Aufsätze

Deutsche Bank: Refinanzierung im schwierigen Marktumfeld

Vor Ausbruch der Finanzkrise war das Thema Refinanzierung einer Bankbilanz eher Treasury- und Kapitalmarktexperten denn einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Spätestens seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers hat sich dies grundlegend verändert: Die überragende Bedeutung von ausreichender Liquidität und einer soliden Kapitalbasis ist auf dramatische Weise in das Zentrum der öffentlichen Diskussion gerückt. Durch beides wird das Wohl und Wehe einer Unternehmung entschieden. Deshalb hat die Deutsche Bank schon vor der Krise vorgesorgt und seit ihrem Ausbruch umgehend auf die neuen Marktverhältnisse reagiert. Im Ergebnis ist die Liquiditäts- und Kapitalposition der Bank aktuell stärker als je zuvor.

Quantifizierung des Liquiditätsbedarfs

Wie lässt sich der Liquiditätsbedarf eines global agierenden Finanzinstituts ermitteln? Zunächst werden sämtliche Bilanzaktiva je Laufzeitband mit den jeweiligen Passivpositionen verglichen. Im Ergebnis ist so beispielsweise ablesbar in welchem Ausmaß das langfristige Kreditgeschäft durch entsprechende Kapitalmarktemissionen fristenkongruent gedeckt ist. Eine statische Vorgehensweise in Form der Gegenüberstellung der aktuellen Bilanzpositionen ist jedoch nicht ausreichend. Vielmehr bildet die Projektion aller bilanzwirksamen Geschäftsaktivitäten in die Zukunft sowie die daraus ableitbaren Finanzierungserfordernisse die Basis des Refinanzierungsplans.

Eine leistungsstarke und robuste EDV ist hierbei der Schlüssel zum Erfolg. Mit ihrer Unterstützung können sämtliche liquiditätsrelevanten Parameter - wie Kredit- und Einlagenwachstum -, identifiziert, gemessen und aggregiert werden. Eine solche EDV entsteht jedoch nicht über Nacht, sondern muss vielmehr über Jahre hinweg aufgebaut und fortwährend weiterentwickelt werden, um im Ernstfall die notwendigen Informationen zur Steuerung liefern zu können.

Erfolgreiches Krisenmanagement muss jedoch bereits zuvor ansetzen: Stresstests liefern hierbei wichtige Impulse für die Quantifizierung des Liquiditätsbedarfs. Dabei werden die Liquiditätszuflüsse und -abflüsse je Stress-Szenario und Risikotreiber quantifiziert, um daraus die Nettoliquiditätsposition zu ermitteln.

Wie hat sich nun die Krise auf das Liquiditätsmanagement der Deutschen Bank konkret ausgewirkt? Zunächst muss der eigentliche Beginn der Krise bereits weit vor dem Lehman-Kollaps im September letzten Jahres, nämlich bereits auf Juli 2007 datiert werden, als zwei Hedgefonds der US-Investmentbank Bear Stearns wegen Fehlspekulationen am US-Immobilienmarkt schwere Verluste erlitten. Die Hoffnung auf ein temporäres, isoliertes Ereignis hatte sich mit Blick auf die rasant ansteigenden Renditeaufschläge für Kapitalmarktemissionen schnell erübrigt. Hier galt es, die sich dramatisch verschärfenden Marktverhältnisse rasch in die Analyse des Liquiditätsbedarfs zu integrieren, um so weitere Gegenmaßnahmen zu treffen.

Vier-Punkte-Programm

Der Konzernvorstand hatte bereits im Sommer 2007 ein Vier-Punkte-Programm beschlossen: längerfristige Kapitalmarktemissionen, zielgenaue Einlagenkampagnen, Ausbau der strategischen Liquiditätsreserve und Weiterentwicklung der Stress-Szenarien.

So nahm die Deutsche Bank beispielsweise Ende August 2007 drei Milliarden US-Dollar zu Libor zuzüglich 72 Basispunkte mit zehn Jahren Laufzeit auf, was sich mit lediglich zirka 15 Basispunkten Aufschlag für vergleichbare Anleihen sechs Wochen zuvor verglich. In der Folge wurde deshalb Kritik geäußert, die Bank zahle zu viel und ruiniere die Preise für andere Emittenten. Aktuell rentiert die Anleihe um US-Dollar-Libor plus 350 Basispunkte und zeigt, dass die damalige Kritik nicht gerechtfertigt war.

Seitdem hat die Bank weiter daran gearbeitet, ihr Fälligkeitsprofil zu verlängern: Allein in 2007 und 2008 wurden Kapitalmarktemissionen von rund 100 Milliarden Euro platziert, unter Berücksichtigung von Tilgungen belief sich die Nettomittelaufnahme auf zirka 60 Milliarden Euro. Davon wurden in Europa 53 Prozent, in den USA 31 Prozent und in Asien 16 Prozent emittiert. Die hohen Volumina gepaart mit der breiten regionalen Verteilung unterstreichen, dass Investoren während der Finanzkrise sogar noch mehr Vertrauen in die Deutsche Bank gewonnen haben (flight to quality). Die unlängst erlangte Pfandbrieflizenz eröffnet der Bank Spielräume zur weiteren Diversifikation ihrer Anleiheemissionen.

Strategische Bedeutung eines stabilen Einlagengeschäfts

Im gleichen Zeitraum wurden zusätzlich durch zielgenaue Einlagenkampagnen weitere 50 Milliarden Einlagen von Privatkunden akquiriert, davon 35 Milliarden Euro seit Ausbruch der Krise Mitte 2007. Die Mittelakquisition erfolgte über zielgerichtete Kampagnen, maßgefertigt für individuelle Kundengruppen und Länder. Gerade die Finanzkrise hat die strategische Bedeutung eines stabilen Einlagengeschäfts nachhaltig demonstriert. Die Mittel stehen der Bank in der Regel deutlich länger als die vertraglichen Laufzeitbindungen zur Verfügung. Dieser Bodensatz wird anhand aus der Praxis gewonnener Parameter modelliert. Auf diese Weise drücken sich die über Jahre aufgebauten Kundenbindungen und die daraus resultierenden stabilen Einlagen in einem unmittelbaren Refinanzierungsvorteil aus.

Des Weiteren wurde die strategische Liquiditätsreserve systematisch ausgebaut. Sie belief sich zum Jahresende 2008 auf fast 60 Milliarden Euro, ein massiver Anstieg von rund 48 Milliarden Euro alleine in 2008. Der Ausbau dieser Reserve erfolgte sowohl durch erstklassige Anleiheportfolios, insbesondere in US-Dollar, als auch durch Verbriefungen von bestehendem Kreditgeschäft, das so zentralbankfähig wurde. Darüber hinaus sind hier ungenutzte Liquiditätsfazilitäten bei Zentralbanken wie der US-amerikanische Fed und freie, zentralbankfähige Wertpapierbestände in den Geschäftsbereichen zu nennen. Diese Reserve besteht zusätzlich zu kurzfristigen Einlagen bei Zentralbanken und weiteren schnell liquidierbaren Aktiva mit noch höheren Volumina, die zur Deckung von eventuellen Liquiditätsengpässen bereitstehen.

Der letzte Punkt des Vier-Punkte-Programms beinhaltete die Weiterentwicklung der Stress-Szenarien für Liquidität. Bisher als allgemein gültig erachtete Annahmen trafen plötzlich nicht mehr zu und neue, vorher als unrealistisch angesehene Szenarien wurden Realität. Die Risikotreiber mussten grundlegend überarbeitet und den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Als Beispiele sind in diesem Zusammenhang Währungs-Swaps zum Management von Fremdwährungspositionen oder unerwartet in Anspruch genommene Liquiditätslinien zu nennen. Beide Beispiele haben eines gemein: sie basierten auf der Annahme jederzeit liquider Märkte, die sich im Nachhinein betrachtet als nicht haltbar erwies. Die weiterentwickelten Stresstests gaben so die notwendigen Impulse für eine unmittelbare Mittelaufnahme in US-Dollar und die Absicherung der Liquiditätsrisiken aus gewährten Linien durch den Aufbau entsprechender Puffer.

Ergebnis der Liquiditätsmaßnahmen

Als Ergebnis dieser Maßnahmen ist der Bedarf an Liquidität bei der Deutschen Bank jeden Tag mehrfach überdeckt - nicht zuletzt aufgrund der genannten Liquiditätspuffer. Eine Abhängigkeit der Refinanzierung vom teilweise völlig ausgetrockneten Geldmarkt konnte so vermieden werden. Der damit einhergehende Reputationsgewinn führte letztlich dazu, dass der Bank vermehrt Liquidität angedient wurde, die den Bedarf sogar weit überstieg. Mit diesem Liquiditätsüberschuss konnte die Bank die Mittelaufnahme bei Zentralbanken weitestgehend vermeiden und sie stattdessen der strategischen Reserve zuordnen. Die Umsetzung des Vier-Punkte-Programms hatte eine deutliche Ausweitung der stabilen Refinanzierungsquellen zur Folge: Kapitalmarktemissionen, Privatkundeneinlagen und Treuhandgelder machten zum Jahresende 2008 mehr als 85 Prozent der ungedeckten Refinanzierungsmittel aus, das heißt, das bereits hohe Niveau von zirka 70 Prozent per Ende 2006 konnte noch einmal deutlich angehoben werden. Die höheren Refinanzierungskosten werden in Form von Liquiditätsaufschlägen auf die internen Verrechnungssätze an die Unternehmensbereiche weitergegeben.

Bankinterne Verrechnungssätze als "Autopilot"

Damit ist sichergestellt, dass die Bank beispielsweise Kreditgeschäft nicht unter ihrem eigenen Einstand tätigt. Die bankinternen Verrechnungssätze fungieren so quasi als "Autopilot", den der Treasury-Bereich fortwährend den schwierigen Marktbedingungen anpasst. Auch die Verrechnungssätze für Liquiditätslinien wurden, dem Marktumfeld folgend, deutlich erhöht. Sie spiegeln heute die Kosten für die Absicherung des Liquiditätsrisikos in Form eines Liquiditätspuffers wider.

Auch die frühzeitig forcierte Diversifikation der Refinanzierungsquellen erwies sich als sehr nützlich, da das Währungsmanagement über Derivate mit Krisenbeginn im Sommer 2007 praktisch zum Erliegen kam. Somit konnte zum Beispiel der nicht mehr existente Markt für Währungs-Swaps durch Mittelaufnahmen direkt in US-Dollar ersetzt werden.

Kapitalplanung und -optimierung

Die Refinanzierung dient jedoch nicht nur der reinen Bereitstellung von Liquidität. Nachrangige Kapitalmarktemissionen können auch regulatorisch als Kapital angerechnet werden. Eine starke Kapitalbasis macht die Bank in der Krise weniger anfällig, da sie als zusätzlicher Puffer für unerwartete Verluste fungiert.

Wie lässt sich der Kapitalbedarf ermitteln? Einfach formuliert ist die Kapitalplanung eine Ableitung der Risikoplanung. Auch hier liefert eine leistungsfähige EDV ein detailliertes Risikoprofil, das seit der Einführung von Basel II je nach Gesamtrisiko mit mehr oder weniger Kapital unterlegt werden muss. Die Kapitalquoten der Bank werden ebenfalls regelmäßigen Stresstests unterworfen. Viele der in den Stresstests unterstellten Szenarien wurden durch die anhaltende Finanzkrise einer realen Prüfung unterzogen und konnten so weiterentwickelt werden.

Das Kapital wird dabei im ersten Schritt durch angenommene Verluste vermindert, während gleichzeitig ein pro-zyklischer Anstieg des Kapitalbedarfs aus den Risikopositionen der Bank (Banken- und Handelsbuch) unterstellt wird. Im zweiten Schritt werden die zur Verfügung stehenden Gegenmaßnahmen in Form von operativen Gewinnen, Kapitalemissionen oder Absicherungsgeschäften herangezogen, um letztendlich wieder den Zielbereich zu erreichen. Eine weitere Gegenmaßnahme der Bank - die Begebung von sogenanntem "Contingent Capital" bereits vor Ausbruch der Krise - ging noch einen Schritt weiter: diese Anleihen stellten zum Zeitpunkt der Emission kein Kapital im engeren Sinne dar, sie konnten jedoch von der Bank jederzeit in sogenanntes Kernkapital gewandelt werden. Diese Optionalität hat sich nach Ausbruch der Krise als äußerst wertvoll erwiesen, da solche Hybridanleihen im Verlauf der Krise kaum noch platzierbar waren.

Mit der Krise hat der Konzernvorstand auch die Kapitalanforderungen in der Bank angehoben. Die angestrebte Kernkapitalquote wurde von acht bis neun Prozent auf zehn Prozent erhöht und in die Kapitalplanung integriert. Eine detaillierte Analyse des Kapitalbedarfs ist die notwendige Voraussetzung für dessen Optimierung. So verringerte beispielsweise das Einwerben von Kreditsicherheiten oder die Umstrukturierung von Transaktionen die Risikogewichte und damit den Kapitalbedarf.

Durch die aktive Kapitalsteuerung konnte das Ziel einer Kernkapitalquote von über zehn Prozent zügig erreicht werden. Dies wurde unter anderem auch durch die Wandlung der "Contingent Capital"-Emissionen in Kernkapital möglich. Eine ausreichende Kapitalisierung war seit Beginn der Krise jederzeit gewährleistet.

Vorausschauende Refinanzierung der Bankbilanz

Welche Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen lassen sich schließlich aus heutiger Sicht aus der Krise ableiten? Zunächst hat sie einen scheinbar simplen Umstand eindrucksvoll bestätigt: Erfolgreiches Risikomanagement beginnt bereits vor Geschäftsabschluss in den Unternehmensbereichen. Eine gut ausgebildete und motivierte Belegschaft, gepaart mit einer leistungsstarken Infrastruktur, ist der Schlüssel zum Erfolg. Ein unabhängiges Risiko- und Treasury-Management, das eng mit den Geschäftsbereichen kooperiert, führt zu Robustheit im Stressfall. So konnten beispielsweise die erwähnten Liquiditätsreserven bereits in einem frühen Stadium der Krise aufgebaut werden.

Die Deutsche Bank war sowohl auf der Liquiditäts- als auch auf der Kapitalseite aufgrund ihres breiten Spektrums an verfügbaren Instrumenten stets vorbereitet und konnte negative Überraschungen vermeiden. Das Gesamtsystem ist jedoch immer nur so stark wie ihr schwächstes Element. Deshalb ist die Ausdehnung der Regulierung auf alle Marktteilnehmer und Risikoarten von zentraler Bedeutung.

Liquiditätsrisiken müssen auch regulatorisch neu definiert und geregelt werden. Zusätzliche Kapitalanforderungen für Liquiditätsrisiken führen hierbei nicht zum Ziel. Vielmehr stellt nicht zuletzt die vorausschauende Refinanzierung einer Bankbilanz ein wichtiges Instrument zur Steuerung von Liquiditätsrisiken dar. Auf der Kapitalseite können bankinterne Modelle zur Steuerung verwendet werden.

Die hier vorgestellten Methoden zur Steuerung von Kapital- und Liquiditätsrisiken gehen weit über die regulatorischen Anforderungen hinaus. Die Deutsche Bank ist deshalb sehr zuversichtlich, einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung des aufsichtsrechtlichen Rahmenwerks leisten zu können.

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