Interview

Redaktionsgespräch mit Peer Steinbrück "Die Unabhängigkeit der EZB ist ein hohes Gut und steht außer Frage."

Herr Steinbrück, wie muss ein Bundesfinanzminister Stabilität definieren?

Das kann jeder im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 nachlesen. Zu stabilen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gehören nicht nur Preisstabilität, sondern auch ein angemessenes Wachstum, ein hohes Beschäftigungsniveau und ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Leider haben mir meine Vorgänger im Amt keine Zauberformel hinterlassen, wie wir alle Ziele dieses "magischen Vierecks" jederzeit vollständig erreichen können.

Passt die letzte Mehrwertsteuererhöhung zum Anspruch einer stabilitätsorientierten Finanzpolitik? Hatte diese Maßnahme nicht einen erheblichen inflationssteigernden Effekt?

Der Staat braucht eine verlässliche und stabile Einnahmebasis. Sonst ist das Ziel einer soliden Finanzpolitik weder glaubwürdig noch langfristig umsetzbar. Natürlich ist uns die Entscheidung, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, seinerzeit nicht leicht gefallen. Aber mit Ausgabenkürzungen und dem Abbau von Subventionen allein waren die notwendigen Konsolidierungsschritte nicht zu schaffen. Außerdem haben wir ja auch einen Teil der zusätzlichen Einnahmen dazu verwendet, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken.

Heute zeigt sich, das war die richtige Strategie. Im Vorfeld wurden ja geradezu Horrorszenarien zu den negativen Auswirkungen einer Mehrwertsteuererhöhung entworfen. Die damit verbundenen Wachstumseinbußen hielten sich aber in Grenzen und unsere Wirtschaft hat im vergangenen

Jahr ein dickes Plus verzeichnet. Die Große Koalition hat ein klares Signal gegeben, dass sie es mit der Haushaltskonsolidierung ernst meint. Das hat Vertrauen geschaffen.

Sie sprachen vom wichtigen Ziel der Haushaltskonsolidierung. Wie lange können Sie Ihre Kabinettkollegen noch disziplinieren?

Die Haushaltskonsolidierung ist und bleibt weiterhin eines der zentralen Ziele der Großen Koalition: Wir reduzieren im nächsten Jahr die Nettokreditaufnahme nochmals deutlich - und zwar auf das niedrigste Niveau seit der deutschen Wiedervereinigung. Ab 2011 planen wir mit einem Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung. Angesichts dessen entbehren Zweifel am Konsolidierungswillen der Großen Koalition wirklich jeder Grundlage.

Aber es gab doch auch deutliche Kritik, dass Sie diese Ziele schon viel früher hätten erreichen können?

Es gibt immer einige, denen es nicht schnell genug geht. Das sind dann aber erstaunlicherweise oft die Gleichen, die in einem Atemzug Steuersenkungen auf Pump fordern. Das hat sehr viel mit Populismus und nichts mit einer verantwortungsvollen Finanzpolitik zu tun. Wir wollen, dass Deutschland angesichts des steigenden Globalisierungsdrucks und des demografischen Wandels zukunfts- und wettbewerbsfähig bleibt. Deshalb verbindet die Bundesregierung eine konsequente Haushaltskonsolidierung mit wichtigen Investitionen in Bildung, Forschung oder der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sparen ist eben kein Selbstzweck!

Aktuell wird im Rahmen der Föderalismuskommission II eine Reform der verfassungsrechtlichen Verschuldungsgrenze diskutiert. Warum brauchen wir eine Änderung der bisherigen Regelungen?

Weil wir raus aus der Schuldenfalle müssen! Und zwar dauerhaft! Alles andere können wir gegenüber nachfolgenden Generationen nicht verantworten. Der Blick auf den seit den sechziger Jahren dramatisch angestiegenen Schuldenberg zeigt, dass die bestehenden Anreiz- und Sanktionsmechanismen des Art. 115 GG nicht ausreichen. Insbesondere fehlt eine wirksame Verpflichtung, in konjunkturell guten Phasen entsprechend vorzusorgen. Das widerspricht der notwendigen Symmetrie einer antizyklischen Finanzpolitik und ist somit bestenfalls "Keynes light".

Wie könnte eine solche Neuregelung aussehen?

Ich will jetzt nicht unser Modell einer Schuldenbremse im Detail durchdeklinieren. Aber eine neue Schuldenbremse sollte in meinen Augen drei grundsätzliche Anforderungen erfüllen: Erstens muss der Schuldenberg bezogen auf das BIP nachhaltig sinken. Zweitens darf sie nicht mehr auf einen veralteten Investitionsbegriff basieren, wie in der gegenwärtigen Regelung. Und drittens muss eine Neuregelung natürlich mit der Logik und den Vorgaben des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt vereinbar sein.

Also kein grundsätzliches Verschuldungsverbot?

Nein, das wäre - insbesondere für den Bund - ökonomisch nicht sinnvoll. Wir brauchen finanzielle Spielräume, um in konjunkturellen Schwächephasen antizyklisch handeln zu können. Es wäre falsch, wenn wir im Abschwung eine restriktive Finanzpolitik betreiben müssten, also ausgerechnet dann die Steuern erhöhen oder die Ausgaben senken müssten. Damit würde im Ergebnis nur die konjunkturelle Abwärtsbewegung beschleunigt.

Hat sich die Schuldenstruktur des Bundes durch die Arbeit der vor sieben Jahren gegründeten Finanzagentur eigentlich schon entscheidend verbessert?

Die Bilanz der Finanzagentur ist eindeutig positiv. Natürlich hatte der Bund schon vor der Gründung der Finanzagentur ein wirtschaftlich vernünftiges Kreditportfolio. Aber aufgrund der großen Marktkompetenz der Finanzagentur ist unser Instrumentenkasten zur Refinanzierung deutlich angewachsen. Außerdem können wir unseren gesetzlichen Auftrag erfüllen und Marktinnovationen gerade im Privatkundengeschäft heute besser für uns nutzen. Davon profitieren wir - und die Anleger.

Lässt die Geldpolitik der EZB Ihnen ausreichend Handlungsspielraum?

Ich bin sehr zurückhaltend mit Äußerungen zu diesem Thema, da sie gerne medial verzerrt und missverstanden werden. Dies hat sich erst kürzlich wieder gezeigt, als ich darauf hingewiesen habe, dass Zinserhöhungen angesichts der bestehenden Konjunkturrisiken eben auch sehr ambivalente Effekte haben können. Damit habe ich lediglich ökonomische Tatsachen beschrieben. Mir deshalb eine Kritik an der EZB oder gar den Versuch einer Einflussnahme zu unterstellen, ist völlig abwegig. Die Unabhängigkeit der EZB ist ein hohes Gut und steht für mich außer Frage.

Sind die Kriterien des Maastricht- Vertrages eigentlich noch zeitgemäß?

Der Euro ist bisher eine beeindruckende Erfolgsstory, und der Maastricht-Vertrag hat erheblich dazu beigetragen. Schon vor Beginn der Währungsunion hat er die Stabilitätskultur in den Mitgliedstaaten deutlich gestärkt. Ich sehe keine Notwendigkeit, das Vertragswerk zu ändern. Zudem haben wir mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt eine wirksame finanzpolitische Rahmensetzung in den Mitgliedstaaten.

Trifft der Vorwurf zu, der Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde mit der Reform im Jahr 2005 aufgeweicht?

Nein, durch die Reform ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt weniger mechanistisch und dafür ökonomisch rationaler geworden. Wichtig ist, dass wir im präventiven Arm den Grundsatz strukturell ausgeglichener Haushalte besser verankert haben. Das ist für eine stabilitätsorientierte Finanzpolitik in Europa bedeutender als die Frage, ob ein Land einen Monat mehr oder weniger Zeit bekommt, ein - nach den Vorgaben des Paktes - übermäßiges Defizit abzubauen.

Von der aktuellen Entwicklung des

Ölpreises gehen erheblich Stabilitätsrisiken aus. Welches sind aus Ihrer Sicht die angemessenen Antworten der Politik?

Die finden wir nur, wenn wir uns mit den Ursachen dieser Entwicklung auseinandersetzen. Der Anstieg der globalen Nachfrage ist ein langfristiges Phänomen, auf das wir uns einstellen müssen. Es wäre fatal zu glauben, wir könnten diesem strukturellen Anpassungsdruck entgehen, indem wir Preissignale über Subventionierung dämpfen. Das Gegenteil ist der Fall. Mit solchen Maßnahmen bewirken sie vor allem eines: eine uferlose Belastung der öffentlichen Haushalte. Denn was machen Sie, wenn der Ölpreis irgendwann auf 200 oder 250 Dollar je Barrel steigt? Noch mehr subventionieren? Statt den Menschen Sand in die Augen zu streuen, sollten wir eine ehrliche Debatte führen, wie wir uns in Zukunft weniger abhängig von den Preisentwicklungen auf den globalen Energiemärkten machen - zum Beispiel durch eine bessere Energieeffizienz.

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