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Mikroversicherung: Profitabilität und Wachstumschancen in Zukunftsmärkten?

Das Thema Mikroversicherung hat in jüngerer Zeit eine enorme Aufmerksamkeit bekommen. So waren Mikroversicherungen Teil der Agenda des G20-Gipfels in Pittsburgh im Herbst 2009. Es ist eine stetig wachsende Anzahl von Marktteilnehmern zu beobachten. Beispielsweise hat Leap Frog Investments Ltd. (Leap Frog), der weltweit erste Investmentfonds in Mikroversicherungen, in kurzer Zeit die bemerkenswerte Summe von 140 Millionen US-Dollar eingeworben. Woher kommt das Interesse an Mikroversicherungsmärkten? Was sind die wesentlichen Herausforderungen?

Entwicklung von Mikroversicherungsmärkten

Die ersten Mikroversicherungen sind in den 1990er Jahren im Schatten der Entwicklung von Mikrokredit-Institutionen entstanden. Die Idee, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Entwicklungsländern durch den Zugang zu Finanzprodukten für arme Bevölkerungsschichten zu fördern, wurde 2006 mit dem Friedensnobelpreis für Muhammad Yunus und die von ihm gegründete Grameen Bank geehrt. Diesem Preis ging eine rasante Entwicklung von Mikrokredit-Institutionen voraus und folgte ein breites öffentliches Interesse an der Entwicklung von Finanzmärkten in Entwicklungsländern.

Neben Mikrokrediten - und ganz allgemein Bankprodukten - verstärkt sich in den letzten Jahren das Interesse an Versicherungsprodukten. Dies zeigt sich in der stark zunehmenden Anzahl an Marktteilnehmern und, infolgedessen, einem Zufluss von Kapital. Das Engagement von großen Versicherungskonzernen wie zum Beispiel der Zürich Gruppe, Allianz oder AIG und die große Nachfrage am Investmentfonds Leap Frog hat der Entwicklung von Mikroversicherungsmärkten in kurzer Zeit neuen Schub gegeben.

Das Thema Mikroversicherung ist dabei für ganz unterschiedliche Gruppen interessant. Unternehmen sehen in diesen neuen Märkten zukünftige Wachstumschancen und die Möglichkeit, sich im Rahmen der Corporate Social Responsibility sozial zu engagieren. Für Institutionen der Entwicklungspolitik stellen Mikroversicherungen einen potenziellen Weg dar, die wirtschaftliche Entwicklung in Entwicklungsländern zu fördern. Interessant ist in diesem Zusammenhang zum Beispiel, welche institutionellen Investoren bei Leap Frog engagiert sind. Hier finden sich große Konzerne wie die Scor Gruppe und J. P. Morgan, aber auch Institutionen mit einem entwicklungspolitischen Fokus wie die deutsche KfW-Bankengruppe, die Europäische Investitionsbank und der Soros Economic Development Fund (vergleiche Leap Frog Investments Ltd., 2010).

Definition und Abgrenzung gegenüber traditionellen Versicherungsprodukten

Mikroversicherungen ermöglichen armen Bevölkerungsschichten in Entwicklungsländern, sich gegen elementare Risiken finanziell abzusichern (vergleiche Churchill, 2007). Traditionell definiert sich die Zielgruppe von Mikroversicherungen über das Einkommen. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die Zielgruppe der meisten Mikroversicherer nicht die "Ärmsten der Armen" sind, sondern Menschen, die über ein geringes, jedoch stark schwankendes und von elementaren Risiken bedrohtes Einkommen verfügen. Diese Definition könnte den Eindruck erwecken, dass es sich bei Mikroversicherungen um eine kleine Variante von traditionellen Versicherungen handelt, die sich mit Ausnahme der Höhe von Prämien und Schadenszahlungen nicht substanziell von diesen unterscheiden.

Diese Aussage ist aber nicht zutreffend, denn Mikroversicherungen unterscheiden sich in vielen Bereichen von traditionellen Versicherungen. Unterschiede resultieren zum einen aus den Rahmenbedingungen der Märkte (Infrastruktur, Regulierung, Kapitalmärkte) und zum anderen aus der Zielgruppe selbst (Menschen mit geringem, volatilen Einkommen). Für den Vertrieb bedeutet dies zum Beispiel die Herausforderung, in einem infrastrukturell schlechten Umfeld Versicherungsleistungen mit geringen Transaktionskosten zu generieren. Risikostreuung, Zugang zu Kapitalmärkten und eine adäquate Regulierung sind insbesondere für kleine Mikroversicherer problematisch, da sie nicht über die entsprechenden Ressourcen verfügen.

Für einen großen Teil der armen Bevölkerungsschichten in Entwicklungsländern sind Versicherungsprodukte zudem völlig neu, sodass es viel Aufklärungsarbeit bedarf, um den Nutzen derartiger Produkte zu kommunizieren. Darüber hinaus ist es notwendig, sich intensiv mit der Nachfrage nach Risikodeckung zu beschäftigen. Erste Erfahrungen zeigen, dass diese sich signifikant von der in entwickelten Versicherungsmärkten unterscheidet.

Historischer Vergleich

Gelegentlich werden Mikroversicherungsmärkte mit traditionellen Versicherungsmärkten in Europa oder Nordamerika vor 150 Jahren verglichen. Diese Idee liegt nahe, denn viele Aspekte der damaligen Entwicklung sind vergleichbar mit dem, was wir heute in Märkten wie Indien und China sehen. Folglich kann aus der geschichtlichen Perspektive viel für die Entwicklung von Mikroversicherungen gelernt werden. Dies gilt insbesondere für häufig diskutierte Probleme der adversen Selektion und des moralischen Risikos oder auch für die Überwindung der Transaktionskostenproblematik. Schon vor 150 Jahren hat man erkannt, dass ein Zusammenschluss in Form von Versicherungsvereinen beziehungsweise Genossenschaften effizienzfördernd wirken kann. Ähnliche Entwicklungen sind auch heute in Mikroversicherungsmärkten zu beobachten (vergleiche Biener/Eling, 2010a).

Neben den Gemeinsamkeiten bestehen jedoch auch hier zentrale Unterschiede. Als erster Aspekt ist die Geschwindigkeit der Entwicklung zu nennen. Versicherungsmärkte, die sich in Europa im Laufe vieler Jahrzehnte entwickelt haben, wachsen zum Beispiel in Indien und China mit deutlich höherer Geschwindigkeit. Ein zweiter Aspekt sind externe Effekte. Mikroversicherungen werden in vielen Ländern aus dem Ausland eingeführt, zum Beispiel durch Markteintritte von internationalen Versicherungskonzernen, Non-Governmental Organizations (NGOs) und Entwicklungshilfeorganisationen. Solche Institutionen existierten vor 150 Jahren nicht und eine "Versicherungskultur" musste sich selbstständig am Markt etablieren. Ein dritter Aspekt sind kulturelle Unterschiede zwischen entwickelten Versicherungsmärkten (zum Beispiel in Europa und Nordamerika) und Mikroversicherungsmärkten in Asien, Afrika und Lateinamerika. Hier sind spezielle Ansätze notwendig, um Versicherungsprodukte zu vertreiben, etwa Scharia konforme (Takaful) Mikroversicherungen in islamischen Ländern.

Profitabilität und Wachstumschancen in Mikroversicherungsmärkten

Die Frage, ob Mikroversicherungen profitabel vertrieben werden können, ist schwierig zu beantworten, da existierende Produkte in vielen Fällen ohne Unterstützung seitens der Staaten, Regulierungsbehörden und Entwicklungshilfeorganisationen nicht denkbar sind. Die wirtschaftliche Nachhaltigkeit eines Versicherungsprodukts ist jedoch - unabhängig davon, ob entwicklungspolitische oder unternehmerische Interessen verfolgt werden - zentral für die Entwicklung von Mikroversicherungsmärkten.

Aus den Erfahrungen der letzten Jahre lassen sich einige Erfolgsfaktoren für ein profitables Geschäft mit Mikroversicherungen ableiten (vgl. Biener/Eling, 2010a, b). Durch das Geschäft mit Mikroversicherungspolicen, die geringe Prämien und Schadenszahlungen implizieren und in Regionen mit teilweise sehr schlechter Infrastruktur vertrieben werden, sind Vertriebskosten und Masse kritische Faktoren. Beispiele aus der Praxis zeigen hier, dass Kooperationen mit lokalen Organisationen (etwa Mikrokredit-Institutionen, NGOs, Entwicklungshilfeorganisationen, Genossenschaften) eine vielversprechende Option darstellen, um Produkte zu vertreiben sowie Prämien- und Schadenszahlungen abzuwickeln. Die Zürich Gruppe und die AIG nutzten zu diesem Zweck zum Beispiel bestehende Vertriebswege von Mikrokredit-Institutionen wobei die Allianz Versicherungsprodukte in einigen Ländern in Kooperation mit einem NGO vertreibt.

Der Vertrieb von Mikroversicherungen kann potenzielle Zukunftsmärkte für Versicherer eröffnen. Die Märkte in Europa und Nordamerika sind weitgehend gesättigt und bieten kaum Wachstumspotenzial. Demgegenüber gibt es viele Milliarden Menschen in Entwicklungsländern, die keinen Zugang zu Versicherungsschutz haben. Insbesondere der immer wiederkehrende Rückschritt in die Armut aufgrund von hoher Einkommensvolatilität in Entwicklungsländern, zum Beispiel durch Flut, Dürre, Epidemien, Krankheit oder Tod des Familienernährers, sind gute Gründe davon auszugehen, dass die Nachfrage nach Versicherungslösungen prinzipiell vorhanden ist (vergleiche Linnerooth-Bayer et al., 2009). Erste Studien hierzu belegen dies und zeigen zudem, dass eine Gruppe von zirka 1,5 bis drei Milliarden Menschen in diesen Ländern keine Möglichkeit hat, Risiken durch Versicherungsprodukte abzusichern (vergleiche Roth/McCord/Liber, 2007).

Auf der Suche nach Märkten der Zukunft

Versicherer sind auf der Suche nach Märkten der Zukunft, die weiteres Wachstum ermöglichen und wollen die Entwicklungen in diesen Märkten nicht verpassen. Mikroversicherungsmärkte sind daher aufgrund der Größe und des hohen Wachstums (zirka zehn Prozent pro Jahr, vgl. Lloyd's/Microinsurance Centre, 2009) interessant. Sollte es gelingen, die bestehenden Probleme in den Griff zu bekommen, können Mikroversicherungen neben den entwicklungsökonomischen Zielen auch wirtschaftliche Interessen bedienen. Mikroversicherungen erscheinen dabei aus der Perspektive verschiedenster Interessengruppen attraktiv. Dementsprechend haben sich in den letzten Jahren die Aktivitäten vieler Institutionen und Unternehmen auf diese Märkte gerichtet. Dennoch befinden sich Mikroversicherungsmärkte in den Kinderschuhen und es ist zu erwarten, dass sich in den kommenden Jahren viel verändern wird.

Literatur

Biener, C., M. Eling, Insurability in Microinsurance Markets: An Analysis of Problems and Potential Solutions, Arbeitspapier Universität Ulm, 2010a.

Biener, C., M. Eling, The Performance of Microinsurance Programs: A Data Envelopment Analysis, erscheint in: Journal of Risk and Insurance, 2010b. Churchill, C., Insuring the Low-Income Market: Challenges and Solutions for Commercial Insurers, in: Geneva Papers on Risk and Insurance, Vol. 32 (2007), S. 401-412.

Leap Frog Investments Ltd. (Hrsg.), Leap Frog Investments Ltd Investors, URL: http://www.leapfroginvest.com/investors.php, 2010.

Linnerooth-Bayer, J., K. Warner, C. Bals, P. Höppe, I. Burton, T. Loster, A. Haas, Insurance, Developing Countries and Climate Change, in: Geneva Papers on Risk and Insurance, Vol. 34 (2009), S. 381-400.

Lloyd's, Microinsurance Centre (Hrsg.), Insurance in Developing Countries: Exploring Opportunities in Microinsurance, in: 360° Risk Insight Report, 2009. Roth, J., M. J. McCord, D. Liber, The Landscape of Microinsurance in the World's 100 Poorest Countries, in: Bericht des Microinsurance Centre, 2007.

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