Aufsätze

Im Spannungsfeld zwischen Mahnprozess und Kündigerprävention

Die Grundlage für eine differenzierte Bearbeitung von Forderungen liefert das Ver-haltens-Scoring. Erfahrungen zeigen, dass "gute Kunden" ihre Forderungen weitgehend ohne zusätzlichen Mahnaufwand bezahlen, während es bei den "schlechten Kunden" darauf ankommt, die richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt einzuleiten.

Mahnprozess heute - Reaktivierung von Churn-gefährdeten Kunden

Bis dato lag der Fokus im Forderungsmanagement meist allein auf der eindimensionalen Optimierung der Prozesse im Mahnwesen basierend auf dem Kundenrisiko. Der Kundenwert oder die Abwanderungsneigung (Churn) fanden häufig keine Berücksichtigung. Von einem standardisierten Mahnprozess, bei dem Forderungen homogen behandelt und höchstens nach Neu- und Bestandskunden unterschieden wurden, gingen manche Unternehmen über zu einer klassischen Segmentierung der Mahnfälle, wo der einzelnen Forderung je nach Risiko (Zahl der Rücklastschriften, Beschwerdeverhalten) unterschiedliche Mahnprozesse zugeordnet werden.

Eine Mahnprozessoptimierung, basierend auf einer vielfältigen Segmentierung, sehen die meisten Institute noch als aktuelle Herausforderung an.

Undifferenzierte Mahnprozesse beeinflussen allerdings das Churn-Verhalten der Kunden. Der Effekt kann im Massenmarkt sieben bis zehn Prozent der Kündigungen ausmachen oder wirkt sich in Form einer negativen Beeinflussung des Wiederanlageverhaltens aus. Ein optimales Churn-Modell berücksichtigt daher sowohl das persönliche Kündigungsverhalten als auch die aktuellen Wettbewerbsfaktoren im Markt (Abbildung 1).

Den bestehenden Kundenwertmodellen gemeinsam ist die fehlende Berücksichtigung von Kundenrisiken. Neben bisherigen Kundenbeiträgen und zu erwartendem Kundenpotenzial werden zusätzliche Informationen wie ABC-Analysen und Scoring-Modelle integriert. Das Risiko des einzelnen Kunden für sein Gesamtengagement setzt sich aus Informationen vieler Einzelmerkmale wie persönliche und finanzielle Daten, Transaktionsdaten oder Zahlungshistorie zusammen. Ein optimiertes Mahnsteuerungsmodell sollte deshalb die Faktoren Risiko (Zahlungswahrscheinlichkeit), Churn und Kundenwert berücksichtigen. Durch die Berücksichtigung dieser Faktoren entsteht ein neues, differenziertes Segmentierungsmodell zur ganzheitlichen Kundenbewertung (Abbildung 2).

Beispiele aus der Praxis

Die Anspannung im Neugeschäft von Banken würde geringer ausfallen, wenn nicht Kunden durch vorzeitige Kreditablösungen verloren gehen. Erfahrungen von Arvato Infoscore aus Projekten zur Entwicklung von Prognosemodellen hinsichtlich der Abwanderungswahrscheinlichkeit haben gezeigt, dass sich gefährdete Konten mit hoher Trennschärfe identifizieren lassen.

Optimierung im Mahnwesen

Mit externen Bonitätsinformationen identifiziert das Unternehmen darüber hinaus Kunden mit überdurchschnittlichem Ertrags- und Cross-Selling-Potenzial. Durch eine gezielte Limiterhöhung bei risikoneutralen Potenzialkunden (zum Beispiel im Kreditkartengeschäft und bei Dispositionskrediten) steigert das Unternehmen seine Umsätze und Zinseinnahmen. Damit lässt sich die Kundenloyalität beispielsweise durch einen intensiveren Karteneinsatz bei stabilen Risikokosten erhöhen und die Inaktivitätsquoten reduzieren. Genehmigungen, die ansonsten über dem Limit wären, werden schließlich erteilt. Im Kreditkartenbereich können so die Revolvie-rer-Umsätze gesteigert werden.

Auf Basis des spezifischen Risikos und der Chancen jedes einzelnen Kunden lassen sich Mahnwesen und Inkasso also steuern. So werden beispielsweise sehr gute Kunden erst später gemahnt: Viele dieser Kunden werden den Saldo zurückführen beziehungsweise die Rechnung bezahlen, ohne eine Mahnung zu erhalten. Banken vermeiden so Kosten und verärgern den Kunden nicht. Kunden mit niedrigem Verhal-tens-Score hingegen werden frühzeitig gemahnt.

Eine intelligente Maßnahmensteuerung und differenzierte Mahnstrategien im Mahnwesen und Inkasso steigern die Effizienz und reduzieren operative Kosten. Scoring führt zur erheblichen Verbesserung des Beitreibungsergebnisses mittels einer effizienten Ressourcenallokation.

Operative Kosten lassen sich reduzieren. Differenzierte Mahnstrategien minimieren die Störungen in der Kundenbeziehung und tragen so zu verbesserten Folgegeschäften bei. So liegt der Schlüssel zum Erfolg eines modernen Mahnwesens darin, die richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt einzuleiten.

Was üblicherweise als Mahnwesen bezeichnet wird, definiert sich durch die drei zeitlich aufeinander folgenden Phasen - Zahlungsstörung, kaufmännisches Mahnwesen sowie vorgerichtliches und gerichtliches Mahnverfahren -, die eine Forderung auf dem Weg zur Realisierung beziehungsweise Abschreibung durchläuft.

Wenn eine Forderung in einem Unternehmen erstmalig als zahlungsgestört auffällt, verfolgt man normalerweise zwei Ziele: das Geld effizient beizutreiben und die guten Kunden nicht verlieren.

Kundenbindung auch im Mahnprozess

Um beide auf den ersten Blick konträren Ziele bei der Bearbeitung der Forderungen berücksichtigen zu können, sind flexible Prozesse nötig. Prozesse, die eine optimierte, differenzierte Behandlung der bestehenden Forderungsportfolios ermöglichen. Die Zielsetzung dieser Prozesse lautet wie folgt:

- So wenig wie nötig: Kunden präventiv steuern und somit Mahnungen vermeiden.

- So effektiv wie möglich: Kunden adäquat ansprechen und somit Risikokosten minimieren.

- So effizient wie möglich: Ressourcen kostenoptimal einsetzen und somit operative Kosten minimieren.

Durch eine Priorisierung der Mahnfälle lassen sich Mahnaktivitäten effizient und maßgeschneidert durchführen. Für den effizienten Einsatz der Ressourcen gelten folgende Grundregeln:

- Maßnahmen zeitlich umverteilen.

- "Kritische" Fälle beschleunigt bearbeiten.

- "Harmlose" Fälle zeitlich verzögern.

- Maßnahmenintensität und Budget umverteilen.

- "Kritische" Fälle intensiv betreuen.

- "Durchschnittliche" Fälle weniger intensiv betreuen.

- Bei "guten" Kunden auf Maßnahmen verzichten.

- Regelmäßiges Monitoring zu Kontrollzwecken durchführen.

So sind im Mahnprozess eines Kunden mit hohem Risiko andere Aktivitäten zu ergreifen als bei einem Kunden mit niedrigem Risiko. Analog sollten Unternehmen Kunden mit hohen offenen Forderungen anders behandeln als Kunden mit niedrigen offenen Forderungen. Nachdem aufgrund interner Regelwerke, Verhaltens-Scores oder eventuell auch externer Auskunfteidaten verschiedene Segmente gebildet

wurden, können die Mahnprozesse beispielsweise nach Forderungen, Produkten segmentiert werden. Hier stehen eine Reihe von Maßnahmen und Aktionsmöglichkeiten zur Verfügung:

- Anruf (nach angepasstem Leitfaden).

- Brief (aus einer Auswahl adäquater Schreiben).

- Anpassung der Zahlungsbedingungen (zum Beispiel Ratenzahlung).

- Terminierung der Aktionen.

So können zeitliche Ansprache und Maßnahmen variiert und zielorientiert nach dem "One-to-one"-Prinzip vorgenommen werden. Dabei ist es sinnvoll, Prozessvarianten mit systemtechnischer Unterstützung abzubilden und zu konfigurieren.

Flexible Prozesse

Ein frühzeitiges Identifizieren kritischer Mahnfälle reduziert die Anzahl der Ausfälle. Die Verschärfung der Prozesse reduziert die Verweildauer der Forderungen. Eine differenzierte Bearbeitung der Forderungen führt zur Reduktion der Anzahl der zu bearbeitenden Fälle. Weniger Fälle werden an Inkassounternehmen übergeben. So lassen sich Prozesskosten sparen. Die Anzahl der Kunden, die aufgrund "fehlerhafter" Ansprache im Mahnwesen kündigen, wird ebenfalls geringer.

Ein Übergang von den heute oft stark standardisierten Mahnprozessen, in denen jede Forderung gleich bearbeitet wird oder nur eine rudimentäre Segmentierung stattfindet, zu flexiblen Prozessen ermöglicht eine differenzierte Behandlung der einzelnen Kundensegmente. Damit reduzieren Unternehmen Kosten, verbessern Ergebnisse und minimieren Störungen im Kundenverhältnis. Der Schlüssel zum Erfolg in einem modernen Mahnwesen liegt darin, die richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt einzuleiten. Es gilt deshalb zu überprüfen, ob die Mahnprozesse die Kundenanforderungen differenziert behandeln. Es ist ratsam "Forced Churn" zu messen und Prozesse und Maßnahmen zu definieren, um abwanderungsgefährdete Kunden zu binden. Schließlich ist zu prüfen, ob die Kundenwertmodelle zusätzlich zu den Chancen auch die Risiken berücksichtigen.

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