Leitartikel

Die Voraussetzungen einer Währungsunion

Bei allem Ungemach, das durch die jüngste Krise über die Eurozone gekommen ist, muss man auch etwas Positives festhalten. Auch diesmal konnte eine Kernschmelze des Systems verhindert werden. Wenn es hart auf hart kommt, stehen die Verantwortlichen zusammen. Sie sind auch zu unkonventionellen Maßnahmen bereit. Sie können in kurzer Zeit viel Geld mobilisieren. Das ist zwar manchmal mit viel Zittern verbunden. Am Ende aber funktioniert es. Das ist kein Freifahrtschein für die Märkte, jetzt auf Teufel komm raus auf einen Zusammenbruch des Systems zu spekulieren. Wir sollten den Verantwortlichen, vor allem den europäischen Politikern, aber dankbar sein, dass sie das auch jetzt wieder praktiziert haben.

Aus der Welt geschafft sind die Probleme dadurch freilich nicht. Vielleicht sind sie durch die Aufhebung der "non bail-out"-Klausel und den Kauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank sogar noch schwieriger geworden. Manchmal merkt man erst am Schluss, dass man den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben hat.

Zur Lösung der Probleme werden jetzt überall zusätzliche Sparanstrengungen zur Reduzierung der zu hohen öffentlichen Defizite gefordert. Das ist richtig. Es gilt freilich nicht nur für die hochverschuldeten Staaten Südeuropas. Auch Deutschland oder Frankreich sind gefordert. Wenn sich die Konjunktur normalisiert, müssen die Defizite wieder null sein (nicht nur unter den drei Prozent des Maastricht-Vertrages liegen). Das sollte am besten durch Ausgabenreduktion, nicht durch Einnahmeerhöhung geschehen. Nur auf diese Weise können die negativen Effekte der Sparpolitik auf die Konjunktur gering gehalten werden.

Sparen allein reicht freilich nicht. Es war ein Fehler vieler IWF-Programme in der Vergangenheit, dass sie sich zu stark auf Budgetkonsolidierung fokussierten. Genauso wichtig ist es, die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstumspotenzial der Länder wieder herzustellen. Die Staaten Südeuropas importieren zu viel und produzieren zu wenig. Das erhöht die Arbeitslosigkeit, verringert das verfügbare Einkommen und macht die Länder von ausländischen Kapitalgebern abhängig. Es geht also nicht nur darum, Staatsausgaben zu reduzieren. Sie müssen auch so umgeschichtet werden, dass für die Unternehmen die richtigen Anreize zur Erhöhung der Produktivität und der Ausweitung der Produktion herauskommen. Wenn dadurch das Konsolidierungsziel nicht so schnell erreicht wird, ist das kein Beinbruch. Für die Märkte ist es nicht so wichtig, dass die Konsolidierung möglichst schnell erreicht wird, sondern dass sie überhaupt zustande kommt.

Wichtig ist darüber hinaus auch, die Funktionsfähigkeit der Märkte, vor allem der Arbeitsmärkte zu verbessern. Spanien nimmt hier gerade einen Anlauf. Das ist Angebotspolitik, die für Wachstum und Beschäftigung viel bewirkt, aber nichts kostet.

Aber auch das ist noch nicht genug. Die Krise hat gezeigt, dass die wirtschafts- und währungspolitischen Koordinationsmechanismen in der Eurozone nicht ausreichend funktionieren. Viele haben offenbar den alten Lehrsatz vergessen, dass die Schaffung einer gemeinsamen Währung nicht am Anfang oder in der Mitte einer Integrationsprozesses steht. Sie kommt erst ganz am Ende, als Krönung sozusagen. Erst wenn alle wirtschaftlichen, monetären und politischen Bereiche integriert sind, kann auch eine gemeinsame Währung dauerhaft bestehen. Das hat die Bundesbank vor der Einführung des Euro immer wieder gepredigt.

Der anfängliche Erfolg des Euro hat manchen dazu verleitet, diese Zusammenhänge zu verdrängen. In der Tat sah es eine Zeit lang so aus, als würde die tatsächliche Entwicklung den Fehler heilen. Der Euro hat beim Zusammenwachsen der Länder der Eurozone geholfen. Er wurde zu einem Kern der europäischen

Identität. Die Menschen kritisierten Brüssel, sie waren mit der gemeinsamen Währung aber im großen Ganzen ganz zufrieden. Sie waren sogar ein wenig stolz auf die Europäische Zentralbank, die in kurzer Zeit ein hohes Renommee erworben und die große Finanzkrise der letzten drei Jahren besser als manche andere Zentralbank (auch besser als die amerikanische Federal Reserve) gemeistert hatte.

Was aber nicht gefördert wurde, war die politische Integration. Wir sind heute weiter davon entfernt als vor zehn Jahren. Alle Währungsunionen der Vergangenheit sind aber gescheitert, wenn sie nicht durch eine politische Union abgesichert sind. In Deutschland beispielsweise gelang in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Währungsunion der verschiedenen Königreiche und Fürstentümer, weil gleichzeitig das Deutsche Reich entstand. In den USA war die Einführung einer gemeinsamen Währung erfolgreich, weil die Vereinigten Staaten von Amerika gebildet wurden. Die Lateinische Währungsunion oder die Nordische Währungsunion dagegen, die etwa um die gleiche Zeit gebildet wurden, scheiterten, weil sich die Mitglieder nicht auf eine gemeinsame Politik verständigen konnten.

An diese Erfahrungen sollte man sich jetzt erinnern. Es reicht nicht, zusätzliche Über-wachungs-, Koordinierungs- und Sanktionsmechanismen in der Eurozone einzuführen, am Ende aber alles wie bisher zu lassen. So wie bei der Geldpolitik muss auch bei der Fiskalpolitik Souveränität der Nationalstaaten an eine zentrale Instanz übertragen werden. Ohne eine politische Union bleibt die Währungsunion auf lange Sicht ein verletzlicher Torso.

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