Aufsätze

"Es ist kein sinnvolles Ziel, durch Finanzmarktregulierungen Risiken gänzlich vermeiden zu wollen"

Als dritter Redner zu ein und demselben Thema zu sprechen, beinhaltet immer die Gefahr, bereits Gesagtes zu wiederholen. Es bietet aber auch die Chance, die bisherigen Ausführungen zu gewichten, einzelne Teile zu bestätigen, andere vielleicht zu widerlegen. Das ist dann besonders reizvoll, wenn die Vorredner aus unterschiedlichen Perspektiven gesprochen haben. Nun unterschiedliche Teile der Branche, die auf ihre Mitglieder bezogenen Genossenschaftsbanken und die gewinnorientierte private Banken. Es ist sicher gut, auch den Blickwinkel von Kreditinstituten beizusteuern, die sich als öffentlich-rechtliche Unternehmen auf die gesamte Bevölkerung ausrichten. Denn Freiheit kann immer nur mit Bezug auf die zugrunde liegende Aufgabe diskutiert werden. Nicht "Freiheit - von was?", sondern "Freiheit - wozu?" ist das eigentliche Thema.

Befreiung von hergebrachten Dogmen

Zunächst einige einordnende Vorbemerkungen: Der Freiheitsbegriff, wie wir ihn heute als Gedanken- und Handlungsfreiheit verstehen, stammt im Kern aus der Zeit der Aufklärung - einer Zeit, aus der letztlich auch die Sparkassen hervorgegangen sind. Diese zeitliche Koinzidenz ist kein Zufall: Es ging damals um eine Befreiung von hergebrachten Dogmen - staatlichen wie kirchlichen.

Kant hat das in der prägnanten Formel der "Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" zum Ausdruck gebracht. Den Denkern der Aufklärung - vor allem Kant, Locke, Voltaire - ging es aber bei Freiheit niemals um ein schrankenloses Ausleben von Individualität oder Eigeninteressen. Nach Kant ist nur der sich moralisch verhaltende, vernünftige Mensch wirklich frei. Denn nur er ist in der Lage, das Gute zu erkennen und sein Handeln danach auszurichten. Der kategorische Imperativ bringt dies auf den Punkt.

Im Zuge der ersten industriellen Revolution und der damit verbundenen sozialen Verwerfungen waren diese gedanklichen Grundlagen sehr wichtig. Für viele aufgeklärte und sozial engagierte Menschen waren sie Motivation, auch wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungsteilen zu einem selbstbestimmten Leben zu verhelfen. Das ist die Gründungsidee der Sparkassen. Es ging darum, Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten. Die Entwicklung des Freiheitsverständnisses in der Aufklärung und die Gründung der Sparkassen hängen deshalb geistesgeschichtlich direkt zusammen.

Verantwortlichkeit

Adam Smith hat die Grundüberlegungen der Aufklärung für die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung weiterentwickelt. Danach ist die "unsichtbare Hand des Marktes", also die Selbstregulierung des Marktes über Angebot und Nachfrage, die Grundlage der freien Marktwirtschaft. Allerdings wird Smith mit dieser Überlegung häufig missverstanden. Es geht auch dort nicht um eine schranken- und bindungslose Verfolgung individueller Ziele und Interessen. In seinem Buch "Theorie der ethischen Gefühle" beschreibt Smith, wie die Wohlhabenden von einer unsichtbaren Hand dazu geleitet werden, ihren Reichtum mit den Armen zu teilen. Auch bei Smith ist ein sozialer Ausgleich beabsichtigt. Freiheit im Markt erfordert also Verantwortlichkeit. Das ermöglicht im Erfolgsfall die Vereinnahmung des entstehenden Gewinns, im Misserfolgsfall aber auch die Haftung für entstandene Schäden und Verluste. Und es verlangt einen Eingriff des Staates dort, wo Freiheit einzelner Wirtschaftsakteure zur Einschränkung oder gar Ausschaltung von Wettbewerb zum Zweck der Gewinnmaximierung ausgelebt wird. Was können wir aus diesen Grundüberlegungen für unsere heutige Debatte lernen? Zwei Aspekte sind besonders wichtig:

- Freiheit und Verantwortung sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.

- Und der Staat muss dort regulierend eingreifen, wo einzelne ihre Freiheit zulasten anderer übermäßig ausleben. Seine Aufgabe ist es hingegen nicht, das Verhalten vernünftig und moralisch handelnder Menschen zu lenken. Auf beide Aspekte wird mit Blick auf die Rolle der Finanzwirtschaft und aktuelle Regulierungen noch eingegangen. Zunächst konzentrieren sich die Ausführungen vor diesem Hintergrund jedoch auf drei Fragestellungen. Erstens: Wie viel Freiheit brauchen Kreditinstitute? Zweitens: Wie viel Freiheit haben Finanzinstitute heute? Und drittens: Was bedeutet der Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung in der Finanzwirtschaft?

Risikoübernahme als Geschäftszweck Wie viel Freiheit brauchen Kreditinstitute? Die soziale Marktwirtschaft basiert darauf, dass Marktteilnehmer, also auch Finanzinstitute, erst einmal ungehindert ihren Wettbewerbsinteressen nachgehen können. Eine wesentliche Aufgabe der Finanzwirtschaft dabei ist, anderen Wirtschaftsakteuren Risiken abzunehmen und ihnen dadurch mehr Sicherheit für eigene Kalkulationen zu verschaffen. Die Finanzwirtschaft muss deshalb bereit und in der Lage sein, Risiken autonom zu bewerten und entscheiden zu können, ob sie zur Übernahme bereit ist. Die Bereitschaft zum Risiko, man könnte auch populistisch sagen zur Spekulation, ist also für Kreditinstitute geschäftstypisch. Grundsätzlich sollte der Staat hier nicht eingreifen - er sollte Kreditinstitute weder dazu bewegen, gegen eigene Überzeugung Risiken zu übernehmen noch sie trotz eigenen Zutrauens ablehnen zu müssen. Es ist deshalb kein sinnvolles Ziel, durch Finanzmarktregulierungen oder strafrechtliche Normen, Risiken gänzlich vermeiden zu wollen. Denn dies hieße, Kreditinstitute ihrer Kernfunktion zu berauben. Wenn die Risikoübernahme Geschäftszweck von Kreditinstituten ist, dann liegt es in der Natur der Sache, dass sich diese Risiken auch realisieren, sprich Verluste bei Banken auftreten können. Das allein ist kein Skandal, sondern gehört ebenfalls zum Geschäftsmodell der Finanzwirtschaft.

Es mag deshalb dem Zeitgeist geschuldet sein, solchen Verlusten mit den Mitteln des Strafrechts nachzugehen, vor allem mit dem Untreuevorwurf. Eine Berechtigung dafür ist aber dann nicht zu erkennen, wenn die Beteiligten bei der Risikoübernahme mit der erforderlichen Sorgfalt vorgegangen sind. Dabei ist ihnen ein weiterer Auslegungsspielraum zuzugestehen. Denn unsere Wirtschaftsordnung lässt auch Geschäfte zu, die sich als unvorteilhaft erweisen können.

Wenn ein Finanzinstitut Dritte von Risiken in einem direkten Zusammenhang mit dem Austausch von Waren oder Dienstleistungen entlastet, wenn die Risikoübernahme mit Wissen und Wollen der Eigentümer erfolgt und wenn die eigenen Mittel des Instituts ausreichen, notfalls die auftretenden Verluste zu tragen, sehe ich keinerlei Bedarf für eine ordnende Hand des Staates. Im Gegenteil: Jede Regulierung hier führt dazu, anderen Wirtschaftsakteuren die Verlagerung von Risiken auf Finanzinstitute und damit ihr eigenes Wirtschaften zu erschweren oder der Eigentümer von Banken in ihren autonomen Entscheidungsspielräumen zu beschränken. Hingegen muss die Freiheit für Banken dann durch Regulierung eingeschränkt werden,

- wenn nicht nur ohnehin bestehende Risiken übernommen, sondern etwa durch Finanzinnovationen unbeherrschbare Risiken erst geschaffen werden, oder

- wenn Eigentümer, insbesondere Kleinaktionäre, nicht ausreichend über Risiken informiert werden,

- wenn das handelnde Institut selbst gar nicht in der Lage wäre, gegebenenfalls entstehende Verluste zu tragen.

Das gilt insbesondere dann, wenn sich daraus Gefahren für andere Wirtschaftsakteure oder eine Volkswirtschaft insgesamt ergeben können.

Mehr Transparenz

Die G20 hatten sich Ende 2009 in Pittsburgh darauf verständigt, kein Produkt, keinen Markt und keinen Akteur ohne Regulierung zu belassen. Das ist dann plausibel, wenn damit jeweils passende, individuell unterschiedliche Regeln gemeint sind. Tatsächlich sollte nicht alles gleichmäßig und schon gar nicht mit identischen Regeln überzogen werden. Vielmehr muss es darum gehen, hoch spekulative Geschäfte und solche Akteure einzuhegen, von denen eine Gefahr für die Stabilität der Finanzmärkte ausgeht. Kunden und Steuerzahler sollten besser als bisher vor Schieflagen systemrelevanter Institute geschützt werden. Und da die Beurteilung von Risiken immer komplizierter wird, sollte auch mehr Transparenz in das System gebracht werden, um die Beurteilungsmöglichkeiten für Kunden, Eigentümer, Aufseher, aber auch für die Handelnden in den Instituten selbst zu verbessern. Hier und auch nur hier brauchen wir eine deutliche Einschränkung der Freiheit der betroffenen Finanzinstitute.

Wie viel Freiheit haben Finanzinstitute heute? Fast zwanzig Jahre lang haben Repräsentanten der globalen Finanzindustrie der Politik vorgetragen, mit mehr Freiheit von einengenden Regeln könne der Markt seine volle Effizienz entfalten und besser als die Politik wirtschaftlichen Fortschritt gewährleisten. Inzwischen wissen wir, dass die breite Deregulierungswelle der achtziger und neunziger Jahre der Finanz- und wohl auch der Schuldenkrise den Boden bereitet hat. Es hat sich gezeigt, dass nicht jegliches Wachstum in der Finanzwirtschaft mit Mehrung volkswirtschaftlichen Wohlstands gleichzusetzen ist, sondern auch erhebliche Gefahren für die volkswirtschaftliche Stabilität beinhalten kann.

Keine pauschale Re-Regulierung

Es ist deshalb verständlich und auch nicht überraschend, dass sich jetzt die Politik aufgemacht hat, diese Fehlentwicklungen durch neue Regulierungen zu korrigieren. Die Reaktion auf eine zu pauschale Deregulierung darf aber nicht eine ebenso pauschale Re-Regulierungswelle sein. Natürlich muss sich die Politik heute vor den Wählern für niemals zuvor gekannte Größenordnungen von Stabilisierungsmaßnahmen für einzelne Finanzmarktakteure, Banken wie Staaten, rechtfertigen. Das weckt in der Politik sicher das Gefühl, die Finanzwirtschaft möglichst "eng an die Kandare" nehmen zu müssen.

Die Enttäuschung folgt zumeist direkt auf dem Fuße. Wirksame Regelungen sind kompliziert und meist international abzustimmen. Schnelle Erfolge sind hier kaum möglich. Grundlage für neue Regulierungen sollte deshalb nicht nur das allgemeine Gefühl sein, die Finanzwirtschaft irgendwie einschränken zu müssen. Und die notwendigen Einschränkungen müssen so ausgestaltet werden, dass sie den Wettbewerb nicht verzerren, also möglichst wenig an den von den Akteuren selbst im Wettbewerb erarbeiteten Ausgangslagen verändern. Viele der heute getroffenen Regeln entsprechen diesen Anforderungen nicht.

Mehr als reine Rahmensetzung

Vielmehr bestimmt die Politik durch immer detailliertere Regulierungen und durch direkte Eingriffe und Preis- und Marktmechanismen in einem Maße die Geschäftspolitik von Kreditinstituten mit. Das geht teilweise deutlich über reine Rahmensetzungen hinaus. Dazu drei Beispiele:

Erstes Beispiel - Basel III: Grundüberlegung der Überarbeitung der Baseler Eigenkapitalübereinkunft war, dass Instituten mit hohem Risikopotenzial für die gesamte Volkswirtschaft durch höhere Eigenkapitalanforderungen eine höhere Eigenvorsorge abverlangt werden sollte. Deshalb bezogen sich die Überlegungen in Basel ausschließlich auf große, grenzüberschreitend tätige Kreditinstitute.

Folgerichtig haben etwa die USA für kleine Kreditinstitute von vornherein deutlich vereinfachte Regeln eingeführt - es gibt eine Ab hängigkeit von Größe und Risiken, Subsidiarität und Proportionalität. In der Europäischen Union hingegen erstrecken sich die neuen Eigenkapitalregeln grundsätzlich auf alle Ins titute. Damit werden in vielen Fällen auf kleinere Institute Regeln angewandt, die eigentlich in Basel nur für systemrelevante große gedacht waren. Notwendige Ausnahmen und angemessene Regeln für kleinere Institute müssen jeweils mühsam in alle Regelwerke "hineinoperiert" werden. Häufig gelingt dies nicht.

Die größten praktischen Probleme werden deshalb mit Basel III in Europa diejenigen haben, die in Basel selbst niemals gemeint waren. Noch pikanter ist, dass diejenigen Institute die größten Vorteile haben, die eigentlich in ihrer Geschäftstätigkeit eingeschränkt werden sollten. Und völlig unverständlich ist doch, dass Hedgefonds und Schattenbanken von der Regulierung praktisch gar nicht erfasst sind. Indem man einige Institute für global systemrelevant erklärt, ergeben sich sogar Refinanzierungsvorteile. Denn systemrelevant zu sein bedeutet im Zweifel einen besonderen Schutz vor Untergang. Und dies wiederum ist aus Sicht von Investoren gleichbedeutend mit höherer Sicherheit, die sich in geringeren Refinanzierungskosten auszahlt. Wenn der von Regulierungen eigentlich Gemeinte zum Schluss Vorteile und der an sich nicht Gemeinte am meisten Umsetzungsprobleme hat, dann stellt sich durchaus die Frage nach der Rechtfertigung einer solchen Regulierung.

Zweites Beispiel - Finanztransaktionssteuer: Die Grundüberlegung der Politik kann ich verstehen. Die Verursacher sollen an den Kosten der Finanzkrise beteiligt werden. Die in Deutschland bereits beschlossene und eingezogene Bankenabgabe greift dieses Motiv bereits auf und schafft mit den Mitteln der Finanzwirtschaft zumindest eine gewisse Vorsorge gegen künftige Krisen. Es ist allerdings nicht erkennbar, welchen sinnvollen Beitrag eine nur in Teilen Europas eingeführte Finanztransaktionssteuer leisten könnte.

Es muss doch klar sein: Eine Art Umsatz- oder Verbrauchssteuer wird immer die Verbraucher treffen, weil sie, wenn bei allen erhoben, auf die allgemeinen Preise aufgeschlagen wird. Eine Steuer, der international aufgestellte Banken über andere Finanzplätze ausweichen, der ein nationaler Kleinsparer in seinem Altersvorsorgedepot aber ausgesetzt ist, belastet nur einen Teil der Finanzmarktakteure - und zwar ausgerechnet diejenigen, die unstreitig die Finanzkrise nicht ausgelöst haben. Und sie erstreckt sich vor allem auf Produkte wie Aktien, die in der Finanzkrise auch nicht auffällig geworden sind.

Letztlich ist diese Steuer sogar gefährlich, wenn sie die Refinanzierung zwischen Kreditinstituten erschwert - Stichwort Repo-Geschäfte -, Riester-Zulagen für Kleinsparer wieder wegbesteuert und die Besteuerung international gar nicht einheitlich durchgesetzt werden kann. Auch hier gilt: International tätige Großbanken, vor allem Schattenbanken, können ohne Weiteres ausweichen, während regulierte Institute und normale Anleger belastet werden.

Einstellung der Parameter

Drittes Beispiel - Balance Sheet Assessment: Vor der Finanzwirtschaft liegt ein Bilanztest, der dafür sorgen soll, dass nur besenreine internationale Großbanken in die europäische Aufsicht übernommen werden. Das Anliegen ist aus deutscher Sicht sehr nachvollziehbar: Wir alle erinnern uns noch gut daran, dass eine europäische Bankenaufsicht auch aus Deutschland als Bollwerk gegen Inanspruchnahme europäischer Fondsmittel zur Rekapitalisierung einzelner Banken in Stellung gebracht werden sollte. Die entscheidende Frage ist jetzt allerdings, wie ein solcher Test durchgeführt wird. Die Öffentlichkeit glaubt, durch solche Tests würden zuvor nicht entdeckte "Löcher" in den Bilanzen offenbart. Tatsächlich ist doch alles ausschließlich von der vorherigen Einstellung der Parameter abhängig:

- Wenn im Test bereits jetzt Eigenkapitalausstattungen gefordert werden, die der Gesetzgeber erst in einigen Jahren verlangt, entstehen natürlich "Löcher".

- Wenn ganze Assetklassen, etwa Mittelstandskredite oder regionale Immobilienengagements, entgegen allen bisherigen Erfahrungen als besonders risikoreich angesehen würden, entstünden natürlich "Löcher".

- Und wenn man den betroffenen Instituten vorgeben würde, solche "Wertminderungen" sofort durch die Bilanz zu buchen, entstünden natürlich unmittelbar Verluste.

Es bleibt also festzustellen: Es gibt hier keine objektive Wahrheit, sondern nur auf selbstgewählten Prämissen basierende Annahmen. Es muss bei Instituten, die im Test auffällig werden, heute nicht einmal Handlungs- oder Kapitalbedarf geben. Alles ist von den Definitionen der Aufsicht abhängig. Und diese müssen nicht zwingend etwas mit der Gesetzeslage und auch nichts mit bisherigen Erfahrungen zur Sicherheit von Assetklassen zu tun haben. Die Einschränkung der Freiheit der Institute ist abhängig von den Annahmen von Aufsichtsbehörden. Dass dabei europäische Opportunitäten eine Rolle spielen könnten, kann nicht ausgeschlossen werden. Vor diesem Hintergrund ist den Verantwortlichen dringend anzuraten, einen solchen Test und seine Kommunikation nicht so anzulegen, dass er mehr Misstrauen als Sicherheit mit sich bringt.

Was bedeutet der Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung in der Finanzwirtschaft? Mit der Bezugnahme auf Kant wurde eingangs bereits deutlich gemacht, dass Freiheit und Verantwortung zwei Seiten derselben Medaille sind. Deshalb muss sich eine europäische Finanzwirtschaft, die einen Rest von Freiheit gegen die Regulierung verteidigen möchte, die Frage gefallen lassen, wie sie ihrer eigenen Verantwortung gerecht wird. Es wurde bereits als Anforderung an Finanzinstitute formuliert, dass sie für die eingegangenen Risiken umfassend eigene Vorsorge schaffen müssen. Natürlich erfordert dies mehr Eigenkapital. Deshalb ist Basel III ja auch grundsätzlich richtig. Und es wird sicher auch notwendig sein, im Zweifel Eigentümer von Banken im Falle einer Schieflage heranzuziehen.

Verantwortung nicht vergemeinschaften

Gerade bei systemrelevanten, börsennotierten Banken gibt es hier aber ein grundlegendes Problem: Die dort auftretenden Folgeschäden könnten so umfassend sein, dass sie von der Bank und ihren Eigentümern gar nicht getragen werden können. Und die Eigentümer einer Aktiengesellschaft können auch grundsätzlich gar nicht zum Nachschuss herangezogen werden. Eigentlich lässt das nur den Schluss zu, dass es solche Institute eigentlich so oder in dieser Größe und Systemrelevanz gar nicht geben dürfte, will nicht der Steuerzahler immer der Lender of Last Resort bleiben. Nun haben sich allerdings alle Überlegungen, solche Banken zu verkleinern oder aufzuspalten, als nicht sinnvoll oder gar nicht machbar erwiesen.

Vor diesem Hintergrund verstehe ich zwar, dass der Steuerzahler, auch angesichts der gemachten praktischen Erfahrungen, nicht als Ausfallbürge oder Eigentümer wider Willen herangezogen werden möchte. Die Schlussfolgerung kann aber auch nicht sein, andere Teile der Finanzwirtschaft, Wettbewerber der betroffenen Institute, zu einer Art solidarischer Haftung heranzuziehen. Das gilt für gemeinsame Abwicklungsfonds ebenso wie für Zugriffe auf Einlagensicherungsmittel. Wir lassen die Fahrradhersteller ja auch nicht für die Existenz von Autokonzernen haften, nur weil sie ebenfalls Fortbewegungsmittel herstellen.

Ich sehe nur zwei Lösungswege: Entweder haften diejenigen Institute europaweit untereinander, die eine gleiche Ausgangslage haben und vergleichbare Stabilitätsprobleme auslösen können. Man kann das sicherlich mit einem verpflichtenden Bail-in einer bestimmten Gruppe von Gläubigern verbinden, wenn diesen die Bedingungen vorher bekannt sind und sich der Markt in der Bepreisung darauf einstellen kann. Oder es bleibt bei einer letztendlich faktischen Haftungsverantwortung des jeweiligen Nationalstaats. Man könnte dann darüber nachdenken, diese faktische Staatshaftung durch eine Art "Versicherungsprämie" honorieren zu lassen.

All solche Instrumente benötigen aber Institute nicht, die mangels Systemrelevanz im Zweifel ohne Folgeschäden für Dritte abgewickelt werden könnten oder die über andere Haftungssysteme, etwa die Institutssicherung, verfügen. Insgesamt scheint mir in Europa mehr Verständnis dafür notwendig, dass Verantwortung und damit auch Freiheit ausgehöhlt werden, wenn die Kleinen für die Großen haften und womöglich systemrelevanten Instituten sogar die Existenz garantieren müssen. Wenn wir Freiheit erhalten wollen, sollten wir in Europa Verantwortung nicht vergemeinschaften - das gilt im Finanzsektor ebenso wie zwischen den Staaten.

Verantwortung und Freiheit

Noch ein letzter Gedanke zum Thema Verantwortung und Freiheit: Es geht dabei um das Verhältnis zwischen Kreditinstitut und Kunden, vor allem im Wertpapiergeschäft. Ich glaube, dass wir gerade im Wertpapiergeschäft inzwischen einen Zustand erreicht haben, wo ein in den bürokratischen Anforderungen überzogener Verbraucherschutz die Kunden nicht mehr schützt, sondern in ihrer eigenen Freiheit einschränkt. Aus unserer Erfahrung sind die meisten Kunden durchaus in der Lage, auf sich selbst aufzupassen. Sie benötigen keine staatliche Nanny an ihrer Seite, die ihnen ständig vorgibt, zum eigenen Schutz Protokolle ausfüllen oder ellenlange Produktinformationen lesen zu müssen. Warum kann der Kunde nicht selbst entscheiden, ob er das tun will? Warum kann er nicht freiwillig auf ein Beratungsprotokoll verzichten? Wer selbstbestimmt heiraten, Kinder bekommen oder sein Vermögen vererben kann, dem könnten wir doch auch zutrauen, selbstbestimmt ein Wertpapier zu kaufen! Wer anderen das Beste wünscht, ist ein guter Mensch. Wer anderen aber das aus seiner Sicht Beste vorgibt, hält sich nur für einen guten Menschen.

Und wenn man tatsächlich mehr und bessere Beratung will, ist es auch nicht konsequent, denjenigen Kreditinstituten die Arbeit zu erschweren, die tatsächlich Beratung anbieten. Ergebnis dieser Regelung ist, dass Vertriebswege attraktiver werden, wo überhaupt keine Beratung erfolgt. Wertpapiere werden deshalb in der Masse heute entweder online oder in executiononly-Geschäften gekauft. Das muss man sich wirklich klarmachen: Das Ziel ist mehr und bessere Beratung. Und zu diesem Zweck bevorzugt man diejenigen, die keine Beratung anbieten. Ich habe damit ein logisches Problem.

Schrankenlose Freiheit kann es für die Finanzwirtschaft nicht geben. Sie ist schon nach Kant nicht möglich. Und sie ist insbesondere dann nicht geboten, wenn Unternehmen eine grundlegende Rolle für die gesamte Volkswirtschaft haben und diese im Zweifel sogar in ihrer Stabilität beeinträchtigen können. Eine Einschränkung von unternehmerischer Freiheit verlangt aber eine Rechtfertigung. Eine entsprechende Regulierung muss notwendig und zweckmäßig sein. Nicht die Regulierung an sich darf das Ziel sein. Vielmehr muss sich der Gesetzgeber stärker um Differenzierung, Notwendigkeit und Effektivität seiner Maßnahmen bemühen. Das würde nicht nur die Akzeptanz eines breiten Publikums sichern, sondern auch die Einsicht bei den betroffenen Instituten erhöhen.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich der 59. Kreditpolitischen Tagung "Die Banken und die Freiheit" der ZfgK am 8. November 2013.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Dr. Karl-Peter Schackmann-Fallis , Geschäftsführendes Vorstandsmitglied , Deutscher Sparkassen- und Giroverband e.V., DSGV, Berlin
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