Wirtschaftsnobelpreis

Neue Orientierung für die Theorie des internationalen Handels

Prof. Dr. Karlhans Sauernheimer, Direktor des Instituts für Allgemeine und Außenwirtschaftstheorie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, schreibt der Redaktion: "Mit Paul Krugman erhält in diesem Jahr ein Wissenschaftler den Nobelpreis, der seine wichtigsten Arbeiten im Alter von 26 bis 28 Jahren geschrieben hat. So kommt es, dass er mit 55 Jahren einer der jüngsten Nobelpreisträger in den Wirtschaftswissenschaften ist. Nur Arrow und Merton waren jünger, Samuelson gleichaltrig. Mit drei Arbeiten, erschienen 1979, 1980 und 1981 in den Spitzenzeitschriften des Faches, gab er der Theorie des internationalen Handels eine neue Orientierung.

Die herkömmlichen Ansätze zur Erklärung von Richtung und Wohlfahrtswirkungen der internationalen Handelsströme stützten sich auf komparative Kostenunterschiede zwischen den Handel treibenden Ländern. Die Kostenunterschiede waren Folge unterschiedlicher Faktorproduktivitäten (Ricardo) oder Faktorausstattungen (Heckscher-Ohlin). Nennenswerte Unterschiede in diesen beiden Kategorien gibt es allerdings nur zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, nicht aber zwischen den Industrieländern selbst. Da sich aber der Löwenanteil des internationalen Handels innerhalb des Blocks der Industrieländer abspielt, fehlte es an einer mit dem empirischen Befund kompatiblen ökonomischen Theorie.

Krugman war jung genug, die seit 150 Jahren diskutierte Frage, welche Länder sich auf welche Produkte spezialisieren, auf sich beruhen zu lassen und stattdessen eine andere Frage zu stellen, nämlich, warum sehr ähnliche, im Grenzfall völlig identische Länder, Handel treiben und ob solcher Handel wohlfahrtssteigernd ist. Er entwickelte zu diesem Zweck eine Klasse von Modellen, in denen Unternehmen in monopolistischer Konkurrenz mit steigenden Skalenerträgen produzieren und private Haushalte mit einer Präferenz für Gütervielfalt konsumieren. Ohne Handel gibt es relativ wenig Gütervielfalt, weil Gütervielfalt , teuer' in dem Sinne ist, dass die Unternehmen die Vorteile steigender Skalenerträge wegen kleiner Stückzahlen pro Güterart nicht nutzen können. Der internationale Handel schafft hier Abhilfe: Die für die heimischen Konsumenten verfügbare Gütervielfalt wird durch den Handel erhöht und die Spezialisierung erlaubt die Bedienung der Auslandsmärkte zu sinkenden Durchschnittskosten. Beides erhöht die Wohlfahrt, ohne dass dazu internationale Unterschiede in den Produktivitäten oder den Ausstattungen vonnöten wären.

Ein Beispiel für derartigen Handel bietet der Automobilsektor. Deutschland exportiert BMWs nach Frankreich und importiert Peugeots aus Frankreich. Man spricht von intraindustriellem Handel (Handel innerhalb des Industriesektors), im Gegensatz zum interindustriellen Handel (Handel von Industriegütern gegen Rohstoffe oder Agrarerzeugnisse). Zwei Drittel des Handels ist heute intraindustrieller, ein Drittel interindustrieller Natur.

Krugman hat der Außenwirtschaftstheorie nicht nur durch seine handelstheoretischen, sondern auch durch seine wechselkurstheoretischen Arbeiten seinen Stempel aufgedrückt. Schon 1979 hat er ein einflussreiches Währungskrisenmodell publiziert. Spätere Beiträge widmen sich - mit Blick auf das frühere EWS - dem Konzept der Wechselkurs-Zielzonen sowie - mit Blick auf die Südostasienkrise - den Wechselkursrisiken in Ländern mit hoher Auslandsverschuldung.

Das Nobelpreiskomitee nennt als zweiten ausgezeichneten Bereich neben den Arbeiten zur Handelstheorie auch die Arbeiten Krugmans zur Regionalökonomie. In diesen Arbeiten, Anfang der neunziger Jahre publiziert, wendet Krugman das Modell steigender Skalenerträge aus der Handelstheorie auf regionalökonomische Fragen an. Er formalisiert die Idee, dass steigende Skalenerträge die regionale Konzentration der industriellen Produktion begünstigen, die Existenz von Transportkosten jedoch für die regionale Diversifikation dieser Produktion spricht. Die regionale Mobilität der Industriearbeiterschaft bringt ein selbstverstärkendes Element in den dynamischen Ansiedlungsprozess. Regionale Lohnkostenunterschiede, Ballungskosten und Unterschiede in der Wettbewerbsintensität zwischen , Stadt' und , Land' wirken zusätzlich auf Agglomeration und Deglomeration. Krugman zeigt, dass kumulative Prozesse möglich sind, die in starker regionaler Konzentration oder räumlicher Entleerung enden. Aus deutscher Sicht ist die mit Krugman eingetretene Revitalisierung der Regionalökonomie, manche sprechen gar von , New Regional Economics' erfreulich, geht damit doch eine Rückbesinnung auf eine große deutsche Tradition mit Namen wie von Thünen, Lösch, von Böventer einher.

Krugman publiziert über seine theoretischen Arbeiten hinaus auch zu wirtschaftspolitischen Themen. Die Frage , Is Free Trade passe?' verneint er zwar, allerdings mit zahlreichen , Wenn und Aber'. Die aus der Lionel Robbins Lecture hervorgegangene Schrift , Exchange Rate Instability' lässt bereits 1989 - bezogen auf die Devisenmärkte - an den Hypothesen Rationaler Erwartungen und Effizienter Märkte nicht viel Gutes. Im Herbst 2008 weiß man, wie recht er hatte.

Mit der Breite seiner publizistischen Fähigkeiten steht Krugman in der Ökonomenzunft weltweit einzig da. Seine theoretischen Arbeiten erfüllen die höchsten Ansprüche der , Scientific Community. Sein mit Obstfeld verfasstes Lehrbuch , International Economics - Theory and Policy' ist das weltweit führende Lehrbuch für die Einführung in die Internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Die sich an eine wirtschaftspolitisch interessierte, breite Öffentlichkeit wendenden Bücher wie , POP Internationalism' oder , The Age of Diminishing Expectations' sind Bestseller. Und seine wöchentlichen Kolumnen in der New York Times prägen die ökonomische Meinung von Millionen von Lesern.

Schon lange vor dem Nobelpreis hat Krugman zahlreiche Ehrungen erhalten. In Deutschland war er 1997 Preisträger des Center of Economic Studies CES der LMU München, an der FU Berlin erhielt er 1998 die Ehrendoktorwürde, und an der Universität Erlangen-Nürnberg wurde er mit dem Recktenwald-Preis ausgezeichnet."

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