Aufsätze

Stresstests im Kreditrisikomanagement - neue Herausforderungen für Banken

Neben den Verfahren der Risikoanalyse unter Normalbedingungen müssen Banken verpflichtend Stresstests des Markt- und des Kreditrisikos durchführen.1) Im Allgemeinen versteht man unter diesen Analysen sämtliche qualitativen und quantitativen Methoden, die verwendet werden, um die Auswirkungen plausibler Extremereignisse zu untersuchen. Stresstests sollen Banken in die Lage versetzen, mögliche künftige Veränderungen der ökonomischen Rahmenbedingungen sowie wesentliche Risikotreiber und Zusammenhänge zu identifizieren und Auswirkungen auf finanzielle Kennzahlen, wie zum Beispiel regulatorisches oder ökonomisches Eigenkapital, zu quantifizieren. Durch die Antizipation extremer Bedingungen wird die Stabilität einzelner Banken und damit die des gesamten Bankensystems gefördert. Schieflagen von Banken, wie beispielsweise die aktuelle durch die Immobilienkrise ausgelöste, können somit vermieden oder zumindest deren Auswirkungen abgeschwächt werden.

Sensitivitäts- und Szenarioanalysen Insgesamt werden durch den Einsatz von Stresstests die folgenden Ziele verfolgt:

- Förderung des Verständnisses des Risikoprofils der Bank durch die Analyse von Wirkungszusammenhängen,

- Aufdecken von möglichen Verwundungspunkten der Bank,

- Entwicklung von Gegenmaßnahmen,

- Unterstützung der strategischen Planung unter Berücksichtigung potenzieller Bedrohungen,

- Ergänzung und Hinterfragung der bereits verwendeten Methoden.

Stresstests können in Form von Sensitivitätsanalysen und Szenarioanalysen durchgeführt werden (Abbildung 1). Bei Sensitivitätsanalysen werden ein oder mehrere Parameter des Risikomodells verändert und dann deren Auswirkungen quantifiziert. Die Festlegung der gestressten Inputfaktoren erfolgt häufig pragmatisch auf Basis von Expertenschätzungen, oder es werden diejenigen Parameterkonstellationen gesucht, die große Auswirkungen auf das Modell haben. Diese Analysen sind modellgetrieben, das heißt, es werden die Sensitivitäten der bestehenden Modelle, wie beispielsweise der Eigenkapitalermittlung analysiert. Schlüsselfaktoren werden anhand ihrer Auswirkungen auf das Ergebnis ausgewählt.

Bei Szenarioanalysen werden die Zusammenhänge zwischen den Eingangsparametern berücksichtigt und konsistente Szenarien2) entwickelt, deren Auswirkungen wiederum analysiert werden. Diese Vorgehensweise ist umfeldgetrieben, das heißt auf Basis einer Umfeldanalyse werden Schlüsselfaktoren identifiziert.

Nachdem Stresstests im Bereich des Marktrisikos sich bereits etabliert haben, ist es die aktuelle Herausforderung für die Banken, ähnliche Methoden für das Kreditrisiko zu entwickeln und einzusetzen.

Herausforderung Kreditrisiko

Derzeit werden folgende Konzepte für Stresstests im Kreditrisikobereich angewendet:3)

- Statistische Verfahren, bei denen anhand historischer Daten eine Wahrscheinlichkeitsverteilung der Risikoparameter ermittelt wird und dann Ereignisse mit geringer Wahrscheinlichkeit untersucht werden.

- Modellgestützte Analysen, die auf einem ökonometrischen Modell basieren.

- Expertenurteile.

Bisher gibt es bei den Stresstests noch kein dominierendes Verfahren. Unterschiedliche Methoden sind durch die Bankenaufsicht sogar gewollt. Insgesamt besteht in diesem Themenbereich noch hoher Forschungs- und Entwicklungsbedarf.4)

Die Durchführung von Stresstests wird sowohl im Konsultationspapier "Internationale Konvergenz der Eigenkapitalmessung und der Eigenkapitalanforderungen Überarbeitete Rahmenvereinbarung" (Juni 2004) des Basler Ausschuss für Bankenaufsicht5) als auch in der Verordnung 1 über die angemessene Eigenmittelausstattung (Solvabilität) von Instituten - Solvabilitätsverordnung (SolvV; Stand: 14. Dezember 2006)6) gefordert. Darüber hinaus gibt es aufsichtliche Anforderungen im Rahmen des Grundsatzes 1, des Committee of European Banking Supervisors (CEBS)7) und der Mindestanforderungen an das Risikomanagement.8)

Die Anforderungen der Bankenaufsicht und die abgeleiteten Konsequenzen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

- In Abhängigkeit vom Niveau des Risikomanagements sind verpflichtend adäquate Stresstests durchzuführen, das heißt bei Banken, die über ein entwickeltes Risikomanagement verfügen, werden sowohl Sensitivitätsanalysen als auch Szenarioanalysen erwartet.9)

- Die Verantwortung für die Entwicklung und Durchführung der Stresstests trägt die Geschäftsleitung; dementsprechend ist diese mit einzubeziehen.10)

- Die regelmäßige Durchführung der Tests, die Überprüfung des Modelldesigns sowie das Reporting sind wesentlich.

- Stresstests sind als ergänzendes Werkzeug zu den bereits eingesetzten Methoden zu sehen und sollen sowohl qualitative als auch quantitative Aspekte berücksichtigen.

Vorgaben für die Durchführung von Stresstests

Die Bank hat nachzuweisen, dass die Eigenkapitalausstattung angemessen ist.11) Ob zusätzliches Eigenkapital vorgehalten werden soll, ist bisher nicht verbindlich geregelt. Weiterhin sind Maßnahmen zu planen, die im Falle der Unterschreitung der Eigenkapitalanforderungen eingeleitet werden. Für die Durchführung von Stresstests müssen folgende Aspekte berücksichtigt werden:

Entwicklung plausibler Extremszenarien:

Aufgrund sich permanent ändernder Rahmenbedingungen und Wirkungszusammenhänge lassen sich vergangene Extremereignisse nur bedingt auf die Zukunft projizieren. Daher haben neben historischen Szenarien hypothetische Zukunftsbilder eine hohe Bedeutung. Da sich die Zukunft nicht exakt vorhersagen lässt, sind mehrere plausible und konsistente Szenarien zu berücksichtigen. Neben Extremszenarien werden durch die Bankenaufsicht auch weniger extreme Szenarien gefordert.12)

Identifikation von Schlüsselfaktoren:

Eine wesentliche Aufgabe der Stresstests ist das Aufdecken der wesentlichen Risikotreiber im Umfeld. Diese müssen regelmäßig beobachtet und die Auswirkungen relevanter Änderungen analysiert werden. Solche Schlüsselfaktoren können beispielsweise das Preisniveau von Immobilien oder auch die allgemeine volkswirtschaftliche Lage sein. Da die langfristige Zukunft betrachtet wird, sollten möglichst alle wesentlichen Faktoren (beispielsweise auch Erträge13)) und ihre Beziehungen zueinander berücksichtigt werden.

Transparenz der Wirkungszusammenhänge:

Neben der Analyse der Auswirkungen ist die Förderung des Verständnisses der Wirkungszusammenhänge von Bedeutung. Voraussetzung für das Finden von "Schwachstellen" ist das Durchdenken der Zusammenhänge. Implizites Wissen, das in der Regel als Expertenwissen vorhanden ist, wird transparent und nachvollziehbar in Modelle überführt.

Quantifizierung der Auswirkungen:

Eine Zuordnung von Eintrittswahrscheinlichkeiten der Szenarien ist häufig nicht möglich beziehungsweise sinnvoll, da der Fokus auf plausiblen Extremszenarien liegt.14) Die Selektion kritischer Szenarien erfolgt daher anhand potenzieller Auswirkungen.

Transparenz des Reportings:

Da die Verantwortung für Stresstests bei der Geschäftsleitung liegt, sind die Berichte so zu gestalten, dass die wesentlichen Fakten kurz und prägnant erfasst werden können. Neben den regelmäßigen Berichten muss eine Möglichkeit für Ad-hoc-Reports geschaffen werden. Einen Überblick über die Schritte im Stresstest-Prozess liefert die Abbildung 2.

Operationalisierung von Szenarien

Ausgangspunkt der Analyse ist die Generierung eines extremen Ereignisses auf Basis historischer oder hypothetischer Szenarien. Voraussetzung für die Entwicklung historischer Szenarien ist die Sammlung von externen und internen Informationen. Die Entwicklung hypothetischer Szenarien sollte nicht pragmatisch erfolgen beziehungsweise auf der Meinung einzelner Personen beruhen. Daher bieten sich hier verschiedene Szenariotechniken an. Damit die Auswirkungen der Krisen quantifiziert werden können, müssen die Szenarien operationalisiert werden. So sind beispielsweise für das Szenario "Rezession" quantitative Veränderungen des Bruttoinlandsprodukts festzulegen. Im nächsten Schritt gilt es, die Auswirkungen auf die Risikoparameter, wie beispielsweise die Ausfallwahrscheinlichkeit, zu analysieren. Hierfür können verschiedene Methoden zum Einsatz kommen, die von einfachen pauschalen Shifts bis hin zur Schätzung konjunkturabhängiger Ratingmigrationsmatrizen reicht. Bei Analyse der Risikoparameter ist darauf zu achten, dass zwischen diesen Zusammenhänge bestehen. So wirkt sich beispielsweise ein konjunktureller Abschwung sowohl auf die Ausfallwahrscheinlichkeit als auch auf die Werte von Sicherheiten und somit auf den Loss Given Default aus.

Nachdem "gestresste" Risikoparameter ermittelt wurden, können die Auswirkungen auf Risikokennzahlen untersucht werden. Solche Risikokennzahlen sind beispielsweise die regulatorischen und ökonomischen Eigenkapitalanforderungen oder die geschätzte Risikovorsorge. Da die Geschäftsleitung die Verantwortung für die Durchführung der Stresstests trägt, sind die Ergebnisse entsprechend zu berichten. Hierfür sind Berichte zu konzipieren, die neben quantitativen auch qualitative Informationen enthalten sollten. Wichtige qualitative Informationen sind die verbale Beschreibung der untersuchten Szenarien sowie der wesentlichen Wirkungszusammenhänge. Die berichteten Informationen der Stresstests liefern ergänzende Informationen für die Steuerung, indem die Auswirkungen plausibler, extremer Entwicklungen aufgezeigt werden.

Systemarchitektur

Eine mögliche Systemarchitektur zur Durchführung von Stresstests analog dem vorgestellten Prozess ist in Abbildung 3 dargestellt.

Als Inputdaten werden sowohl interne Daten15), externe Daten16) als auch die Szenarioparameter benötigt. Diese werden in einem modularen Simulationskern verarbeitet. In den einzelnen Modulen sind Modelle der Komponenten des Kreditrisikos hinterlegt. In der vorgestellten Architektur sind dies der Loss Given Default (LGD), der Exposure at Default (EAD), die Probability of Default (PD) und ein Modell für Korrelationen. Trotz des modularen Aufbaus sind die Wirkungszusammenhänge zwischen den Risikoparametern zu beachten.

Neben den fest hinterlegten Modellen empfiehlt sich die Berücksichtigung eines flexiblen Moduls zur Durchführung von Ad-hoc-Analysen. Die Analyse Auswirkungen auf die Risikokennzahlen erfolgt auf Basis der "gestressten Parameter" sowie der Kundendaten. Über eine Zugriffsschicht werden Berichte wie in Abbildung 4 generiert. Weiterhin kann online zugegriffen werden mit der Möglichkeit weiterführender Analysen.

Der Vorteil der vorgestellten Architektur liegt in ihrer hohen Flexibilität. Diese unterstützt eine evolutionäre Weiterentwicklung von Stresstests. So können beispielsweise vorhandene Systeme zur Durchführung von Sensitivitätsanalysen auch bei Szenarioanalysen verwendet werden.

Formalisierung von Stresstests

In diesem Artikel wurde ein Überblick über Kreditrisiko-Stresstests gegeben. Für Banken gilt es nun konkrete Stress-Szenarien zu entwickeln und deren Auswirkungen zu quantifizieren. Dabei ist zu beachten, dass Szenarien untersucht werden, die auf den Meinungen der beteiligten Personen beruhen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die Ergebnisse der Analysen basieren auf den erstellten Modellen, auch hier kann kein Anspruch erhoben werden, dass sämtliche Faktoren und Zusammenhänge berücksichtigt werden. Letztendlich können auch Stresstests die Zukunft nicht exakt vorhersagen.

Ein wichtiger Aspekt ist die Formalisierung von Stresstests durch die Vorgabe von Prozessen, da häufig das notwendige Expertenwissen im ganzen Unternehmen verteilt zu finden ist. Die verwendeten Modelle hingegen sollten flexibel sein, da diese voraussichtlich häufig angepasst werden müssen. Stresstests unterstützen das Risikomanagement, indem eine Systemanalyse erfolgt und in Szenarien gedacht wird. Hierdurch wird verhindert, dass aktuelle Trends Entscheidungen dominieren. Ein wichtiger Aspekt ist, dass die regulatorischen Eigenkapitalanforderungen nicht statisch betrachten werden dürfen, sondern von der Risikolage der Bank abhängig sind.

Selbst wenn eine Bank die Kreditvergabe einstellen sollte, können die Eigenkapitalanforderungen aufgrund von Verschlechterungen der Bonität der Kreditnehmer steigen. Stresstests liefern hier einen Anhaltspunkt, bis zu welchen Grad das vorhandene Eigenkapital ausgenutzt werden kann.

Eine weitere Herausforderung ist die Integration sämtlicher Risikoarten (Markt-, operationelle und Geschäftsrisiken) in ein einheitliches Rahmenwerk, da Änderungen im Umfeld in der Regel nicht auf eine Risikoart beschränkt sind.

Fußnoten

1) Vgl. hierzu den Teil "Anforderungen".

2) Konsistenz bedeutet, dass die gegenseitigen Wechselwirkungen der Schlüsselfaktoren berücksichtigt werden.

3) Vgl. o. V. (2003): Das deutsche Bankensystem im Stresstest. In: Deutsche Bundesbank (Hrsg.); Monatsbericht Dezember 2003, 55. Jg. Nr. 12, Frankfurt am Main, Seite 57.

4) Vgl. Sorge, Marco (2004): Stress testing financial systems: an overview of current methodologies. In: Bank for International Settlements (Hrsg.): BIS Working Papers No 165, Basel, Seite 27.

5) Vgl. insbesondere die Textziffern 434 bis 437 sowie 726, 765, 775 und 777.

6) Vgl. hierzu die §§ 123 und 151 der SolvV.

7) Vgl. Committee of European Banking Supervisors (2006): Consultation Paper 12 (CP12) on Stress testing under the Supervisory Review Process.

8) Vgl. hierzu die AT 4.3.2 der MaRisk.

9) Vgl. Committee of European Banking Supervisors (2006): Consultation Paper 12 (CP12) on Stress testing under the Supervisory Review Process, Seite 6.

10) Vgl. SolvV § 151.

11)Vgl. SolvV § 123.

12) Beispielsweise sollen die Auswirkungen einer "milden Rezession" untersucht werden - hierfür gibt es allerdings keine eindeutige Definition. Vgl. Basel TZ 435.

13) Vgl. Committee of European Banking Supervisors (2006): Consultation Paper 12 (CP 12) on Stress testing under the Supervisory Review Process, Seite 7.

14) Plausible Krisenszenarien besitzen eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit. Bei der Zuordnung von Wahrscheinlichkeiten besteht die Gefahr, dass Ereignisse mit einer (geringfügig) höheren Eintrittswahrscheinlichkeit stärker beachtet werden.

15) Ein Beispiel für interne Daten sind die Ausfallraten einzelner Kundensegmente.

16) Externe Daten können beispielsweise Zeitreihen des statistischen Bundesamtes sein.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X