Aufsätze

Kooperation der Hamburger Genossenschaftsbanken – gemeinsame Lösungen von Wettbewerbern

Kooperation ist in der komplexen Lebenswelt unerlässlich. Ein nachbarschaftliches Netzwerk auf Augenhöhe besteht zwischen den Hamburger Genossenschaftsbanken seit vielen Jahren. Die Edekabank, die MKB Mittelstandskreditbank, die PSD Bank Nord, die Sparda-Bank Hamburg, die Vierländer Volksbank und die Hamburger Volksbank haben die genossenschaftliche Maxime "Hilfe zur Selbsthilfe" wirkungsvoll weiterentwickelt. Ohne den kundenorientierten Markenkern zu verwischen, können so Synergien genutzt und Qualitätsstandards gehoben werden. Das Fazit: Intelligente Kooperationen erbringen einen kollektiven Nutzen und stellen eine echte Alternative zur Fusion dar. Gute Erfahrungen in den konkreten Projekten Genossenschaftsbanken sind durch Rechtsform, Haftungsgemeinschaft und Kultur miteinander verbunden. Agieren sie jedoch in einer oder einer sich überschneidenden Region, finden sich mitunter auch Wölfe im Schafspelz. Ist der Mensch dem Menschen ein Schaf oder ein Wolf? Der amerikanische Soziologe Richard Sennett preist in seinem neuen Buch: "Zusammenarbeit. Was unsere Gesellschaft zusammenhält", die segensreichen und in einer komplexer werdenden Lebenswelt unerlässlichen Vorteile der Kooperation. Doch kann dies auch im wirklichen Leben funktionieren? Im halbjährlichen Austausch, zu denen wechselseitig in die Bankräume eingeladen wird, besprechen die Vorstände der Edekabank, der MKB Mittelstandskreditbank, der PSD Bank Nord, der Sparda-Bank Hamburg, der Vierländer Volksbank und der Hamburger Volksbank gemeinsame finanzwirtschaftliche Inhalte oder spezielle Hamburger Themenstellungen. In verlässlicher, ritualisierter Form des Miteinanders entstanden erfolgreiche Beispiele und gute Erfahrungen in der konkreten Zusammenarbeit, wie etwa der gemeinsame Einkauf von Energie. Die genossenschaftliche Kultur erwies sich dabei als hervorragende Grundlage. Aufmerksames Zuhören und das Ausfindig machen von Übereinstimmungen gehören ebenso zu den ausgeprägten Dialogfähigkeiten, wie der geschickte Umgang mit Meinungsverschiedenheiten. Wie in einem guten Orchester spielt jeder der Beteiligten sein eigenes Instrument exzellent und erkennt und wertschätzt gleichzeitig die Andersartigkeit der anderen Instrumente. Und bringt sich für das beste gemeinsame Ergebnis dialogisch und kooperativ ein. Gemeinsamkeiten mit vielen Unterschieden Mit über 160 Instituten und knapp 25 000 Beschäftigten gehört Hamburg zu den Bankenplätzen mit einer ausgeprägten Wettbewerbssituation. Ein Grund mehr für die Teilnehmer der "Hamburger Genossenschaftlichen Bankenrunde" (HGB-Runde) nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Denn obwohl alle Beteiligten Genossenschaftsbanken sind und dem Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) angehören, bieten sie unterschiedliche Dienstleistungen an. So reicht das Spektrum vom Spezialinstitut für den Lebensmitteleinzelhandel (Edekabank) und die mittelständische Kreditversorgung (MKB Mittelstandsbank) über beratende Direktbanken (PSD Bank Nord) und Allrounder im Privatkundengeschäft (Sparda Bank Hamburg) bis hin zu den Universalanbietern (Vierländer Volksbank und Hamburger Volksbank). Mit einem zentralen Anspruch lassen sich allerdings bei aller Vielfalt die sechs Institute auf einen genossenschaftlichen Nenner bringen: zum Wohle ihrer Mitglieder und Kunden uneingeschränkt Qualitätsanbieter zu sein. Diese Anforderung sollte auch im Hinblick auf die Kooperation durch alle Banken gleichermaßen auf qualitativ hohem Niveau erfüllt werden. In einem weiteren Punkt waren sich alle Beteiligten einig: Genauso wie die kulturellen Gemeinsamkeiten sollte die Besonderheit jedes Instituts durch die Wahrung des je eigenen Markenkerns zu jedem Zeitpunkt der Zusammenarbeit gewährleistet bleiben. Die Marktwahrnehmung durch die Kunden einer jeden Hamburger Genossenschaftsbank prägt ihren unverwechselbaren Markenkern aus, der vehement vor Verwischung und Verwirrung geschützt werden muss. Damit lag es nahe, die Vertiefung des Hamburger Genossenschaftsprojekts in einem marktfernen Tätigkeitsfeld zu erproben. Die Vorgaben neuer gesetzlicher und aufsichtsrechtlicher Regulierungen nehmen stetig zu und treffen die Kreditinstitute in Zeiten einer bankenkritischen Stimmung, sinkender Margen und eines verschärften Wettbewerbs. Die Umsetzung des Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz (AnsFuG) stellt hierbei eine besondere finanzielle und organisatorische Herausforderung dar. Nach Auskunft des Nationalen Normenkontrollrats ist dieses eines der kostspieligsten Gesetze, das in Deutschland je vorgelegt wurde. Für die einzelnen Institute bedeutet die Umsetzung dieser und anderer neuen Anforderungen neben den zusätzlichen Kosten vor allem einen erheblichen Prozess- und Dokumentationsaufwand. Eine Problematik, die innerhalb der HGB-Runde intensiv diskutiert wurde. Denn Verbraucherschutz wird von den Genossenschaftsbanken von jeher gelebt und ist durch den Auftrag der Mitgliederförderung per Satzung fest verankert. Durch die steigende Komplexität und Themenvielfalt gewinnen die Stellung und die Aufgaben des Beauftragtenwesens, wie Geldwäsche und Betrugsprävention, Compliance und Datenschutz, zukünftig massiv an Bedeutung. Im Interesse einer zukunftsfähigen Kostenstruktur ermittelten die Teilnehmer der HGB-Runde schnell einen gemeinsamen Handlungsbedarf für die gesetzlichen Sicherheits- und Sorgfaltsanforderungen. Reduktion der Komplexität im marktfernen Beauftragtenwesen Um die wachsenden Herausforderungen im Beauftragtenwesen bewältigen zu können, wuchs bei allen Beteiligten die Erkenntnis, aufeinander angewiesen zu sein. Aber wie sollte eine Ausgestaltung aussehen, die gemeinsame Interessen bündelt und durchsetzt, ohne die Eigenständigkeit und Kompetenzen der im Marktwettbewerb stehenden einzelnen Institute einzuschränken? Ganz nach dem genossenschaftlichen Motto "Hilfe zur Selbsthilfe" wurde schließlich eine Kooperation nach dem "Best-in-Class"-Ansatz vereinbart. Ziel aller Beteiligten ist es hierbei, voneinander zu lernen, das Know-how und die unterschiedlichen Erfahrungen der einzelnen Häuser untereinander auszutauschen und einzusetzen. Die Benchmark für einen spezifischen Lösungsansatz bildet immer das Institut mit der besten Lösung. Das zukünftige Ziel für ein gemeinsames Beauftragtenwesen lautet, Synergien zu nutzen: die hohen Qualitätsstandards bei den klassischen Themen des Beauftragtenwesens in allen Häusern nicht nur zu heben, sondern gleichzeitig einen höheren Ressourcenaufwand oder steigende Kosten zu vermeiden. Möglichkeiten der Kooperation ausgelotet Im Rahmen der HGB-Runde im November 2011 beschlossen die teilnehmenden Institute deshalb die Erstellung einer "Machbarkeitsstudie", um die Basis für die geplante Kooperation zu identifizieren und Vorschläge für die weitere Vorgehensweise abstimmen zu können. Die operativ Tätigen erhielten den Auftrag, die Vorgehensweise der einzelnen Häuser bezüglich des Beauftragtenwesens zu ermitteln und die Möglichkeiten der Kooperation in den Themenfeldern Datenschutz (inklusive IT-Sicherheit), Compliance, Geldwäsche sowie Betrugsprävention auszuloten. Folgende Fragestellungen bildeten dabei den Handlungsrahmen: - Wie ist das Beauftragtenwesen jeweils strukturiert? - Wie viele Mitarbeiterkapazitäten setzt das Haus ein? - Welche Bereiche und Aufgaben stellen eine Herausforderung dar? - In welchen Bereichen wünschen sich die Verantwortlichen eine Kooperation? - Welche Ziele werden mit einer Kooperation verfolgt? - Wie ist der zeitliche Horizont? - Welche Bereiche sind von einer Kooperation ausgeschlossen? - Wie hoch sind die Kosten für das Beauftragtenwesen ohne Personalkosten (etwa Lizenzgebühren)? Die Analyse der Antworten ergab, dass die Institute die Zunahme der aufsichtsrechtlichen Anforderungen als immense Herausforderung für die Zukunft ansehen. Auch im Umgang mit dem Beauftragtenwesen weisen alle Beteiligten Gemeinsamkeiten auf. So sehen alle Teilnehmer der HGB-Runde operative Nachteile bei bisherigen Outsourcingpartnern, teilweise hinsichtlich des Qualitätsniveaus, der großen räumlichen Distanz oder des hochpreisigen Kostengefüges der eingekauften Dienstleistungen. In manchen Häusern besteht darüber hinaus konkreter Nachfolgebedarf. Zudem wurde bereits zu diesem Zeitpunkt ermittelt, dass die Banken insgesamt mindestens fünf Mitarbeiterkapazitäten investieren müssen, um die bankaufsichtrechtlichen Themenstellungen qualitätsgerecht bearbeiten zu können. Die in diesem Rahmen kalkulierten Gesamtkosten belaufen sich auf über 750 000 Euro pro Jahr. Stufenweiser Aufbau Trotz unterschiedlicher Strukturen und Prozesse in den einzelnen Häusern wurde bereits die vorbereitende Zusammenarbeit als sehr positiv und konstruktiv erfahren. Zusammen mit den materiellen Erkenntnissen aus den Workshops führten die Ergebnisse dieser ersten Arbeitsphase zu der Empfehlung, eine Kooperation zu schließen, zu vertiefen und gemeinsame Themenstellungen projektorientiert abzuarbeiten. Ein schriftlich fixierter Auftrag erbrachte eine zusätzliche hohe Verbindlichkeit. Gleichzeitig einigten sich die Institute auf ein gemeinsames Entwicklungsbudget. Für die Planung der weiteren Projektarbeit stellte sich die genossenschaftliche Kulturtechnik ein weiteres Mal als ausgesprochen nützlich heraus. Gleichsam eines Menuetts des Miteinanders wurde eine Politik der kleinen Schritte vereinbart: Um der geschäftspolitischen und historischen Dimension der Kooperation gerecht werden zu können, haben sich die beteiligten Banken auch für die Zukunft auf ein stufenweises Vorgehen verständigt. So wird sichergestellt, dass aufgrund der Komplexität und der Bandbreite der Themen das Projekt nicht unnötig unter Druck gerät und im nötigen Zeitrahmen wertvolle Erfahrungen im gemeinsamen Arbeiten gesammelt werden können. In einer ersten Ausbaustufe wird das Thema Datenschutz behandelt. Nächste gemeinsame Schritte sind Projekte zu den Themen Compliance, Geldwäsche und Betrugsprävention. Vorbildcharakter Die in Einzelfragen bereits erfolgreiche Kooperation zeigt, dass man etwas machen kann. So konnte in Zusammenarbeit mit der Hamburger Kriminalpolizei eine gemeinsame Schulung durchgeführt werden, die bei einigen beteiligten Häusern zu prozessualen Umstellungen führte und so die Durchlaufgeschwindigkeit von Warnmeldungen erhöhte. Durch die engere Vernetzung konnten außerdem Betrugsfälle aus dem Datenschutzbereich schneller erkannt und damit verhindert werden. Aktuell wird analysiert, welche Synergien bei einer gemeinschaftlichen Anschaffung von E-Learningprogrammen und der Durchführung gemeinsamer Wiederholungsschulungen geschöpft werden können. Ein Bedarf an instituts- und verbandsübergreifender Zusammenarbeit auf regionaler Basis existiert also und überwiegt die Unterschiede zwischen den Beteiligten. Die Kooperation der Hamburger Genossenschaftsbanken ist bisher einmalig. Denn sie zeigt, dass die Banken im genossenschaftlichen Sektor und insbesondere in Hamburg trotz einer aus geprägten Wettbewerbssituation, wenig Berührungsängste zur Zusammenarbeit haben. Das Klima der Gespräche ist von einer hohen Empathie aller Beteiligten geprägt. Jeder ist willens, sich in die Lage des anderen zu versetzen, geht auf den anderen nach dessen eigenen Bedingungen ein. Auch entwickelte sich eine hohe Neugier, die Lösungen der anderen Projektteilnehmer kennenzulernen. Im dialogischen Austausch wurde die eigene Sichtweise stärker bewusst und es entwickelte sich ein besseres Verständnis füreinander. Zwar waren Rahmenbedingungen und Ziel des Projektes klar definiert, in den Diskussionen wurde jedoch häufig der Konjunktiv verwendet - "vielleicht - ich könnte mir vorstellen" -, womit die Diskussion eine unvorhergesehene Richtung nehmen konnte. Am Ende ist es das Ziel, einen institutsübergreifenden, modularen Baukasten der beteiligten Banken nach dem "Best-in-Class"-Prinzip zu realisieren, aus dem je nach individuellem Bedarf Informationen zu unterschiedlichsten Handlungsfeldern abgerufen werden können. Die regulatorischen Vorlagen muss letztendlich zwar jedes Haus als eigenständiges Institut weiterhin für sich selbst umsetzen. Die Kooperationsarbeit kann den quantitativen und qualitativen Arbeitsaufwand aber erleichtern und Kosten zum Wohle der Mitglieder und Kunden sparen - ganz im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe. Ein Hamburger Modell mit Vorbildcharakter im Internationalen Jahr der Genossenschaften. Ein Modell mit Zukunft Lange Zeit herrschte der (Irr-)Glaube, unterschiedliche Interessen würden durch die unsichtbare Hand des Marktes zu einem ökonomisch optimalen Ergebnis geführt. Spätestens seit Ausbruch der Finanzkrise sind die Zweifel an der automatischen, marktimmanenten Gleichrichtung unterschiedlicher Interessen gewachsen. In Zeiten einer stetigen Ausdifferenzierung von Kundenbedürfnissen, die eine flexible Anpassung von Unternehmenskonzepten zur Folge hat, die sich sehr genau an den Kundenbedürfnissen ausrichten muss, sind kleine und mittlere Unternehmen mit ihrer Kundennähe klar im Vorteil. Um größenabhängige Kosten- und Produktivitätsvorteile wahrnehmen zu können, wird andererseits ein Zwang zur Größe, zur Fusion suggeriert. Dies gilt auch für den genossenschaftlichen Verbund, in dem immer wieder die Fusion der Zentralbanken, der Rechenzentren oder von Primärbanken angeregt oder gefordert wird. Kooperationen haftet der Geruch an, nur etwas für "einfache", wenig komplexe Verhältnisse zu sein. Erfolgreiche Beispiele und weitere Forschungen können dieses Vorurteil korrigieren. Um abschließend nochmals Richard Sennett zu zitieren: "Kooperation dient als Schmierstoff für jene Maschinerie, mit deren Hilfe wir es schaffen, dass Dinge getan werden ... mit Menschen, die anders sind als wir". Angesichts unübersehbarer Vorteile von Kooperationen, auch zwischen unterschiedlich positionierten Partnern, die vergleichbare Unternehmenskulturen besitzen, sind Kooperationen eine echte Alternative zu Fusionen.

Dr. Reiner Brüggestrat , Sprecher des Vorstands, Hamburger Volksbank, Hamburg
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