Leserbrief

Noch einmal: Value at Risk versus MgM-Methode

Jürgen Singer hat in dieser Zeitschrift Nr. 22-2013 die Schwächen der Value-at-Risk-Methode (VaR) überzeugend herausgestellt. Statt dieser Methode schlägt er die MgM-Methode (Mit gesundem Menschenverstand) vor. So gut dieser Ansatz ist, so gibt es dabei doch einige Schwächen, auf die im Folgenden eingegangen wird. (Anmerkung der Redaktion: Eine erste Replik von Dr. Christian Sievi zu dem Diskussionsbeitrag von Prof. Singer wurde in ZfgK 1-2014 veröffentlicht.)

Bei Beurteilungen von Modellen ist es prinzipiell sinnvoll, zwischen einem Idealtyp und einem Realtyp zu unterscheiden. Im Falle des Idealtyps gelten die in der Regel restriktiven Annahmen als erfüllt. Hier ist die MgM-Methode überlegen, da ein idealer gesunder Menschenverstand die Probleme richtig erfassen und lösen wird. Dagegen zeigen sich Schwächen der VaR-Methode, die Singer ein "Schönwetterverfahren" nennt. Wesentlicher Kritikpunkt aus meiner Sicht ist die Vergangenheitsorientierung der VaR-Methode. Damit kann dieses Modell nur Aussagen über mögliche Szenarien liefern, wenn diese irgendwann bereits in der Vergangenheit vorkamen. Die Erfahrung lehrt, dass jede Krise einmalig ist, womit die Gefahr besteht, dass sie modellmäßig nicht erfasst wird.

Schwächen bei beiden Methoden

Betrachtet man den Realtyp, in dem die idealisierenden Annahmen nicht erfüllt werden, zeigen sich bei beiden Methoden Schwächen. Ein häufig vorkommender Fehler bei der VaR-Methode liegt in einer zu kurzen Historie. Aber auch die MgM-Methode weist Schwächen auf: Diese Methode basiert auf der Annahme, dass ein kritischer Geist neutral alle Daten erfasst, auswertet und Konsequenzen daraus zieht. Dies kann aber auch bedeuten, dass sich Entscheidungen aus der Vergangenheit als falsch erweisen. Voraussetzung hierfür ist eine offene Unternehmenskultur.

Insbesondere muss auch die oberste Leitungsebene bereit sein, den gesunden Menschenverstand aller Ebenen im Unternehmen aufzunehmen und zu würdigen. Kritische Meinungen von Mitarbeitern sind nicht nur zuzulassen, sondern sogar zu fördern. Inwieweit diese Voraussetzungen in einem Unternehmen bestehen, muss jeweils individuell beurteilt werden.

Überhöhte Gewinnerwartungen

Darüber hinaus resultieren viele Fehlentwicklungen der Vergangenheit aus zwei Missständen: Überhöhte Gewinnerwartungen, die die Geschäftsleitung erfüllen muss, und der Druck auf kurzfristige Gewinnmaximierung, das heißt der Zwang für die Geschäftsleitung, in jedem Quartal hohe Gewinne auszuweisen, auch wenn dies einer nachhaltigen Entwicklung widerspricht. Die genannten Punkte drohen, die guten Ergebnisse, welche die MgM-Methode liefern könnte, infrage zu stellen. Es sei auf folgende Beispiele hingewiesen, die sich beliebig erweitern lassen:

- War der persönliche Druck auf die Geschäftsleitung einer Bank, auch in einem schwierigen Umfeld gute Gewinne zu erzielen, nicht oft so hoch, dass diese Gewinnerwartungen nur mit Investitionen in Papiere schlechter Bonität erzielt werden konnten?

- Im Kundenkreditgeschäft kann der Ertragsdruck, ausgelöst von Gesellschaftern oder Aufsichtsräten, so intensiv sein, dass auch Engagements mit schlechtem Rating eingegangen werden. Wird bei einem Hinweis auf die damit vorhandenen Risiken nicht oft geantwortet, dass man diese Risiken schon einschätzen könne und die Fehler anderer nicht wiederholen werde? Werden Hinweise auf Risiken der Wachstumspolitik nicht allzu oft dann in den Wind geschlagen, wenn sich zunächst die Erträge deutlich verbessern, während die Aufwendungen durch Wertberichtigungen erst mit zeitlicher Verzögerung eintreten?

- Karrierebewusste Mitarbeiter müssen und wollen zeigen, dass sie erfolgreich sind. Besteht hier nicht die Gefahr, dass die persönliche Profilierung dazu führt, überhöhte Risiken für das Unternehmen einzugehen, um auch den eigenen Nutzen zu maximieren, und Warnungen zu vernachlässigen, die Risiken für das Unternehmen könnten zu hoch werden?

Grundlegende menschliche Schwächen können den Erfolg der MgM-Methode vereiteln: die Gier nach Anerkennung oder Gewinn sowie die Schwäche, eigene Fehler einzugestehen. Auch der gesunde Menschenverstand braucht ein Korrektiv. Zum einen mag dieses Korrektiv darin bestehen, dass das Unternehmen eine Kultur ausbildet, die eine kritische Auseinandersetzung mit allen Themen ermöglicht. Eine derartige Unternehmenskultur kann aber nicht von oben verordnet werden, sondern muss von der Geschäftsleitung vorgelebt werden und im Unternehmen im Laufe der Jahre wachsen.

Unternehmenskultur fördern

Zum anderen kann das Korrektiv auch darin bestehen, dass Modelle quantitative Warnhinweise geben, die dann bearbeitet werden müssen. Wenn die VaR-Methode (basierend auf vergangenheitsorientierten Werten) verwendet wird, muss die Historie entsprechend lang sein, gegebenenfalls mehrere Jahrzehnte. Hypothetische Szenarien, aber insbesondere inverse Stresstests sind dann als Ergänzung der VaR-Methode unabdingbar. Diesen Szenarien muss immer die Überlegung des gesunden Menschenverstandes zugrunde liegen, dass eine Bank bei jeder Marktentwicklung überleben können muss.

Als Fazit kann festgehalten werden: Die MgM-Methode kann den VaR oder andere Modelle nicht vollständig ersetzen. Auch sie braucht ein Korrektiv. Gesunder Menschenverstand ergänzt um eine geeignete Unternehmenskultur und Modelle werden die besten Ergebnisse liefern.

Die Zwischenüberschriften sind von der Redaktion eingefügt.

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