Aufsätze

Wachsende Bedeutung von Supply-Chain-Finanzierung nach der Wirtschaftskrise

Angesichts des Rückgangs der Kreditvergabe durch Banken in vielen Teilen der Welt steigt auf der Seite der Unternehmen zunehmend die Nachfrage nach alternativen Finanzierungsinstrumenten. Ganz besonders schwierig ist es für kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs), an erschwingliche Kredite zu kommen. Dies ist selbst in Wachstumsmärkten, wie zum Beispiel den BRIC-Staaten, der Fall. Größere Konzerne sind von dieser Kreditbremse zwar selbst weitgehend unberührt, müssen jedoch um die Volatilität in ihren Lieferketten besorgt sein. Ihnen ist sehr daran gelegen, Störungen in der Versorgungskette zu vermeiden, die aufgrund finanzieller Schwierigkeiten seitens ihrer wichtigen Zulieferer entstehen können. Dies hat dazu geführt, dass die Zahl der neu aufgenommenen Programme aus dem Bereich der Supply-Chain-Finanzierung (SCF) in den vergangenen Jahren stark angestiegen ist. Durch diese Finanzierungsmodelle können größere Unternehmen, die Zugang zu mehr Liquidität haben als sie benötigen, diesen Vorteil an ihre kleineren Zulieferer weitergeben.

Aussicht auf gute Wachstumsraten des SCF-Marktes

Um die neuesten Entwicklungen auf dem SCF-Markt nachvollziehen zu können, hat Demica kürzlich eine Studie durchgeführt, in der unter anderem aktuelle und für die Zukunft prognostizierte Wachstumsraten von SCF sowie Wachstumstreiber und Herausforderungen bei der Implementierung dieser Programme untersucht wurden. Zum Teilnehmerkreis gehören einige der 25 führenden europäischen Banken, eine qualitative Auswahl internationaler Geldinstitute aus Asien, Australien, Afrika und den USA, sowie 14 international tätige Konzerne. In diesem Artikel sind einige der Haupterkenntnisse dieser Studie zusammengefasst. Alle befragten Banken bestätigten einen Zuwachs in ihrem SCF-Geschäft in den letzten Jahren. Bedeutende Wachstumsraten wurden vor allem von internationalen Banken festgestellt. Vorsichtigen Einschätzungen zufolge lagen diese in den vergangenen zwei Jahren durchschnittlich zwischen 30 und 40 Prozent. Ein Vertreter einer multinationalen Bank berichtete sogar von einer jährlichen Zunahme von SCF-Programmen von etwa 50 Prozent in den letzten drei Jahren. Ein ähnlich posi tiver Wachstumstrend wurde von einem weiteren Bankfachmann bestätigt, dessen Finanzinstitut innerhalb der letzten zwei Jahre einen Zuwachs von 35 Prozent in SCF-Anlagen verzeichnet hat. Ein Repräsentant einer globalen Bank berichtete sogar von einem hundertprozentigen jähr lichen Zuwachs in den vergangenen drei Jahren.

Die Schwemme der Aktivitäten auf dem SCF-Markt wird ebenfalls von multinationalen Banken in Asien beobachtet. Einer Bank aus dem asiatisch-pazifischen Raum nach hat sich das Wachstum von SCF in den letzten Jahren stark beschleunigt. Diese Aussage stützt sich auf einen Umsatzanstieg von 300 Prozent, den seine Bank im vergangenen Jahr erzielt hat. Ein weiterer Befragter prognostizierte für seine japanische Bank eine zweistellige Zuwachsrate über die nächsten vier bis fünf Jahre.

Ein junger Markt

Bei diesen beträchtlichen Wachstumsraten muss allerdings in Betracht gezogen werden, dass der rasante Aufschwung von SCF mit der relativ frühen Entwicklungsphase zusammenhängt, in der sich diese Art der Finanzierung als weitverbreitetes und standardmäßiges Bankprodukt derzeit noch befindet. Außerdem ist das Wachstum, das sich bei inlandorientierten Banken zeigt, von einer geringen Dimension, als es bei international aktiven Finanzinstituten der Fall ist.

Die Studienteilnehmer waren durchweg davon überzeugt, dass SCF in nächster Zeit weiter wachsen würde. Allerdings waren sie geteilter Auffassung darüber, ob sich das Tempo dieses Wachstums in naher Zukunft mäßigen würde. Vorsichtigen Einschätzungen zufolge liegen die jährlichen Wachstumsraten von SCF bis 2015 immer noch zwischen 20 und 30 Prozent, und bis 2020 bei über zehn Prozent. Ein Finanzier machte die interessante Bemerkung, dass sich das SCF-Modell womöglich langfristig verändern wird, da sich immer mehr Unternehmen mit Eigenfinanzierung auseinandersetzen. Seiner Auffassung nach ziehen es Unternehmen bislang vor, Banken die Verantwortung für und die Verwaltung des gesamten SCF-Programms zu überlassen. In Zukunft könnten Unternehmen allerdings in Erwägung ziehen, mit Hilfe ihrer Geldreserven selbst SCF-Programme umzusetzen.

Wachstumstreiber

Den Ansichten der befragten Banken nach ist die Versorgung von Zulieferern mit Liquidität der wichtigste Treiber für das Wachstum von SCF, gefolgt von der Optimierung von Betriebskapital sowie der Ermöglichung niedrigerer Finanzierungskosten für Zulieferer. Risikobegrenzung innerhalb der Lieferkette wird auch als ein wichtiger Treiber angesehen. In diesem Zusammenhang hat einer der Befragten angegeben, dass ein sinnvolles SCF-Programm zur Risikominimierung mindestens 30 bis 40 Prozent der Zulieferer einschließen sollte. Einige der Befragten haben außerdem angeführt, dass ein ausgeprägterer Sinn für die soziale Verantwortung von Unternehmen (Corporate Social Responsibility) zum Wachstum von SCF beigetragen hat. Käuferunternehmen versuchen nämlich sicherzustellen, dass ihr Wunsch, Zahlungsfristen zu verlängern nicht gleichzeitig zusätzliche finanzielle Belastungen für deren Zulieferer bedeutet.

Die meisten Finanziers waren auch der Auffassung, dass Technologie eine immer wichtigere Rolle darin spielen wird, die weitere Entwicklung von SCF zu erleichtern, da diese die Breite und Tiefe eines SCF-Angebots bestimmen kann. Vor allem die Kombination von SCF und elektronischer Rechnungsstellung wird als ein großer Fortschritt angesehen, der die Prozesseffizienz enorm verbessern kann. Ein Finanzier hat betont, dass es dank elektronischer Rechnungsstellung möglich ist, den Transfer von Rechnungen zu beschleunigen. So können Banken eine schnellere Finanzierung gewährleisten. Er hat jedoch auch angemerkt, dass die Verbindung zwischen den Anbietern von SCF und Herstellern von Technologien zur elektronischen Rechnungsstellung momentan noch sehr schwach ist.

Einige der Umfrageteilnehmer glauben, dass eine erhöhte Sichtbarkeit von Technologie für Zulieferer ein wichtiger Wachstumstreiber für SCF sein wird. Wenn Zulieferer Rechnungen ausschicken, können sie sich normalerweise nicht sicher sein, dass diese fristgerecht beglichen werden. Innerhalb eines SCF-Programms sind Rechnungsfreigaben und Zahlungsvorgänge jederzeit sichtbar. Dies verschafft ihnen eine gewisse Sicherheit in diesem Zusammenhang. Somit können Zulieferunternehmen ihren Geldfluss besser verwalten. Fast 90 Prozent der Befragten halten SCF nicht nur für eine "nette Option", die unternehmerische Käufer haben, sondern für unabdingbar. Zudem erkennen 75 Prozent diese Art der Finanzierung als ein Produkt mit starker Wertschöpfung an. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Gebrauchs von SCF erwarten ungefähr 80 Prozent der Finanziers für die zweite Hälfte des Jahrzehnts eine stärkere Standardisierung dieser Finanzierungslösungen. Die erhöhte Nachfrage nach SCF wird wahrscheinlich zum Auftreten neuer Akteure und somit zu einer schärferen Konkurrenzsituation führen.

Herausforderungen bei Implementierung grenzüberschreitender Programme

Verglichen mit einem inländischen SCF-Programm bringt ein grenzüberschreitendes Angebot zwangsläufig mehr Herausforderungen und einen höheren Grad an Komplexität mit sich. Lokale Regulierungen, die Erfüllung von Vorschriften mehrerer Jurisdiktionen und die Gewinnung von Zulieferern werden von den Befragten als die drei größten Herausforderungen angesehen. Es ist wichtig, dass Banken die rechtlichen Rahmenbedingungen tiefgehend verstehen, um sicherstellen zu können, dass gewisse Rechtsstrukturen gelten und auch erzwingbar sind. Außerdem müssen die Rechtsprechungen aller Zulieferer und Käuferunternehmen, die in einem SCF-Programm vertreten sind, untersucht werden. Steuerpositionen sowie Dokumentationsangaben müssen eingehend geprüft und das Handelsumfeld vor Ort muss genau verstanden werden.

Wo Banken keine lokale Präsenz haben, gestalten sich die Prüfungen zur Verhinderung von Geldwäsche (Anti Money Laundering, AML) sowie zur Kundenidentifikation (Know-your-Customer, KYC) besonders schwierig. Aus diesem Grund ist einer der Befragten der Meinung, dass die Implementierung von KYC-Maßnahmen durch Bündnisse, die auf lokaler sowie internationaler Ebene agieren, entscheidend ist. Dem fügte ein Finanzier hinzu, dass grenzüberschreitende SCF-Programme, abgesehen von den rechtlichen Gesichtspunkten, auch Herausforderungen im Zusammenhang mit verschiedenen Systemen (zum Beispiel Sprachen und Währungen) und Bilanzierungsprozessen mit sich bringen. Dennoch ist er der Ansicht, dass ein grenzüberschreitendes SCF-Programm, verglichen mit einem inländischen Modell, starke Wertmaximierungen ermöglicht.

SCF aus der Sicht der Käuferunternehmen

Unabhängig von dem jeweiligen geografischen Geltungsbereich eines Programms kann die Gewinnung von Zulieferern eine Herausforderung darstellen. Um diesen Prozess zu erleichtern, ist es grundlegend, den Zulieferern das Angebot genau zu erläutern, so die Befragten. In diesem Zusammenhang ist es ebenfalls wichtig, dass Banken denjenigen, die die Geschäftsleitung innerhalb der Käuferfirmen von einer SCF-Initiative überzeugen müssen, ein hohes Maß an Unterstützung gewährleisten.

Vertreter des Bankensektors haben dargelegt, dass ein größeres Verständnis sowie eine höhere Anerkennung von SCF unter Konzernen entscheidend sind, um das Wachstum dieses Marktes beizubehalten. Um die Wahrnehmung dieser Finanzierungstechnik auch aus der Sicht der Unternehmen besser nachvollziehen zu können, hat Demica im Rahmen ihrer Studie auch Vertreter einer Auswahl multinationaler Konzerne befragt.

Viele der Befragten gaben an, SCF-Programme erst kürzlich zum ersten Mal eingeführt zu haben. In den meisten Fällen ist die Optimierung des Betriebskapitals der wichtigste Treiber hinter einer SCF-Initiative. Im Falle eines Automobilunternehmens war der Wunsch, die eigene Bilanzaufstellung zu nutzen und Kosten innerhalb der gesamten Lieferkette zu sparen, der Anlass. Diese Firma erwartet bis 2015 eine Vergrößerung des Programms um 20 Prozent. Der Beweggrund eines internationalen Getränkekonzerns war wiederum die Notwendigkeit, die eigene Bonität beizubehalten, nachdem eine Übernahme zu einem beachtlichen Anstieg seines Schuldenstands geführt hat. Zu jener Zeit hat das Unternehmen verschiedene Schwerpunkte der firmeninternen Geldschöpfung geprüft, in der Hoffnung, eines der folgenden Ziele zu erreichen: verbesserte finanzielle Transparenz, Zahlungsaufschübe oder die Beschleunigung des Geldflusses. Die Firma glaubt nun an einen beträchtlichen Zuwachs ihres SCF-Programms in den kommenden Jahren. Eine Telekommunikationsgesellschaft hat ihr SCF-Programm auf gestellt, um den Betriebskapitalfluss zu verbessern, und rechnet mit einer verdreifachten Erweiterung des Programms bis 2015.

Auf die Frage, wie Zulieferer SCF-Programme aufnehmen, gaben viele Unternehmen an, dass die Akzeptanz von Land zu Land unterschiedlich ist, da diese von der Liquidität innerhalb der einzelnen Märkte abhängt. Ein Hersteller von Verbrauchsgütern erklärte, dass das lokale SCF-Programm seines Unternehmens in Spanien schon längere Zeit erfolgreich läuft. Solche Programme sind in Spanien weit verbreitet, und die dort ansässigen Banken haben eine sehr gute Infrastruktur, um Zulieferer zu unterstützen. Dank SCF ist die Firma in der Lage, Zahlungsfristen von ehemals 50 bis 55 Tagen auf nur 15 zu verkürzen. Vielen der kleineren Zulieferer in ihrer Lieferkette können innerhalb des Programms Zinssätze angeboten werden, die niedriger sind als ihre Finanzierungskosten. Derzeit wird an einem weiteren SCF-Programm in den Niederlanden gearbeitet. Das Ziel hierbei ist, so viele Zulieferer wie möglich einzubinden, damit diese ihr Geld frühzeitig erhalten können.

Im Vergleich hierzu berichteten zwei andere Unternehmen von einer selektiveren Herangehensweise bei der Aufnahme der Zulieferer in deren SCF-Programme. Das eine wollte das Programm bei einer bestimmten Größe belassen. Würde es allen Zulieferern angeboten, wäre der Zeitaufwand zu groß für die Finanzabteilung. Nichtsdestotrotz wird das Programm gut angenommen, und das Unternehmen kann sogar die Konditionen verbessern. Das andere Unternehmen berichtete, dass SCF der Firma geholfen hat, den Umfang der Geschäfte zu vergrößern und Beziehungen mit Zulieferern zu verbessern.

Gewinnung von Zulieferern und Implementierung

Was das Verständnis von Zinsarbitragen seitens der Zulieferer betrifft, so ist der allgemeine Eindruck, dass es noch einige Wissenslücken zu füllen gilt. Ein befragter Unternehmer gab an, dass Zulieferer von den Zinssätzen oft angenehm überrascht sind. Er betonte, dass, um den Erfolg eines SCF-Programms zu gewährleisten, Zulieferer und Käuferunternehmen gleichermaßen davon profitieren sollten und Letztere nicht nur auf ihren eigenen Vorteil achten dürften. Die Bedeutung dieses Vorteilsausgleichs wurde auch von zwei weiteren Befragten hervorgehoben. Ihrer Ansicht nach ist es wichtig, dies auch gegenüber den Zulieferern deutlich zu machen, um so deren anfängliche Skepsis zu überwinden und ihnen dabei zu helfen, die Vorteile zu verstehen, die SCF für sie birgt. Hierzu gehören zum Beispiel niedrigere Finanzierungskosten und die Bewahrung von Kreditlinien bei Hauptbanken.

Es gibt verschiedene Sichtweisen hinsichtlich der Herausforderungen bei der Implementierung eines SCF-Programms. Einer der Befragten ist der Meinung, dass die größte Schwierigkeit darin besteht, das SCF-Modell für die Zulieferer attraktiv zu machen. Seiner Auffassung nach müssen die finanziellen Vorteile klar ersichtlich sein. In einigen Ländern, in denen Zulieferer guten Zugang zur Finanzierung haben, kann sich dies schwierig gestalten, da das Finanzierungsargument nicht zum Tragen kommt. Dennoch können SCF-Programme auch in diesen Fällen zu Gewinnen in der Betriebseffizienz beitragen - dies muss durch die gesamte Lieferkette hinweg effizient kommuniziert werden. Diese Sichtweise spiegelt sich auch in den Aussagen eines anderen Unternehmers wider. Er hat nämlich die Erfahrung gemacht, dass die Gewinnung größerer Zulieferer als Teilnehmer eines SCF-Programms größere Anstrengungen erfordert. Es ist jedoch relativ einfach, kleinere Zulieferfirmen zu überzeugen.

Ein Finanzdirektor hat das Thema der Gewinnung firmeninterner Unterstützung für ein solches Unterfangen angeschnitten. Er deutete auf den langwierigen Prozess hin, der zu durchlaufen ist, bevor ein SCF-Programm steht. Oft muss die Initiative erstmals ausreichende Unterstützung von der Geschäftsleitung bekommen, bevor sie dann gegenüber der Einkaufsabteilung beworben werden kann. Außerdem müssen Mitarbeiter im Einkauf geschult werden, ehe sie auf ihre Zulieferer zugehen, um weitere Überzeugungsarbeit zu leisten und Einsparpotenziale zu erläutern.

Ein Türöffner für andere Geschäfte

Im Moment ist SCF noch ein relativ junger Markt, der sich allerdings in einem rapiden Wachstumsprozess befindet. Dieses Tempo wird sich sehr wahrscheinlich bis zum Ende des Jahrzehnts mäßigen, da die hohe Nachfrage den Wettbewerb fördert und infolgedessen Bankangebote vereinheitlicht und standardisiert werden. Nach der Wirtschaftskrise sorgen sich große Konzerne zunehmend um die Stabilität innerhalb ihrer Lieferketten und suchen deshalb nach Möglichkeiten, die finanzielle Beständigkeit ihrer strategischen Zulieferer zu gewährleisten. Banken, die in der Lage sind, SCF-Angebote bereitzustellen, können so viele neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen.

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