Aufsätze

Der Traum von einer geldlosen Wirtschaft

Seit Jahrtausenden hat sich die Wirtschaft an das Geld als Tauschmittel, Recheneinheit und als Medium der Vermögensaufbewahrung gewöhnt. Daher scheint es absurd, ohne Geld oder Geldsurrogate auskommen zu wollen. Geld ist eine nützliche Erfindung des menschlichen Geistes. Und warum sollte man auf dieses erprobte Werkzeug für Transaktionen verzichten, ohne einen besseren Ersatz anbieten zu können? Dass das Geld ungleich verteilt ist, ist nicht ihm vorzuwerfen. Allenfalls könnte man einwenden, dass seine Existenz Anlass für Laster und Verbrechen aller Art ist, die Menschen verdirbt und daher ein gesellschaftliches Übel verkörpert.

Begehren nach Macht und Reichtum

Dieser Vorwurf ist nicht neu. Schon in der Antike brandmarkte Sophokles in der "Antigone" die Geldwirtschaft als die Quelle des Unheils. "Kein ärgrer Brauch erwuchs den Menschen als das Geld! (...) Ja, es verführt auch unverdorbne Herzen, sich schändlichen Geschäften hinzugeben. Es weist den Sterblichen zur Schurkerei den Weg, zu jeder gottvergessnen Tat! " (Vers 295-301). Dichter sind meist unzulänglich mit ökonomischen Zusammenhängen vertraut. Deshalb sind ihre Aussagen nicht zum vollen Nennwert zu nehmen.

Anders sieht es aus, wenn Denker über ökonomischen Sachverstand verfügen und ihren Schlüssen Beachtung geschenkt wird. John Locke war Philosoph und Ökonom in einem und hat in der Nationalökonomie unverwischbare Spuren hinterlassen. Das erkennen selbst die Gegner an, die mit den herkömmlichen Anschauungen der bürgerlichen Ökonomie zu Arbeit, Eigentum und Geld gebrochen haben. Deshalb hat ihn Karl Marx nicht ohne Grund in die erste Reihe der den Kapitalismus vorbereitenden Ökonomen gestellt. Er merkt an, dass "seine Philosophie überdies den ganzen späteren englischen Ökonomen zur Grundlage aller ihrer Vorstellungen diente".1)

Für Locke ist Geld an und für sich unfruchtbar. Es produziert nichts. Allerdings sind die Menschen stillschweigend übereingekommen, es als Zahlungsmittel einzusetzen. "So kam der Gebrauch des Geldes auf, einer beständigen Sache, welche die Menschen, ohne dass sie verdarb, aufheben und nach gegenseitiger Übereinkunft gegen die wirklich nützlichen, aber verderblichen Lebensmittel eintauschen konnten".2) Zu Geld kann jeder beliebige Gegenstand werden, vor allem ein solcher, der sich nicht abnutzt, daher die Vorliebe für glänzendes, unverwüstliches Edelmetall. "Gold, Silber und Diamanten sind dagegen Dinge, denen eher die Laune und Übereinkunft der Menschen ihren Wert gegeben haben als der tatsächliche Gebrauch und die Notwendigkeit des Lebensunterhaltes".3)

Da Geld leicht zu handhabenden Besitz verkörpert, erweckt er die Begierde, ihn zu vergrößern. Geld spornt ferner zu Fleiß und Mehrarbeit an und fördert damit indirekt den Wohlstand einer Nation. Der durch die Ausweitung des Geldverkehrs unterstützte wirtschaftliche Aufschwung hat, wie Locke anklingen lässt, freilich auch unangenehme Folgen, nämlich eine Verwilderung der Sitten. Als es noch ein goldenes Zeitalter gab, in dem die Menschheit im Naturzustand lebte und die Staatenbildung noch in den Anfängen steckte, waren die Menschen zwar besitzärmer, jedoch tugendhafter. Das unmäßige Begehren nach Macht und Reichtum (amor sceleratus habendi) war ihnen weitgehend fremd.

Entbehrliche Inlandswährung

Das Aufkommen eines neuen goldenen Zeitalters mit tugendhaften Menschen ist auch das Ziel der Sozialutopisten. So hat Thomas Morus ein Gesellschaftsmodell vorgelegt, in dem auf dem Inselstaat Utopia jedermann sein Auskommen hat und die Menschen friedfertig und gesetzestreu sind. Geld spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Ganz abgeschafft ist es nicht. Während es im Inland für entbehrlich gehalten wird und nicht zirkuliert, häufen die Utopier im Handel mit dem Ausland einen "unermesslichen Staatsschatz" aus Gold und Silber an, um im Falle eines Krieges, der ihnen aufgezwungen werden könnte, fremde Söldner anzuwerben und Bundesgenossen zu unterstützen. Geld ist mithin entscheidend für den Ausgang kriegerischer Auseinandersetzungen.

Gold halten die Utopier für verächtlich, geringer im Wert als das nützliche Eisen. Verbrecher sind gezwungen, als Zeichen ihrer Schande Goldschmuck zu tragen. "Sie verstehen es genauso wenig, dass das von Natur aus so unnütze Gold heutzutage überall in der Welt so hoch geschätzt wird, dass selbst der Mensch, durch den und vor allem für den es diesen Wert erhalten hat, viel weniger gilt als das Gold".4) Schumpeter lobt an dem von Morus vorgelegten Wirtschaftsmodell immerhin, dass aus ihm "eine brauchbare Geldtheorie abgeleitet werden"5) kann. Die Utopier betreiben untereinander auch keinen auf Erwerb ausgerichteten Tauschhandel. Jeder bekommt, ohne dass Streit entsteht, das, was er braucht. "So ist die ganze Insel gleichsam eine einzige Familie".6)

Kontenführung statt Geldzirkulation

Wer sich von Wirtschaftsutopien nicht blenden lässt, kann dennoch die Frage stellen: Geht es nicht doch ganz ohne Geld? Vorstellbar und technisch möglich ist es, Bargeld aus dem Verkehr zu ziehen, eine Währung abzuschaffen und jede das Vermögen berührende Transaktion nur auf nennwertlosen Konten zu verrechnen. So wie jeder Bundesbürger von der Steuerbehörde eine lebenslang geltende Identifikationsnummer zugewiesen bekommt, ist es auch denkbar, ihm von Staats wegen ein persönliches Konto, eventuell mit Unterkonten für unterschiedliche Geschäftsarten, zuzuteilen. In einem isolierten Staat ohne Außenwirtschaft, der auf eine totale Finanzkontrolle abzielt, wäre ein solches System durchführbar. Das hätte überdies den erwünschten Effekt, die Schattenwirtschaft nahezu auszuschalten.

Hin zu einer geldlosen Wirtschaft bewegt sich ferner ein Staat, dessen Bürger sich weigern, die nationale Währung als legales Zahlungsmittel anzunehmen (Repudiation). Die gedruckten Geldscheine werden zu Altpapier und Heizmaterial, so geschehen in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, als es 1923 zu einer Hyperinflation kam. Der höchste Wert eines von der Deutschen Reichsbank ausgegebenen Geldscheines lautete auf 100 Billionen Mark. Hyperinflationen wiederholen sich. Derzeit erlebt Simbabwe eine Hyperinflation mit einer totalen Entwertung der Landeswährung. Presseberichten zufolge, denen man kaum glauben mag, beträgt die Inflationsrate elf Millionen Prozent.

Belanglose Tauschringe

In Zeiten eines spürbaren Kaufkraftverlustes des Geldes werden Überlegungen vorgetragen, der Geldentwertung ein Schnippchen zu schlagen und zum Tauschhandel zurückzukehren. Die Einrichtung von sogenannten Tauschringen, innerhalb derer sich die Mitglieder mittels Eigenproduktion gegenseitig beliefern, ist im Wirtschaftsleben eine wegen Geringfügigkeit kaum zu messende Randerscheinung und zudem mit erheblichen Bewertungsproblemen verbunden. Wer vermag schon verbindlich anzugeben, wie viele Kilogramm Tomaten eine Stunde Handwerksarbeit aufwiegen. Anklang finden die Tauschringe in alternativen Wirtschaftsgemeinschaften. Aber auch in diesen Fällen ist eigentlich nicht das Geld abgeschafft, sondern die Werteinheit Geld durch Werteinheiten in Waren oder Dienstleistungen ersetzt.

Aus der Wirtschaftsgeschichte ist bekannt, dass jede Ware oder Dienstleistung die Geldfunktion übernehmen kann. Kompliziert und hinderlich wird allerdings der Umrechnungs- oder Wertbestimmungsmodus, um zu einer effizienten Preisbildung zu gelangen. Bei der Einführung einer Warenwährung liegt es nahe, auf das zurückzugreifen, was Tradition und kultureller Hintergrund vorschreiben. Ein einleuchtender, weil lebensnotwendiger Wertmaßstab können Nahrungsmittel sein, zum Beispiel in Europa Brotgetreide, in Asien Reis. Und so wurde einst auch verfahren, beziehungsweise in diese Richtung wurden Vorschläge zur Währungseinheit gemacht.

Neugewichtung der Handlungsmotive

Einerlei, ob Geld oder Geldsurrogate wie Bezugsscheine oder Wertscheine, die auf erbrachte Arbeitsstunden lauten, ausgestellt werden, das Geld ist damit nicht abgeschafft. Eine monetäre Wirtschaft ohne Geld und Geldsurrogate ist ein Widerspruch in sich. Die herrschende Meinung drückt Keynes wie folgt aus: "We cannot get rid of money even by abolishing gold and silver and legal tender instruments. So long as there exists any durable asset, it is capable of possessing monetary attributes".7) Anzumerken ist, dass vom aktuellen Wirtschaftsystem ausgegangen wird, das nun einmal auf Geld beruht. Ausgespart bleibt die Erörterung einer möglichen Wirtschaftsform, in der das Geld institutionell überhaupt nicht vorkommt und daher auch keine Funktionen wahrnehmen kann.

In den Wirtschaftswissenschaften gibt es kaum Stimmen, die an der Unentbehrlichkeit des Geldes zweifeln. Wer der Abschaffung des Geldes das Wort redet, wird für einen Utopisten gehalten, der Unmögliches verlangt und sich in einer Welt einrichten möchte, die nie kommen wird. An der Selbstgewissheit der Monetaristen kratzt ein wenig Alfred Marshall. Keynes, ein Schüler Marshalls, reiht ihn ausdrücklich in die Riege der klassischen Nationalökonomen ein. Marshall stellt das auf Geld aufgebaute Wirtschaftssystem nicht in Frage, gibt jedoch zu bedenken, ob es denn für alle Zeiten festgeschrieben sein muss. Marshall weist darauf hin, wie irrig es sein kann, menschliches Handeln im Wirtschaftsleben allein mit Geld und Gewinnmaximierung in Verbindung zu bringen. Motive, wie Dankbarkeit, Hochachtung und Ehre, sind durchaus in der Lage, das Streben nach Geld in den Hintergrund zu rücken. Im Klartext heißt das, dass Marshall von der Fiktion eines "homo oeconomicus" Abstand hält.

Andere Werteskala

Derzeit macht sich die moderne Wirtschaftswissenschaft ebenfalls daran, das Leitbild eines stets auf seinen materiellen Vorteils bedachten Wirtschaftssubjektes aus den Lehrbüchern zu entfernen. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Menschen in ihrem tatsächlichen Handeln ambivalenter und oft weniger egoistisch als unterstellt reagieren. Der Wertmaßstab Geld könnte somit, ohne dass die Wirtschaft zusammenbricht, durchaus durch eine andere Werteskala austauschbar sein. "Es ist ganz gut möglich, dass es Welten ohne Privateigentum an materiellen Dingen oder Reichtum im gewöhnlichen Sinne gibt, wo jede Handlung für das Wohl anderer durch öffentliche Ehren belohnt wird, die nach Graden abgestuft sind. (...) In einer solchen Welt könnte eine Wirtschaftstheorie aufgestellt werden, welche der unsrigen ganz ähnlich ist, trotzdem sie materielle Dinge sehr wenig und Geld ganz und gar nicht erwähnt wird".8) Dieser Hinweis mag nach Utopie klingen, ist es aber mitnichten. Es wird nur an der Allmacht des Geldes als Auslöser menschlicher Handlungen gerüttelt.

Auf dem Nobelpreisträgertreffen von Wirtschaftswissenschaftlern in Lindau im August 2008 wurde ausdrücklich ein Paradigmenwechsel in der Wirtschaftstheorie befürwortet. Diese Entwicklung bahnt sich, lange Zeit nicht zur Kenntnis genommen, seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts an. Und es sieht so aus, als ob die Neurowissenschaft und die Biologie vom Menschen herangezogen werden, um irrationales Verhalten zu erklären.

Irrweg Gewinnmaximierung

Die traditionellen ökonomischen Modelle versagen nämlich, weil sie die Vielfältigkeit der menschlichen Charaktere ausblenden und das Ziel der Gewinnmaximierung verabsolutieren. Die meisten Menschen wissen indes durchaus, was sich in einer gegebenen Situation schickt und was sie nicht tun sollten. Bei jeder Gelegenheit den höchsten Profit herauszuschlagen und alle Rücksicht auf die Gefühle anderer und kulturelle Werte abzulegen, ist dagegen für eine Gemeinschaft unerträglich und wird als Handlungsnorm daher missbilligt.

Diese Tatsache leugnen die Wirtschaftswissenschaften mittlerweile nicht länger. "Die Ökonomen gehen ins wirkliche Leben. Und sie entdecken mittels der sogenannten Verhaltensökonomie die Bedeutung des menschlichen Faktors".9) Seine Nobel-Vorlesung von 199210) leitete Gary S. Becker mit der Bemerkung ein, dass das menschliche Verhalten durch eine reiche Bandbreite von Werten und Vorlieben bestimmt wird. "Unlike Marxian analysis, the economic approach I refer to does not assume that individuals are motivated solely by selfishness or gain. (...) Behavior is driven by a much richer set of values and preferences".

Immaterielle Vergütungssysteme

Mit dieser Erkenntnis greift die aktuelle Diskussion lediglich das auf, was Marshall schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts herausfand. "In den Köpfen vieler Leute ist das in der Wirtschaftslehre so wichtige Abmessen der Motive fälschlich mit einer ausschließlichen Rücksichtnahme auf materielle Güter unter Vernachlässigung höherer Ziel vermengt worden".11)

Die Personalabteilungen der Unternehmen haben schon seit Langem Systeme immaterieller Vergütungen ausgetüftelt, in denen statt Lohnerhöhungen Anreize in Form von Belobigungen, Titel, Verbesserung des Betriebsklimas, Sicherheit des Arbeitsplatzes, mit einem Wort, persönliche Wertschätzung Platz greifen. Im Wirtschaftsleben erbringen seit jeher Familien- und Nachbarschaftshilfe, ehrenamtliche Tätigkeiten und freiwillige Sozialarbeit immense, wenn auch meist übersehene Produktionsleistungen, ohne dass Geld das treibende Motiv ist. Vielfach ist von Geldzahlungen oder sonstigen Kompensationen überhaupt nicht die Rede. Der Beitrag dieser Arbeiten zum Sozialprodukt, der bei der offiziellen Berechnung unter den Tisch fällt und daher in Geld nicht ausgedrückt wird, macht nach Untersuchungen - auch in den Industriestaaten - mindestens die Hälfte des durch die amtliche Statistik ausgewiesenen Bruttoinlandsproduktes aus.

Ein System geldlosen Tausches oder das eines bedingungslosen freiwilligen Gebens ist zwar noch nicht gefunden worden, aber es ist nicht unsinnig, nach ihm Ausschau zu halten. Es ginge auch anders. Dazu ein Beispiel: Warum sollte nicht jedes neugeborene Kind vom Staat als Vorauszahlung künftig zu erbringender Arbeitsleistungen für die Gemeinschaft einen unübertragbaren, nach Punkten gestaffelten Anspruch zum kostenlosen Besuch von Ausbildungseinrichtungen bekommen, um sich berufliche Kenntnisse und Bildung anzueignen? Im Einzelnen wäre zu überlegen, inwieweit dieses immaterielle Guthaben Geburtenprämien, Kindergeld und steuerliche Vergünstigungen bei den Eltern ersetzen könnte. Eines stünde jedenfalls fest: Geldauszahlungen unterbleiben.

Während Sophokles das Geld verflucht, ist es für einen Dichter der Neuzeit Maß der Ordnung und freigesprochen als Ursache der Selbstsucht. In Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" belehrt der Bankdirektor und selbstständige Unternehmer Leo Fischel seine Tochter über die Vorzüge der Geldwirtschaft. "Das Geld gibt dem Menschen Maß. Es ist geordnete Ichsucht". (...) Wo der Einfluss des Geldes verdrängt wird, "springt Vorteilsdienerei, Willkür, Protektion und Unüberlegtheit. Du kannst von mir aus, wenn du willst, das Geld abschaffen, aber du wirst nicht abschaffen die Übermacht desjenigen, der die Vorteile in der Hand hat. (...) Denn du irrst, wenn du glaubst, dass das Geld die Ursache unserer Ichsucht ist, es ist ihre Folge".

Lieb gewonnener Wertmaßstab

Ob Geldwirtschaft oder nicht, die menschlichen Triebkräfte sitzen tief und lassen sich wohl auf Dauer nicht zähmen. Deshalb wird es wohl auch zukünftig Banken und Investmentgesellschaften geben, die mit Wertgutscheinen und Zertifikaten Handel treiben, die zwar nicht als Geld bezeichnet werden, aber dennoch in irgendeiner Form das repräsentieren, was die Menschen gegenseitig austauschen und als Wertmaßstab für erbrachte Arbeit anerkennen, und seien es handelbare Titel für Dankbarkeit und Gemeinnützigkeit.

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