Leitartikel

Bilanzwahrheiten

"The use of fair-value accountig raises pressing technical concerns from sudden shifts of inputs in a mark-to-market environment. The Committee proposes, as an urgent priority, a technical dialogue among firms and with auditors, rating agencies, investors, analysts and supervisors, to enhance understanding of valuations and to discuss how best to summarize for disclosure the uncertainties, assumptions, adjustments, risk sensitivities and other limitations of valuations in the mark-to-market environment, especially where indirect inputs are used or valuations are based on models. This may need to take place under official auspices to address legal concerns that could inhibit communications among firms on valuation questions. The expectation is that dialogue and improved disclosure will be the way to achieve greater convergence in valuation approaches and greater confidence in the results of the valuation process." So heißt es ausführlich unter Punkt 68 des Interim Report der internationalen Bankenvereinigung Institute of International Finance (IIF). Kurz und knapp bedeutet das nichts anderes als das, was Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, der auch Chairman des IIF ist, kürzlich aussprach: "In Zeiten illiquider Märkte ist Mark-to-Market ein Fehler".

"Die Frauen bemühen sich, den Mann zu ändern, und jammern dann, dass er nicht mehr der Alte ist", so soll es die US-amerikanische Schauspielerin, Sängerin und Regisseurin Barbara Streisand einst gesagt haben. Wird vielen wirklich erst jetzt bewusst, dass IAS beziehungsweise IFRS auch seine Tücken hat. Dass die immer wieder gelobte und geforderte Transparenz auch negative Auswirkungen haben kann? Dass der Markt keineswegs immer zwischen Bewertungsverlusten und echten Verlusten zu unterscheiden weiß und zu Übertreibungen neigt?

Man hätte es wissen können. Denn es ist ja nicht so, als hätte keiner vor den Problemen einer IFRS-Bilanzierung gewarnt. Nur einige, wenige Beispiele: "Die geplanten Anpassungen der Standards machen aus theoretischer Sicht zwar Sinn, doch werden sie von der Praxis kritisch hinterfragt. Der maßgebende Grund liegt darin, dass Erfolgsrechnungen künftig durch eine deutlich höhere Volatilität geprägt sein werden", schrieb Ernst & Young schon 2005. "Die IFRS-Bilanzierung mit ihren größeren Ermessensspielräumen und potenziell höheren Volatilitäten bei Eigenkapital und Erfolg wird erhebliche Auswirkungen auf die Unternehmen und auch auf die Arbeit der Bankenaufsicht haben.

Zudem bedeuten die größeren Ermessensspielräume der IFRS ein erhöhtes Unsicherheitspotenzial für die Marktteilnehmer" - Zitat Edgar Meister, ehemals Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, zuständig für Bankenaufsicht 2006.

Die Erklärung ist einfach: Während die althergebrachte Rechnungslegung nach HGB den Gläubigerschutz und die Kapitalerhaltung in den Mittelpunkt stellt, sind die IFRS am Informationsinteresse der Investoren ausgerichtet. Während das HGB mit der Anschaffungskostenorientierung, dem Realisations- und Imparitätsprinzip und der bewussten Bildung stiller, für Außenstehende nicht einsehbare und damit auch nicht kalkulierbare Reserven den Vorsichtsgedanken im Kern hat, stellen die IFRS mit der Zeitwertorientierung gerade im Bereich der besonders relevanten Finanzinstrumente und dem damit verbundenen Ausweis unrealisierter Bewertungsergebnisse über die Gewinn- und Verlustrechnung oder direkt im Eigenkapital für Banken, Aufseher, Wirtschaftsprüfer und Investoren eine ganz andere, neue Herausforderung dar. Die Institute unterwerfen sich damit voll und ganz dem "Druckkessel der Kurzfristigkeit", wie es ein Banker jüngst ausdrückte.

Hinzu kommt, dass die IFRS keine prinzipienorientierte Rechnungslegung wie das HGB darstellen, sondern sich aus tausenden von Einzelfallvorschriften zusammensetzen. Ein verlässliches Kalkulieren ist damit für die Bilanzierer kaum möglich, da für jeden neuen, bislang nicht geregelten Fall neue Paragrafen erlassen werden müssen. "Damit haben wir es mit einer kaum überschaubaren Fülle an Detailregelungen zu tun, die sich zu meterhohen Papierbergen türmen. Die Rechnungslegung gerät somit in Gefahr, zu einem Suchen nach der jeweils passenden Regel zu degenerieren", warnte der frühere LRP-Chef und Wirtschaftsprüfer Klaus Adam bereits 2003. Allein 2005 hat das International Accounting Standards Board (IASB) über 600 Änderungen vorgenommen und fünf neue Standards erlassen. Ob man sie heute noch kennt und braucht?

Die entscheidende Frage darf sein, ob es für den Investor wirklich relevant ist, beinahe wöchentlich den neuen Wasserstand mitgeteilt zu bekommen. Verwirrt das nicht mehr, als dass es nützt, von den wenigen professionellen Anlegern einmal abgesehen? Ein Beispiel: Die Helaba musste im ersten Quartal 2008 rund 200 Millionen Euro auf den Handelsbestand abschreiben. Zum Termin der Bilanzpressekonferenz Anfang April hatte sich dieser Wert bereits wieder um ein Viertel auf 150 Millionen Euro reduziert. Und welcher Anleger weiß es richtig zu beurteilen, wenn in ein oder zwei Jahren üppige Zuschreibungen aus nicht mehr benötigten Einzelwertberichtigungen die Gewinne explodieren lassen, ohne dass ein Cent mehr Geschäft gemacht wurde? Wahrhaft eine außerordentliche Welt!

Volatilitäten sind aber nicht nur ein Problem der Rechnungslegung. Ganz offensichtlich fehlt es den maximierungs-orientierten Händlern in den Bankensälen nämlich auch an einem gesunden Risikobewusstsein. Wie sonst könnte es angehen, dass ein Landesbankenvorstand dieser Tage zu berichten wusste, dass seine Kreditabteilung, die er durch die Handelsbücher hat schauen lassen, mittels einfachster Methoden und vorliegenden Informationen vor aufkommenden Risiken gewarnt hat, die die Händler als unbedenklich eingestuft hatten? Die Positionen wurden geschlossen und hohe Abschreibungen blieben dem Institut erspart.

Bemerkenswert an der gegenwärtigen Diskussion um Mark-to-Market ist, dass gar nicht generell und im Kern über eine Anpassung beziehungsweise Verbesserung der Internationalen Rechnungslegungsstandards nachgedacht werden soll, sondern nur dann, wenn es den Banken die Ergebnisse verhagelt. In schwierigen Kapitalmarktzeiten also. Dann sollen, so das IIF, die Institute vom Zwang Mark-to-Market abweichen können. Das riecht ein wenig nach hochprofessioneller Bilanzkosmetik: So lange die Handelsabteilungen schöne Gewinne machen, werden diese voll ergebniswirksam abgebildet, damit man sich für die herausragende Eigenkapitalrendite auf die Schulter klopfen und sich in der Öffentlichkeit sonnen kann. Läuft es aber mal nicht so an den Märkten, dann werden die Bewertungsverluste, die mitunter auch zu ordentlichen Quartalsverlusten und damit meist auch schmerzvollen Kursverlusten führen, bitteschön nicht gezeigt. Das kann nicht richtig sein, denn es verletzt jedes Transparenz- und Nachhaltigkeitsprinzip der Rechnungslegung! Statt Kochbuch-Bilanzierung werden sich

Generalregeln entwickeln müssen, hat Hans Wagener, Vorstandssprecher der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers auf der "Kreditpolitischen Tagung" im vergangenen Jahr gefordert.

Darüber hinaus gibt es einfache Umsetzungsfragen. Wer entscheidet, wann schwierige Marktverhältnisse vorliegen und ab wann welche Bank auf eine ständige Bewertung ihrer Bestände verzichten kann? Für wie lange kann Mark-to-Market ausgesetzt werden? Wann müssen die Verluste, die aufgelaufen sind, in der Rechnungslegung nachgeholt werden, sollten sich die Märkte nicht erholen und die Wertminderungen dauerhaft seien? Schwierig, schwierig.

Es ist auch kein Argument, dass für manche Finanzprodukte derzeit kein Markt und damit auch keine Preise zur Verfügung stehen würden und so mehr geschätzt als tatsächlich bewertet werden muss. "Neben der bilanziellen Abbildung stellt insbesondere die Bewertung strukturierter Finanzprodukte (etwa CDO) für alle Beteiligten eine große Herausforderung dar. So sind beispielsweise Fair-Value-Werte für wenig liquide Produkte schwer zu ermitteln", stellte Hans Wagener weiter fest. Kaum jemand hat sich daran in den guten Tagen, als diese strukturierten Produkte als geradezu wundersame Waffe zur Verminderung des Risikos galten, ernsthaft gestört. Nein, erst jetzt reibt man sich offensichtlich verwundert die Augen - übertriebenerweise. Denn selbstverständlich gibt es in den hochspezialisierten Control-ling-Abteilungen internationaler Banken genauso wie bei den Aufsichtsbehörden und den Wirtschaftsprüfern ausreichend gute Modelle, die eine weitgehend verlässliche Einschätzung der Positionen ermöglichen, auch wenn es dafür gerade keinen Markt gibt.

Aufgabe jeder Bilanzierung ist es, zu einem bestimmten Stichtag ein tatsächliches Bild der Lage zu vermitteln - nicht mehr und nicht weniger. Damit das so bleibt und den Investoren verlässliche Informationen zur Verfügung stehen, darf an den gängigen Bilanzierungsregeln nicht nach Wünschen und Gutdünken gerüttelt werden. Dem kleinen mittelständischen Unternehmer, dem wegen der hohen Energiepreise beispielsweise das Geld ausgeht und der gutmeinend im

Sinne der Fortführung des Betriebs und der Arbeitsplätze die Bilanz "ein bisschen" schönt, droht Haft wegen Bilanz betrugs. Aber vielleicht meinen die betroffenen Bankvorstände das alles gar nicht so und wir haben es nur wieder einmal falsch verstanden. Wer versteht schon noch Bilanzen? P. O.

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