Gespräch des Tages

Börsen - Überrascht von der Realität

"Turquoise betrifft uns nicht", hieß es einmal aus dem Glaspalast der Deutschen Börse im Frankfurter Stadtteil Hausen. Die Leichtigkeit, mit der man noch vor nicht allzu langer Zeit den möglichen Wettbewerb durch außerbörsliche Handelsplattformen wie etwa das genannte internationale Großbankenprojekt oder auch die Nomura-Tochter Chi-X abgetan hat, dürfte man seit Mitte Juni dieses Jahres kaum mehr haben: Letztere hat mit der früher noch eng mit dem Handelsplatzbetreiber verbundenen Deutschen Bank den wohl bedeutendsten hiesigen Kunden auf ihr Netzwerk holen können. Die Frage nach der Motivation des Frankfurter Geldhauses ist schnell beantwortet: Es sind die vermeintlich niedrigeren Handelsgebühren, die Chi-X so verführerisch aussehen lassen; zumindest könnte ein stärkerer Wettbewerb das Quasi-Preismonopol der Deutschen Börse knacken. Grob ein Zehntel von dem, was einige der etablierten Plätze haben wollen, wirbt der Newcomer, werde auf Chi-X lediglich verlangt. Auch wie das geht, ist schnell geklärt: Die Plattform beschäftigt insgesamt gerade 27 Mitarbeiter, in Frankfurt-Hausen (bald Eschborn) sind es über alle Segmente hinweg mehr als 3 000. Knapp neun Prozent Marktanteil bei Dax-Titeln hat sich die Handelsplattform mit dieser Argumentation seit dem Marktstart im Frühjahr 2007 sichern können, im Ausland stellt sich die Situation übrigens ähnlich dar.

Was sich allerdings nicht so leicht abschätzen lässt, sind die Auswirkungen auf den Börsensektor beziehungsweise, etwas weiter gedacht, den Finanzplatz Frankfurt an sich. Der Handelsplatzbetreiber steckt - erstens - bekanntlich in einer Zwickmühle: So verlangen die an ihm beteiligten Hedgefonds immer gieriger nach Ausschüttungen. Die kann es nur geben, wenn gutes Geschäft gemacht wird, und ihre Erträge gewinnt die Börse über Gebühren auch wenn man sich in Frankfurt nach eigener Rechnung und im Widerspruch zu den Lockrufen der Chi-X im Schnitt derzeit sogar um 83 Prozent billiger sieht als der außerbörsliche Wettbewerber. Für die Banken - zweitens - sind mehr Wettbewerb im Handel und niedrigere Gebühren in jedem Fall gut, sowohl für sie selbst wie für ihre Kunden. Demgegenüber stehen - drittens - Standortüberlegungen. Denn es kann im internationalen Wettbewerb und einem zusammenwachsenden Europa auch nicht im Interesse des Finanzplatzes sein, an der Stärke des größten deutschen Börsenbetreibers als einem seiner Aushängeschilder zu kratzen.

Sicherlich ist es richtig, dass die außerbörslichen Handelsplätze die etablierten Börsen stärker unter Druck zu setzen scheinen, als diese es zunächst geglaubt hatten - insbesondere weil zu beachten ist, dass Turquoise noch gar nicht und Equiduct Trading der Börse Berlin noch nicht lange am Markt ist. Noch kann der Frankfurter Handelsbetreiber aber in viele Richtungen reagieren und mit Xetra verfügt er über eine moderne, effiziente und breit erweiterbare Plattform. Sollte der Wettbewerb dennoch signifikant zunehmen und die Erträge der Börse schmälern, werden sich die Hedgefonds zudem irgendwann mitunter die Frage stellen müssen, wie lange sich die Kuh überhaupt noch melken lässt und ob nicht andere Objekte im Markt dann interessantere Perspektiven bieten. Inwiefern eine weitere Konsolidierung, auf die die Finanz investoren immer abgezielt hatten, überhaupt noch kommen beziehungsweise ob sie bedeutend sein wird, ist ohnehin wenig absehbar. Wenn durch einen moderaten Erfolg der "Außerbörsler" der Markt zusätzlich "verwässert" wird, könnte sich das Interesse von TCI & Co. also schnell legen, was der Deutschen Börse wieder etwas mehr Handlungsfreiheit bescheren würde. In jedem Fall wird der Börsenbetreiber aggressiver mit Preisen und Produkten agieren müssen, um nicht zu viele Marktanteile zu verlieren. "Caught between a rock and a hard place", sagt der Engländer. Der LSE könnte es übrigens schnell ähnlich ergehen.

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