Zwischenruf

Dietrich H. Hoppenstedt Helmut Geiger, die Finanzkrise und die Schlussfolgerungen für die Sparkassen-Finanzgruppe

In diesen Tagen und Wochen muss sich die Kreditwirtschaft mit den Folgen der weltweiten Krise der Finanzmärkte auseinandersetzen. In bisher nicht gekanntem Umfang sind international tätige Banken - auch einzelne Landesbanken - von Wertverlusten bei strukturierten Produkten und anderen Wertpapieren betroffen. Noch vor einigen Monaten war für die meisten Marktteilnehmer unvorstellbar, dass die Märkte in diesem Maße einbrechen und sich als illiquide darstellen könnten. Herrschte doch damals noch allseits Euphorie - kein Renditeziel schien zu hoch, keine Übernahme zu ambitioniert und kein Finanzprodukt zu schwierig, um es nicht selbst erreichen oder beherrschen zu können. Bankmanager schauten teils verwundert, teils mit Unverständnis auf produzierende und einfache Dienstleistungen erbringende Unternehmen, die sich mit geringen Wachstumsraten und ebenso geringen Renditen abmühten.

Des Kaisers neue Kleider

Mit modernen Finanzprodukten schien das Perpetuum mobile entdeckt. Ja, es schien möglich, sich konsequent und dauerhaft von unzureichenden Wachstumschancen der übrigen Wirtschaftsbranchen abzukoppeln. Die politischen Forderungen der letzten Jahre aus der Finanzbranche waren deshalb vor allem dadurch gekennzeichnet, die Finanzmärkte weiter zu liberalisieren, um ihnen Chancen außerhalb des eigenen Wirtschaftsraums und jenseits von realen Kunden zu ermöglichen.

Einige der handelnden Personen scheinen wirklich geglaubt zu haben, sie könnten sich mit ihren Produkten dauerhaft jenseits der übrigen Wirtschaft bewegen, sie brauchten für ihr Wachstum weder einfache Unternehmen noch durchschnittliche Verbraucher, sondern beide würden sie eher in den eigenen Geschäftschancen begrenzen. Es schien, als wäre in der Finanzbranche eine neue Wirtschaftselite herangereift, die internationale Wachstumsgipfel erklommen, wo sich andere Unternehmen in der Mühe der Ebene mit Kunden und Lieferanten, gar mit realen Waren und Dienstleistungen herumplagten. Wie altmodisch, wie ewig gestrig und zurückgeblieben ...

Doch Hochmut kommt vor dem Fall. Heute sieht das Publikum mit aller ernüchternden Klarheit, dass die neuen Kaiser der Weltwirtschaft ohne Kleider dastehen, dass moderne Finanzinstrumente die Blöße schneller freilegen, als sich mancher Beobachter abwenden kann. Die Risiken, die man meinte so lange auf möglichst viele Schultern verteilen zu können, bis sie sich nahezu in Luft auflösen, haben sich in unerwarteter Höhe verwirklicht. Dies hat zu der unerfreulichen Erkenntnis geführt - in anderen Ländern, wie den USA oder Großbritannien, übrigens viel stärker als in Deutschland -, dass einige Marktteilnehmer die dadurch bedingte Durststrecke nicht ohne Unterstützung überstehen können. Von diesen Banken und ihren Eigentümern musste wahlweise nach Eigenkapitalzufuhr, Haftungsschirmen oder Stützungen durch andere Institutsgruppen (Stichwort IKB) gerufen werden.

Erdung der Kreditwirtschaft

Die nun notwendigen Wertberichtigungen sind eine ebenso unerfreuliche wie notwendige Korrektur. Und sie sind schwierig, denn die im Überschwang der Finanzhaussen eingeführten internationalen Rechnungslegungsstandards IFRS tun ihr Übriges und stiften in kritischen Zeiten eher Verwirrung, statt zur Beruhigung der Märkte beizutragen. Nun übertreffen sich die Finanzmarktakteure fast schon darin zu zeigen, dass sie ihre Lektion gelernt haben. In diesen Tagen werden deshalb viele Vorschläge unterbreitet, um Schlussfolgerungen aus der Krise zu ziehen - von Veränderungen im Basel II-Regiment, über neue Entlohnungssysteme, bis hin zu einer Aufsicht über Ratingagenturen. Manches wird offensichtlich nur deshalb so freizügig angeboten und gefordert, um wirksame staatliche Regulierungen zu verhindern.

Ich habe mich über viele Jahre meiner Tätigkeit in der Sparkassen-Finanzgruppe intensiv mit den Strukturen der Finanzmärkte und den daraus entstehenden Chancen und Risiken beschäftigt. Es ist allerdings Aufgabe der heute Verantwortlichen, detailliert zur aktuellen Situation Stellung zu nehmen und die zahlreichen Vorschläge auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen oder durch neue zu ergänzen.

Ich sehe deshalb mit großer Freude und Zustimmung, dass der DSGV-Präsident Heinrich Haasis die entscheidenden Punkte aufgreift und kraftvoll die Stimme erhebt. Ich kann ihn nur unterstützen, weiterhin energisch die Vorteile des dezentralen Geschäftsmodells der Sparkassen herauszustreichen. Denn dieses ist mit seiner realwirtschaftlichen Anbindung vor Ort und seiner stabilisierenden Rolle für den Finanzmarkt und die deutsche Volkswirtschaft insgesamt in den letzten Monaten auf beeindruckende Weise bestätigt worden. Diese Tatsache könnte noch deutlicher artikuliert werden, gäbe es da nicht einige Landesbanken, die sich leider in ihrem Erscheinungsbild nicht von privaten Großbanken unterscheiden.

Ich will mich auf einen grundsätzlichen Punkt konzentrieren, nämlich auf die Frage, wie die Kreditwirtschaft nach einer hoffentlich sanften Landung aus den Höhen der Finanzmärkte wieder stärker geerdet werden kann. Es ist ein interessantes Detail, dass sich diese Frage ausgerechnet zum 80. Geburtstag des früheren DSGV-Präsidenten Helmut Geiger stellt. Denn die Finanzkrise findet pünktlich zu dem Zeitpunkt statt, wo es gilt, einen der profiliertesten Kritiker von abgehobenen Finanzgeschäften zu ehren. Er war und ist der markanteste Sparerschützer der deutschen Nachkriegsgeschichte - ein Mann, der immer dafür gestritten hat, bei wirtschaftlichen Entscheidungen - geld- oder finanzpolitischer Natur - den Bezug zum einfachen Sparer herzustellen und zu bewahren. Noch heute kennen ihn viele ältere Bürger in dieser - ihm auf den Leib geschneiderten - Rolle.

Durch realwirtschaftliche Anbindung Risiken minimieren

Wäre Helmut Geiger im letzten Jahr 80 geworden, hätten ihn mit dieser Haltung viele für einen Finanzfachmann der Vergangenheit gehalten. In den oben beschriebenen Sturm- und Drangzeiten der modernen Finanzprodukte wäre ein "Sparerschützer" eher altmodisch erschienen. Jetzt dürfte auch dem letzten Beobachter deutlich werden, wie berechtigt damals und heute die Forderungen nach einer realwirtschaftlichen Anbindung der Finanzmärkte sind. Wenn eine Wirtschaft insgesamt nur um die drei Prozent wächst und produzierende Unternehmen im Schnitt Renditen unter zehn Prozent einfahren, dann kann eine Finanzwirtschaft nicht dauerhaft Renditen von 25 Prozent und mehr erwirtschaften, ohne gigantische weltwirtschaftliche Risiken auszulösen oder zumindest zulasten anderer Wirtschaftsakteure zu leben.

Dann ist es übrigens nicht einmal verdienstvoll, rechtzeitig aus dem Krisenmarkt ausgestiegen und so Verluste vermieden zu haben. Ich würde mich ungern künftig auf solche Eingebungen besonders begabter Analysten verlassen, sondern lieber Strukturen erhalten, die nicht vom Glück abhängig sind, sondern systematisch durch realwirtschaftliche Anbindung Risiken minimieren.

Bodenhaftung für die Landesbanken

Nun muss Bodenhaftung für die Finanzwirtschaft allerdings auch organisiert werden. Was dies für die Verankerung der privaten Kreditwirtschaft im deutschen Markt bedeutet und welche Chancen sich aus den absehbaren Verkäufen einiger Retailinstitute ergeben, mögen die Verantwortlichen selbst erkennen und in die Tat umsetzen. Ich will mich in meiner Betrachtung auf die öffentlich-rechtliche Kreditwirtschaft konzentrieren. Dabei steht für mich die Betrachtung des Landesbankensektors im Vordergrund.

Die Landesbanken haben heute eine Struktur und Geschäftsmodelle, die eine Orientierung an der Realwirtschaft sehr erschwert. Die vorhandenen Kapazitäten sind zu groß, als dass sie durch Geschäfte für und mit Sparkassen oder durch an der Realwirtschaft orientierte Geschäftsbankaktivitäten ausgelastet werden könnten.

Es ist deshalb zwangsläufig, dass so aufgestellte Landesbanken ihre Geschäftschancen in internationalen Finanzmarktgeschäften suchen und damit unter Umständen übermäßige Risiken eingehen. Wer dies ändern will, muss die Kapazitäten der Landesbanken so zurückfahren, dass sie in ihrer Ertragsstruktur gleichmäßig auf mehreren Beinen stehen können und nicht allein vom internationalen Kapitalmarktgeschäft abhängig sind. Ohne nachhaltige Fusionen unter Landesbanken werden sich weder dieser Kapazitätsabbau noch die ausgewogene Ertragsstruktur organisieren lassen.

Landespolitik - Schicksal von Landesbanken ... und Sparkassen?

Nun bekenne ich, dass diese Erkenntnis nicht wirklich neu ist. 1989 haben die Sparkassen die Fusion der Landesbanken zu einem gemeinsamen Spitzeninstitut beschlossen - unter Führung des damaligen Präsidenten Helmut Geiger. Dieser hat die Notwendigkeit zur Landesbankenkonsolidierung als einer der ersten gesehen und einen kraftvollen Vorschlag unterbreitet. Die Erkenntnis der Sparkassen war vorhanden, der Wille auch. Allein die Bundesländer als Mitträger der Landesbanken haben sich diesem Votum nicht anschließen wollen.

In den Folgejahren stand die Gestaltung der deutschen Einheit auf der Tagesordnung. Versuche von Helmut Geiger, damals der Deutschen Girozentrale in den neuen Bundesländern eine besondere Rolle zu geben, verfingen sich in dem neu erwachenden Länderbewusstsein und angesichts unterschiedlicher regionaler Interessen innerhalb der Sparkassenorganisation.

In den folgenden Präsidentschaftsjahren von Horst Köhler konnten mit vereinten Kräften DGZ und Deka zur heutigen kräftigen Deka-Bank zusammengeführt werden. Danach wurden Bemühungen des DSGV, Landesbanken zusammenzuführen, in der Regel durch die entsprechenden Bundesländer torpediert. Als ein besonderer Fehler für den Finanzplatz Deutschland und Frankfurt gleichermaßen erwies sich vor allem die Blockade des hessischen Ministerpräsidenten gegen eine Zusammenführung von Deka-Bank, Landesbank Hes-sen-Thüringen und Landesbank Rheinland-Pfalz. Wäre dies entsprechend den Vorschlägen des DSGV umgesetzt worden, wäre Frankfurt heute das Kraftzentrum der deutschen Landesbanken, dem sich andere Institute in der Konsolidierungsdiskussion nicht entziehen könnten. Im Übrigen würde die ebenso unnütze wie schädliche Diskussion über Vertikalisierung unter diesen Bedingungen von niemandem geführt.

Politisches und wirtschaftliches Risiko Ebenso fatal wie falsch war die Entscheidung der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen im letzten Jahr, die sich abzeichnende Fusion von LBBW und WestLB zu blockieren. Das hätte natürlich die Betroffenheit der WestLB von der Finanzkrise nicht verhindern, ihr aber eine glaubwürdige und zukunftsträchtige Perspektive verschaffen können. Diese steht heute noch aus.

Kurzum: Die Landesbankenkonsolidierung steht nach wie vor auf der Tagesordnung. Sie ist durch die Finanzmarktkrise noch dringlicher geworden. Ich bin mir sicher, dass sich die heutigen Verantwortlichen der Schwierigkeit der Aufgabe bewusst sind. Das macht nur ein schrittweises Vorgehen möglich. Allerdings sollte dabei die durch Helmut Geiger aufgezeigte Perspektive eines Zusammenführens der Landesbanken auf realistischerweise - zwei bis drei Blöcke niemals aus den Augen verloren werden.

Das war damals richtig und es ist auch heute richtig. Nur ist es heute noch dringlicher als damals: Denn defizitäre Strukturen bei Landesbanken sind ein politisches und wirtschaftliches Risiko für die gesamte Gruppe, nicht zuletzt für die Sparkassen. Sie haben deshalb allen Grund und alle Berechtigung, gegenüber der Landespolitik jetzt endlich energische Schritte einzufordern. Heinrich Haasis verdient hier alle Unterstützung der gesamten Sparkassen-Finanzgruppe, aber auch der Politik. Sie wird erkennen müssen, dass nur auf diesem Wege auch ein ihr heute obliegendes wirtschaftliches und politisches Risiko entschärft werden kann.

Zwei Kraftzentren in der Gruppe

Natürlich wird in diesem Zusammenhang durch die Bundesländer - aber nicht nur durch sie - die Rolle des DSGV mit großem Argwohn gesehen. Traditionell hat die Sparkassen-Finanzgruppe mehrere Kraftzentren, die sich gegenseitig kontrollieren, aber manchmal auch marginalisieren. Hier dürfte eine große Herausforderung für die Zukunft liegen.

Der DSGV hat - beginnend mit dem ersten hauptamtlichen Präsidenten Helmut Geiger - in den letzten Jahren schrittweise seine Rolle und seine Zuständigkeiten ausbauen können und müssen. Helmut Geiger war der Erste, der dies gegen selbstbewusste Präsidenten von regionalen Sparkassenverbänden durchsetzen musste. Ich weiß dies aus eigenem Erleben, denn ich selbst war damals einer der regionalen Präsidenten, die für sich aus der Funktion als Träger von mehreren Verbundunternehmen eine gestaltende Rolle reklamiert haben.

Horst Köhler hat als DSGV-Präsident eine Satzungsbestimmung durchgesetzt, wonach der DSGV - und allein der DSGV - die strategische Ausrichtung der Gruppe festlegt. Ich habe mir dann als DSGV-Präsident diese Kompetenz zur Festigung der Spar-kassen-Finanzgruppe und ihrer erstmaligen Wahrnehmung als gemeinsame Gruppe zu eigen gemacht - auch als Folge der schwierigen Einigung mit der Brüsseler EU-Kommission über Anstaltslast und Gewährträgerhaftung.

Alle hauptamtlichen DSGV-Präsidenten haben in den letzten Jahren die strategische Kompetenz und Rolle des DSGV schrittweise erweitert. Dieser Prozess wird weitergehen - er muss auch weitergehen. Denn inzwischen zwingen die Marktveränderungen zu immer mehr Gemeinsamkeiten. Vor einigen Jahren rechtfertigte sich die starke Rolle von Regionalverbänden aus ihrer Trägerfunktion für Verbundunternehmen. Inzwischen entsteht mit dem Konsolidierungszwang der Verbundunternehmen auch eine Notwendigkeit, die Rolle der Regionalverbände neu zu interpretieren. Ich bin davon überzeugt: Die Zukunft der Sparkassen-Finanzgruppe liegt in zwei Kraftzentren: erstens vor Ort bei den Sparkassenvorständen, die kraft Kundennähe Steuerungskompetenz brauchen, um das Marktpotenzial der Gruppe im Vertrieb optimal auszuschöpfen. Und zweitens beim DSGV, der die Aufgabe hat, Entwicklungs- und Abwicklungsaufgaben einheitlich und möglichst nur einmal zu organisieren.

Schnelle Fokussierung?

Die Regionalverbände als Träger von Verbundunternehmen sind - zusammen mit den Landesbanken - zugleich auch Träger des DSGV und damit Grundlage dieses Kraftzentrums. Bei der IT ist dieser Weg schon gegangen worden, bei den Landesbanken muss er entschlossen weitergehen und auch bei den Versicherungen muss ein engeres Zusammenrücken erfolgen. Je schneller die Gruppe diese Fokussierung auf zwei Kraftzentren erreicht, desto besser wird sie die Chancen ihres dezentralen Geschäftsmodells nutzen können.

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