Gespräch des Tages

Europäische Zentralbank - Normale Unwägbarkeiten

Erfolg macht manchmal anfällig. Vielleicht ist auch deshalb in der Europäischen Zentralbank derzeit eine etwas größere konstruktive Unruhe zu spüren, die angepeilten Ziele der Preisniveaustabilität weiterhin in der gewohnten Güte zu erfüllen. Je besser und länger es nämlich gelingt, die quantitative Definition von Preissteigerungsraten von unter, aber nahe bei zwei Prozent zu halten, umso mehr muss die Notenbank gerade an möglichen Wendepunkten der Zinszyklen Wachsamkeit walten lassen. Und in diesem Sommer 2007 könnten nicht nur die üblichen aktuellen Entwicklungen an den Geld- und Gütermärkten sowie die wenig erforschten Auswirkungen von Hedgefonds und Private Equity auf die Stabilität des Finanzsystems die Unsicherheit erhöhen, besondere Aufmerksamkeit erfordern, sondern auch der Wechsel an der französischen Regierungsspitze erfordert zumindest für eine Übergangsphase einen höheren Grad an Aufmerksamkeit.

Bei aller grundsätzlichen Gelassenheit war kürzlich auch bei Jürgen Stark ein wenig von diesem Gemisch an großen und kleinen Sorgen zu spüren, wenngleich sich der Chefvolkswirt der EZB nach dem ersten Jahr seiner Amtszeit mit einer durchschnittlichen Inflation von 2,05 Prozent und einer Inflationserwartung von 1,9 Prozent zu recht "nahe an der Preisniveaustabilität" fühlen darf. Die greifbarste Unwägbarkeit ist zurzeit einfach die Diskussion über den Grad der Einmischung der Politik in die Unabhängigkeit der Europäischen Notenbank. So ganz sicher scheint man sich auch in der EZB-Spitze nicht zu sein, wie weit die von der französischen Politik angestoßene Debatte um den Grad der Notenbankautonomie führen wird. Jürgen Stark hat an dieser Stelle zwar seine Beruhigung bekundet, dass kein Land die politischen Forderungen unterstützt hat wie sie im französischen Wahlkampf artikuliert wurden. Und er spricht auch von einer inzwischen im eigenen Haus schon recht gut gediehenen europäischen Kultur, die von keinem Land ausgehebelt werden kann. Aber er ist lange genug im Geschäft, um aus eigener Erfahrung zu wissen, dass neue Regierungen schon häufiger die Machtverhältnisse zwischen Politik und Notenbanken ausgetestet haben. Der deutschen Politik kann sich Stark in dem Abwehrkampf ebenso sicher sein wie seines französischen Präsidenten an der EZB-Spitze. Letzterer passt mit seinem engagierten Auftreten für die Unabhängigkeit der EZB keineswegs in das Bild des industriepolitisch geprägten Franzosen - geradezu deutsch sei er, heißt es.

Für die Stabilität der Finanzmärkte ist dieses machtpolitische Gerangel um die Ausrichtung der Geldpolitik der EZB freilich nur ein unnötiger Störfaktor, der die nüchterne Analyse des monetären und wirtschaftlichen Umfelds überlagert. In der Analyse der weltwirtschaftlichen Entwicklung lenkt Stark den Blick angesichts der hohen Kapazitätsauslastung, der Rohstoffknappheit und der Liquiditätsbedingungen an den Märkten zwar auf das Inflationspotenzial, er verweist aber gleichzeitig auf das erfreulich hohe Wirtschaftswachstum. Das Muster von drei bedeutenden Regionen mit einer Abschwächung in den USA, einem Aufschwung in Europa und einer anhaltenden Dynamik in Asien kann seiner Ansicht nach zu einer Reduzierung der Ungleichgewichte führen.

In der Sache defensiv, aber grundsätzlich gesprächsbereit und offen für Argumente zeigt sich Jürgen Stark schließlich in der Diskussion um die umfassende Beurteilung der Risiken für die Preisstabilität aus der monetären und wirtschaftlichen (nicht-monetären) Analyse, der sogenannten Zwei-Säulen-Strategie. Auch wenn derzeit in Fachkreisen Hinweise diskutiert werden, dass monetäre und nicht monetäre Indikatoren zu völlig unterschiedlichen Einschätzungen über die Gefahren für die Preisstabilität führen, sieht Stark den seit Ende der neunziger Jahre geltenden Analyserahmen im EZB-Rat von niemanden grundsätzlich in Frage gestellt. Angesichts sehr niedriger Zinsen über einen langen Zeitraum, den ungeklärten Einflüssen von Finanzinnovationen auf die Geldnachfrage, möglicherweise geänderten Wirkungen steigender Wechselkurse und schließlich auch Mutmaßungen über eine Veränderung der empirisch messbaren Zusammenhänge zwischen Löhnen beziehungsweise Preisen und der Arbeitslosigkeit in Richtung einer Abflachung der vieldiskutierten Phillipskurve zeigt er sich aber sehr offen für verstärkte Forschungsanstrengungen.

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