Aufsätze

Finanzkrise, Untreue, das Bundesverfassungsgericht und die Zukunft

Auch im Zuge der rechtlichen Aufarbeitung der Finanzkrise spielt der Straftatbestand der Untreue eine zentrale Rolle. Dieser Strafrechtsnorm kommt zunehmend, auch und gerade im Finanzdienstleistungssektor, die Bedeutung eines weiten Auffangtatbestandes zu, mithilfe dessen die Strafbarkeit von Handlungen erreicht werden soll, hinsichtlich derer generell eine Strafrechtswürdigkeit postuliert wird. Derzeit ermitteln unter diesem Aspekt verschiedene Staatsanwaltschaften gegen Verantwortliche diverser Banken namentlich wegen Vorgängen im Zusammenhang mit der Subprime-Krise beziehungsweise sogenannten "Schrott-Papieren", aber auch anderen Geschäften am Kapitalmarkt.

Das bislang wohl spektakulärste staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wird dabei in München wegen des Beinahe-Zusammenbruchs der Hypo Real Estate geführt, jedoch beschäftigen sich auch andere Staatsanwaltschaften mit vergleichbaren Sachverhalten.

BGH-Urteil als Ausgangspunkt

Ausgangspunkt der diesbezüglichen strafrechtlichen Überlegungen ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. November 2001 (Az.: 1 Str 185/01). Im Zuge dieser Entscheidung gelangte der Bundesgerichtshof, vereinfacht ausgedrückt, zu dem Ergebnis, dass grundsätzlich bereits ein bloßer (Formal-)Verstoß gegen die bei einer Kreditvergabe aus §18 KWG resultierenden Pflichten ausreichend sein kann, um von der Strafbarkeit einer Kreditausreichung in der Form einer vorsätzlich begangenen Untreue beziehungsweise Vermögensschädigung zum Nachteil der betroffenen Bank auszugehen. Hierbei soll, so der BGH, der für die Annahme einer Untreue erforderliche Schaden bereits darin liegen, dass aufgrund der unterbliebenen ordnungsgemäßen Prüfung gemäß §18 KWG ein gefährdeter und mithin minderwertiger Darlehensrückzahlungsanspruch in Kauf genommen wird.

Was also liegt aus Sicht der ermittelnden Staatsanwälte näher, als diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schematisch auch auf das Verhalten verantwortlicher Organe und Mitarbeiter von Banken im Vorfeld der Finanzkrise anzuwenden? Dies alles ist letztlich auch vor dem Hintergrund zu bewerten, dass spätestens seit Beginn dieses Jahrtausends im internationalen, aber auch im deutschen Kapitalmarktgeschehen eine wachsende Bedeutung des Strafrechts zu konstatieren ist. Diese Entwicklung ist namentlich auch darauf zurückzuführen, dass insoweit die reflexartige Adaption US-amerikanischer Rechtsgrundsätze weltweit festzustellen ist und gleichzeitig andere kontinentaleuropäisch bevorzugte Präventionssysteme, wie beispielsweise zivilrechtliche Haftungssysteme sowie öffentlich rechtliche Aufsichtsstrukturen, letztendlich versagt haben, jedenfalls aber den tatsächlichen Anforderungen oftmals nicht gewachsen waren.

Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichtes

Viele der betroffenen Banken sowie insbesondere die ins Fadenkreuz der Ermittler geratenen Personen setzten vor diesem Hintergrund auf das Bundesverfassungsgericht. Denn der Straftatbestand der Untreue sowie dessen weite, wohl sogar ausufernde Auslegung durch den BGH waren und sind seit jeher auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, namentlich dem Bestimmtheitsgebot, umstritten. Alle Versuche, über das Verfassungsrecht eine restriktive Auslegung des Auffangtatbestandes der Untreue zu erreichen, schlugen in der Vergangenheit jedoch weitestgehend fehl; das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

Nun aber standen nicht weniger als drei Verfassungsbeschwerden wegen der nach Meinung der Beschwerdeführer zu extensiven Auslegung des § 266 StGB zur neuerlichen Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht an. Nicht wenige der juristischen Zunft sahen nun endlich die gebotene verfassungsrechtliche Schrankensetzung als unmittelbar bevorstehend an. Sie haben sich getäuscht. Wie, insbesondere aufgrund rechts- und kriminalpolitischer Erwägungen, durchaus zu erwarten war, verblieb es bei der Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf die extensive Auslegung des Untreuetatbestands durch die Strafgerichte (Beschluss des Zweiten Senats vom 23.06.2010, Az.: 2 BvR 2559/08, 105/09 und 491/09).

Nur in einem Punkt setzte das Bundesverfassungsgericht dem allzu sorglosen Umgang der Rechtsprechung mit §266 StGB eine Grenze, und zwar im Bereich der geschilderten Bankenuntreue. So verlangt es nämlich nunmehr, dass jedenfalls der Schaden im Falle einer Kreditvergabe unter Verstoß gegen §18 KWG stets auch konkret in der Form einer "quasi-bilanziellen" Bewertung ermittelt werden muss. Der von der Justizpraxis entwickelte Lehrsatz, allein die Minderwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs in Folge der fehlerhaften Kreditprüfung reiche aus, um einen Schaden, letztendlich sogar in Höhe der gesamten Darlehensforderung, zu begründen, gehört damit der Vergangenheit an. Im Übrigen aber beließ es das Bundesverfassungsgericht - notabene: ausschließlich unter dem beschränkten Prüfungsmaßstab verfassungsrechtlicher Gesichtspunkte - bei der extensiven Auslegung durch die Strafjustiz.

Man mag diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nun für richtig, falsch, vertretbar et cetera halten, jedenfalls aber steht für die Praxis nunmehr fest, dass aus verfassungsrechtlicher Sicht eine restriktivere Auslegung des Untreuetatbestandes für die nächsten Jahre ein für allemal vom Tisch ist.

Vordergründige Konsequenz

Teils ist nun das Lamento groß. Diejenigen, die ihre Hoffnungen primär in ein restriktives Verdikt des Bundesverfassungsgerichts gesetzt haben, sind enttäuscht. Teils wird jedoch auch schon propagiert, dass die in Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gesteigerten Anforderungen an die Schadensermittlung die Strafverfolgungsbehörden vor kaum überwindbare, jedenfalls aber enorme Schwierigkeiten stellen werden. Andere wiederum suchen bereits seit geraumer Zeit ihr Heil darin, einen Widerspruch zwischen dem Zivil- beziehungsweise Gesellschaftsrecht zum einen und der strafrechtlichen Auslegung zum anderen zu beschwören, selbstverständlich jedoch nicht ohne das Primat des Gesellschaftsrechts einzufordern. Der dogmatische Ansatzpunkt für diese Argumentationen, die mit Verve und durchaus geschickt vorgetragen werden, ist die Entlastungsfunktion der Business Judgement Rule.

All diese Überlegungen gehen im Nachgang zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juni 2010 am Kern des Problems vorbei. Staatsanwaltschaften und Strafgerichte werden die Schwierigkeiten mit der Schadensermittlung im Bereich der Bankenuntreue in den Griff bekommen. Aber auch das Lamento der Betroffenen sowie der juristisch-dogmatische Kunstgriff über die Einheit der Rechtsordnung beziehungsweise das Primat des Zivil- beziehungsweise Gesellschaftsrechts verstellen den Blick auf die grundsätzlichen Fragen der strafrechtlichen Bewältigung der Finanzkrise.

Erforderlich ist nämlich zunächst eine klare Trennung zwischen der juristisch gebotenen ex-ante-Betrachtung der relevanten Sachverhalte, ausgehend vom damaligen Erkenntnisstand sowie den einschlägigen Stimmungen, Meinungen und Einschätzungen der Kapitalmarktpraktiker, und der unzulässigen ex-post-Betrachtung auf Basis des heutigen Kenntnisstandes betreffend die Finanzkrise. Denn gerade diese ex-post-Betrachtung, die letztlich nichts anderes ist als die konsequente Umsetzung der Palmström-Logik nach dem Motto "Es kann nicht sein, was nicht sein darf! ", vermengt schon in tatsächlicher Hinsicht unzulässige Schlussfolgerungen mit rechtlich und logisch nicht haltbaren Vorwürfen.

Hier ist im Kern auch der zutreffende argumentative Ansatzpunkt über die Business Judgement Rule anzusiedeln. Denn wer nach damaligem Kenntnisstand sämtliche verfügbaren Informationen verwertet und bewertet hat und auf dieser Grundlage eine verantwortungsvolle Entscheidung getroffen hat, der ist weder strafrechtlich zu belangen noch kann ihm die vorteilhafte Wirkung der Business Judgement Rule verwehrt bleiben.

Die subjektive Tatseite

Ein weiterer Gesichtspunkt tritt hinzu: Kann wirklich jeder Formalverstoß für sich genommen bereits zu einem pflichtwidrig verursachten Schaden im Sinne des Untreuetatbestandes führen? Mitnichten! Einerseits sind insoweit sicherlich nur grobe Verstöße gegen etwaige formale Prüfpflichten strafrechtlich zu berücksichtigen. Andererseits stellt sich stets auch die Frage der Kausalität eines etwaigen formalen Verstoßes für die Investitionsentscheidung; denn wäre die Investitionsentscheidung auch im Falle einer ordnungsgemäßen Prüfung aus damaliger(! ) Sicht zulässigerweise positiv ausgefallen, so kann nicht ex post aus dem bloßen Formalverstoß bereits eine im Sinne des § 266 StGB erhebliche Schädigung gefolgert werden.

Ein letzter exemplarischer Gesichtspunkt sei noch angesprochen: Es ist die subjektive Tatseite! Es fällt nicht nur den primär zivilbeziehungsweise gesellschaftsrechtlich orientierten Praktikern oft schwer, den jedenfalls auf den ersten Blick allzu sorglosen Umgang der Strafrechtspraxis mit der subjektiven Tatseite, mithin der Bejahung des vorsätzlichen Handelns, nachzuvollziehen. Aber, und dieser Hinweis sei dem Strafrechtspraktiker erlaubt, oftmals ist dies nichts anderes als die bis heute nicht abschließend ausdiskutierte Frage, aufgrund welcher Indizien man im strafrechtlichen Verfahren von einem vorsätzlichen Handeln ausgehen kann, sollte und darf. Es ist mithin der Kernbereich der strafrechtlichen beziehungsweise strafrichterlichen Überzeugungsbildung, der hier betroffen ist.

Überzeugende Gründe für eine Korrektur

Derartig grundsätzlicher Erwägungen und Diskussionen bedarf es jedoch vorliegend auch nicht. Denn, wie allein schon die diesbezügliche dogmatische Fehde zwischen dem 1. (Beschluss vom 20. März 2008, Az.: 1 StR 488/07) und dem 2. Strafrechtssenat des BGH (Beschluss vom 25. Mai 2007, Az.: 2 StR 469/06) zeigt, gibt es durchaus überzeugende strafrechtliche und sogar zwingende Gründe dafür, die ausufernde Auslegung des Auffangtatbestandes der Untreue zumindest teilweise zu korrigieren; dies beispielsweise mit Blickrichtung auf den bloßen Gefährdungsschaden dadurch, dass die Anforderungen an den Nachweis des vorsätzlichen Handelns, mithin des auch bedingten (in Kauf nehmenden) Wissen und Wollen des Beschuldigten betreffend die Schädigung der betroffenen Bank neu justiert und erhöht werden müssen.

In erster Linie an diesen drei Fragestellungen muss sich die zukünftige strafrechtliche Behandlung der Finanzkrise, namentlich auch unter dem Gesichtspunkt sogenannter "Schrott-Papiere" messen lassen. So betrachtet, hat das Bundesverfassungsgericht nun die eigentliche Diskussion erst eröffnet!

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