viel Skepsis gegenüber der jungen Anlageklasse. Geldanlage ist letztendlich Vertrauenssache. Der noch vor Jahrzehnten mit Argwohn betrachteten Fondsindustrie gelang es über die Jahre, vornehmlich über Selbstregulierung wie beispielsweise Wohlverhaltensrichtlinien, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen.

Auch die Zertifikatebranche muss jetzt in vertrauensbildende Maßnahmen investieren. Ein wichtiger Baustein in der Transparenz- und Qualitätsoffensive des Derivate Forums, der Interessengemeinschaft von neun großen Emittenten, stellt dabei der zum 1. Januar 2007 in Kraft getretene Derivate Kodex dar.

Was ist nun der Grund für den Boom des Zertifikatemarkts in den letzten Jahren? Unterstützt durch die liberalen deutschen Prospektbestimmungen konnten die Emittenten in jeder Marktlage schnell und flexibel auf Marktchancen und die Bedürfnisse der Privatanleger - vor allem auf deren Wunsch nach mehr Sicherheit als bei direkten Aktieninvestments - reagieren.

Somit gelang es der Derivateindustrie, als Innovationsmotor der deutschen Finanzbranche Gas zu geben. Deutsche Emittenten derivativer Wertpapiere sind übrigens nicht nur hierzulande, sondern auch international erfolgreich: Sie exportieren ihre Produktinnovationen nach Italien, Österreich, Tschechien, Frankreich, Portugal, in die Schweiz und nach Hongkong und spielen auf diesen Märkten, die noch enormes Potenzial bieten, häufig eine führende Rolle.

Gesetzliche Regulierung würde Innovationsfähigkeit gefährden

Mit dem starken Zuwachs an investierten Vermögen in Zertifikaten wird bei manchen Marktbeobachtern der Ruf nach einer stärkeren gesetzlichen Regulierung der Branche laut. Eine Beschneidung der liberalen deutschen Prospektbestimmungen würde jedoch die Innovationsfähigkeit der international erfolgreichen Branche gefährden, Marktchancen nehmen und letztendlich zum Abbau von Arbeitsplätzen führen.

Was beim Ruf nach stärkerer Regulierung nicht immer beachtet wird: Anleger werden heute bereits durch eine Vielzahl an Gesetzen geschützt - das Wertpapierprospektgesetz, das Wertpapierhandelsgesetz, die Börsengesetze - etwa vor unrichtigen Angaben in Prospekten, vor Insiderhandel oder vor Ungleichbehandlung an den Börsen. Die Umsetzung der MiFID wird die Aufklärungspflichten zudem noch erheblich erweitern. So ist es nicht verwunderlich, dass kürzlich eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen an die Bundesregierung ergeben hat, dass derzeit keinerlei regulatorischer Handlungsbedarf besteht.

Transparenz im Wege der Selbstregulierung

Dies eröffnet der Branche die Möglichkeit, im Wege der Selbstregulierung die Entwicklung des Marktes voranzutreiben und damit für noch mehr Transparenz zu sorgen. Nach wichtigen Bausteinen wie Marktvolumensstatistik und Value-at-Risk-Tool hat das Derivate Forum nun einen Kodex für die Derivatebranche entwickelt. Ziel des Derivate Kodex ist es, eine spezifische Derivatekultur zu schaffen und so das Vertrauen in Emittenten und Produkte zu stärken, Transparenz vorzuleben und den Ausgleich der verschiedenen Interessen im Markt zu moderieren.

Dazu formuliert der Derivate Kodex klare Leitlinien für die Strukturierung, die Emission, den Vertrieb, das Marketing und den Handel derivativer Wertpapiere. Die drei wesentlichen Bestandteile des Derivate Kodex sind die Produktklarheit, eine ausgewogene Darstellung von Chancen und Risiken sowie die Bereitstellung aktueller Emittenteninformationen.

Sachgerechte Meinungsbildung fördern

Der erste Aspekt, die Produktklarheit, umfasst die einfache und eindeutige Darstellung der Produkteigenschaften und der Produktstruktur. Dies beinhaltet, die dargebotenen Informationen verständlich aufzubereiten, die Informationen zum Basiswert zu überprüfen, die Zusammensetzung der Basiswerte offenzulegen sowie die Wertentwicklung der Produkte ab Emission darzustellen. Für die Beschreibung des Basiswertes bedeutet dies, dass die Emittenten verpflichtet werden, nur geprüfte und aus seriösen Quellen kommende Informationen zu Basiswerten anzubieten, um so bei den Anlegern eine sachgerechte Meinungsbildung zu fördern.

Darüber hinaus ist bei selbst erstellten Basiswerten transparent darzustellen, wie diese sich zusammensetzen. Um die Vergleichbarkeit von Zertifikaten mit anderen Finanzinstrumenten zu verbessern, wird darüber hinaus auch die Wertentwicklung nach Emission des Papiers aufgezeigt. Rendite- und Risikopotenziale werden benannt und durch Modellrechnungen, bei denen die wesentlichen Annahmen offenzulegen sind, ergänzt. All diese Informationen tragen zur Produktklarheit bei.

Der zweite Kernaspekt des Derivate Kodex stellt die ausgewogene Darstellung der Chancen und Risiken dar. Da Wertpapierprospekte immer weniger Beachtung seitens der Investoren finden, rücken die Marketingunterlagen der Emittenten stärker in den Fokus der Anleger. Um den Verbraucher noch besser aufzuklären, müssen unter dem Kodex Chancen und Risiken der Produkte in Broschüren und andere Produktinformationen in einem angemessenen Verhältnis dargestellt werden.

Als Maß für die Höhe des Risikos wird dazu der Value at Risk als Standard etabliert, um so auch Privatanlegern ein professionelles Tool an die Hand zu geben. Mit den über die Webseite des Derivate Forums verfügbaren Value-at-Risk-Zahlen kann der Anleger zu jeder Zeit überprüfen, ob die Zusammensetzung seines Zertifikatedepots noch mit seinem aktuellen Risikoprofil übereinstimmt.

Die Darstellung des Emittentenrisikos und die Aktualität der Emittenteninformationen ist der dritte wichtige Kodex-Bestandteil. Dazu ein Beispiel: Kauft ein Anleger heute ein Zertifikat aus dem Jahr 1999, findet er in dem entsprechenden Prospekt nur die Emittentenbeschreibung der emittierenden Bank von 1999; die Veränderungen des Instituts in den letzten sieben Jahre werden darin nicht wiedergegeben. Der Kodex fordert daher, an einer leicht zugänglichen Stelle auf der Derivatewebseite der Emittenten jeweils den aktuellen Prospekt, neue Unternehmensinformationen und das gültige Rating zur Verfügung zu stellen. Damit bewirkt der Derivate Kodex zweierlei: Aktualität und Offenheit.

Keine Offenlegung der "Produktionskosten"

Denn nur mit der Veröffentlichung relevanter Informationen im Internet lässt sich Aktualität herstellen. Zudem hat sich das Web als die Plattform für den modernen Anleger durchgesetzt. Folglich setzt das Derivate Forum immer dort, wo es darum geht, dem Anleger Informationen zur Verfügung zu stellen, stark auf das Medium Internet.

Der zweite Aspekt zum Thema Emittenteninformationen betrifft die Offenlegung der Rechts- und Haftungsverhältnisse: Immer dann, wenn sogenannte Special Purpose Vehicles, die eigens zur Emission von Zertifikaten eingerichtet wurden, genutzt werden, wird deren Verhältnis zu ihren Mutterhäusern offengelegt. Somit schafft der Kodex hier Transparenz, damit der Anleger erkennen kann, mit wem er kontrahiert.

Laut Derivate Kodex weisen die Emittenten in ihren Verkaufsinformationen auch darauf hin, dass der "Preis der Produkte auf den jeweiligen Preisfindungsmodellen der Unterzeichner basiert und einen für den Anleger nicht erkennbaren Aufschlag auf den rein mathematischen Wert aus diesen Modellen enthalten kann". Die Kosten, um ein Wertpapier zu erstellen, können die Emittenten allerdings nicht offenlegen. Denn das interne Pricing der einzelnen Häuser unterliegt bestimmten Annahmen und Erwartungen, beispielsweise über Schwankungen bestimmter Basiswerte oder über künftige Dividendenzahlungen. Wettbewerbsgründe verbieten, diese Produktionskosten zu nennen.

Damit befindet sich die Derivatebranche übrigens in guter Gesellschaft: In der gesamten Finanzindustrie - und auch in anderen Branchen - ist es nicht üblich, die eigenen Kosten für die Herstellung von Produkten aufzudecken.

Transparenz bei den Vertriebsprovisionen

Ganz anders verhält es sich aber mit den Vertriebsprovisionen. Das Derivate Forum unterstützt, dass Provisionen hier transparent gemacht werden. Provisionen und Aufschläge werden durch die MiFID geregelt. Sobald das deutsche Umsetzungsgesetz bekannt ist, was vermutlich im Frühjahr dieses Jahres der Fall sein dürfte, wird das Derivate Forum den Kodex entsprechend anpassen.

Der Derivate Kodex stellt den Beginn einer Qualitätsoffensive dar: Mit dem Kodex haben sich neun Banken, die unterschiedlichen Rechtssystemen entstammen, auf eine einheitliche Kultur verpflichtet und ein neues Ausgangsniveau für die weitere Entwicklung definiert. Um kenntlich zu machen, welche Emittenten sich den Regeln des Kodex unterworfen haben, hat das Derivate Forum ein Prüfkennzeichen entwickelt. Es zeichnet diejenigen aus, die sich an die Regeln des Kodex halten und wird ab sofort auf Broschüren, Anzeigen, Internetseiten und in weiteren Informationsmaterialien verwendet.

Intensive Arbeit an der Umsetzung

Wie sind nun die ersten Erfahrungen mit dem Kodex? Um es kurz zu fassen: Ausgesprochen positiv. Bei den Kunden ist die Vorstellung des Derivate Kodex auf sehr großes Interesse gestoßen. Darüber hinaus hat der Kodex bei den Emittenten eine ganze Reihe von Aktivitäten hervorgerufen. Vor allem zum Thema Transparenz im Internet sind zum Teil noch Anpassungen nötig. Alle Emittenten, die dem Derivate Forum angehören, arbeiten intensiv an der Umsetzung des Kodex.

Darüber hinaus sorgt der harte Wettbewerb im Zertifikatemarkt für eine Verbreitung der im Kodex formulierten Standards in der gesamten Branche. So gab HSBC Trinkaus & Burkhardt bekannt, bereits jetzt sämtliche Anforderungen des Derivate Kodex zu erfüllen. Allerdings räumt das Institut ein, dass es nicht Mitglied des Forums ist und damit auch nicht berechtigt ist, das Gütesiegel "Derivate Kodex" zu tragen. Das Derivate Forum überprüft nur bei Mitgliedern (und kann nur bei ihnen überprüfen), ob sie die Anforderungen des Kodex wirklich einhalten.

Es bestehen dabei auch Sanktionsmöglichkeiten. Werden Verstöße gegen den Kodex oder dessen Nichteinhaltung bei Mitgliedern bekannt, wird es Gespräche mit dem betreffenden Finanzinstitut geben. Bei weiteren Verstößen spricht das Derivate Forum eine Verwarnung aus und nach zweifacher Verwarnung erfolgt der Ausschluss des Emittenten. Nichtmitglieder kann der Branchenverband natürlich nicht sanktionieren.

Entwicklung eines Produktratings für Zertifikate

Der Kodex wird regelmäßig überprüft und an die nationalen und europäischen Marktbedingungen angepasst. Dies wird die Qualität des Kodex ständig verbessern und somit für noch mehr Transparenz sorgen.

Auch im Jahr 2007 wird das Derivate Forum weitere Standards setzen: Die nächsten Meilensteine sind die Entwicklung eines aussagefähigen Produktratings für Zertifikate sowie die Ausbildung von Kundenberatern im Vertrieb von Derivaten. Die Bankberater werden dann lernen, wie sie die Asset Allokation ihrer Kunden vom Kopf auf die Füße stellen können: Wie sie also nicht im Stock Picking, sondern in Chance-Risiko-Profilen beraten können. Das wird die private Kapitalanlage revolutionieren. Und mit den Weg öffnen, dass Anlagezertifikate immer mehr die breite Bevölkerung erreichen.

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