Gespräch des Tages

Aktienkultur - Herber Rückschlag

Vor 16 Jahren ging die Deutsche Telekom unter immenser Medienbegleitung an die Börse. Die T-Aktie sollte die Deutschen zu einem Volk von Aktionären machen, und der Börsengang des rosa roten Unternehmens wurde zum Lackmustest dafür, ob die Deutschen zu einer Aktienkultur angelsächsischer Prägung fähig sind oder nicht. Die Hochstimmung währte jedoch nur kurz. Auf die ursprüngliche T-Euphorie folgte alsbald der jähe Absturz. Hierdurch bereits schwer angeschlagen hat sich die Anzahl der Aktionäre in Deutschland vom Crash am Neuen Markt bis heute noch nicht erholt. Und die dritte Schockwelle in Form der weltweiten Finanzmarktkrise 2008 machte die Aktienzuneigung der Privatanleger zu einem großen Teil zunichte.

In schöner Regelmäßigkeit beklagt das Deutsche Aktieninstitut (DAI) deshalb seit Platzen der New-Economy-Blase den kritischen Zustand der heimischen Aktienkultur. Inzwischen haben sich die Wogen etwas geglättet, und die seit der Finanzmarktkrise verloren gegangenen deutschen Anleger kehren offenbar zaghaft wieder in die Aktie zurück. Von einer endgültigen Stabilisierung der Aktionärszahlen will das DAI noch nicht sprechen, aber mit 15,7 Prozent der Gesamtbevölkerung erreichte die Aktionärsquote im ersten Halbjahr fast wieder das Niveau von 2007. Von den einstigen Rekordständen ist Deutschland noch weit entfernt.

Ein neuerlicher Rückschlag droht nun allerdings in Form der Beipackzettel. Gemäß § 31 Absatz 3a Wertpapierhandelsgesetz sind seit dem 1. Juli 2011 alle Anlageberater in den Banken und Sparkassen verpflichtet, ihren Privatkunden ein "kurzes und leicht verständliches Informationsblatt" zur Verfügung zu stellen, wenn sie den Kauf eines Finanzinstruments empfehlen. Das Produktinformationsblatt (PIB) soll wesentliche Merkmale eines Finanzproduktes kurz und prägnant beschreiben sowie die Vergleichbarkeit verschiedener Finanzprodukte erhöhen. Nach einer Umfrage des DAI unter rund 1 600 deutschen Kreditinstituten hat inzwischen ob dieser Pflicht nahezu jede zweite Bank oder Sparkasse den Umfang der Aktienberatung reduziert; fast 15 Prozent der befragten Institute haben die Aktienberatung sogar vollständig eingestellt. Insbesondere für kleinere Institute mit überschaubarem Kundenstamm sei der Aufwand zur Bereitstellung von Produktinformationsblättern zu Einzelaktien unverhältnismäßig hoch.

Aber auch die anderen Institute, die den Umfang ihrer Aktienberatung trotz PIB nicht eingeschränkt haben, können ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht immer in vollem Umfang nachkommen. So ist die Verfügbarkeit von PIB in der Regel auf Aktien der Dax-Unternehmen beschränkt, und nur etwas mehr als die Hälfte der Umfrageteilnehmer kann diesen Index überhaupt vollständig abdecken. Bei den Unternehmen der anderen Indizes respektive Börsensegmente ist eine vollständige Abdeckung mit PIB sogar eher die Ausnahme, denn nur rund fünf Prozent der Umfrageteilnehmer verfügen über PIB für alle im Prime und General Standard der Frankfurter Wertpapierbörse sowie im Freiverkehr notierten Unternehmen.

Sicherlich - diese ernüchternden Ergebnisse zeugen von einer gewissen Verdrängung der Banken aus der Aktienberatung. Für viele Kreditinstitute stellen die Produktinformationsblätter aber im Vergleich zu den anderen aufsichtsrechtlichen Anforderungen jedoch die geringeren Hürden dar. Aus den Regulierungen, vor allem in der Wertpapierberatung, - so formulierte es beispielsweise Georg Fahrenschon auf der diesjährigen Kreditpolitischen Tagung (siehe Beitrag in diesem Heft) - spreche nur noch Misstrauen gegenüber Mitarbeitern von Kreditinstituten. Die aufwendige Protokollierung der Beratung, das Register für Kundenbeschwerden bei der BaFin sowie anonyme Testkäufe von Verbraucherschützern erschwere die Beratung, demotiviere Berater und untergrabe systematisch das Vertrauen von Kunden in Kreditinstitute. So werde der letzte Rest an Aktienkultur in Deutschland zerstört. Soll das vermögenspolitische Ziel, die Aktienakzeptanz in breiten Bevölkerungsschichten zu erhöhen, nach wie vor Gültigkeit besitzen, muss der Gesetzgeber nicht nur, wie es das DAI empfiehlt, Einzelaktien von der Pflicht für ein PIB ausnehmen. Das Problem ist deutlich grundlegenderer Natur.

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