Aufsätze

IFRS-Finanzberichterstattung: Defizite aus der Perspektive einer Enforcement-Einrichtung

Die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) ist seit dem 1. Juli 2005 als privatrechtlicher Enforcer eines zweistufigen privat-staatlichen Systems für die Durchsetzung einer ordnungsgemäßen Rechnungslegung bei kapitalmarktorientierten Unternehmen in Deutschland zuständig. In ihrer mehr als sechsjährigen Tätigkeit hat die DPR über 750 Prüfungen abgeschlossen. Bis auf wenige Ausnahmen werden die zu prüfenden Konzernabschlüsse nach den Regeln der International Financial Reporting Standards (IFRS) aufgestellt. Die DPR verfügt damit über umfangreiche Erfahrungen hinsichtlich der Anwendung von IFRS bei kapitalmarktorientierten Unternehmen. Auf diese Weise konnten tiefe Einblicke in Sachverhalte gewonnen werden, deren Abbildung in der Finanzberichterstattung dem Ziel einer transparenten nutzerorientierten Information des Kapitalmarktes zuwiderläuft. Diese Schwächen vor Augen und mit dem klaren Ziel, die Kapitalmarktinformationen zu verbessern, hat die DPR entschieden, eine Stellungnahme zur "IASB Agenda Consultation 2011" abzugeben.

Die Ursachen der Mängel in der Finanzberichterstattung

Mangelnde Enforceability von Standards: In der Praxis erweist sich eine Reihe von Standards als für den Abschlussprüfer und Enforcer kaum oder schwer prüfbar und gleichermaßen kaum oder nur schwer enforcebar. Als Folge steht den bilanzierenden Unternehmen häufig ein weitgehendes Ansatzwahlrecht oder ein erheblicher Bewertungsspielraum zur Verfügung. Dabei ist die Enforceability eine wesentliche Anforderung der IFRS Foundation an die IFRS-Standards und ein wichtiges Qualitätsmerkmal. Der Verweis der Vertreter des IASB darauf, dass sie nicht für die Folgen mangelnder Umsetzbarkeit und Durchsetzbarkeit der von ihnen entwickelten Standards verantwortlich seien, erscheint nicht akzeptabel. Sicherlich kann das IASB nicht für alle Fehlentwicklungen am Kapitalmarkt verantwortlich gemacht werden, es darf aber nicht die Augen davor verschließen, welche Auswirkungen seine Standards auf den Kapitalmarkt haben.

Fair Value und das Gebot der Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit: Die Entscheidungsnützlichkeit von Informationen setzt deren intersubjektive Nachprüfbarkeit voraus. Diese ist gegeben, wenn sich Marktwerte wie bei Börsenkursen täglich ablesen lassen. Vollkommen anders sieht es jedoch aus, wenn die Bewertungen auf subjektiven Modellrechnungen basieren, deren Parameter sich kaum oder gar nicht aus extern beobachtbaren Quellen ableiten lassen. Die aus diesen Modellen resultierenden Bilanzwerte erfüllen häufig nicht das Kriterium der Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit. Allenfalls können Enforcer und Abschlussprüfer die Plausibilität der gewählten Parameter innerhalb einer gewissen Bandbreite sicherstellen1.) Das dürfte aber nicht die Erwartungen des Kapitalmarktes an die Objektivität von Bilanzwerten erfüllen, wie sie durch das Anschaffungskostenprinzip gegeben ist. Möglichkeiten, Einhalt zu gebieten, sind Abschlussprüfern wie Enforcern nur dann gegeben, wenn Prämissen offensichtlich unangemessen sind. Natürlich wird das Fair Value Accounting auch bei am Markt nicht ablesbaren Werten seinen Platz in der Rechnungslegung behalten, etwa bei erforderlichen Wertminderungen. Doch sollte der Umfang der auf diese Weise ermittelten Bilanzansätze möglichst gering gehalten werden.

Jahresergebnis als wichtige Kennzahl für die Kapitalmarktinformation: Auf der einen Seite misst das IASB der Kennzahl "Jahresergebnis" oder "Gewinn" als Maßstab für die Ertragskraft (Performance) eines Unternehmens eine hohe Bedeutung zu. Auf der anderen Seite werden Änderungen in der Vermögenslage vermehrt über das Other Comprehensive Income (OCI) statt über die Gewinn- und Verlustrechnung gezeigt. Das steht offensichtlich im Widerspruch zum Standard IAS 33 "Earnings per Share", in dem gefordert wird, diese Kennzahl an prominenter Stelle zu zeigen. Auch die DPR vertritt die Auffassung, dass dem Jahresergebnis eines Geschäftsjahres eine außerordentlich große Bedeutung in der Kapitalmarktkommunikation zukommt.

Defizite ausgewählter Standards

Bewertung von als Finanzinvestition gehaltenen zum Fair Value bilanzierten Immobilien: Als Finanzinvestition gehaltene Immobilien können nach IAS 40 wahlweise zu Anschaffungskosten oder zum Fair Value bewertet werden. Die Erfahrung der DPR zeigt, dass nahezu alle Folgebewertungen auf Cash-Flow-Prognosen beruhen, da aktuelle Preise eines aktiven Markts nur sehr selten vorliegen. Bereits geringfügige Änderungen der Annahmen wie etwa zum Leerstand, zur Instandhaltungsquote oder zum Abzinsungsfaktor

führen zu erheblichen Wert änderungen. Wenn entsprechende Gutachten zum Wert der Grundstücke vorgelegt werden, können Abschlussprüfer oder Enforcer nur in Extremfällen das Testat verweigern oder einen Fehler feststellen, was dann auch einer gerichtlichen Überprüfung standhalten müsste. Die Hürde hierfür liegt also sehr hoch, was zu einem kaum eingrenzbaren Bewertungsspielraum für Bilanzierende und wenig nützlichen Informationen für den Kapitalmarkt führt. Besonders problematisch wird es, wenn am Markt nicht realisierte Wertänderungen zu einem positiv operativen Ergebnis führen und das in der Kapitalmarktkommunikation hervorgehoben wird. Der Lösungsvorschlag der DPR sieht eine Rückkehr zum Anschaffungskostenmodell mit Offenlegung von Informationen über Fair Values im Anhang vor.

Aktivierung von Entwicklungskosten: Ein weiteres Beispiel für eine eingeschränkte Enforceability stellt die Bilanzierung von Entwicklungskosten gemäß IAS 38 dar. Demnach setzt die Aktivierung von Entwicklungskosten unter anderem den Nachweis des künftigen wirtschaftlichen Nutzens und der technischen Realisierbarkeit voraus, was wiederum von einer nicht oder kaum objektiv nachprüfbaren Einschätzung des Managements abhängt. Dies hat ein weitgehendes Ansatzwahlrecht zur Folge, was mit den Prinzipien der Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit nicht vereinbar ist.

Aktivierung von Entwicklungskosten

Daher hält es die DPR für konsequent, eine Aktivierung von Entwicklungskosten komplett zu untersagen, womit als weiterer Vorteil eine zu US-GAAP weitgehend konvergente Bilanzierung erreicht werden würde. Für diese Lösung spricht auch die gängige Praxis der Analysten, die im Rahmen ihrer Beurteilungen von Unternehmen aktivierte Entwicklungskosten gänzlich außer Betracht lassen. Gleichwohl sollten Informationen zu den Entwicklungs- und Forschungskosten in den Anhangangaben transparent und vollständig dargestellt werden.

Purchase Price Allocation: Im Rahmen eines Unternehmenserwerbs müssen selbstgeschaffene identifizierbare immaterielle Vermögenswerte gemäß IFRS 3 separat vom Goodwill bewertet werden. Da für diese äußerst selten Marktpreise zur Verfügung stehen, wird bei der Bewertung auf komplexe Bewertungsmodelle zurückgegriffen. Die auf diese ermittelten Werte stellen nur eine Scheingenauigkeit dar. Da ein Kaufpreis meist für ein Bündel miteinander verbundener Faktoren wie Organisation, Bekanntheit, Kundenstamm, Personal bezahlt wird, ist die Herauslösung einzelner Bestandteile ohnehin künstlich.

Die Unterstellung des IAS 38, dass der Nachweis künftiger Nutzenzuflüsse und die verlässliche Bestimmung des Fair Value von immateriellen Vermögenswerten bei Unternehmenserwerben in der Regel möglich seien, lässt sich durch die Erfahrungen der DPR nicht belegen. Infolgedessen schlägt die DPR vor, die Zuordnung eines Kaufpreises lediglich auf solche Positionen zu beschränken, für die Marktpreise feststellbar sind, was im Ergebnis zu höheren Goodwills führen würde.

Goodwill-Abschreibung: Ein Goodwill ist gemäß IFRS 3 nicht ratierlich abzuschreiben, sondern jährlich auf Werthaltigkeit zu prüfen (impairment only approach). Obwohl viele Unternehmen in den Jahren 2008 und 2009 in einer wirtschaftlich schwierigen Situation waren, betrugen die Goodwill-Abschreibungen europaweit lediglich zwei Prozent, was in der Presse und Wissenschaft zu erheblichen Zweifeln an einer angemessenen Bilanzierungspraxis führte.2) Die Praxis des Enforcement zeigt, dass die subjektiven Einschätzungen des Managements oftmals sehr weit entfernt von den Erwartungen des Marktes liegen. Hier kommen Abschlussprüfer und Enforcer sehr schnell an Grenzen, auf ambitionierten Annahmen beruhende Bilanzansätze zu verhindern. Daher schlägt die DPR vor, einen Goodwill wieder ratierlich abzuschreiben.

Negativer Goodwill: Ein negativer Unterschiedsbetrag, der sich beim Erwerb eines Unternehmens zu einem Preis unter dem Marktwert der gekauften Vermögenswerte und Schulden ergibt, ist nach IFRS 3 erfolgswirksam zu erfassen. Nach den Erfahrungen der DPR kommt ein negativer Goodwill viel häufiger vor, als es den Erwartungen IASB zu entsprechen scheint. Die Unterschiedsbeträge resultieren häufig aus einer zu hohen Bewertung von Vermögenswerten, die dem Goodwill sehr ähnlich sind, wie etwa Kundenbeziehungen oder Betreiberlizenzen. Zur Begrenzung von bilanzpolitischen Ermessensspielräumen schlägt die DPR vor, Anschaffungsvorgänge beim erstmaligen Ansatz erfolgsneutral abzubilden. Mit über 750 abgeschlossenen Prüfungen besitzt die DPR über einen reichhaltigen Erfahrungsschatz hinsichtlich der Anwendung von IFRS bei kapitalmarktorientierten Unternehmen. Im Rahmen ihrer Tätigkeit konnte sie immer wieder Einblicke in Sachverhalte gewinnen, deren Abbildung in der Finanzberichterstattung die Anforderung nach einer transparenten nutzerorientierten Information des Kapitalmarktes nicht erfüllt. Dies trifft insbesondere auf Bilanzansätze zu, die nicht auf intersubjektiv nachprüfbaren Informationen aufbauen, sondern vor allem auf subjektiven Modellrechnungen.

Konkrete Beispiele dafür sind die Bewertung von als Finanzinvestition gehaltenen zum Fair Value bilanzierten Immobilien (IAS 40), die Aktivierung von Entwicklungskosten (IAS 38), die Purchase Price Allocation (IFRS 3, IAS 38), die Bilanzierung des Goodwill (IAS 36) sowie die Bilanzierung eines negativen Unterschiedsbetrags (IFRS 3). Eine weitere Konsequenz hieraus ist die erschwerte Enforceability der genannten Standards, die von der DPR vor dem Hintergrund, dass die Enforceability ein wesentliches Qualitätsmerkmal der IFRS Foundation an die vom IASB entwickelten Standards sein soll, kritisiert wird.

Im Konsultationsverfahren

Die hier aufgerissenen Problemfelder in ausgewählten Standards wurden im Rahmen der "IASB Agenda Consultation 2011" von der DPR adressiert. Sofern diese Bemühungen einen Beitrag zur Reduktion der Subjektivität der Bilanzierungsannahmen leisten, dürften damit auch eine Verbesserung der Enforceability von Standards sowie eine nachhaltige Minderung der Fehlerquote bei den Erstellern eintreten.

Die Ausführungen entsprechen im Wesentlichen der englischsprachigen Version der Stellungnahme der DPR zur "IASB Agenda Consultation 2011", abrufbar unter: www.ifrs.org/Current+Projects/IASB+ Projects/IASB+agenda+consultation/agenda+consultation+ 2011/comment+letters/CL80.htm (Abruf am 21. Mai 2012), sowie Berger, A., DPR fordert höhere Objektivierbarkeit von IFRS Standards, in: Ernst & Young, Accounting Newsletter, Ausgabe 1, 2012, S. 18ff.

Fußnoten

1) Vgl. Schruff, W., Die IFRS-Rechnungslegung im Spannungsfeld zwischen Cashflow-Prognose und Rechenschaft, in: WPg, Heft 18, 2011, S. 856.

2) Vgl. Glaum/Wyrwa, Making Acquisitions Transparent. Goodwill Accounting in Times of Crisis, S. 54; Küting, K., Der Geschäfts- oder Firmenwert in der deutschen Konsolidierungspraxis 2009, in: DStR, Heft 36, 2010, S. 1860.

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