Aufsätze

Wachstum und Wohlstand erhalten - Herausforderungen an ein wettbewerbsfähiges Steuersystem

Deutschland ist auf dem besten Wege, die Krise rasch hinter sich zu lassen. Ein entscheidender Grund, dass die deutsche Wirtschaft heute mit so viel Schwung durchstartet, ist die in den Jahren zuvor stetig gestiegene Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sowie die damit behauptete Position auf den Weltmärkten. Zugleich hat die Politik die heimischen Standortbedingungen verbessert: Der deutsche Arbeitsmarkt ist flexibler geworden. Das Prinzip des Förderns und Forderns sowie die stärkere Aktivierung Arbeitsloser stützen den Beschäftigungsaufbau und waren richtig. Auch die moderate Lohnentwicklung in den letzten Jahren sowie das in der Krise ausgedehnte Kurzarbeitergeld leisten einen wichtigen Beitrag zum viel beachteten "Beschäftigungswunder" in Deutschland.

Steuerpolitik als wesentlicher Wettbewerbsparameter

Um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zu erhalten, reicht es aber nicht, sich auf dem Status quo auszuruhen. Wie beim Sport gilt auch hier: Nun wer sich ständig zu verbessern versucht, kann dauerhaft mit der Spitze mithalten. Wer in Führung liegend stehen bleibt, wird schon bald überholt werden. Ein wesentlicher Wettbewerbsparameter ist die Steuerpolitik und hier hat Deutschland deutlichen Nachholbedarf. Das Steuerrecht muss endlich einfach und transparent werden, damit Bürger und Unternehmen es als gerecht empfinden und akzeptieren. Ein kompliziertes Steuerrecht, das für den einzelnen nicht mehr durchschaubar ist, wird schon allein deswegen als ungerecht angesehen. Die bisherigen Reformbestrebungen der Bundesregierung sind zu zaghaft. Auch die Gemeindefinanzreform, die sich mit einer Umgestaltung der Gewerbesteuer befassen soll, ist ins Stocken geraten.

Neben der Einfachheit und Transparenz des Steuersystems ist die Steuerlast ein bedeutender Standortfaktor. Jeder Investor - ob aus- oder inländisch - lässt die Steuern in seine Entscheidung einfließen. Folgerichtig wirkt sich eine hohe Steuerlast negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Wirtschaftsstandorts aus und gefährdet Wachstum und Wohlstand. Für Deutschland gilt dies umso mehr, da insbesondere in weiten Teilen der Industrieunternehmen die Krise zu einer Verschlechterung der Eigenkapitalausstattung geführt hat. Steuerliche Entlastungen, die unsere Unternehmen dauerhaft fit machen, bleiben also ein weiteres wichtiges Ziel. Die notwendige Haushaltskonsolidierung darf dadurch nicht infrage gestellt werden - das zeigen die Turbulenzen an den Märkten für Staatsanleihen. Die Konsolidierung darf jedoch nicht als K.-o.-Kriterium missbraucht werden.

Insbesondere die systematischen Mängel des Steuerrechts müssen und können kurzfristig beseitigt, zumindest deutlich entschärft werden. Das betrifft vor allem die Kostensteuern, die Unternehmen auch dann zahlen müssen, wenn sie keinen Gewinn oder sogar einen Verlust gemacht haben. Die Hinzurechnungen bei Zinsen, Mieten, Pachten und Leasingraten im Rahmen der Gewerbesteuer sind Gift für Eigenkapital und Liquidität unserer Unternehmen - sie müssen deshalb abgeschafft werden. Denn es geht hier nicht um ein wohlfeiles Steuergeschenk, sondern darum, aus der hoffentlich hinter uns liegenden Krise die richtigen Schlüsse zu ziehen und dem Nettoprinzip in der Besteuerung wieder Geltung zu verschaffen.

Steuervereinfachung umsetzen - Freiraum schaffen

Die unlängst von der Regierungskoalition vorgeschlagenen Maßnahmen kommen dem notwendigen Ziel der Steuervereinfachung näher: Die Gleichstellung der elektronischen Rechnung mit der Papierrechnung für umsatzsteuerliche Zwecke bietet beispielsweise ein großes Potenzial zur Bürokratieentlastung. Ob die erhofften Einsparungen in Milliardenhöhe bis 2011 bei den Unternehmen auch eintreten, hängt allerdings von der tatsächlichen Umsetzung durch die Finanzverwaltung ab - ebenso wie bei den Vorhaben einer modernen Gruppenbesteuerung und einer verbesserten Verlustverrechnung. Insoweit sehen die Unternehmen hier den Bürokratieabbau noch als Erwartungswert. Auch eine zeitnahe Betriebsprüfung würden den Unternehmen helfen, weil sie dann besser planen können. Dabei müssen steuerliche Risiken möglichst gering gehalten werden. Noch immer vergehen in manchen Fällen zehn Jahre, bis eine Betriebsprüfung abgeschlossen ist. Die Finanzverwaltung hat in einigen Bundesländern Pilotprojekte zur zeitnahen Betriebsprüfung begonnen und auch erste Erfahrungen gesammelt. Nun sollten die ersten positiven Erfahrungen in konkrete gesetzliche Vorschläge münden, damit die Betriebe auch bundesweit davon profitieren können. Es ist geboten, dass Betriebsprüfungen spätestens fünf Jahre nach dem betreffenden Wirtschaftsjahr abgeschlossen sein müssen. Ein begrüßenswerter Nebeneffekt wäre, dass man die steuerlichen Aufbewahrungsfristen ebenfalls verkürzen könnte. Das spart den Unternehmen zusätzlich Kosten.

Darüber hinaus sollte die Politik auch den Katalog der ermäßigt besteuerten Waren und Dienstleistungen des Umsatzsteuerrechts angehen. Hier gibt es großes Potenzial zur Vereinfachung. Die Liste der Ausnahmen von der Regelbesteuerung (19 Prozent) ist lang und kompliziert. Zuletzt wurde sie sogar noch durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz erweitert. Der Bundesrechungshof und die Universität Saarbrücken stellen zu Recht die sozialpolitische Rechtfertigung einer Vielzahl solcher Steuervergünstigungen infrage, zumal Abgrenzungsprobleme mit entsprechenden Risiken die Folge sind. Also: Ist Sojamilch auch Milch im Sinne der Umsatzsteuer oder nicht? Und warum wird ein Hörbuch mit 19 Prozent, ein gedrucktes Buch aber nur mit sieben Prozent besteuert? Hier ist im Laufe der Zeit ein undurchschaubarer Wildwuchs entstanden. Wird dieser beseitigt, könnte am Ende der normale Mehrwertsteuersatz sogar deutlich gesenkt werden.

Vorsteuervergütung

Ein weiteres Problem bei der Umsatzsteuer betrifft das Verfahren der - mittlerweile elektronischen - Vorsteuervergütung. Seit 2010 müssen die Unternehmen ihre Vorsteuervergütungsanträge nicht mehr in jedem EU-Staat stellen. Vielmehr sollen sie zentral im jeweiligen Ansässigkeitsstaat elektronisch von den Steuerbehörden entgegengenommen und in diejenigen Staaten weitergeleitet werden, in denen ein Vergütungsanspruch besteht. Bis heute hat aber keine staatenübergreifende Harmonisierung der Software-Systeme stattgefunden, und in einigen Staaten ist das elektronische Vorsteuervergütungsverfahren überhaupt noch nicht funktionsfähig. Die deutsche Finanzverwaltung hat zwar mit Fristverlängerungen für die Anträge reagiert. Das Verfahren funktioniert allerdings noch nicht reibungslos. Die Wirtschaft hat deshalb entsprechende Empfehlungen abgegeben. Dabei geht es zum Beispiel auch um solche Banalitäten, dass die Finanzverwaltung endlich die gängigen Programme in der aktuellen Version benutzt, damit die Unternehmen die Daten friktionsfrei übermitteln können.

Neue Bürokratie vermeiden

Wer Bürokratie spürbar abbauen will, muss auch dafür sorgen, dass nicht zugleich neue Bürokratie entsteht. Dass das nicht immer funktioniert, zeigt etwa die E-Bilanz: "Elektronik statt Papier" war das Motto des Steuerbürokratieabbaugesetzes 2008. Ab dem Jahr 2011 müssen demnach die Unternehmen ihre Bilanzen an die Finanzämter nicht mehr in Papierform, sondern elektronisch übermitteln. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) soll Gliederungsumfang und-tiefe der zu übermittelnden Daten festlegen.

Im BMF-Entwurf sind jedoch jetzt die Anforderungen viel umfangreicher als bisher: Die Mindestvorgaben an die Gliederung einer Bilanz, die das Handelsrecht vorgibt, werden um ein Vielfaches erweitert, um den Finanzämtern die Besteuerung zu erleichtern - je nach Unternehmensgröße von 23 beziehungsweise 62 Pflichtfeldern auf 178. Die Unternehmen befürchten einen Umstellungsaufwand in Milliardenhöhe, der durch Kostenersparnisse in der Zukunft nicht kompensiert wird. Die Probleme hat zum Glück auch die Finanzverwaltung erkannt: Inzwischen wird die Anwendung der E-Bilanz um ein Jahr verschoben. Dieser Aufschub muss genutzt werden, um den Umfang der geforderten Daten auf das Notwendige zu reduzieren.

Kostenbesteuerung abschaffen - Liquidität verbessern

Unternehmen sind auf ausreichende Liquidität und Finanzierungsmöglichkeiten angewiesen - nicht nur in Krisenzeiten. Die Fremdfinanzierung wird aber durch die Kostenbesteuerung im Steuerrecht erschwert, in manchen Fällen sogar verhindert.

Die Hinzurechnungen von Zinsen, Mieten, Leasingraten und anderen Finanzierungselementen erhöhen die Gewerbesteuerlast und treffen manche Unternehmen sehr hart. Insgesamt tragen sie aber - abgesehen von wenigen Großstädten - kaum zur Stabilisierung der Steuereinnahmen in den Kommunen bei. Hingegen gilt: Mit dem Verzicht auf die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen würde das Eigenkapital der Unternehmen geschont und die konjunkturelle Erholung sogar noch beschleunigt. Die Gemeindefinanzen könnten durch andere, weniger schädliche Elemente stabilisiert werden, etwa durch eine höhere Beteiligung an der Lohn- oder Umsatzsteuer.

Die Zinsschranke soll in erster Linie die Verlagerung von Gewinnen ins Ausland getarnt als Zinszahlung an andere Unternehmensteile - verhindern oder erschweren. Die Erfahrungen zeigen aber: Häufig trifft diese "Missbrauchsverhinderung" ganz normale Fremdfinanzierungen im Inland, zum Beispiel im Bau. Mit der Abschaffung oder wenigstens einer Entschärfung der Zinsschranke würden Unternehmen wieder mehr Flexibilität bei der Finanzierung erhalten.

Ärgernis Mantelkaufregelung

Ein weiteres Ärgernis ist die Mantelkaufregelung: Gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten sind der Kauf beziehungsweise die Sanierung notleidender Unternehmen unerlässlich, um Arbeitsplätze zu erhalten. Hierfür müssen Verluste beim Kauf von Unternehmensbeteiligungen mit Gewinnen verrechnet werden dürfen. Die Mantelkaufregelung verhindert dies weitgehend. Infolgedessen bleiben auch notwendige unternehmensinterne Umstrukturierungen auf der Strecke. Zur Heilung dieser Problematik ist zwar im Wachstumsbeschleunigungsgesetz die Sanierungsklausel verlängert worden. Diese kann wegen EUrechtlicher Vorbehalte allerdings bis auf Weiteres nicht angewandt werden.

Hinzu kommt: Mit der Besteuerung von "Funktionsverlagerungen" wird die Nutzung von Know-how verteuert. Denn wer eine gute Idee im Inland entwickelt und sie im Ausland produktiv einsetzt, muss dafür jetzt dem deutschen Fiskus Steuern zahlen. Für die Quantifizierung dieser "Funktion" müssen Unternehmen außerdem einen hohen bürokratischen Aufwand betreiben. Bis zu vier verschiedene Bewertungen fallen an. Das passt nicht zu dem Plan der Bundesregierung, Deutschland als Forschungs- und Entwicklungsstandort zu stärken.

Steuersystemreform anpacken - Standortqualität erhalten

Steuervereinfachung und die Abschaffung der Substanzbesteuerung sind wichtige, kurzfristige Maßnahmen. Das deutsche Steuerrecht hat aber auch darüber hinaus systematische Schwächen, die zumindest mittelfristig behoben werden sollten. Zwischen und innerhalb der einzelnen Steuerarten haben sich in den letzten Jahrzehnten zum Teil große Verwerfungen ergeben. So ist zum Beispiel eine rechtsformneutrale Besteuerung noch immer nicht gewährleistet. Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften werden vielmehr höchst unterschiedlich besteuert. Hieran konnte auch die mit der Unternehmensteuerreform 2008 eingeführte Thesaurierungsrücklage die geringere Besteuerung nicht entnommener Gewinne - nichts ändern, da dieses Instrument wegen seiner Komplexität nur eine geringe Akzeptanz erfährt.

Zu Ungerechtigkeiten führt auch der sogenannte Mittelstandsbauch bei der Einkommensteuer. Dahinter verbirgt sich, dass der Steuertarif im unteren Einkommensbereich stärker ansteigt als im höheren. Dies führt gerade bei Existenzgründern und Arbeitnehmern in den unteren Lohngruppen dazu, dass bei jedem zusätzlich verdienten Euro überproportional hohe Steuern anfallen. Der untere Tarifverlauf der Einkommensteuer muss daher zumindest abgeflacht werden.

Die hohen Exportüberschüsse Deutschlands rühren vor allem daher, dass über Jahre hinweg Staat und Unternehmen hierzulande wenig investiert hatten. Vor der Krise war damit begonnen worden, diesen Investitionsstau abzuarbeiten. Hier müssen wir wieder ansetzen und dafür sorgen, dass sich der Aufwärtstrend der Investitionen in Deutschland weiter verfestigt. Aus steuerlicher Sicht ist es deshalb dringend geboten, die im Zuge des Konjunkturpaketes II verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen - Stichwort: degressive AfA - dauerhaft zu verlängern. Für sich genommen entstünden dem Finanzminister Mindereinnahmen in Höhe von rund vier Milliarden Euro. Doch das Investment ist zur Sicherung unserer Zukunftsfähigkeit ein lohnenswertes.

Die Herausforderungen an das Steuersystem, um Wachstum und Wohlstand hierzulande zu sichern, sind vielfältig. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag angekündigt, sich der Aufgabe einer Steuerstrukturreform zu stellen. Es wäre wichtig, dass sie die Herausforderungen beherzt angeht - natürlich ohne das Ziel der Haushaltskonsolidierung zu gefährden.

Gespräch zwischen Politik und Wirtschaft

Für sich betrachtet würden diese und weitere notwendige Reformschritte kurzfristig zu Steuermindereinnahmen führen. Dem stehen allerdings auf Sicht zusätzliche Einnahmen aufgrund positiver Wachstumseffekte entgegen. Konservativen Schätzungen zufolge macht die Selbstfinanzierungskraft dieser Steuerreformen mindestens 30 Prozent aus.

Die aktuelle Steuerschätzung zeigt zudem, dass die Einnahmen des Staates früher als erwartet deutlich steigen werden. Von Mai bis November 2010 haben sich die erwarteten Steuereinnahmen von 510 Milliarden Euro auf rund 525 Milliarden Euro erhöht. Sollte der unmittelbare Steuerausfall aus den oben genannten Reformschritten trotz der absehbaren Mehreinnahmen nicht tragbar sein, darf die Politik dennoch nicht vorschnell auf diese wichtigen Maßnahmen verzichten. Eine große Chance zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland würde vertan. Ich werbe in einem solchen Fall dafür, das Gespräch zwischen Politik und Wirtschaft zu führen - vielleicht gelingt es uns ja doch, gemeinsam ein vernünftiges Paket zu schnüren: Hier die richtigen Reformschritte, dort die Gegenfinanzierung durch mehr Wachstum, mehr Investitionen und Subventionskürzungen.

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