Kreditwesen aktuell

Frage an zwei Börsenexperten: Was bedeutet die Alleinstellung der Deutschen Börse für den Finanzplatz Deutschland und die hiesigen Kreditinstitute

Franz S. Waas: "Es könnte wieder das Thema einer Zerschlagung aufkommen"

"Mögliche Fusionen zwischen Börsenbetreibern waren in den vergangenen zwei Jahren eines der dominierenden Themen am Finanzplatz. Die Deutsche Börse hatte zuletzt ergebnislos mit der Mailänder Börse und mit Euronext über eine Fusion
verhandelt; die Gespräche sind nun für beendet erklärt worden.

,Keine gewöhnlichen Unternehmen'

Zunächst die Hintergründe: Als Folge der Internationalisierung des Wertpapierhandels kam es ab Mitte der Neunzigerjahre zu Überlegungen für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Börsen. Im Jahr 1998 schlossen sich DTB und die schweizerische Soffex zur Eurex zusammen, 2000 wurde die Börsenorganisation Euronext gegründet. Auslöser dieser Entwicklung war insbesondere der Wunsch internationaler Kreditinstitute nach einer stärkeren Zentralisierung der Infrastrukturen im Wertpapiergeschäft, um Kosten zu senken.

Im elektronischen Börsenhandel sind extreme Skaleneffekte möglich, das heißt die Stückkosten können durch eine entsprechende Auslastung der Infrastrukturen erheblich reduziert werden. Hinzu kam, dass eine zunehmende Zahl der zuvor eher vereinsmäßig organisierten und im Eigentum von Banken und Maklern befindlichen Börsen zu börsennotierten und damit handelbaren Unternehmen wurden. Schon während dieser Prozesse wurde deutlich, dass Börsen aufgrund ihrer volkswirtschaftlichen Funktion keine gewöhnlichen Unternehmen sind und Fusionen oder Übernahmen von Börsen eine hohe Zahl von Interessen unterschiedlicher Kreise berühren.

Was folgt hieraus für die aktuelle Situation? Die bloße Tatsache, dass es zunächst keinen Zusammenschluss der Deutschen Börse mit einer anderen Börsenorganisation gibt, ist erst einmal als neutral zu bewerten: Denn es bleibt beim Status quo.

Die Frage ist, ob sich die Situation für den Finanzplatz und seine Marktteilnehmer, wie zum Beispiel die Unternehmen der Sparkas-sen-Finanzgruppe, verschlechtert, wenn es zu anderen Zusammenschlüssen kommt, wie etwa zwischen Euronext und Nyse oder Akteure wie Private-Equity-Gesellschaften als Investoren der Deutschen Börse auftreten sollten. Bezüglich der Aktionäre bleibt vor allem abzuwarten, wie sich die an Deutscher Börse und Euronext maßgeblich beteiligten Hedgefonds verhalten werden. Sie haben ihre Beteiligungen zu deutlich niedrigeren Kursen erworben und hätten gegenwärtig eine hervorragende Möglichkeit ihre Kursgewinne zu realisieren. Sollten daraus Veränderungen in der Aktionärsstruktur beziehungsweise bei den strategischen Interessen der Aktionäre der Deutschen Börse resultieren, könnte dies weit reichende Konsequenzen haben.

Mangels anderer strategischer Alternativen könnte zum Beispiel wieder das Thema einer Zerschlagung der Deutschen Börse aufkommen. Zu einer solchen Konstellation müssen sich die Akteure am Finanzplatz Gedanken machen. Hierbei ist insbesondere die Funktion der Börsen zu berücksichtigen. Die Wertpapierbörse ist von zentraler Bedeutung für einen funktionierenden Kapitalmarkt, da sie den Unternehmen die Eigenkapitalaufnahme ermöglicht und für eine effiziente Kapitalallokation sorgt.

Diese Funktion wird künftig noch wichtiger, da immer mehr mittelständische Unternehmen, die zu den wichtigen Kunden der Sparkassen-Finanzgruppe zählen, den Kapitalmarkt aufsuchen werden. Für den internationalen Kapitalmarkt sind mittelständische Unternehmen häufig zu klein und daher auf das nationale Umfeld angewiesen. Insofern ist das Vorhandensein einer leistungsfähigen Börsenorganisation in Deutschland von großer Bedeutung. Der Erfolg des 2002 eingeführten Prime und General Standard und der Einrichtung des Entry Standard in 2005 belegen dies.

Hervorragende Infrastruktur

Damit einhergehend ist natürlich auch der Zugang zur Geschäftsabwicklung, das heißt dem Clearing und Settlement notwendig. Diesbezüglich verfügen wir national unter dem Dach der Deutschen Börse über eine hervorragende Infrastruktur, an deren Erhalt gerade der eher national ausgerichtete Teil der deutschen Kreditwirtschaft interessiert sein muss. Aufgrund der frühzeitig betriebenen Elektronisierung des Börsengeschäfts, verfügt die Deutsche Börse zudem über einen internationalen Teilnehmerkreis, der den inländischen Kreditinstituten das grenzüberschreitende Handelsgeschäft erleichtert.

Ob - losgelöst von der Frage der Aktionärsstruktur/-interessen - schon durch eine Fusion von Euronext und Nyse negative Folgen für den hiesigen Finanzplatz zu erwarten sind, ist schwierig zu prognostizieren. Besteht die Gefahr, dass sich der Handel von der Deutschen Börse auf einen solchen Börsenplatz verlagert oder letztere in Bezug auf die Kosten nicht mehr konkurrenzfähig sein könnte, und dass ihre Handelsteilnehmer zu einer anderen Organisation abwandern? Auszuschließen ist dies nicht. Die Deutsche Börse kann hiergegen jedoch Vorsorge treffen, in dem sie den Kunden in den Mittelpunkt stellt.

So ist durch eine weiterhin maßvolle Regulierung des Börsenhandels dafür Sorge zu tragen, dass die Emittenten und Banken nicht übermäßigen Anforderungen unterliegen. In diesem Kontext sei an die negativen Konsequenzen des Sarbanes Oxley Act in den USA erinnert, die dazu geführt haben, dass Unternehmen dort kaum noch einen Börsengang erwägen.

Zusätzlich sollte die Deutsche Börse Kostenreduzierungspotenziale, die sie in ihren Infrastrukturen realisieren kann, aktiv an ihre Kunden weitergeben und nicht nur in Form von Sonderdividenden an die Aktionäre. Hierdurch bleibt sie konkurrenzfähig und ein attraktiver Partner. Sie sollte verstärkt den Dialog mit ihren Kunden über die Fortentwicklung der börslichen Dienstleistungsangebote suchen. Hieraus ergibt sich sicherlich nicht in jedem Fall ein großer strategischer Wurf, aber die Kundenbindung als Basis des Geschäftsmodells auch einer Börse wird erhalten und gepflegt. Ein wichtiges Asset, denn die Konkurrenz ist bereits im Anmarsch: Vor wenigen Tagen haben sieben internationale Investmentbanken angekündigt, eine eigene Handelsplattform für den außerbörslichen Aktienhandel aufzubauen."

Otto Schwarzer: "Noch viele Karten im Spiel - aber ein Verlierer"

"Ist es ein Beinbruch, wenn die Deutsche Börse AG jetzt, nach gescheiterten Fusionsversuchen quasi allein dasteht? Nein und ja; denn die Frage ist, wenn schon nicht falsch, so doch unvollständig gestellt. Der Tanz um das goldene Kalb, der Kampf um die wahren Ressourcen, ist noch in vollem Gang. Warum sagt man Fusionieren? Das wahre Wort wäre, ein Schnäppchen zu machen: Euronext hat das beste Quartalsergebnis überhaupt erzielt; der Nymex-Kurs hat sich beim Börsendebüt verdoppelt. Die Ergebnisse der Deutschen Börse für 2006 sind auch nicht von schlechten Eltern.

Und mächtige Kräfte sind derzeit dabei, allen Handelsplätzen das Wasser abzugraben, wie etwa die sieben großen Investmentbanken, die den Rahm abschöpfen und eine eigene europäische Handelsplatzform für Aktien vorbereiten. Gewiss, es soll sich vorerst ,nur' um in Euro denominierte Papiere handeln, doch ist der Schritt zu einer weltumspannenen Konstruktion nicht weit. Schon 2007 will man so weit sein - allerdings, wie zu hören ist, die Abwicklung den traditionellen Häusern wie der deutschen Clearstream oder der LCH Clearnet überlassen. Reto Francioni, Chef der Deutschen Börse, nimmt die Sache sehr ernst und erwägt Gegenmassen. Freilich hat es auf diesem Gebiete schon Flops gegeben, wie Jiway oder Nasdaq Europe. Dennoch tut der Frankfurter Börsen-CEO - und seine Kollegen europaweit - gut daran, sich warm anzuziehen. Es wäre schon ein Vehikel mit großer Potenz, wenn die Bundesbank wirklich zusammen mit den Notenbanken von Frankreich und Italien eine einheitliche Wertpapierabwicklung realisierte. Das T2S (Target 2 Securities) würde sich auf den Euroraum konzentrieren, doch wird eine Machbarkeitsstudie erst für Februar 2007 erwartet. Für die deutsche Börse wäre eine solche Einrichtung fatal; denn damit würde ihr Silo-System - alles aus einer Hand überrollt. Mehr noch; ein Hemmnis im bisherigen Fusionskampf löste sich quasi in Luft auf. Allerdings wird noch viel Wasser den Rhein hinunterfliessen, bevor Konkretes auf den Tisch kommt.

Macht und Einfluss

Damit sind wir beim zweiten, gewichtigen Stein im Spiel um die Börsen angelangt; bei Macht und Einfluss. Hierbei spielen die viel geschmähten Hedgefonds als große Bör-sen-Aktionäre zwar eine erhebliche, aber letztlich nicht die entscheidende Rolle; denn der Staat könnte - und würde wohl deren Rolle kräftig beschneiden, wenn es ihm denn notwendig erschiene. Entsprechende Seufzer sind hie und da bereits zu vernehmen gewesen. Viel gravierender ist die Angst der öffentlichen Hände in mehr als einem EU-Land, sich in der Struktur nicht vereinnahmen zu lassen, also die Angst vor dem Verlust der Eigenständigkeit. So hat bereits im August 2004 die Schweizer Börse SWX der Deutschen Börse die kalte Schulter gezeigt: Die Regulierung der eidgenössischen Börse dürfe nicht ausländischem Einfluss unterworfen werden, von der Wahrung des schweizerischen Bankgeheimnisses ganz zu schweigen.

Vor solchen Schwierigkeiten steht auch eine Übernahme der unter französischem Einfluss stehenden Vier-Länder-Börse Euronext durch die amerikanische Börse Nyse. Diese muss sich den strengen aufsichtsrechtlichen Vorschriften des eigenen Landes unterwerfen - und diese differieren sichtlich von jenen Europas. In der Tat geht besonders in Paris die Angst um, durch die Hintertür der Börsenfusion könnte das heimische Rechtssystem amerikanisiert werden. Skeptisch hat sich nämlich die dortige Emittentenvereinigung Europlace geäußert. Sie wolle der besagten Börsenfusion erst dann zustimmen, wenn abzusehen sei, wie gut die Emittenten vor einer Ausdehnung von US-Gesetzen auf Europa geschützt würden.

Alles in allem ist also die Arena der Kämpfer um eine wie immer geartete Börsenlandschaft die wahre Schlangengrube. Mit dieser Konstellation ist in Frankfurt weder der ,Büffel' Seifert, noch der geschmeidige, multilinguale Francioni fertig geworden. Ob ,Macher' Viermetz über eine geeignete Remedur verfügt? Würde diese ,Ex Oriente Lux' heißen? Jenes Licht aus dem Osten könnte unter anderem die Korean Exchange KRX spenden oder die Tokyo Stock Exchange TSE. Begonnene Gespräche - besonders mit den Koreanern - sollen fortgesetzt werden. Man sieht, viele Karten sind noch im Spiel und vielfältig sind die obwaltenden Interessen. Mit Bedauern muss man indessen einen Verlierer registrieren, der sich in jenem Poker abzeichnet: der Wille Europas zu mehr Gemeinsamkeit." OS.

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