Leitartikel

Kraft für einen Zwischenspurt?

Seit vielen Jahren ist die Ausgangslage bekannt, und sie bleibt anhaltend ernüchternd. Die bisherige Altersvorsorge in Deutschland wird nicht einmal ansatzweise ausreichen, die heutigen Ansprüche der Bevölkerung an auskömmliche Bezüge im Ruhestand zu gewährleisten. Es wird allenfalls noch darüber gestritten, ob die gesetzliche Rente nach fünfundvierzig langen Beitragsjahren von den lieb gewonnenen gut zwei Dritteln des letzten Nettogehaltes in zwanzig Jahren gerade noch über 50Prozent liegen wird oder ob der realistische Abdeckungsgrad aus der ersten Säule sogar deutlich unter diese Marke absinken könnte. Wirklicher Ersatz für diese Versorgungslücke ist nicht in Sicht. Mehr als zehn Jahre nach den öffentlichkeitswirksamen politischen Diskussionen um das Altersförderungsgesetz, die seinerzeit den Einstieg in die kapitalgedeckte private Altersvorsorge und Erleichterungen für die betriebliche Altersvorsorge (bAV) brachten, fällt die Zwischenbilanz gemischt aus. Weder die dritte Säule noch die bAV als zweite Säule des Altersvorsorgesystems sind gut genug ins Fliegen gekommen, um von einer Entwarnung sprechen zu können.

Dass gar nichts geschehen ist, kann man auch nicht behaupten. Für Juni dieses Jahres hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die Zahl der Riester-Verträge immerhin auf 14,8 Millionen veranschlagt. Obwohl dabei die möglichen Zulagen der staatlichen Förderung für die private Altersvorsorge längst nicht voll ausgeschöpft werden, wird den heutigen Riester-Sparern damit eine um ein Drittel geringere Rentenlücke bescheinigt als den gesetzlich Rentenversicherten ohne zusätzliche private Altersvorsorge. Allein mit dieser dritten Säule, so verdeutlichen diese Zahlen allerdings auch, wird sich die politisch erwünschte Zusatzversorgung nicht darstellen lassen. So rückt nicht zuletzt im Zuge einer anhaltenden politischen Debatte um eine drohende Altersarmut die Forcierung der bAV in den Fokus.

An dieser Stelle den Überblick über den aktuellen Stand der Dinge zu gewinnen, ist freilich nicht einfach. Erheblich erschwert wird eine seriöse Bestandsaufnahme der bAV allein schon der unklaren Datenlage wegen. Wer eine betriebliche Altersvorsorge hat, welche Ansprüche sich heute daraus ergeben und welche Höhe sie bei Inanspruchnahme voraussichtlich erreichen wird, spiegelt sich nämlich nicht in einer systematischen amtlichen Erhebung wider.

Zwar hat das Statistische Bundesamt im August dieses Jahres die Ergebnisse einer im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales durchgeführten Machbarkeitsstudie für eine verlässliche Erfassung veröffentlicht. Aber ob und wann die gewonnenen Erkenntnisse zu einer belastbaren amtlichen bAV-Statistik führen, lässt sich einstweilen nicht absehen. Bedenkt man wie penibel und detailliert in Deutschland etwa die Produktions- und Außenhandelsstatistik geführt wird, sind solche Defizite in einem wichtigen Bereich der Daseinsfürsorge der Bevölkerung höchst überraschend. Als Ausweg bleibt so nur der Rückgriff auf die Ergebnisse diverser Studien und Erhebungen aus Wissenschaft und Praxis, die leider nur unregelmäßig veröffentlicht werden und oft nicht sehr zeitnah sind.

Trotz mangelnder Vergleichbarkeit der Zahlen und fehlender Transparenz bei den fünf Durchführungswegen sind die zentralen Entwicklungslinien gleichwohl deutlich. Die Bestandsaufnahme in diesem Heft (siehe die Beiträge Bielefeld und Karch) deckt sich in weiten Teilen mit den Ergebnissen aktueller Befragungen wie sie etwa von der Zurich Gruppe und Standard Life durchgeführt und veröffentlicht wurden. Übereinstimmenden Einschätzungen nach gewinnt die bAV nicht nur für Arbeitnehmer, sondern auch für Arbeitgeber stark an Bedeutung. Auch im Mittelstand wird man sich mit Blick auf die demografische Entwicklung zunehmend bewusst, wie wichtig funktionierende Betriebsrentensysteme schon in absehbarer Zukunft für die Gewinnung qualifizierter Fachkräfte und deren langfristige Bindung an das Unternehmen werden dürften. Dass die derzeit aus Sicht der Arbeitnehmer besonders attraktiv eingeschätzte Abgabenfreiheit für Sozialbeiträge auch beim Arbeitgeber die betrieblichen Arbeitskosten je Mitarbeiter senkt, wird dabei eher als angenehmer Nebeneffekt verbucht.

Die Praxis der Umsetzung der bAV wie auch der Informationsstand über dieses Instrument zeigen allerdings noch eindeutige Unterschiede sowohl zwischen einzelnen Branchen als auch zwischen kleineren und mittleren (KMU) sowie größeren Unternehmen. Letztere nutzen die bAV längst als Standardinstrument im Personalmanagement, Erstere kaum. 74 Prozent der Beschäftigten in großen Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten, so die Zurich-Umfrage bei Unternehmen und Arbeitnehmern, fordern bei ihren Arbeitgebern aktiv Angebote zur bAV ein. In KMUs sind das lediglich 20 Prozent. Dort bestehen bei Arbeitnehmern wie Arbeitgebern die größten Informationsdefizite. Nimmt man die Gesamtbevölkerung als Maßstab, räumen gar 37 Prozent der Befragten einer repräsentativen Untersuchung der Hannoverschen Leben ein, keinerlei Kenntnisse über die bAV zu haben. Entsprechend diffus ist das Wissen um steuerliche Vorteile, um die Möglichkeit der Übertragbarkeit der Anwartschaften auf neue Arbeitgeber, geschweige denn um die Feinheiten der fünf Durchführungswege.

Zwei wesentliche Hemmnisse der bAV sind damit der mangelnde Antrieb zur Eigenvorsorge, besonders in der Altersklasse unter 35 Jahren, und erhebliche Informationsdefizite. Wer der bAV diesbezüglich zu wirklichem Gewicht verhelfen will, muss bei kleinen und mittleren Unternehmen den Durchbruch schaffen. Das hat längst auch die Politik erkannt. Speziell das BMAS hat Mitte September zur Bekämpfung einer drohenden Altersarmut offensiv zum Regierungsdialog Rente ausgerufen (siehe Beitrag Niederfranke). Allzu forsche Vorschläge zu einer staatlichen Förderung der bAV dürften aber weder aus dem BMAS noch aus anderen Bundesministerien kommen. Und das dürfte für einen wirklichen Schub das entscheidende Hindernis sein. Angesichts der angespannten Haushaltslage fehlen schlicht die finanziellen Mittel. Mehr noch: Schon eine stärkere Ausschöpfung des vorhandenen Förderinstrumentariums würde zusätzliche Einnahmeausfälle bewirken. Das gilt auch für das oft ins Spiel gebrachte Opting-out, also quasi die bAV-Zwangsbeglückung mit Ausstiegsmöglichkeit, wie es in den USA praktiziert wird.

Vergleichsweise kostengünstig käme ein aus Hessen vorangetriebener Vorschlag zur Verbesserung der bAV im Mittelstand, der im Frühjahr 2010 auf der Konferenz der Wirtschaftsminister der Länder eine Mehrheit fand. Er sieht die Verankerung der AS-Investmentrente als sechsten Durchführungsweg der bAV im Betriebsrentengesetz vor. Die Befürworter betonen den Rückgriff auf das bekannte und geprüfte Instrument der AS-Fonds und verweisen auf wissenschaftlichen Beistand (Beitrag Maurer). So richtig in der öffentlichen Diskussion angekommen ist der Vorschlag im Vorfeld des jetzt für das Frühjahr 2012 angekündigten Weißbuchs Rente bisher freilich nicht. Trotz gewisser Aussichten auf neue Geschäftspotenziale im umkämpften Feld der Altersvorsorge forcieren selbst die Fondsbranche und die Kreditwirtschaft ihn erstaunlich halbherzig. Ist das wieder das Muster der vorauseilenden Resignation? Im Zweifel können üblicherweise die Versicherer ihre Interessen wahren.

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