Leitartikel

Aktien, Börsen und die Banken

Als die Redaktion zu Beginn dieses Jahres die drei Stichworte Aktien, Börsen und Banken für eine Ausgabe zum 80. Geburtstag von Michael Hauck festgelegt hat, war damit implizit ein weiteres Thema vorgegeben - die Förderung des Finanzplatzes Frankfurt. Denn stets hatte das Wirken dieses Privatbankiers in den genannten Feldern jenen klaren regionalen Bezug. Wie viele Anknüpfungspunkte seine Lebensstationen an den Finanzplatz Frankfurt bieten, lässt sich sehr anschaulich an einer Begriffsdefinition illustrieren, die kürzlich anlässlich der Einführung eines neuen Finanzplatzindexes vom Center for Financial Studies an der Frankfurter Universität veröffentlicht wurde.

Finanzinstitute (sprich Banken, Versicherungen und Investmentgesellschaften) bilden demnach als Nukleus die innere Gruppe eines Finanzplatzes. Um ihn herum gruppieren sich finanzplatzorientierte Dienstleister, die zwar grundsätzlich auch für andere Branchen tätig sein könnten, sich aber mit umso höherer Wahrscheinlichkeit auf die Finanzbranche konzentrieren, je spezialisierter die dort angebotene Dienstleistung ist. Als typische Beispiele für diese Kategorie werden Rechtsanwaltskanzleien, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Nachrichtenagenturen genannt. Komplettiert wird das Finanzplatzgefüge durch eine Vielzahl von Institutionen, die keine Unternehmen im klassischen Sinne sind, dort aber ihren Sitz nehmen. Dazu gehören im Falle Frankfurts aus heutiger Sicht Aufsichts- und Regulierungsbehörden wie die Europäische Zentralbank, die Deutsche Bundesbank und Teile der Ba Fin, ferner Institutionen wie die Kursmaklerkammer, Interessenverbände wie der BVI Bundesverband Investment und Asset Management oder der Verband der Auslandsbanken und nicht zuletzt Universitäten, Fachhochschulen und diverse andere Bildungs- und Forschungseinrichtungen.

Schließlich werden als vierte Gruppe "Finanzplatzprofitierende Unternehmen" ausgemacht, die Vorteile aus der Größe und Wirtschaftskraft eines Standortes ziehen, ohne sich voll auf die speziellen Bedürfnisse der Finanzplatzakteure einrichten zu müssen. Beispiele hierfür sind unter anderem Fluggesellschaften, Hotels, Luxus-Autohändler oder Cate-ring-Unternehmen.

Gleich in doppeltem Sinne, so zeichnet es Rüdiger von Rosen in seinem Beitrag nach (Seite 432), ist demnach Michael Hauck schon seit langem dem inneren Kreis des Finanzplatzes zuzuordnen. Er war nicht nur über fast vier Jahrzehnte persönlich haftender Gesellschafter des Privatbankhauses Georg Hauck und Söhne, das nach seiner aktiven Zeit Ende der neunziger Jahren durch Fusion mit dem Münchner Bankhaus Aufhäuser zu Hauck & Aufhäuser Privatbankiers geworden ist und derzeit so heftige Turbulenzen durchstehen muss (siehe Gespräch des Tages). Sondern parallel dazu fungierte er auch als langjähriges Vorstandsmitglied und zeitweiliger Vorsitzender des Vorstands der Frankfurter Wertpapierbörse. Und auch nach seiner aktiven Zeit als Banker darf er zweifellos zu den Mentoren des Finanzplatzes gerechnet werden.

Moderner Sprachregelung nach war Michael Hauck ein früher Netzwerker für den (Finanz-)Standort Frankfurt, denn viele dessen heutiger Strukturen hat er mit aufgebaut, und nach wie vor unterhält er enge Verbindungen zu dessen Akteuren. So hat er als Mitinitiator der Gründung der DVFA Vereinigung für Finanzanalyse und Anlageberatung schon zu Beginn der sechziger Jahre moderne Methoden der Finanzanalyse- und Bewertung in die Ausbildung der Banker eingebracht. Als wichtiger Wegbereiter des früheren Instituts für Kapitalmarktforschung hat er Ende der sechziger Jahre an der Grundsteinlegung des wissenschaftlichen Unterbaus mitgewirkt, der heute das geeignete Umfeld für hoch qualifizierte finanzwirtschaftliche Nachwuchskräfte bieten soll. Von dem House of Finance, der Frankfurt School of Finance & Management sowie weiteren wissenschaftlichen Einrichtungen erhofft sich die Finanzplatzgemeinde bekanntlich gleichermaßen Impulse in der finanzwirtschaftlichen Forschung wie hoffnungsvolles Potenzial für eine kreative Entwicklung von Finanzprodukten bei den Anbietern vor Ort. Schließlich hat sich Michael Hauck mit einem deutlichen Plädoyer für ein kapitalgedecktes Rentensystem schon Jahrzehnte vor den ersten zaghaften Umsetzungsschritten für die Schaffung einer Altersvorsorge eingesetzt, die letztlich auch in der Bundesrepublik eine wirkliche Aktienkultur hätte entstehen lassen können und damit sicherlich einer noch gedeihlicheren Entwicklung der Frankfurter Börse förderlich gewesen wäre.

Mit einigen aktuellen Ausprägungen dieser Sachverhalte beschäftigen sich auch die Beiträge dieses Heftes, wobei sich die Dimensionen eindeutig vom nationalen zum internationalen Standortwettbewerb verschieben. So tragen Rainer Roubal und Patricia Weisbecker ihre Bewertung der Zukunftsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Skontroführermodells im Parketthandel unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung (Seite 444) nicht unter dem beschränkten Blickwickel des nationalen Standortwettbewerbs zwischen Frankfurt und den anderen Regionalbörsen vor. Sondern sie betonen über die Gesichtspunkte eines geordneten Strukturwandels der einheimischen Börsenlandschaft und einer effizienten Marktausschöpfung in Deutschland hinaus ausdrücklich die europäische und globale Dimension unter den Anforderungen von Mi FID. Dass viele Fragestellungen der modernen Finanzwelt heute viel weniger aus regionaler und nationaler denn aus europäischer beziehungsweise globaler Sicht betrachtet werden müssen, unterstreichen in noch stärkerem Maße die Ausführungen zum Transparenzrichtlinien-Umsetzungsgesetz sowie zur Bedeutung der Aktie als Akquisitionswährung.

War es Anfang der sechziger Jahre die Sorge um oberflächliche Kenntnisse und mangelnde Transparenz der Aktien- und Wertpapiermärkte in Deutschland, die seinerzeit die Gründung der DVFA und damit die Förderung des Berufsstandes des Anlageberaters und Finanzanalytikers als wichtigem Mittler zwischen Kapitalgebern und Kapitalnehmern sinnvoll erscheinen ließ, so gilt die Aufmerksamkeit heute der europäischen Perspektive. In diesem Sinne will das im Januar dieses Jahres in Kraft getretene Transparenzricht-linien-Umsetzungsgesetz seinem Anspruch nach einen Beitrag zur Schaffung eines einheitlichen Finanzmarktes Europa leisten und dabei insbesondere für Verbraucher und Kleinanleger Informationsnachteile beziehungsweise Intransparenz auf den Märkten abbauen.

Bei allen guten Absichten einer Gleichbehandlung der Aktionäre, so bewertet Klaus Nieding diesen politisch verordneten Aufbau eines europäischen Informationsnetzes über die Wertpapiermärkte (siehe Seite 451), kann die neue elektronische Transparenz nur wahrgenommen werden, wenn sie ihre Adressaten auch verlässlich erreicht. Genau das freilich sieht der Autor angesichts der deutlichen Unterschiede in der Internetaffinität und Internetkompetenz innerhalb der europäischen Länder, aber auch zwischen den einzelnen Altersgruppen, wohl zu Recht nicht einmal ansatzweise erreicht - und wenn, dann allenfalls bei institutionellen Anlegern.

Vielmehr entspreche die papierfeindliche Ausgestaltung der Regelungen keineswegs dem Medienkonsumverhalten der hiesigen Bevölkerung und treffe insbesondere ältere Privatanleger.

Dass sich darüber hinaus die redaktionelle Bearbeitung von Pflichtmitteilungen reduzieren könnte und diese Anpassungsreaktion der Medien viele typische Privatanleger trotz individueller Verfügbarkeit mit einer Informationsflut mehr oder weniger allein lassen könnte, ist ebenfalls ein durchaus realistisches Szenario. In der Sache sind das allerdings allesamt Einwände, die sich keineswegs gegen das Projekt an sich, sondern gegen die Art der Umsetzung richten und deshalb nach einer Überprüfung gegebenenfalls Raum für

Nachbesserungen lassen sollten. Der deutsche Gesetzgeber, so lautet in diesem Falle das Zwischenfazit für die mehr oder weniger lange Übergangsphase, habe die Möglichkeiten des Anlegerschutzes in den neuen Richtlinien nur eingeschränkt nutzen wollen.

Mehr als die Informationsusancen bestimmen die Rahmenbedingungen für größere M&A-Projekte die Wettbewerbsfähigkeit von Finanzplätzen oder Standorten allgemein. Bei der Eigenkapitalfinanzierung großer Unternehmensübernahmen, so das ernüchternde Fazit von Ernst Fassbender und Gerhard Killat in ihrer diesbezüglichen M&A-Analyse der vergangenen Jahre (Seite 434), haben Unternehmen, die dem deutschen Aktienrecht unterliegen, einen eindeutigen Nachteil: Denn sie können Aktien nicht oder nur unter sehr speziellen Voraussetzungen als Akquisitionswährung nutzen. Ohne Erleichterung der ordentlichen Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss sehen die Investmentbanker deshalb deutsche Unternehmen nur beschränkt in der Lage, größere Übernahmen zu realisieren und vermuten im Gegenteil die hiesigen Adressen eher als Ziel solcher Offerten.

In die gleiche Richtung zielt übrigens die wenig erbauliche Bilanz, wie sie kürzlich der Verband der Auslandsbanken anlässlich seines 25-jährigen Bestehens der breiten Öffentlichkeit und dem hessischen Ministerpräsidenten als Festredner vorgetragen hat. Synthetische Kredite in einer Größenordnung, wie sie die wirklich großen Unternehmensübernahmen erfordern, kann demnach unter den deutschen Instituten allenfalls noch die Deutsche Bank stemmen. Roland Koch hat diese sanfte Anspielung auf mögliche Nachteile der deutschen Bankenstruktur aufmerksam zur Kenntnis genommen und mit dem Anspruch der Politik auf einen bedachtsamen und verantwortungsvollen Umgang mit gewachsenen Wirtschafts- und Bankenstrukturen kommentiert. Im Übrigen hat er die konstruktive Sacharbeit der für den Standort Frankfurt besonders wichtigen Interessenvertretung der ausländischen Kreditinstitute ausdrücklich gelobt. Er hat mit gutem politischen Gespür ein offenes Ohr für ihre Anliegen bekundet. Und er hat gewiss nicht ganz selbstlos versprochen, ihre berechtigten Interessen in die hiesigen Gesetzgebungsprozesse einbringen zu wollen. Die Auslandsbanken, das weiß die Landespolitik nur zu gut, sind quasi die natürlichen Anwälte für gute Bedingungen im grenzüberschreitenden Bankgeschäft. Was für deren Wohlbefinden gut ist, stärkt im Zweifel auch die Position des Finanzplatzes Frankfurt.

Im innerdeutschen Standortwettbewerb, etwa mit München und dem zuletzt recht emsigen Stuttgart, kann sich der hessische Ministerpräsident entsprechend gelassen geben. Es ist unter den gewachsenen Standortstrukturen, wie sie der neue Finanzplatzindex betont, nämlich nicht zuletzt das hohe Marktvolumen und das Potenzial der Frankfurter Börse und deren Tochter Eurex, das eine nachweisliche Anziehungskraft auf die derzeit 176 ausländischen Kreditinstitute mit operativem Geschäft in Deutschland ausübt. Diese Häuser sind zu rund 80 Prozent in ihrem hiesigen Branchenverband organisiert und größtenteils in Frankfurt angesiedelt, reklamieren für sich an den Teilnehmern gemessen einen Anteil von 54 Prozent und den Umsätzen nach einen Anteil von 58 Prozent an der Frankfurter Wertpapierbörse. Und bei den Umsätzen an der Eurex liegt ihr Gewicht gar bei 85 Prozent. Wenn sich jetzt - wie es sich abzeichnet - mit der Verzögerung von mehr als einer Generation ganz im Sinne von Michael Hauck auch noch die Altersvorsorge in Deutschland mehr und mehr in Richtung der kapitalgedeckten Varianten entwickelt, sind das eindeutig erfreuliche Perspektiven für den Finanzplatz. Hauck sei Dank! Mo.

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