Gespräch des Tages

Finanzplatz - Hü und hott

Gegenwärtig zeigt sich am Standort Deutschland ein interessantes Phänomen: So scheinen die Erwartungen und Beurteilungen hinsichtlich der real- und finanzwirtschaftlichen Situation zum einen und der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes zum anderen deutlich auseinander zu driften. Trotz eines zuletzt leicht steigenden Geschäftsklimaindex des Münchener Ifo-Instituts prognostiziert etwa das jüngste Frühjahrsgutachten der Bundesregierung im Hinblick auf erstere: Deutschlands Wirtschaft bricht massiv ein. Die Prognosen sind katastrophal, ein Ende der Krise ist nicht absehbar. Kurzum: Deutschland steht vor der stärksten Rezession der Nachkriegszeit.

Betrachtet man die "andere" Seite, die der Finanzindustrie, fallen die (Selbst-)Einschätzungen zum Finanzplatz Deutschland optimistischer aus. Jüngstes Beispiel ist die zum dritten Mal nach 2006 und 2008 durchgeführte Finanzplatzstudie der Helaba. Zusammengefasst: Ohne tief sitzende Strukturprobleme wie etwa einer Immobilienblase und mit besseren Erholungsaussichten als die europäischen "Wettbewerber" London und Paris, steht insbesondere Frankfurt als wichtigster Bankenplatz im Vergleich der drei großen EU-Märkte am besten da. Die britische Metropole an Bedeutung überflügeln können wird der hiesige Standort demnach zwar nicht. Aber aufschließen zum angelsächsischen Nachbarn werde er deutlich, so ein Fazit der Untersuchungen der Landesbank. Weil hierzulande das traditionelle Kreditgeschäft stärkere und "modernere" Finanzierungsformen wie Verbriefungen weniger Anteil am Finanzgeschäft haben als etwa in London, fiel der Wertberichtigungsbedarf deutscher Häuser deutlich niedriger aus als bei den britischen Wettbewerbern. Wie sich der Blickwinkel doch wandelt: Vor zwei Jahren wurde die fehlende "Innovationstätigkeit" in Deutschland gemeinhin noch als Manko gegenüber anderen Finanzplätzen angekreidet.

Ebenfalls recht positiv schätzt die ausländische Kreditwirtschaft den hiesigen Finanzplatz ein: "Berichte über einen breiten Rückzug ausländischer Institute vom hiesigen Markt treffen nicht zu", heißt es etwa beim Verband der Auslandsbanken. Zwar ist die Anzahl der ausländischen Institute in Deutschland im vergangenen Jahr leicht von 205 auf 199 gesunken. Im Hinblick auf ein weitestgehend konstantes Geschäftsvolumen zeige sich aber ein unverändertes Bekenntnis zum deutschen Markt, betont die "vierte Säule" des deutschen Kreditwesens. Selbst wenn einige Häuser ihr Engagement in der weiterhin größten europäischen Volkswirtschaft verringerten, um sich auf ihre Kernmärkte zu konzentrieren, seien keine groß angelegten Stellenstreichungen geplant - zumindest soweit sich das aus Sicht der deutschen Geschäftsführer darstellt. Weil manche Institute zudem die freigewordenen Nischen nutzen und dementsprechend in den Markt investieren, blieb die Mitarbeiterzahl im letzten Jahr konstant bei rund 30 000.

Von Resignation also (noch) keine Spur, auch wenn man die "Führungsposition" in einigen von ihnen bisher dominierten Bereichen wie Aktien-, Anleiheemissionen, den Bieterlisten bei Bundesemissionen oder auch in der Beratung und Finanzierung von M & A-Transaktionen die Führung im vergangenen Jahr an die Deutsche Bank abgeben musste. Die Spitzenpositionen in den einschlägigen Ranglisten will man aber wieder zurückgewinnen. Der Wett bewerb in der Finanzbranche scheint also zu funktionieren. Ob das mittelfristig auch die Katerstimmung in der Realwirtschaft aufheitern kann?

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