Aufsätze

Demokratie und Partizipation in Kreditgenossenschaften - erlebte Teilhabe oder Illusion?

Sind Kreditgenossenschaften auch heute noch gelebte Selbsthilfeorganisationen, die ein besonderes Merkmal haben? Oder ist letztendlich durch die zahlreichen Fusionen dieses kennzeichnende Element durch Entfremdung von der Basis abhanden gekommen?1) Insbesondere unter dem Aspekt, dass mittlerweile die französischen Genossenschaftsbanken2) in den deutschen Markt eintreten, ist diese Frage hochaktuell, ebenso unter dem Gesichtspunkt der weiteren Konsolidierung des deutschen Bankensektors.

Entscheidungsträger im kreditgenossenschaftlichen System

Die Genossenschaft ist der Urtyp der demokratischen Selbstverwaltung im ökonomischen System. Als kleine und kleinste Selbsthilfeorganisationen Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, legten sie mit gemeinschaftlicher Kontrolle und gemeinschaftlichen, stets von der Mehrheit ihrer Mitglieder getragen, gemäß dem Prinzip "A man a vote" die Geschäftspolitik, insbesondere die auf die Mitglieder beschränkte Kreditvergabe fest. Dies ist durchaus mit der heute bereits ausgezeichneten Mikrokreditvergabe3) vergleichbar, da die Kenntnis und Selbstkontrolle spektakuläre oder existenzgefährdende Ausfälle weitgehend ausschloss.

Wie jedoch ist die Situation in der von einem "Raubtierkapitalismus"4) geprägten Umwelt des 21. Jahrhunderts? Genügen die modernen Kreditgenossenschaften noch den Mitbestimmungs-Prinzipien, die an sie zum Zeitpunkt ihrer Gründung gestellt wurden?

Die zunehmende Größe durch Fusionen der kreditgenossenschaftlich organisierten Banken ist ein kontinuierlicher Prozess. Damit einhergehend wachsen die Anforderungen an die Leitung, und somit entfremdeten sich die ursprünglich noch sehr basisnahen Volks- und Raiffeisenbanken immer mehr von ihrem stark regionalbezogenen Ursprung.

Das einschneidendste Ereignis war sicherlich die Einführung des Vier- Augen-Prinzips in den siebziger Jahren, welches einen Zwang zu hauptamtlichen Vorständen festschrieb. Mit dem 1998 verabschiedeten Konzept der Bündelung der Kräfte entstehen nunmehr Großkreditgenossenschaften, die aus unternehmerischer und wirtschaftlicher Sicht sicher anders agieren als die ursprünglichen Selbsthilfeorganisationen.

Eine vereinfachte Übersicht über die Informationsverknüpfungen und die gemäß dem genossenschaftlichen Prinzip festgelegten Entscheidungswege innerhalb einer Primärgenossenschaft zeigt die Abbildung. Organe einer Kreditgenossenschaft sind: Die Generalversammlung,5) der Aufsichtsrat und der Vorstand.

Es wird deutlich, dass die wichtigste Entscheidungsbefugnis theoretisch bei den Mitgliedern der Primärgenossenschaft liegt. Damit ist das Entscheidungsgremium mit der höchsten Befugnis letztlich die General- oder Vertreterversammlung.6)

Der Aufsichtsrat hat in dem Informationsgeflecht eine zentrale Rolle inne: Gebildet aus der Mitte der General- oder Vertreterversammlung, ernennt er den Vorstand als oberstes, die Genossenschaft nach außen vertretendes Gremium. Er wird von dem Vorstand über wesentliche Vorgänge im Geschäftsleben der Genossenschaft (zum Beispiel Großkredite, aber auch wesentliche Vorhaben wie Kooperationen, Fusionen oder Personalangelegenheiten auf der zweiten Führungsebene) informiert. Bei der Willensbildung innerhalb der Primärgenossenschaft vertritt der Aufsichtsrat gleichsam die Interessen aller Mitglieder. Er ist aber auf die Informationen, die er vom Vorstand und von den genossenschaftlichen Institutionen bekommt, bei der Erfüllung seiner Aufgabe angewiesen.

Zentrale Stellung des Vorstands

"Der Vorstand leitet die Genossenschaft in eigener Verantwortung".7) Dieser zentrale Satz verdeutlicht, unbeschadet aller sonstigen Einflüsse, die zentrale Stellung des Vorstands im Entscheidungsfindungsprozess kreditgenossenschaftlicher Banken. Der Vorstand trifft dementsprechend wesentlich die Weichen stellenden Entscheidungen und unterrichtet die Gremien der Kreditgenossenschaft sowie die Institutionen des Verbandes zu einem ihm geeignet erscheinenden Zeitpunkt.

Obwohl er de facto abhängig von den anderen Organen der Genossenschaft ist, besitzt er durch seine hervorgehobene Stellung die Möglichkeit, einen Entscheidungsprozess zu initiieren, zu beschleunigen, zu verlangsamen oder diesen gar zu unterbinden. Die von dem Vorstand informierten Gremien sind in ihrer Entscheidung in besonderem Maße von den Informationen des Vorstands abhängig.8)

(Wirtschaftlicher) Vorteil aus einer Beteiligung

Eine weitere Rolle im Rahmen von Entscheidungsprozessen in Primärkreditgenossenschaften spielen die genossenschaftlichen Institutionen. Hierunter werden die Prüfungsverbände, Regionalverbände, der BVR und die Zentralbanken verstanden.9) Auch diese Gruppen nehmen an dem genossenschaftlichen Entscheidungsprozess teil.

Als Ziel der Beteiligung an einer Genossenschaft wird gemeinhin vereinfacht das Förderungsprinzip des einzelnen Genossen durch die Gemeinschaft gesehen. Operationalisieren lässt sich dieser Förderungsauftrag nur schwer, obwohl er seit Jahren Gegenstand der genossenwissenschaftlichen Diskussion ist. Er wird abgeleitet aus dem § 1 Abs. (2) des Genossenschaftsgesetzes.10) Grosskopf weist darauf hin, dass "... es im Grunde unmöglich ist, das "wahre" Interesse der Genossenschaftsmitglieder und damit den genossenschaftlichen Förderungsauftrag verallgemeinert zu bestimmen."

Die "wirtschaftliche Förderung der Mitglieder in ihrer Identität als Kunden und Träger ihrer Genossenschaft"11)ist demnach der Hauptzweck der Genossenschaften. Die Mitglieder versprechen sich demnach einen wirtschaftlichen Vorteil aus ihrer Beteiligung.

Wenn die Existenz einer selbstständigen, regionalen Bank ein wesentliches Interesse der Mitglieder ist, dann werden diese ihre Interessen auf der General- beziehungsweise Vertreterversammlung entsprechend wahrnehmen. Ist dieses jedoch nicht der Fall, ist ihnen diese Frage mithin so bedeutungslos, weil sie als Mitglieder der Kreditgenossenschaft nur darauf achten, eine Bankfiliale vor Ort zu haben.

Eine Untersuchung der Einstellung von Mitgliedern einer ehemals selbstständigen Raiffeisenbank hat gezeigt, dass die Selbstständigkeit einer Primärgenossenschaft nicht hoch bewertet wird und somit kein Kriterium ist. Eine Fusion wird von den Mitgliedern auch im Nachhinein befürwortet.12) Die Kritikpunkte, die von den Mitgliedern der Kreditgenossenschaft genannt wurden, beziehen sich nicht auf die Fusion an sich, sondern nur auf Folgewirkungen der Fusion.13)

Kontrollfunktion

Von ihrer Möglichkeit, eine Fusion durch ihre Stimme zu verhindern, machen die Genossen auf der General- beziehungsweise Vertreterversammlung in der Regel keinen Gebrauch. Singer weist beispielsweise in seiner Studie bereits darauf hin, dass die Informationspolitik des Vorstands die entscheidende Bedeutung über das Zustandekommen einer Fusion hat.14) Daher lässt sich schlussfolgern, dass der faktische Einfluss der Mitglieder sehr begrenzt ist und für die Entscheidungsfindung zum Beispiel über eine Fusion keine Rolle spielt. Der Aufsichtsrat als Organ der Genossenschaft hat das gesetzliche Ziel "... den Vorstand bei seiner Geschäftsführung in allen Zweigen der Verwaltung zu überwachen".15) Es stellt sich die Frage, ob der Aufsichtsrat selbst aktiv tätig werden kann, also eigene Ziele verfolgen darf und ob er diese Möglichkeit auch nutzt. Im Regelfall dürfte er dieses nicht tun und sich ganz auf seine Kontrolltätigkeit zurückziehen.16) Daher ziehen die in den Aufsichtsrat einer Genossenschaft gewählten Personen vielmehr einen persönlichen Nutzen aus ihrer Stellung als Aufsichtsrat (Prestigegewinn).17)

In ihrer Entscheidungsfindung sind Aufsichtsräte auf die Informationen des Vorstands und der genossenschaftlichen Interessenverbände angewiesen, wenngleich sie sich externer Sachverständiger bedienen können.18) Diese Möglichkeit wird jedoch in der Praxis höchst selten ausgenutzt. Weiterhin wird der Aufsichtsrat als der verlängerte Arm der General- beziehungsweise Vertreterversammlung bezeichnet, im Regelfall wird er trotz der Möglichkeit, den Vorstand abzuberufen (und somit massiven Druck ausüben zu können), nur sehr selten von sich aus tätig. In der Regel erfolgen einschneidende Maßnahmen aufgrund von Initiativen des jeweiligen Genossenschaftsverbandes. Konkret fungiert er durch seine auch in den Satzungen verankerte und beschriebene Rolle eher als Mitwirkungsorgan, welches in die Entscheidungsfindung einbezogen wird. Offene Kontroversen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat sind höchst selten, die Abstimmung erfolgt im Vorfeld.

Handlungsleitlinie

Da der Vorstand die Genossenschaft in eigener Verantwortung leitet, kann die Zielvorgabe eventuell einen Hinweis auf eine Handlungsleitlinie geben. Die Zielvorgabe der Genossenschaft an den Vorstand lautet "... unter den jeweils gegebenen Umständen, vor allem in Anpassung an die bestehende Marktlage stets so zu handeln, wie es auf Dauer allen Mitgliedern und ihren Wirtschaften am besten zum Nutzen gereicht".19) In der Realität des täglichen Handelns muss jedoch berücksichtigt werden, dass der Vorstand auch persönliche, gegebenenfalls konkurrierende Ziele verfolgt.20)

Dem heutigen Bild des Vorstands einer Bank wird das Bild eines als Manager21) tätigen Vorstands mehr gerecht als die Vorstellung des unter Verzicht auf eigene Ziele wohlwollend nur für die Mitglieder der Genossenschaft tätigen Bankleiters.22) Aufgrund seiner Stellung, Macht und Einflussmöglichkeiten besitzt der Vorstand einer Genossenschaftsbank eine dem Geschäftsleiter eines mittelständischen Betriebes vergleichbare Stellung. Der Vorstand ist das zentrale und einflussreichste Gremium im Meinungsbildungsprozess der Kreditgenossenschaften.23)

Funktion der Prüfungs-, Regional- und Dachverbände

Die Prüfungs-, Regional- und Dachverbände haben, da sie keine Organstellung besitzen, keinen direkten Einfluss auf die einzelne Primärbank. Auf indirektem Wege können sie aber sehr wohl Einfluss auf die Entscheidungen der jeweiligen Bank nehmen.24) Sie verfügen über ein großes Reservoir sowohl an Informationen an sich als auch über sehr gute Möglichkeiten der umfassenden Informationsbeschaffung. Ebenso können die Interessenverbände über bankinterne Vorgänge Informationen bekommen, da sie unter anderem per Gesetz für die Prüfung der Primärbanken zuständig sind.25)

Wie die Auswirkungen von Prüfungshandlungen sein können, beschreibt das damalige BAKred in seinem Jahresbericht 2001 mit dem Satz: "Darüber hinaus bildeten auch die zahlreichen informellen Kontakte und Besprechungen auf Instituts-, Verbands- und Verbundebene sehr nützliche Informationsquellen".26) Somit können auch die Interessenverbände Informationen über sich abzeichnende Schwierigkeiten oder Vorhaben zur Zusammenarbeit der einzelnen Primärgenossenschaft frühzeitig nutzen.27) Daneben kann der Bundesverband auch über den Sicherungsfonds, dem alle genossenschaftlich organisierten Kreditinstitute angehören müssen, Druck im Sinne eines bestimmten Verhaltens ausüben.28) Dieser Einfluss wird insbesondere durch das Institutsrating, nach welchem sich die Höhe der Beiträge zum Fonds bemisst, erheblich gestärkt.29)

Managementkontrollierte Unternehmen

Die starke Position des Vorstands in einer Genossenschaftsbank ist deutlich geworden. Daher lässt sich die These aufstellen, dass die Geschäftsleiter sich in ihrer Funktion nicht wesentlich von den Leitungen von GmbHs oder AGs unterscheiden. Diese These wird insbesondere dadurch unterstützt, dass die Genossenschaften als managementkontrollierte Unternehmen im Sinne von Bühner aufzufassen sind. Da bei Genossenschaften gemäß Genossenschaftsgesetz grundsätzlich die Bestimmung "ein Mann - eine Stimme" gilt, sind Genossenschaften stets durch die fehlende Stimmausübung ihrer Mitglieder als managementkontrollierte Unternehmen zu betrachten.30) Dementsprechend können die Vorstände ihre Interessen weitgehend selbstständig durchsetzen. In seiner Untersuchung fand Topp eine Bestätigung dafür, dass die Vorstände von Primärgenossenschaften über einen hohen Grad an Autonomie verfügen. Gerstenmaier weist darauf hin, dass das Interesse der Mitglieder an Mitspracherecht von "... untergeordneter Bedeutung ist, wobei die Manager der Genossenschaftsbanken sich dieser Tatsache durchaus bewusst sind."31)

Die im Rahmen der Studie zur Bündelung der Kräfte festgestellten Ergebnisse deuten in die gleiche Richtung. Damit wäre eine These bestätigt, welche Hahn als einen möglichen zukünftigen Typ von Kreditgenossenschaft prophezeite: die Genossenschaft als Manager-Unternehmung.32) Er zeigt auf, dass diese Art der Unternehmensphilosophie keine Ausnahme mehr darstellt und folgert, dass diese eigentlich der Rechtsform der Genossenschaft nicht bedarf.33) Boettcher urteilt ähnlich und deutet auf die Freiheiten des Managements hin, die in einem solchen Falle größer sind als in jeder anderen Rechtsform.34) Ebenso verweist Kleine darauf, dass mangels klarer genossenschaftlicher Ziele "[...] die hauptamtlichen Geschäftsführer den genossenschaftlichen Betrieb in der Hand haben".35) Gerstenmaier zeigt die Machtakkumulation des Vorstands anhand der Wahlen zur Vertreterversammlung auf und weist darauf hin, dass der Vorstand letztlich die Wahl des Gremiums bestimmt, welches ihn kontrollieren soll.36) Demokratie und Mitbestimmung, so Gerstenmaier, entspricht diese Vorgehensweise nicht.37)

Unterstützend und bezeichnet ist in diesem Zusammenhang, dass sich einer der Einwände des BVR zur Änderung des Genossenschaftsgesetzes (Regierungsentwurf) gegen eine stärkere demokratische Mitbestimmung gerichtet hat. Der BVR nennt die Vereinfachungen zur Einberufung einer General- oder Vertreterversammlung "unpraktikabel". Mit dieser Positionierung stärkt der BVR noch die ohnehin starke Stellung des Vorstands.

Der typische Ablauf der "genossenschaftlichen Demokratie"

Zwei besondere Faktoren kennzeichnen die heutige Lage der Mitbestimmung und Kontrolle der kreditgenossenschaftlichen Organisation:

Das Desinteresse der Genossenschaftsmitglieder an gelebter Mitbestimmung,

die Tätigkeiten des Vorstands in Bezug auf Wahlen.

Der erste Aspekt geht einher mit dem allgemein festgestellten Desinteresse der Menschen an der Politik und der Überzeugung, nichts in ihrem Sinne bewirken zu können. Im Rahmen der kreditgenosssenschaftlichen Organisation verstärkt sich dieser Trend noch durch die Bildung von Vertreterversammlungen, bei denen nur noch ein kleiner Teil der Genossenschaftsmitglieder anwesend ist. Hinzu kommt, dass jeder, der Einfluss gewinnen möchte, Zeit für Informationsbeschaffung und Überzeugungsarbeit leisten muss. Dazu sind heute immer weniger Bürger bereit, welches auch in verschiedenen sozioökonomischen Studien belegt worden ist. Daher muss konstatiert werden, dass eine bedeutende Ursache für die starke und bestimmende Stellung des Vorstands einer Kreditgenossenschaft die mangelnde Mitwirkung der Mitglieder ist. Hinzu tritt die Entfremdung der Genossen von ihrem Institut durch die wachsenden Größen, welchem durch die Bildung von Vertreterversammlungen Rechnung getragen wird. Ortsversammlungen, die lediglich informierenden Charakter haben, können diese Entfremdung nicht aufheben.

Probleme und Folgen der mangelnden Mitwirkung

Der zweite Aspekt folgt unmittelbar aus der fehlenden Mitwirkung der Mitglieder. Dieser führt dazu, dass Vorstände von Genossenschaftsbanken, wenn Wahlen zu Vertreterversammlungen notwendig sind, von sich aus Listen mit Wahlvorschlägen auslegen. Es liegt auf der Hand, dass bekannt unbequeme Mitglieder nicht auf den Listen erscheinen werden. Die Mitglieder machen von der Möglichkeit, eigene Listen auszulegen, keinen Gebrauch. Somit werden bereits die Vertreter ganz nach Geschmack der Institutsleitung ausgewählt.

Die Vertreterversammlung wählt dann in der Regel den Aufsichtsrat aus ihrer Mitte auf Vorschlag des amtierenden Vorstands. Das bedeutet, dass auch hier keine Kontrolle durch die gewählten Vertreter erfolgt. Vielmehr ziehen oft die größten Kunden der Bank (Kreditnehmer) oder aber wichtige regionale Persönlichkeiten (Bürgermeister, kirchliche Würdenträger) in den Aufsichtsrat ein. Deshalb kann davon gesprochen werden, dass die heutigen genossenschaftlichen Organe im Wesentlichen durch die jeweiligen Vorstände oktroyiert werden.

Die mangelnde Mitwirkung und die Oktroyierung der Gremien durch die Vorstände münden letztlich in einer mangelnden Kontrolle der Kreditgenossenschaften durch ihre Organe. Die Vertreter der Genossenschaftsmitglieder sind in diesen Fällen nicht nur fachlich oft überfordert, sondern in einigen Fällen durchaus auch befangen. Diese Fälle wären zu konstituieren, wenn zum Beispiel der Eigentümer hoher Anlagen, der im Aufsichtsrat sitzt, permanente Sonderkonditionen erhält, die nicht marktüblich sind. Im anderen Falle des großen Kreditnehmers ist die Abhängigkeit noch fataler: Beispielsweise könnte allein die Vermutung, falsches (nicht dem Willen des Vorstands entsprechendes) Verhalten würde zu einem erschwerten Zugang zu Krediten führen, angepasstes Abstimmungsverhalten begünstigen.

Tatsächlich haben die Aufsichtsräte in vielen kritischen Fällen immer erst auf Intervention von außen (Verbände, Finanzaufsicht) reagiert. Damit besteht die begründete Vermutung, dass die ursprüngliche Selbstkontrolle weitgehend entfallen ist. Vielmehr hängt der Erfolg einer Genossenschaft völlig von einer klugen Politik des jeweiligen Vorstands ab.

Stärkung der genossenschaftlichen Kerngedanken

Die genannten Faktoren führen dazu, dass nur sehr wenige Varianten zur Stärkung der besonderen Stellung der Kreditgenossenschaften im Drei-Säulen-System verbleiben. Zum einen wäre die schwächste Form der Appell an die Mitglieder, sich selber verstärkt einzubringen. Zielführend wären wahrscheinlich jedoch stärker administrative Maßnahmen und gesetzliche Regelungen:

Stärkung der Mitwirkungsrechte der Genossenschaftsmitglieder durch drastische Senkung der Quoten für die Einberufung von Generalversammlungen einerseits, andererseits die Pflicht der Mitglieder, für die Wahlen selbst tätig zu werden, verbunden zum Beispiel mit einer Wahlpflicht.

Denkbar wäre ein Verbot für die Leitung der Genossenschaft, Listen und Vorschläge auszulegen und so genehmigen zu lassen, und die Pflicht, dass Mitglieder in Sitzungen, gegebenenfalls in Ortsversammlungen, direkt Vertreter zu wählen haben (sowohl für Vertreterversammlungen als auch für Aufsichtsräte). Ein Nichterscheinen könnte zum Beispiel mit Ausschluss aus der Genossenschaft oder Verlust der Dividende zugunsten einer wohltätigen Organisation sanktioniert werden.

Sicher kann eine Beeinflussung oder vorherige Auslese auch in diesen Fällen nicht ausgeschlossen werden. Jedoch führt ein Zwang zur Mitwirkung in jedem Fall zu mehr gelebter Demokratie. Andererseits führt ein Desinteresse mit Ausschluss zu der Erkenntnis, dass zumindest für den Bankensektor in dem Falle fehlender Mitwirkung die besondere Form der Genossenschaft anscheinend aus der Sicht ihrer Mitglieder nicht mehr erforderlich ist, letztlich zu mehr Ehrlichkeit und würde den Weg zu einer sektorübergreifenden Konsolidierung öffnen.

Daher sollten alle Beteiligten den Mut haben, ihre Zukunft, die Zukunft der Kreditgenossenschaften, wieder stärker in die Hände ihrer Mitglieder zu geben. Damit kann der Organisation gerade in den Zeiten der Globalisierung eine neue, wegweisende Funktion zugeschrieben werden.

Nicht zuletzt ist eine der Auswirkungen der gegenwärtigen Verwerfungen auf den Märkten, sich wieder stärker auf das regionale Umfeld zu besinnen. Hier kann die genossenschaftliche Organisation, wenn sie das Herz in die Hand nimmt, wegweisend sein. "Yes, we can! " diese Aussage des amerikanischen Präsidenten Barack Obama sollte auch der Leitspruch der Kreditgenossen werden.

Fußnoten

1) Der Artikel basiert auf Ergebnissen der Studie zur Bündelung der Kräfte, erschienen 2007 im Logos-Verlag, Berlin.

2) Am 11. Juli 2008 ist die Übernahme des deutschen Geschäfts und der Filialen der Citibank durch die französische Genossenschaftsbank Credit Mutuel bekannt geworden. Die Credit Mutuel ist auf dem deutschen Markt bisher mit einer Beteiligung von fünf Prozent an der Card Process, einem genossenschaftlichen Dienstleister vertreten.

3) Muhammad Yunus erhielt 2006 den Friedensnobelpreis für seine Idee und die Grameen-Bank, welche er gegründet hat.

4) Diese Bezeichnung wählte der Bundesminister für Finanzen Peer Steinbrück im Jahr 2005.

5) Ab einer Größe von 1 500 Mitgliedern kann die Generalversammlung durch eine Vertreterversammlung ersetzt werden, vgl. hierzu § 43a GenG.

6) Diese höchste Befugnis ergibt sich aus der Kraft, den Aufsichtsrat zu berufen oder abzuberufen, der wiederum den Vorstand bestellt. Vgl. hierzu § 36 (1) und (3) GenG i. V. m. § 40 GenG. Der Vorstand wird gemäß § 24 (2) GenG von der Generalversammlung gewählt und abberufen. Die Satzungen der einzelnen Genossenschaften ermächtigen oft jedoch abweichend davon den Aufsichtsrat als Vertreter der Genossenschaft zum Abschluss dieser Handlungen.

7) Satzung der Volksbank Bremen Nord eG, § 14 Abs. (1).

8) Es wird hier als Beispiel auf die Ausstellung von Tagesordnungen für die Aufsichtsratssitzungen und die General- beziehungsweise Vertreterversammlungen verwiesen, vgl. zum Beispiel § 28 Abs. (4) der Satzungen der Volksbank Bremen-Nord eG und der Volksbank eG Verden/Aller.

9) Es handelt sich in dem Untersuchungsgebiet um den genossenschaftlichen Prüfungsverband des Genossenschaftsverbandes Norddeutschland, den Genossenschaftsverband Norddeutschland an sich (im folgenden GVN), den Bundesverband der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (im Weiteren BVR) sowie die DZ Bank AG.

10) Vgl. Glenk, Hartmut Genossenschaftsrecht, 2. Auflage, Siegen/München 1998.

11)Grosskopf, Werner: Strukturfragen der deutschen Genossenschaften Teil I, Der Förderungsauftrag moderner Genossenschaftsbanken und seine Umsetzung in die Praxis, in: Veröffentlichungen der DG Bank, Bd. 16, Frankfurt am Main 1990. (1990), Seiten 25 f.

12) Vgl. Singer, Reinhard (1995): Die Einstellung der Mitglieder zu einer fusionierten Raiffeisenbank am Beispiel der Raiffeisenbank Hausen eG, in: Veröffentlichungen des Lehrstuhls für Allgemeine Bank- und Versicherungs-Betriebslehre an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, hrsg. von Prof. Dr. Oswald Hahn, Heft 89, Nürnberg 1995.

13) Vgl. Singer (1995), so wird zum Beispiel negativ gewertet, dass nach Meinung der Befragten wichtige Entscheidungen nicht mehr vor Ort getroffen werden.

14) Vgl. Singer (1995), vgl. Heckt, Joachim G. (1977): Fusionen von Primärgenossenschaften, Analyse zu einer Konfliktsituation und Ansätze zu ihrer Lösung, Dissertation Hamburg 1977 sowie Licht, Wolfgang (1980): Die Beteiligungsfinanzierung der Kreditgenossenschaften, in: Veröffentlichungen des Forschungsinstituts für Genossenschaftswesen an der Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg.

15) GenG § 38 Abs. (1) Satz 1, synonym: "... [sich] ... über die Angelegenheiten der Genossenschaft zu unterrichten"; Satzung der Volksbank Oyten eG, § 22 Abs. (1).

16) Das Genossenschaftsgesetz bietet zwar die Möglichkeit, dem Aufsichtsrat weitere Obliegenheiten durch Statut zuzuweisen, vgl. § 38 Abs. (3) GenG, hiervon wird aber in den Mustersatzungen kein Gebrauch gemacht. Zur mangelnden Kontrolle des Vorstands durch den Aufsichtsrat vgl. Dagott (2005), Seite 74.

17) Vgl. Heckt (1977), Seite 32 f.

18) Vgl. § 22 Abs. (3) der Satzung der Volksbank Bre-men-Nord eG.

19) Henzler, Reinhold: Die Genossenschaft - eine fördernde Betriebswirtschaft, Essen 1957.

20) Möglich ist sowohl eine Zielkongruenz als auch eine Zielkonkurrenz. Als persönliche Ziele können zum Beispiel Machterweiterung, Einkommens teigerung oder gesellschaftliche Stellung genannt werden.

21) Hier verstanden als Vorstand einer Aktiengesellschaft oder Geschäftsführer einer GmbH.

22) Vgl. Heckt (1977), Seite 34 und Licht (1980), Seite 13.

23) Vgl. Licht (1980), Seiten 35 f, der auf das fehlende Weisungsrecht der Generalversammlung hinweist. Ähnlich Dorner, Karin (1991): Die Gewinnverwendungspolitik der Genossenschaftsbanken, in: Veröffentlichungen des Forschungsinstituts für Genossenschaftswesen an der Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg 1991.

24) Vgl. Gerstenmaier, Volker (1992): Zukunftsperspektiven der Kreditgenossenschaften, Frankfurt am Main unter anderem 1992.

25) Vgl. Glenk (1998).

26) BAKred, veröffentlicht unter: BaFin (2002), Geschäftsbericht 2001, Seite 31. 27) Vgl. Heckt (1977), Seiten 38 f.

28) Es können Forderungen in Zusammenhang mit einer Stützungshilfe erhoben werden, wie zum Beispiel die Abberufung von Vorstandsmitgliedern.

29) Mit der Neuordnung des Sicherungsfonds wurde ein vom Institutsrating abhängiger Beitrag eingeführt.

30) Vgl. Bühner, Rolf (1990a): Erfolg von Unternehmenszusammenschlüssen in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1990, Seiten 140 f. Vgl. § 43, Abs. 3 des GenG, wobei die hier genannten Ausnahmen nicht relevant sind. Die Kontrollfunktion des Aufsichtsrates in diesem Zusammenhang hat Heckt (1977), Seiten 32 f. kritisch beurteilt.

31) Vgl. Topp, Stefan (1999): Die Pre-Fusionsphase von Kreditinstituten - eine Untersuchung der Entscheidungsprozesse und ihrer Strukturen, Berlin 1999, Seite 93. Ähnlich Gerstenmaier (1992), Seite 73.

32) Vgl. Hahn, Oswald (1997): Die Zukunft der Genossenschaftsbanken im nächsten Jahrhundert, in: Hamburger Beiträge zum Genossenschaftswesen, hrsg. von Axel Bänsch et al., Heft 16, Hamburg 1997, Seite 1, vgl. Kleine, Walter(1970): Anmerkungen zum Wandel in der genossenschaftlichen Führung, in: Raiffeisen-Rundschau, 9/1970.

33) Vgl. Hahn (1997), Seite 13.

34) Vgl. Boettcher, Erik (1979): Die Problematik der Operationalisierung des Förderauftrages in Genossenschaften: Förderplan und Förderbericht, in: ZfgG, 29. Jg. 1979.

35) Kleine (1970), Seite 403.

36) Vgl. Vollmer, Lothar: Die kapitalistische Genossenschaft, in: Berliner Beiträge zum Genossenschaftswesen, hrsg. vom Institut für Genossenschaftswesen an der Humboldt-Universität zu Berlin, Heft 23, Berlin 1995, der in seinem Titel von der "kapitalistischen Genossenschaft" spricht.

37) Vgl. Gerstenmaier (1992), Seiten 171 bis 173.

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