Leitartikel

Die üblichen Schwüre der Solidität

"He big smoke, but no fire" hieß es vor längerer Zeit in einem damals populären Schlager. Dieses Liedchen hätte man getrost auch auf der diesjährigen Jahreskonferenz des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank in Singapur trällern können. Dabei ist das Geschehen alles andere als lustig: Von Mal zu Mal - diesmal besonders - wird nämlich deutlicher, dass sich die vorhandenen Strukturen überlebt, ja sich selbst obsolet gemacht haben. Dabei hatte es schon frühzeitig an Warnungen nicht gefehlt. Der renommierte englische Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes hatte bereits bei dem Abkommen von Bretton Woods im Juli 1944, als der IWF und die Weltbank aus der Taufe gehoben wurden, seine Stimme erhoben und seinem Misstrauen gegenüber dem damaligen Dollar-Gold-Standard kundgetan. In der Tat dauerte es nicht lange, da waren die Dollarbestände der Notenbanken höher als die Goldbestände der USA. Die Einlösepflicht Dollar in Gold musste Ende der sechziger Jahre aufgegeben werden.

Wäre dies der einzige Schönheitsfehler des Systems gewesen; man hätte auf anderer Ebene damit leben können, wie die mehr oder weniger frei schwankenden Wechselkurse unserer Zeit beweisen. Viel schlimmer war und ist bis zum heutigen Tag das Problem der mangelnden Disziplin. In dieser Zeitschrift ist das Negativresultat von Singapur trefflich und ironisch kommentiert worden: "Die grundsätzliche Zustimmung zu weitergehenden Strukturreformen ist erst einmal nichts anderes als eine Absichtserklärung auf sehr hohem Abstraktionsniveau". Das ist nicht anders als an den Anfängen: Im Badeort Bretton Woods hatten sich die Signatarstaaten verpflichtet, vorgegebene Regeln einzuhalten und besonders auf dem Gebiet der internationalen Währungspolitik und des zwischenstaatlichen Zahlungsverkehrs zusammenzuarbeiten. Abwertungswettläufe und restriktive Handelspraktiken sollte es nicht mehr geben. Die Schwüre der Solidität wurden aber bald gebrochen; denn die Länder waren schon wenige Jahre später nicht mehr bereit, ihre nationale Wirtschaftspolitik den Regeln der festen Wechselkurse unterzuordnen.

An der Spitze jener "Sünder" standen übrigens ausgerechnet die Vereinigten Staaten. Da der Dollar die Leitwährung war, konnten die USA ihre - schon damals drückenden - Probleme der Leistungsbilanz nach Belieben mit eigenem Geld lindern. Die Folge war eine derartige Dollarschwemme mit einhergehender Inflation, dass das Fixkurs-System im Jahre 1973 in sich zusammenbrach. Grosso modo hat sich an den Egoismen der Staaten nichts oder nur wenig geändert. Noch in Singapur zerbrachen sich die Experten den Kopf über die festgefahrene Liberalisierung des Welthandels. Und was die enge Zusammenarbeit in der internationalen Währungspolitik anbetrifft, so kamen - im Gegenteil - starke Zentrifugalkräfte zum Vorschein. Der chinesische Zentralbankpräsident Zhou Xiaochuan beispielsweise forderte unverblümt, dass der IWF die Autonomie der Mitgliedsländer in der Wechselkurspolitik respektieren solle. Damit kann man wohl den Plan einer stärkeren multilateralen Überwachung ("Surveillance") des weltweiten Wechselkursgeflechts zu den Akten legen. Ähnlich äußerte sich der geschäftsführende Direktor der Zentralbank von Singapur, Heng Swee Keat, der der aus dem asiatischen Raum stammenden Idee eines eigenen regionalen Währungsfonds eine Absage erteilte: Kurzfristig sei eine gemeinsame Währung weder nötig noch wünschenswert. Die Wechselkurse stellten kein Hindernis für eine engere Integration der Wirtschaften dar.

Dabei wären die asiatischen Staaten durchaus in der Lage, monetär die Muskeln spielen zu lassen. Allein China verfügt über Devisenreserven von gut 1 000 Milliarden US-Dollar und könnte besser als der IWF Währungskrisen abfedern. Insgesamt haben sich die Reserven der asiatischen Schwellenländer in anderthalb Jahrzehnten auf starke zwei Billionen(!) mehr als versiebzehnfacht. Diese Fülle ist freilich, so warnt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ, nicht ohne Gefahren. Möglichst hohe Renditen werden gesucht - und in manchmal recht risikoreichen Anlagen auch gefunden. Auch stellt der Gegenwert jener Assets in heimischen Geld ein gefährliches Inflationspotenzial dar. Der Jammer ist, dass sich auf dem Gebiet der Währungspolitik vielfach die Politiker einmischen, die meist nicht sehen wollen oder können, dass man Währung nicht kommandieren kann, dass der interne und externe Geldwert nur das Spiegelbild der eigenen Wirtschaftspolitik ist. Diese ist sozusagen die Sonne, ohne deren Strahlen der Mond kein Licht reflektieren kann, eine traurige Gestalt hätte oder gar unsichtbar wäre. So wird beispielsweise der Yuan an der Kandare gehalten, egal wie sich die chinesische Wirtschaft entwickelt. Die Mini-Aufwertungen der jüngeren Vergangenheit waren der bewusste Tropfen auf dem heißen Stein. Die chinesischen Statistiken kommen übrigens zu dem Schluss, dass die bisherigen Aufwertungen nichts an den Preisvorteilen am Weltmarkt geändert hätten. Von amerikanischen Drohungen, mit scharfen Handelsrestriktionen zu antworten, hat sich Peking bislang nicht beeindrucken lassen.

Es kommt hinzu, dass die Quotenerhöhung im IWF auch nur so ein Tropfen ist. China, Mexiko, Südkorea und die Türkei sollen insgesamt nur 1,8 Prozentpunkte mehr Einfluss erhalten, und hinter vorgehaltener Hand wird kolportiert, dass die USA weder jetzt noch in überschaubarer Zukunft von ihrer Sperrminorität, also von ihrem Vetorecht, abrücken wollen.

Aber so ist es eben mit der Politik weltweit. Peccatur extra et intra; davon weiß auch Europa ein tristes Lied zu singen. Was hat es dem damaligen Bundesbankpräsidenten Karl Otto Pöhl geholfen, als er gegen die Gutsherrenart des geldlichen Zusammenschlusses von Bundesrepublik und DDR protestierte? " It's a desaster" prangerte er in seiner Rede zum 50-jährigen Jubiläum des Internationalen Clubs der Frankfurter Wirtschaftsjournalisten den einsamen Kohl'schen Entschluss an, Ostmark-Guthaben eins zu eins in DMark zu wandeln. In der Tat, vor dem Hintergrund des damals real existierenden Außenhandels wäre selbst ein Tauschverhältnis fünf zu eins im Osten mit Jubel begrüßt worden. So wurde seine öffentliche Kritik zum eigenen Desaster, zumal Kohl mit ihm niemals ernsthaft über dieses Thema diskutiert und sogar manchen Brief aus Frankfurt gar nicht zur Kenntnis genommen hatte. Den Job war Pöhl - aus eigenem Antrieb bald los.

Indessen befindet er sich in ehrenvoller Gesellschaft. Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Claude Trichet, hat all seinen Mut und Entschlossenheit nötig, gegen "unkeusche" Versuche vorzugehen und die Eigenständigkeit seines Instituts zu wahren. Das ist auch notwendig; denn der Luxemburger Jean-Claude Juncker besteht mit großer Hartnäckigkeit darauf, dass der Dialog zwischen der EZB und dem informellen Gremium der EU-Finanzminister "verbessert" werden müsse. Juncker hat sich von seinen Finanzministerkollegen Rückendeckung geben lassen: Gemeinsam fordern sie, dass es engere Zwiegespräche über strategische Themen, wie die Entwicklung der Wechselkurse geben müsse. Trichet konterte kühl, dass die Unabhängigkeit der EZB im EG-Vertrag festgeschrieben sei und quasi Verfassungsrang besitze. "Wir können keine Anweisungen entgegennehmen" lautet zu Recht sein Postulat. Dabei machen es ihm sogar die eigenen Landsleute schwer. Frankreichs Innenminister, Nicolas Sarkozy, will nicht mehr und nicht weniger, dass die Regierung von der Währungspolitik verlange, sich stärker um Wachstum und Arbeitsplätze zu kümmern. Hierbei sei ein größeres Mitspracherecht der Politik notwendig. Was ist das für ein Missverständnis über die Möglichkeiten eines scheinbar omnipotenten Staates, das in Frankreich freilich und leider weit verbreitet ist! Das Land würde sich noch so gute Ratschläge des - auch noch von den wenig geliebten Amerikanern beherrschten - Weltwährungsfonds brüsk verbieten.

Wer vor diesem Hintergrund noch von der Durchsetzbarkeit einer internationalen Surveillance faselt, dem möge Gott helfen! Dabei sind unsere Freunde in Paris grundehrlich; sie haben mit ihrer Philosophie noch nie hinter dem Berg gehalten. Schlimmer sind die "Trickser". Seit der Wende hat kein Politiker in Ungarn korrekt gerechnet, gestand nicht nur Wirtschaftsminister János Kóka, sondern auch Regierungschef Ferenc Gyurcsany, was zu Recht einen gewaltigen Aufstand im Lande hervorrief. Das Haushaltsdefizit beispielsweise ist in Wahrheit doppelt so hoch wie die vorhergesagten 4,7 Prozent für 2006. Wie wir alle wissen hat sich Griechenland mit bedenklichen Statistiken in den Euro gemogelt. Auch das italienische Haushaltsdefizit musste von Eurostat jahrelang ins Schlechtere revidiert werden. Wie kann man mit so einem "Landsknechtshaufen" weltweit geordnete Wechselkurspolitik betreiben? In die Einzelheiten wagt man sich gar nicht zu begeben. Was könnte der IWF gegen die derzeit ausufernde Geldschwemme tun, die den Eingeweihten ihren Namen "Inflation" nicht verschweigt.

Der grundsolide, heuer ausgeschiedene, Chefvolkswirt der EZB, Otmar Issing, schrieb zum Abschied Nachfolgern und Politikern ins Stammbuch, dass die Inflation immer und überall ein monetäres Phänomen sei: Zu viel Geld dürfe die Güter nicht "jagen". Das hören die Politiker nicht gerne. Da wir aber Politiker ins Parlament wählen und nicht Währungsexperten, wird es wohl beim schlimmen Status quo bleiben. Lord Keynes dreht sich vermutlich im Grabe um.OS.

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