Leitartikel

Governare necesse est - oder: Das Triple ist genug

Selten war eine Hauptversammlungssaison in Deutschland so dramatisch und zugleich aufschlussreich wie die des Jahrgangs 2012/2013. Das Drama spielte sich dabei klassisch in mehreren Akten ab. Es trug zum einen den Namen Schwund, nämlich deutlicher, teilweise sogar dramatisch zu nennender Rückgang bei der Präsenz von Aktionären bei den Hauptversammlungen der Dax-Unternehmen (siehe Übersicht). Zweistellige Rückgänge wie bei der Deutschen Börse mit fast einem Drittel oder Bayer mit 23 Prozent waren durchaus keine Seltenheit, Präsenzzunahmen wie bei Merck mit vier Prozent oder Heidelberg-Cement mit zwei Prozent die absoluten Ausnahmen. Der andere gemeinsame Nenner hieß Protest. Anders lassen sich die für die in Deutschland gewohnte Konsenskultur bei Hauptversammlungen teilweise bedenklich schmalen Zustimmungsergebnisse bei den Wahlen für den Aufsichtsrat kaum erklären. So musste sich zum Beispiel der Aufsichtsratsvorsitzende der Commerzbank Klaus-Peter Müller mit einer Zustimmungsquote von knapp 81 Prozent begnügen. Das ist angesichts der "sicheren Bank" der Stimmen des bei der Commerzbank mit 25 Prozent beteiligten Staates ein bedenklich mageres Ergebnis.

Noch schlimmer ging es, von dem von Dauerkrisen heimgesuchten Unternehmen Thyssen-Krupp mal abgesehen, allerdings bei der Lufthansa zu. Hier wurde ein für die deutsche Unternehmenskultur ungewöhnlich offenherziges sowie dramatisches Hickhack-Stück um die Nachfolge des verdienstvollen Aufsichtsratsvorsitzenden Jürgen Weber aufgeführt. Dessen Wunschkandidaten für seine Nachfolge, nämlich den inzwischen nach Deutschem Corporate Governance Kodex (DCGK) nach zwei Jahren Ausscheiden als Vorstandsvorsitzender der Lufthansa vorschriftsmäßig "abgekühlten" Wolfgang Mayrhuber, wollten insbesondere viele ausländische Investoren nicht mitwählen. Der daraufhin offenbar vergrätzte Mayrhuber zog seine Kandidatur zurück, was wiederum Jürgen Weber auf den Plan rief, der sich, spät zwar, aber offenbar nicht zu spät, die Opponenten zur Brust nahm und sie offenbar teilweise umstimmen konnte, wonach es ihm auch gelang, Kandidat Mayrhuber wieder in den Ring der Hauptversammlung zu schicken. Aus diesem kam er allerdings nicht nur mit einem sprichwörtlich blauen Auge, sondern weiter andauernden Blessuren heraus, denn anders lässt sich die auch im Vergleich zu seinen Aufsichtsratskollegen bedenklich magere Zustimmungsquote mit knapp 63 Prozent und die mit "Eklat" und "Menetekel" überschriebenen Artikel seriöser Zeitungen wohl kaum interpretieren.

Durch diese dramatische Zuspitzung bei der Lufthansa kam für viele, offenbar auch den Verantwortlichen bei der Airline, erstmals zu Bewusstsein, wie stark inzwischen viele deutsche Aktiengesellschaften von internationalen Investoren und ihren Beratern für die Ausübung der Stimmrechte, den sogenannten "Proxy Advisers", abhängig geworden sind. Die an dem angelsächsischen Verständnis von guter Unternehmensführung angelehnten Empfehlungen dieser Berater gehen in wichtigen Punkten offenbar weit über die inzwischen nolens volens eingeübten Empfehlungen des DCGK hinaus. Anders als viele in unserer neidgeplagten Republik vermuten, geht es dabei nicht so sehr um die Höhe und Struktur der Vorstandssaläre, die sich ohnehin im Vergleich mit Vergütungen amerikanischer Unternehmenslenker immer noch vergleichsweise bescheiden ausnehmen. Viele Berater bemängeln vielmehr die nach ihrer Einschätzung in Deutschland noch viel zu kurze Cooling-Off-Periode von zwei Jahren, besonders aber die hierzulande verbreitete Praxis, den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden zum Vorsitzenden des Aufsichtsgremiums zu bestimmen. Gerade bei notwendig erachteten Strategiewechseln könnten dadurch, so die Befürchtung, dem neuen Management aus dem Aufsichtsrat der Ehemaligen die notwendige Unterstützung versagt oder gar Hindernisse in den Weg gelegt werden. Angesichts des gerade bei der Lufthansa eingeleiteten Strategie- und Kulturschwenks ist das kein leicht von der Hand zu weisender Einwand.

Ein weiterer Diskussionspunkt ist die bei vielen deutschen Aufsichtsräten zu beobachtende Sammelleidenschaft für Mandate. Zwar scheinen die Zeiten des seligen Hermann Josef Abs mit seinen zweistelligen Mandatslisten endgültig Geschichte zu sein, aber unter fünf Mandaten tun es viele der Dax-AR-Mitglieder immer noch nicht. Es ist daher kaum verwunderlich, wenn angesichts der infolge Krisen, Strategieumbrüchen sowie regulatorischen Veränderungen enorm gewachsenen Anforderungen an die Kontrollorgane die Frage immer häufiger gestellt wird, ob sich eine Person mit der gebotenen Sorgfalt und Zeitaufwand einer Vielzahl von Mandaten sachverständig widmen kann.

Vor dem Hintergrund einiger spektakulärer Fehlentwicklungen wie bei Siemens und Thyssen-Krupp wächst auch bei deutschen institutionellen Investoren die Kritik an der Mandatshäufung. Es wird in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass der Kodex bereits die Empfehlung für aktive Manager enthält, nicht mehr als drei Mandate zu übernehmen.

Die von den internationalen Stimmrechtsberatern losgetretene Diskussion berührt einen wichtigen, in der Vergangenheit eher vernachlässigten beziehungsweise gering erachteten Kern. Die Intervention hat offenbar gemacht, wie wichtig eine transparente und sich an klaren Regeln orientierende Unternehmensführung für die internationalen und institutionellen Kapitalgeber einzuschätzen ist. Der DCGK war vor nunmehr zehn Jahren mit der Zielsetzung ins Leben gerufen geworden, internationale Investoren für deutsche Unternehmen zu gewinnen durch mehr und geregelte Transparenz der Unternehmensführung einerseits sowie durch Kommunikation der deutschen Besonderheiten andererseits. Nimmt man die international vergleichsweise gute Performance deutscher Konzerne und die Tatsache, dass zum Beispiel internationale Investoren rund 55 Prozent der Dax 30 besitzen, zum Maßstab, dann war die Arbeit des DCGK durchaus erfolgreich. Wenn das Interesse dieser Investorengruppe an einer dauerhaften Beteiligung auch in Zukunft gestärkt werden soll, ist allerdings nicht, wie vereinzelt gefordert, die Abschaffung des Kodex und der Kommission der geeignete Weg. Im Gegenteil sollten die Vorstellungen der Stimmrechtsberater systematisch überprüft und nach Möglichkeit rasch in den Kodex integriert werden. Sonst wird es mancher Manager und Aufsichtsrat auf andere Weise lernen müssen!

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