Aufsätze

Sparkassen und Versicherer - Struktur, Wettbewerb, Vertrieb und Technik

Was haben "Öffentliche Versicherungsunternehmen" (ÖVU) gemeinsam, und worin unterscheiden sie sich? Gemeinsam haben sie die historische Vergangenheit einer Anstalt mit den Beteiligungspartnern öffentlicher Körperschaften und/oder Sparkassen, aber inzwischen sind sie weitgehend in Aktiengesellschaften umgewandelt.

So "gehört" die SV Sparkassenversicherung Baden-Württemberg und Hessen-Thüringen den Sparkassen, während Letztere bei anderen ÖVU geringere Anteile haben. An der Versicherungskammer Bayern VKB beispielsweise ist auch der Genossenschaftsverband Bayern beteiligt. Das deutet auf unterschiedliche Interessenlagen hin. Außer der Beteilung von Sparkassen bestehen ansonsten zwischen öffentlichen Versicherern wenig gewachsene Gemeinsamkeiten.

Personenversicherungsgeschäft noch nicht kulturprägend

Die Unterschiede liegen in der Historie begründet und in den Schwerpunkten von Sparten und Vertrieb. Viele ÖVU sind aus eigenständigen Brandkassen-Pflichtversicherungen historisch gewachsen, was auch heute noch die Kulturen prägt. Das für die Positionierung der Sparkassen- Finanzgruppe wichtige Personenversicherungsgeschäft wurde erst nach und nach aufgebaut und ist auch heute noch nicht kulturprägend. Bei einigen ÖVU hat es größere Bedeutung, bei anderen ist das Geschäftsfeld nur schwach priorisiert. Die ÖVU haben damit durchweg nicht die gleichen Geschäftsmodelle.

Bei der viel diskutierten Konsolidierung der ÖVU stellt sich die Frage, was machbar und sinnvoll ist. Dabei können historisch gewachsene Strukturen und damit verbundene kulturelle Divergenzen nicht außer Betracht gelassen werden. "Totalfusionen" können deshalb erhebliche Schleifspuren mit sich bringen und einen ungewollten Geschäftsbesorgungsvertrag für Wettbewerber bescheren. Deshalb stehen zum Beispiel die ÖVU in Düsseldorf und Hannover Fusionen skeptisch gegenüber.

Schrittweises Näherrücken

Ansätze gehen eher über schrittweises Näherrücken, sei es durch Outsourcinglösungen oder Gründung gemeinsamer Zweckgesellschaften für betriebliche Funktionsbereiche. Große Aufmerksamkeit fand das Vorhaben einer gemeinsamen IT-Tochter der SV in Stuttgart mit der Provinzial Nordwest in Münster und Kiel - bis dieses Vorhaben nach hohen Investitionen (vorläufig?) auf Eis gelegt wurde. Auf der anderen Seite gestaltete sich die Zusammenarbeit im Rahmen der VersAM als von Anfang an erfolgreich.

Ist die Sparkassenseite zu Recht ungeduldig wegen schleppender Konsolidierung? Aus der Vogelperspektive mag das so aussehen, aus der ÖVU-Perspektive sieht man mehr die Probleme im Detail. Es ist verständlich, dass den Sparkassen die Konsolidierungen zu langsam und quälend erscheinen. Aber man muss auch die ÖVU verstehen, deren Geschäftsmodelle partiell und Kulturen erheblich divergieren. Zwänge man sie - wer kann sie bei den heterogenen Eigentumsverhältnissen zwingen? unorganisch in ein gemeinsames Korsett, könnten damit erhebliche Einbrüche im Markt verbunden sein. Sparkassen finden Lehrstücke in eigenen Reihen, wo bei wesentlich homogeneren Geschäftsmodellen viele Fusionen kulturell an die Grenze des Scheiterns gerieten.

Unbefriedigende Marktposition der ÖVU

Generell gilt die Marktposition der ÖVU als unbefriedigend: Während Sparkassen Kundenreichweiten von 50 Prozent für sich reklamieren können und man ihren Hausbankanteil, gemessen am Cross-Selling- Erfolg und an der kundenbezogenen Wertschöpfung, mit etwa 30 Prozent veranschlagen kann, liegen die ÖVU, gemessen am gesamten Prämienvolumen der Branche, bei einem Marktanteil von gerade zehn Prozent. In den Sachsparten, in denen der alte Brandkassen-Nimbus noch trägt, können das in einzelnen Regionen noch 30 Prozent sein, während der Anteil in der betrieblichen Altersvorsorge und der Privat-renten-Versicherung unter fünf Prozent liegt, noch weit dahinter die privaten Kranken- sowie die Rechtsschutzversicherung. Aus Sparkassensicht sähe man die ÖVU gern auf Augenhöhe mit dem LBS-Marktanteil von über 30 Prozent. Daraus flössen den Sparkassen nicht nur mehr Provisionen zu, sondern man könnte auch mehr Abschottung gegen Wettbewerber zum Nutzen der eigenen Bankprodukte und damit mehr Kundenbindung ableiten. Doch ist das eine realistische Einschätzung auf der Sparkassenseite? Um hier nicht bei fruchtlosen Verdächtigungen stecken zu bleiben, muss man näher in die - ebenfalls historisch gewachsenen - Vertriebsstrukturen hineinschauen.

Der Blick auf den Bankenvertrieb der ÖVU beziehungsweise die Vertriebsseite insgesamt zeigt, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen ÖVU mindestens genauso groß sind wie in den Spartenschwerpunkten und Geschäftsmodellen: Für die SV dominiert der Vertrieb über den "Sparkassentresen", bei anderen ÖVU trägt der Vertriebsweg Bank zwar über 50 Prozent der Personenversicherungs-Produktion bei, aber sein Anteil in der Sachversicherung beträgt kaum zehn Prozent. Dieser wird primär vom eigenen Außendienst getragen, der in hohem Maße von Betreuungsprovisionen lebt.

Starke Dominanz der Sachversicherungen

Da das Geschäftsergebnis eines ÖVU immer noch stark vom Sachversicherungsbereich - und damit von den Aktivitäten der Hauptvertreter - dominiert wird, relativiert sich damit der Einfluss der Sparkassen auf die Geschäftspolitik eines ÖVU. Dieses muss das Kunststück vollbringen, seine zwei Vertriebsarme, nämlich Sparkassen und Hauptvertreter - die divergierende Interessen haben und sich im Markt teilweise als Konkurrenten gegenüberstehen - im Rahmen eines adäquaten Marketingmix auszubalancieren. Das Ergebnis kann eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Verbundes sein, wenn Reibungsverluste die Kosten- und Produkteffizienz des Versicherers beeinträchtigen. Bei den Sparkassen lassen sich steigende Ansprüche feststellen, weil sie stetig sinkende Zinsmargen durch steigende Provisionserträge kompensieren wollen. Sie sehen sich dabei legitimiert durch die Primärversorgung der ÖVU mit Neukunden bei gleichzeitiger Überalterung der Hauptvertreter-Bestandskunden. Zukunftssicherung wird so zum Pseudonym für Sparkassenvertrieb. Die Gretchenfrage: Wie kommen angesichts mehr Konkurrenz und Ineffizienz als Synergien der Vertriebswege die ÖVU aus der Zwickmühle unklarer Produkt- und Vertriebsausrichtungen und damit nicht klarer strategischer Ausrichtung heraus? Und welche Herausforderungen gibt es an dieser Stelle für beide Seiten? Alle ÖVU bemühen sich, die Effizienz des Bankenvertriebs mit einem Angebot mehrerer Vertriebsmodelle zu steigern. Der Aspekt der "Technik" als Hebel zur Verbesserung der Marktposition hat mehrere Seiten: nämlich effiziente Technik in den einzelnen ÖVU, marktwirksame Technik beim Verbundpartner Sparkassen und die Vernetzung dieser beiden Bereiche. Alle Sparkassen arbeiten mit einem kundenbezogenen System (One System Plus, kurz OS Plus), das alle spartenbezogenen Daten zu einem einheitlichen Kundenbild verbindet. Daraus wird eine Basissegmentierung nach der Höhe des monatlichen Geldeingangs und des Geld- inklusive Depot-Vermögens in den drei Clustern Privat-Banking-Kunden, Individualkunden und FDL-Kunden abgeleitet. Da Belastungen nicht in die Segmentierung einbezogen sind, ist kein Rückschluss auf das verbleibende disponible Einkommen möglich. Zudem sind auch kaum Bedarfsaspekte integriert. Diese Clusterung bewegt sich autonom in der dritten Vorsorgeschicht, als wenn es die zweite Vorsorgeschicht nicht gebe. Aber den Sparkassen steht inzwischen mit dem "Finanzkonzept" ein bedarfsorientierter Beratungsansatz zur Verfügung. An seiner IT-Umsetzung wird derzeit mit Hochdruck gearbeitet.

Meist Eigenanwender

Anders das IT-Szenario der ÖVU: Sie sind durch die Bank noch Eigenanwender. Zwar gibt es mehrere Kooperationsversuche wie die erwähnte Zusammenarbeit der SV und der Provinzial Nordwest. Zudem haben über mehrere Jahre die in Niedersachsen ansässigen Versicherer eine gemeinsame IT-Gesellschaft betrieben, aus der sich aber einzelne Unternehmen wieder zurückgezogen haben. Bisher zeigen sich also eher gescheiterte IT-Kooperationen. Aus den einzelnen ÖVU vernimmt man Berichte über jahrelangen Kampf um aussagefähige Kunden-, Orga- und integrierte Vertriebsdatenbanken. Das Hauptproblem ist die Dominanz der spartenspezifischen Datenerfassung nach primär objektbezogenen Kriterien in der Sach- und primär subjektbezogenen Daten in der Personenversicherung. Auch deren Integration im Rahmen eines VU ist ein schwieriges Unterfangen. Hat schon ein ÖVU eine unter Bedarfsaspekten nutzbare integrierte Kundendatenbank?

Noch viel Arbeit bei den Basisvoraussetzungen

Lassen sich zumindest auf lange Sicht an dieser Stelle beträchtliche Synergien heben? Die Antwort auf diese Frage führt wieder auf drei Ebenen zurück.

- Erstens Synergien im Unternehmen: Solange daran gearbeitet wird, sind überbetriebliche Synergien nicht machbar - siehe die gescheiterten Kooperationsprojekte.

- Zweitens bedarfsorientierte IT-Synergien bei den Sparkassen: Sie könnten erreicht werden, wenn die Beratungslogik des Finanzkonzepts auch die Feinsegmentierungen prägt.

- Und drittens Synergien zwischen dem Vertriebssystem von Sparkassen und ÖVU: Diese können sich erst einstellen, wenn die Grundfesten bei den ÖVU und bei den Sparkassen hinsichtlich Feinsegmentierungs-Hausaufgaben gegeben sind.

Die Szene der ÖVU ist der Landesbankenszene nicht unähnlich: Unterschiedliche Eigentumsverhältnisse, Historien, Spartenschwerpunkte, Geschäftsmodelle, Vertriebsschwerpunkte und IT-Politiken. Man kann deshalb durchaus unterschiedlicher Auffassung sein, wo der Hebel zu einer stärkeren Konsolidierung anzusetzen ist. Deren Notwendigkeit indes bestreitet offiziell keiner, da der Marktdruck steigt und viele Wettbewerber sich inzwischen neu am Markt positioniert haben. Ein weiterer Stillstand gereicht zur Freude der Wettbewerber, die mit banknahen Produkten in die Kundendomänen von Sparkassen einbrechen würden: Das Allianz-Girokonto lässt inzwischen 1 000 000-fach grüßen.

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