Aufsätze

Geld- und Wechselkurspolitik Chinas

Am 19. Oktober dieses Jahres hat die Peoples Bank of China (PBC), die Zentralbank Chinas, den Einlagen- und den Kreditzins das erste Mal seit fast drei Jahren jeweils um 25 Basispunkte für einjährige Laufzeiten auf 2,5 Prozent beziehungsweise 5,56 Prozent erhöht. Dieser Schritt kann als Antwort auf die zunehmende Überhitzungsgefahr der chinesischen Wirtschaft interpretiert werden. Im September ist die Inflationsrate auf 3,6 Prozent gestiegen, nach 3,5 Prozent im August. Damit hat sie im laufenden Jahr um fast 200 Basispunkte zugelegt. Die Zielgröße der Regierung in China ist die Zentralbank nicht unabhängig, sondern Teil der allgemeinen Wirtschaftspolitik - beträgt drei Prozent. Hinzu kommt, dass der explosive Anstieg am Immobilienmarkt insbesondere in den großen Städten im Osten des Landes - Peking, Tianjin, Shanghai und Shenzhen - in den Jahren 2009 und 2010 trotz verschärfter Eigenkapitalvorschriften bisher nicht nachhaltig gebremst wurde. Li Daokui, Mitglied des mächtigen geldpolitischen Ausschusses der PBC, wird mit den Worten zitiert: "Worries about soaring prices overwhelmed fears about economic growth" (Abbildung 1). Gewaltiges Konjunktur- und Kreditprogramm Hindergrund der inflationären Entwicklung ist das gewaltige Konjunkturprogramm der chinesischen Regierung, die im Krisenjahr 2009 vier Billionen Yuan (435 Milliarden Euro) oder rund zwölf Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Wirtschaft investiert hat, insbesondere in Infrastrukturprojekte. Das hat dem Land ein Wachstum von 9,1 Prozent im vergangenen Jahr beschert - für das laufende Jahr 2010 wird mit zehn Prozent gerechnet - aber eben auch inflationären Druck. Flankiert wurde diese Politik durch ein noch größeres Kreditprogramm. Allein im Jahr 2009 ist die Kreditvergabe um 33 Prozent oder 9600 Milliarden Yuan (1043 Milliarden Euro) gewachsen. Und auch in diesem Jahr wird fest damit gerechnet, dass die Zielgröße eines weiter steigenden Kreditvolumens von 7500 Milliarden Yuan (815 Milliarden Euro) deutlich überschritten werden wird, trotz aller Bremsmanöver. So soll beispielsweise die Eigenkapitalquote der fünf großen, marktbeherrschenden chinesischen Staatsbanken von jetzt 11,5 Prozent weiter erhöht werden. Grundsätzlich darf in China die Kredit-Einlagenquote 75 Prozent nicht übersteigen, was allerdings nur für die ausländischen Institute die ab 2011 diese Vorschrift erfüllen müssen - ein wirkliches Problem darstellt, denn die chinesischen Banken verfügen dank ihres breiten Filialnetzes und mangels Anlagealternativen über gewaltige Kundeneinlagen. Nicht weniger als 46 Billionen Yuan (fünf Billionen Euro) liegen als Einlagen bei den chinesischen Banken, aber nur rund 534 Milliarden Yuan (58 Milliarden Euro) bei den ausländischen. Niedrigzinspolitik Trotz der zaghaften Erhöhung bleiben Chinas Zinsen zu niedrig. Das sieht man deutlich an den negativen Realzinsen für Spareinlagen. Für eine einjährige Laufzeit erleiden die Anleger einen realen Verlust von gegenwärtig rund einem Prozent. Übrigens auch ein Grund, warum Sparguthaben abgezogen und in den Immobilienmarkt investieren werden - mit unbekanntem Ausgang. Umgekehrt sind auch die Kreditkosten nach wie vor zu niedrig. Bei realen Finanzierungskosten von weniger als zwei Prozent dürfte es nicht allzu schwer fallen, Investitionsobjekte mit positiver Rendite zu identifizieren. Wie nachhaltig diese Investitionen allerdings sind, wird sich erst zeigen, wenn die Zinsen weiter steigen. Warum ist Chinas Zinspolitik so vorsichtig? Die Antwort auf diese Frage hat einen Wirtschafts- und einen ordnungspolitischen Hintergrund. Wirtschaftspolitisch will die chinesische Regierung auf keinen Fall den Aufschwung gefährden. Nichts ist in China wichtiger als Wachstum. Darauf basiert der gesellschaftliche Konsens zwischen Staat und Bevölkerung. Die Regierung hat für Wachstum und Wohlstand zu sorgen - ansonsten hat sie das Mandat des Himmels verloren; genauso wie das jahrtausendelang in den verschiedenen Dynastien der Fall war. Auch muss die Entwicklung der großen chinesischen Geschäftsbanken beachtet werden. Sie sind zwar seit der groß angelegten Sanierung und Teilprivatisierung in den Jahren 2004 und 2005 sehr erfolgreich; beispielsweise sind die notleidenden Kredite von 26 Prozent im Jahr 2002 auf 1,6 Prozent in 2009 gefallen, und zwei chinesische Banken führen aktuell die Liste der ertragsreichsten Institute der Welt an. Ein Großteil ihrer Gewinne besteht aber aus Zinserträgen, was bei einer Zinsspanne von mehr als 300 Basispunkten auch kein Wunder ist. Nach wie vor erwirtschaften chinesische Geschäftsbanken 80 Prozent ihrer Umsätze aus dem Zinsgeschäft. Schutz vor einem abrupten Wandel des Zinsregimes Jeder Zinsanstieg übt also gewaltigen Druck auf das Geschäftsmodell der chinesischen Banken aus. Dieses befindet sich zwar im Wandel, beispielsweise mit dem Ausbau des Asset Managements. Es ist aber noch weit vom Geschäftsmodell einer Universalbank entfernt, die mit Provisionserträgen punkten kann, beispielsweise in der Anlageberatung. Die vorsichtige Zinspolitik Chinas zielt darauf, die chinesische Banken vor einem abrupten Wandel des Zinsregimes zu schützen. Last but not least ist wirtschaftspolitisch auch die Wechselpolitik Chinas relevant. Zins- und Wechselkurspolitik sind eng verschränkt und zwar deshalb, weil China über ein kontrolliertes Wechselkursregime verfügt, bei dem der Yuan de facto an den US-Dollar gebunden ist, obwohl offiziell ein Währungskorb einschließlich Euro als Referenzgröße angegeben wird. Bei einem fixen oder halbwegs fixen Wechselkurs führt jede Zinserhöhung zu einer weiteren Attraktion von ausländischem Kapital; mit der Folge einer Verstärkung des Aufwertungsdrucks auf die inländische Währung und Zunahme der Inflationsgefahr im Inland. Geldpolitik mit chinesischen Vorzeichen China versucht dieses Dilemma mit Kapitalverkehrskontrollen zu heilen. Aber Kapital ist nun mal wie Wasser, es findet immer seinen Weg, sodass der permanente Druck bleibt. Um diesen nicht zu hoch werden zu lassen, ist China darauf bedacht, die Zinsen nicht zu stark zu erhöhen. Die Folge ist natürlich, dass dem Land mehr und mehr die Kontrolle über die inländische Geldmenge und damit die Feinsteuerung der Konjunktur entgleitet - ein Phänomen, an das man sich in Deutschland noch gut erinnert aus Zeiten, in denen die DM an den US-Dollar gebunden war. Ordnungspolitisch hat China kein freies, marktorientiertes Zinssystem, das die Zinsen automatisch nach oben schleust, wenn die Inflationserwartungen steigen. Vielmehr werden den Geschäftsbanken sowohl die Kredit- wie die Einlagenzinsen weiterhin von der Zentralbank vorgegeben. Die Flexibilität ist eher gering. So ist es den Geschäftsbanken erlaubt, die sogenannte Benchmark Rate der PBC für Kredite um zehn Basispunkte zu unterschreiten - Hypotheken 15 Basispunkte -, während der Einlagenzins nur nach unten angepasst werden kann, was natürlich wenig Sinn ergibt (Abbildung 2). Auch der Geldmarkt - sowohl der primäre wie der sekundäre - spielt nur eine untergeordnete Rolle, wenngleich gewisse Fortschritte in den letzten Jahren stattgefunden haben. So gibt es beispielsweise einen Shibor, der den Geldmarktzins im Handel der Geschäftsbanken in Shanghai abbildet. Wirklich wichtig ist er aber nicht für die Zinssteuerung; genauso wenig wie die Tendergeschäfte zwischen Zentralbank und Geschäftsbanken. Diese dienen vor allem dazu, das Geldvolumen, das über den Devisenmarkt an die Banken gelangt, zu sterilisieren. Tatsächlich steuert die PBC die Liquiditätsversorgung der Banken weitestgehend über den Mindestreservesatz, der zurzeit für die großen Geschäftsbanken - für die kleineren Banken liegt er etwas darunter bei immerhin 17,5 Prozent liegt und schon viermal im laufenden Jahr angehoben wurde. Auch spielen sogenannte Window Guidance eine große Rolle, bei denen die Banken zu direkten Maßnahmen angehalten werden, zum Beispiel mehr oder weniger Kredite zu vergeben oder mehr oder weniger Eigenkapital zu halten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die chinesische Geldpolitik mengen- und nicht zinsorientiert ist, was ordnungspolitisch den hohen Einfluss der Regierung einschließlich Zentralbank und Bankenaufsicht und den geringen Einfluss des Marktes widerspiegelt. Chinas Wechselkurspolitik Seit Sommer 2005 verfolgt China eine Politik der kontrollierten Aufwertung, verbunden mit einer vorsichtigen Flexibilisierung des Yuan gegenüber dem US-Dollar als internationaler Leitwährung. Die erlaubte Schwankungsbreite des Wechselkurses wurde zwischenzeitlich auf 0,5 Prozent angehoben, und bis zum Sommer 2008 hat der Yuan um rund 20 Prozent gegenüber dem US-Dollar aufgewertet. Mit Ausbruch der globalen Finanzkrise hat China seinen Wechselkurs wieder fixiert, was zu einer realen Abwertung des Yuan zwischen 2008 und 2010 aufgrund der höheren Inflationsrate in China geführt hat. Seit diesem Sommer ist China zu seiner Politik der kontrollierten Aufwertung zurückgekehrt. Seither ist der Wert des Yuan gegenüber dem US-Dollar nominal um rund zwei Prozent gestiegen (Abbildung 3). Schutz der Exportindustrie Es kann kein Zweifel bestehen, dass China mit seiner Wechselkurspolitik die heimische Exportindustrie schützten will. Dazu muss man verstehen, dass sich das Land immer noch im Übergang von einer Agrarzu einer Industriewirtschaft befindet, bei allem Glanz der Ostküstestädte. Nach wie vor leben mehr als die Hälfte der Bevölkerung auf dem Land. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt China auf Platz 124 in der Welt. Es ist vor allem die Exportindustrie, die den Prozess des Arbeitskräftetransfers von der Landwirtschaft in die Industrie kanalisiert. Gleichzeitig sind in der Exportindustrie die Margen und Löhne sehr niedrig, ein wesentlicher Grund für die komparativen Kostenvorteile des Landes. Jeder Anstieg des Wechselkurses führt somit zu einer unmittelbaren Verdrängung von Grenzanbietern, verbunden mit der Freisetzung von Arbeitskräften. Die Wechselkurspolitik Chinas zielt darauf, diesen Prozess so langsam und kontrolliert wie möglich zu gestalten, um Zeit für den notwendigen Strukturwandel in Richtung einer höheren inländischen, insbesondere Konsumnachfrage zu gewinnen. Aufwertung: Vorteile für China selbst Für die Zukunft ist damit zu rechnen, dass China seinen Kurs trotz internationalen Drucks, besonders aus den USA, beibehält. Das entspricht einer kontrollierten Aufwertung von sechs bis acht Prozent pro Jahr. Der Vorteil einer Aufwertung des Yuan für China selbst liegt in einer stärkeren Inflationskontrolle durch fallende Importpreise; umgekehrt steigt die Inflationsgefahr in den Industriestaaten. Ein Großteil der niedrigen Inflationsraten weltweit in den letzten 25 Jahren lässt sich erklären mit den billigen Exporten aus China und anderen aufstrebenden Volkswirtschaften. Durch einen über die Zeit nachlassenden Aufwertungsdruck kann China auch die Autonomie über die inländische Geld- und Zinspolitik wieder erhöhen. In der Tat ist eine Flexibilisierung und Aufwertung des Yuan eine Grundvoraussetzung für den Übergang zu einem marktorientierten Zinssystem im Inland. Last but not least verringert eine Aufwertung des Yuan die Notwendigkeit weitere Devisen zu kaufen - verbunden mit den entsprechenden Währungsrisiken. Mittlerweile hat China einen Devisenschatz von 2,6 Billionen US-Dollar akkumuliert, um den Wechselkurs seiner Währung zu kontrollieren. Umso besorgter sieht man in Peking die von den USA initiierte Dollarschwemme. Neue Wirtschaftspolitik? Chinas Geld- und Wechselkurspolitik ist bisher weitestgehend orientiert an den Bedürfnissen der inländischen Wirtschaft. Chinas Wachstumsmodell der Industrialisierung, Urbanisierung und Modernisierung fußt wesentlich auf Investitionen (staatlichen wie privaten) sowie Exporten. Der Konsum als eine wesentliche Stütze des Wachstums in den westlichen Industriestaaten spielt mit einem Anteil von unter 40 Prozent am Bruttoinlandsprodukt hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Chinas Geldpolitik ist entsprechend darauf ausgerichtet Investitionsausgaben zu fördern, während die Wechselkurspolitik die Exportwirtschaft unterstützt (Abbildung4). Allerdings scheint jetzt eine Änderung des bisherigen Wachstumsmodells in Sicht. Der neue Fünfjahresplan, der Anfang nächsten Jahres verabschiedet werden wird, soll deutlich stärker als bisher den inländischen Konsum als Wachstumskraft betonen. Eine flankierte Einkommens-, Steuer- und Sozialpolitik ist ebenfalls vorgesehen. Das neue Wachstumsmodell dürfte auch mit weitreichenden Folgen für die Geldpolitik verbunden sein. So wurde angekündigt, dass die Zinspolitik weiter liberalisiert werden soll. Stärkeres internationales Gewicht Parallel dazu erhöht sich das Gewicht Chinas in der internationalen Wirtschaftspolitik. Kürzlich hat beispielsweise der Internationale Währungsfonds (IWF) beschlossen, das Stimmrecht Chinas im IWF von bisher 3,65 auf 6,19 Prozent zu erhöhen. Damit hat China nach den USA das zweitgrößte Gewicht. Der internationale Bedeutungszuwachs und Chinas Interesse, seine Währung weiter zu internationalisieren, dürften dazu beitragen, dass sich das Wechselkursregime des Yuan in Richtung freier Wechselkurs bewegt. China hat sicherlich langfristig auch ein Interesse daran, dass der Yuan frei konvertierbar wird; als Voraussetzung, um in den Rang einer Weltwährung vergleichbar dem US-Dollar aufzusteigen. Allerdings ist nicht damit zu rechnen, dass sich diese und andere Entwicklungen rasch vollziehen werden. Chinas Wirtschaftspolitik ist experimentell orientiert und auf graduellen Wandel ausgelegt. Ein guter Indikator für den relevanten Zeithorizont ist möglicherweise der Beschluss der chinesischen Regierung aus dem Frühjahr 2009, Shanghai zu einem internationalen Finanzzentrum bis zum Jahr 2020 auszubauen. Zehn Jahre wird es voraussichtlich also noch dauern, bis Chinas Geld- und Wechselkurspolitik international üblichen Standards folgt.

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