Aufsätze

Die neuen Liquiditätsvorschriften nach Basel III - Nachbesserungen und empirische Fundierung unverzichtbar

In Reaktion auf die weltweite Finanzmarktkrise 2008 hat der Baseler Ausschuss im Dezember 2009 seine Empfehlung "International framework for liquidity risk, measurement, standards and monitoring" vorgelegt, die quantitative Liquiditätsregeln in Form der Liquidity Coverage Ratio (LCR) und der Net Stable Funding Ratio (NSFR) vorsieht. Diese Vorgaben des Baseler Ausschusses stellen die Grundlage der Liquiditätsvorschriften im Entwurf der EU Capital Requirements Regulation (CRR) dar. Die CRR durchläuft derzeit als EU-Verordnung parallel zur Richtlinie Capital Requirements Directive IV (CRD IV) den europäischen Gesetzgebungsprozess, der möglichst im ersten Halbjahr 2012 abgeschlossen sein soll. Die NSFR wurde dabei zunächst aus dem Regelungsvorhaben herausgenommen. Lediglich Einzelpositionen, die zur Ermittlung dieser Kennzahl notwendig sind, werden als Komponenten einer stabilen Refinanzierung genannt (Art. 414f. CRR).

Erheblicher Einfluss auf die Geschäftsmodelle

Die LCR, die im Art. 400ff. CRR geregelt wird, hat in der aktuellen Ausgestaltung erheblichen Einfluss auf die Geschäftsmodelle vieler Banken in ganz Europa und insbesondere auf deren Eigenanlagen. Wenn die LCR in der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Form eingeführt würde, könnten größere Portfolioumschichtungen nicht ausgeschlossen werden, die letztlich zum Austrocknen einzelner Marktsegmente oder sogar Instabilitäten an den Finanzmärkten führen. Für erstmals vorgegebene Liquiditätsregeln gibt es nicht nur ein De-sign-Problem, sondern auch die Herausforderung, wie man auf die neuen Regeln störungsfrei übergehen könnte.

Die quantitative Liquiditätskennzahl LCR setzt hochliquide Aktiva ins Verhältnis zu gestressten Nettozahlungsmittelabflüssen der nächsten 30 Tage, wobei eine Mindestliquiditätsquote von 100 Prozent einzuhalten ist. Im Ergebnis bedeutet dies, dass alle Institute einen Bestand an liquiden Aktiva halten müssen, um auch unter den Bedingungen einer marktweiten oder institutsindividuellen Liquiditätskrise alle Zahlungsverpflichtungen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit erfüllen zu können.

Dieser Denkansatz ist nicht zu kritisieren, allerdings die Vorschläge zu seiner Umsetzung, insbesondere, welche Aktiva als liquide Mittel anerkannt werden und wie der Nenner der LCR zu berechnen ist (Nettozahlungsmittelabflüsse).

Die genossenschaftliche Finanzgruppe verfügt über ein seit vielen Jahrzehnten ohne Ausnahme funktionierendes Liquiditätssteuerungssystem, das den realen Stresstest der Finanzmarktkrise und Staatsschuldenkrise ohne Schwierigkeiten bewältigt hat und auch alle anderen Krisen zuvor. Dieser empirische Befund ist von viel größerer Bedeutung als die am grünen Tisch in Basel und Brüssel neu konzipierten Liquiditätskennziffern, die keinerlei empirischen "track record" aufweisen. Es darf nicht dazu kommen, dass Banken und Bankengruppen, die selbst schwierigste Marktphasen ohne Liquiditätsanspannungen bewältigen konnten, in aufsichtsrechtlichen Kennzahlen als nicht hinreichend liquide erscheinen und deshalb gegebenenfalls massive Anpassungen vornehmen müssen.

Hoher Einlagenüberhang

Nach dem Motto "If it's not broken, don't fix it" sollte man behutsam vorgehen, denn neue Regeln können Wirkungen haben, die ex ante schwer einschätzbar sind. Gründe für die komfortable Liquiditätssituation der genossenschaftlichen Finanzgruppe sind die Vielfalt und große Zahl kleiner und mittlerer Genossenschaftsbanken, die stark diversifizierend wirken, sowie die ausgeprägte Finanzierung über Kundeneinlagen. Diese sind auf Verbundebene rund 35 Milliarden Euro höher als die Forderungen an Kunden. Auf Ebene der Primärbanken beträgt der Einlagenüberhang nicht weniger als etwa 100 Milliarden Euro. Das sind gute Voraussetzungen für hohe Liquidität.

Die genossenschaftlichen Zentralbanken bündeln die Liquiditätsüberschüsse der Einzelinstitute und sorgen innerhalb des Netzwerks der Primärbanken und Verbundunternehmen für einen Liquiditätsausgleich. Überschüsse werden am Geld- oder Kapitalmarkt platziert. Damit profitieren die Einzelinstitute von einer unkomplizierten und sehr zuverlässigen Liquiditätssteuerung. Die genossenschaftliche Zentralbank wiederum erhält einen indirekten Zugang zum Retailfunding.

Dennoch drohen im neuen Liquiditätsregime zum Beispiel Kostennachteile gegenüber Wettbewerbern, da verbundinterne Geschäfte eine Pflicht zur Haltung bisher nicht notwendiger Aktiva auslösen. Dies könnte massive Umschichtungen im Depot A der Banken sowie Veränderungen im Geschäftsmodell bei verschiedenen Banken vor Ort zur Folge haben, wenn in dem laufenden Rechtssetzungsverfahren in Brüssel nicht noch Änderungen kommen. Ferner würde der kurzfristige Liquiditätsausgleich innerhalb der genossenschaftlichen Finanzgruppe wegen der neuen Anforderungen erschwert. Anlagen der Primärbanken bei den Zentralbanken würden gegenüber sektorexternen Anlagen benachteiligt. Die Modalitäten des verbundinternen Zahlungsverkehrs wären aufgrund der vorzuhaltenden Aktiva neu zu konzipieren.

Die beiden Umsetzungsalternativen: LCR auf Solo-Basis oder für den Verbund

Damit stellt Basel III die genossenschaftliche Finanzgruppe vor eine große Herausforderung, die zur Frage führt: Wie kann im neuen Regime dieses erfolgreiche Verbundsystem, auch im Interesses der Stabilität des Finanzmarktes insgesamt, erhalten bleiben? In den neuen Vorschriften der CRR sind grundsätzlich zwei Möglichkeiten vorgesehen, die im europäischen Rechtssetzungsprozess noch weiterentwickelt werden können:

- Einhaltung der LCR in jeder der 1121 Primärbanken.

- Erfüllung der LCR auf Ebene des gesamten Netzwerkes der zur genossenschaftlichen Finanzgruppe gehörenden Banken.

Hinsichtlich der zweiten Alternative ist in Art. 7, Abs. 2 der CRR für die nationale Aufsichtsbehörde die Möglichkeit des Verzichts (Waiver) auf die Einzelanwendung der LCR zugunsten der Erfüllung auf Konzernebene (konsolidierte Erfüllung im Konzern) oder auf Verbundebene (Mitglieder derselben Sseic-herungseinrichtung) vorge hen. Dies bedeutet, dass die LCR-Kennziffer aus den zusammengefassten Geschäftspositionen der gesamten genossenschaftlichen Finanzgruppe berechnet wird und die Mindestquote auch auf dieser Ebene zu erfüllen ist. Dabei werden Geschäfte zwischen den Verbundinstituten nicht berücksichtigt, da dies Transaktionen im Innenverhältnis sind.

In der Tat, solange ein Netzwerk wie die genossenschaftliche Finanzgruppe als Ganzes liquide ist, ist auch jede einzelne Primärbank, jede Zentralbank und jedes Verbundunternehmen liquide. Allerdings erfordert dieses Modell neue Steuerungsprozesse und veränderte rechtliche Rahmenbedingungen, die in Einklang mit der dezentralen Struktur des Verbundes gebracht werden müssen.

Nachbesserungsbedarf bei der LCR

Unabhängig von der Option, die LCR auf Verbundebene zu berechnen, gibt es substanziellen Nachbesserungsbedarf in der LCR-Kennzahl als solche.

Der ursprüngliche Entwurf definiert den vorzuhaltenden Liquiditätspuffer der Institute zu eng und nicht risikogerecht. Aufgrund der einseitigen Privilegierung vor allem von Staatsanleihen würden Risikokonzentrationen befördert werden. Außerdem nähme das systemische Risiko im Finanzsystem zu, da die finanziellen Abhängigkeiten zwischen Staaten und Banken erheblich ausgeweitet würden. Ein Aufsichtsstandard darf nicht politisch gesetzt werden. Er sollte nicht Banken de facto zwingen, in Staatsanleihen zu investieren, sondern zum Beispiel die Risikosituation und Liquidierbarkeit von Aktiva möglichst realitätsnah berücksichtigen. Daher hat der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken sowohl als diesjähriger Federführer der Deutschen Kreditwirtschaft als auch über die European Association of Co-operative Banks unter anderem folgende Änderungen in Brüssel gefordert:

a) Nachbesserungen im Zähler - Definition der berücksichtigten Aktiva:

- Eindeutige und weiter gefasste Definition der hochliquiden und liquiden Aktiva in Art. 404, Abs. 1 CRR, um die Realität der Märkte besser zu berücksichtigen.

- Streichung der generellen Nichtberücksichtigung von ungedeckten Bankschuldverschreibungen als liquide Aktiva (Art. 404, Abs. 2 (a) CRR).

- Anrechnung von liquider Aktiva in Investmentfonds (Spezialfonds) ohne Begrenzung; derzeit Anrechnungsgrenze in Höhe von 250 Millionen Euro vorgesehen (Art. 404, Abs. 5 CRR).

Aufhebung der eingeschränkten Anerkennung von Pfandbriefen/gedeckten Schuldverschreibungen (von maximal 40 Prozent) durch Streichung des Art. 405 (b) CRR.

b) Geforderte Nachbesserungen im Nen ner (Nettozahlungsmittelabflüsse) der LCR:

- Streichung der Limitierung der Zahlungsmittelzuflüsse auf 75 Prozent der Zahlungsmittelabflüsse in Art. 413, Abs. 1 CRR.

- Aufhebung der Asymmetrie in Art. 413, Abs. 2 (c) bei der Anwendung von Art. 410, Abs. 4 CRR für Institute eines Liquiditäts- und Haftungsverbundes. Damit würde für Einlagen von Einzelinstituten bei ihren Zentralinstituten gelten: Einem Zahlungsmittelabfluss von 25 Prozent bei der genossenschaftlichen Zentralbank steht auch ein symmetrischer Zahlungsmittelzufluss von 25 Prozent anstatt den bislang vorgesehenen null Prozent bei den Instituten gegenüber. Innerhalb eines Liquiditätsverbundes von Genossenschaftsbanken oder Sparkassen verschwinden nicht einfach 25 Prozent der Mittel; die in der LCR von der Kommission vorgeschlagene rechnerische Kürzung stünde daher im Widerspruch zur gelebten Praxis.

Auswirkungen besser untersuchen

Der Abstimmungsprozess der Gesetzestexte (CRD IV und CRR) wird derzeit im Europäischen Parlament durch den Bericht von Othmar Karas mit seinen zahlreichen Änderungsanträgen hierzu diskutiert. Zeitgleich werden von der derzeit amtierenden dänischen EU-Ratspräsidentschaft Änderungen am Kommissionsvorschlag vorbereitet.

Das zentrale Problem der neuen Liquiditätsregeln ist und bleibt deren fehlende empirische Fundierung. Während man mit der Eigenkapitalregulierung seit 1984 internationale Erfahrungen hat, gibt es bisher keine abgestimmten Liquiditätsvorschriften.

Unerwünschte Marktreaktionen nicht zulassen

Liquiditätsregeln wirken aber ohne lange Reaktionszeiten und bergen daher erhebliche Risiken im Design und der Umsetzung. Deshalb sollten die Vorschläge der Kreditwirtschaft in Europa ernst genommen und von den Regulatoren bewertet werden.

Dabei sollten vor allem die Auswirkungen der Regeln anhand einer Studie, die auf verlässlichen Daten basiert, besser einschätzbar werden. Insofern ist die vorgesehene Beobachtungsperiode in den Jahren 2013 und 2014 ein zentrales Element, um eine hohe Qualität der Liquiditätsregel LCR sicherzustellen. Dies setzt neben den empirischen Befunden die Bereitschaft der Regulatoren voraus, Änderungen vorzusehen und nicht erst un erwünschte Marktreaktionen ablaufen zu lassen.

Banken und Aufsicht sind noch recht weit unten auf der Lernkurve der Liquiditätsvorgaben. Die Zeit sollte genutzt werden, um die Qualität des neuen Liquiditätsregimes zu steigern, damit es tatsächlich einen Beitrag zu mehr Stabilität liefern kann.

Unabhängig hiervon stellt sich eine anderes Problem: Die LCR ist im Wesentlichen als starre Regel definiert, die nicht flexibel, jedenfalls nicht automatisch auf Änderungen reagieren wird. Wie am Beispiel der Staatsanleihen einiger Länder der Eurozone deutlich wurde, können Aktiva, die heute als hoch liquide gelten, morgen ganz anders einzuschätzen sein. Diese Flexibilität ließe sich am besten dadurch erreichen, dass man auf das Kriterium Zentralbankfähigkeit von Aktiva abstellt.

Mehr Raum für die Zentralbankfähigkeit

Die Notenbank, zum Beispiel die EZB, definiert in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation an den Märkten, welche Aktiva sie als Sicherheiten akzeptieren möchte. Dieser Gedanke ist in den jetzt diskutierten Vorschlägen allenfalls rudimentär vorhanden. Um starre und damit in bestimmten Marktlagen unangemessene Regeln zu vermeiden, sollte der Zentralbankfähigkeit mehr Raum gegeben werden.

Gerhard Hofmann , Mitglied des Vorstands , Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (BVR), Berlin
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