Leitartikel

Der Machtzuwachs bei den Notenbanken

Eigentlich müsste man erwarten, dass die Geld- und Währungspolitik in diesem Jahr eine Pause einlegt. Die Geldentwertung ist nicht in Gefahr. Die Inflationsrate geht im Gegenteil leicht zurück. Da müssen die Zentralbanken nicht eingreifen. Die Zinsen sind schon so niedrig, dass sie kaum mehr gesenkt werden können. Die Liquidität ist extrem hoch. Die Wirtschaft befindet sich in der berühmten keynesianischen Liquiditätsfalle, in der die Geldpolitik nicht mehr viel bewirken kann. Es gibt inzwischen sogar schon Banken, die darüber nachdenken, Liquidität, die sie vor einem Jahr bei der Europäischen Zentralbank aufgenommen haben, vorzeitig zurückzugeben (zum Beispiel die Commerzbank). Das Basisgeld ist zuletzt leicht zurückgegangen (siehe Grafik).

In der Realität sieht das freilich ganz anders aus. Die großen Zentralbanken der Welt sind in letzter Zeit so aktiv wie schon lange nicht mehr. Die Federal Reserve hat das Ziel für die kurzfristigen Zinsen umgestellt. Sie verspricht jetzt nicht mehr niedrige Zinsen bis Mitte 2015, sondern will sich an der Entwicklung der Arbeitslosigkeit orientieren. Zudem hat sie ihre Aktivitäten auf den Kapitalmärkten durch ein neues Quantitative Easing Program (QE 4) nochmals ausgeweitet. Die Bank von Japan hat ihr Programm zum Ankauf von Wertpapieren ebenfalls aufgestockt. Der künftige Chef der Bank of England, Mark Carney, brachte eine Erhöhung des Inflationsziels ins Gespräch. Die EZB erwägt, ihren Hauptrefinanzierungssatz um einen Viertel Prozentpunkt zu senken (bis Redaktionsschluss war dazu noch keine Entscheidung gefallen). All das sind nicht nur "Trockenübungen", die niemand beachtet. Im Gegenteil. Die Finanzmärkte verfolgen die Aktivitäten mit großer Spannung und vielen Erwartungen.

Es ist zu vermuten, dass sich das 2013 nicht ändern wird. Die Zentralbanken werden auch in diesem Jahr eine ganz wichtige Rolle in der Wirtschaft und auf den Finanzmärkten spielen.

Erstens ist die Konjunktur schwächer als ursprünglich gedacht. Die Wirtschaft wartet auf zusätzliche Impulse von der Finanz- und Geldpolitik. Da die Finanzpolitik wegen der hohen Staatsverschuldung weitgehend ausfällt, richten sich die Augen auf die Geldpolitik. Natürlich weiß jeder, dass in der gegenwärtigen Situation zusätzliche monetäre Impulse für die Konjunktur nicht viel bringen werden. Aber auch wenn es wenig hilft, will man nichts unversucht lassen.

Zweitens bestehen nach wie vor Finanzstabilitätsrisiken. Die Zentralbanken sind in der Finanzkrise 2008 in verstärktem Maße auch bei diesen Gefahren gefordert worden. In Europa gibt es den Finanzstabilitätsrat, der Makrorisiken identifizieren soll. Im Rahmen der Bankenunion wird der EZB jetzt die Aufgabe der europäischen Bankenaufsicht zugewiesen. Sie wird dadurch mächtiger als es die Bundesbank in ihren besten Zeiten war.

Drittens sind die Zentralbanken im Konzert der Wirtschafts- und Währungspolitik die Institutionen, denen man im Augenblick die meiste Glaubwürdigkeit zuschreibt. Die Wirtschaftsund Finanzministerien leiden unter der allgemeinen Politikverdrossenheit sowie unter politischen Blockaden. Das gilt nicht nur für Europa. Die "europäische Krankheit" hat inzwischen auch die USA erfasst - siehe das Gezerre um die Fiskalklippe zum Jahreswechsel. Zentralbanken stehen nach den Turbulenzen in der Krise zwar auch nicht mehr so unversehrt da, aber doch besser als die anderen.

Bemerkenswert war, dass es nach den jahrelangen und extrem kostspieligen Rettungsaktivitäten für den Euro durch den Europäischen Rat nur eines Satzes des Präsidenten der EZB bedurfte, um die Gemeinschaftswährung von einem Tag auf den anderen zu stabilisieren: "Die EZB ist bereit, alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten. Und glauben Sie mir, es wird genug sein." Man stelle sich vor was passiert wäre, wenn die deutsche Bundeskanzlerin (oder der französische Präsident) so etwas gesagt hätten. Alle Welt hätte im Stillen gedacht, sie nähmen den Mund jetzt etwas voll. Nachdem aber der EZB-Präsident es so formulierte, änderten die Investoren weltweit ihre Strategie und kauften plötzlich Anleihen von Peripheriestaaten, die sie vorher nicht einmal mit der Pinzette angefasst hätten. Dabei ist es gar nicht die Aufgabe eines Notenbankpräsidenten, die Währung zu retten. Er soll sie stabil halten. Für die Etablierung der Währung (und damit auch für ihre Rettung) ist immer noch die Regierung zuständig.

Der Machtzuwachs bei den Notenbanken ist freilich nicht ohne Gefahr. Auf der einen Seite ziehen sich die Regierungen von den Reformaufgaben zurück, die sie eigentlich bewältigen müssten. Man sah das in den letzten Monaten, in denen sich im Europäischen Rat Angesichts der regulatorischen Agenda fällt der Ausblick auf das Bankenjahr 2013 verhalten aus.

Hiltrud Thelen-Pischke und Wiebke Sawahn stellen dar, welche gravierenden Veränderungen die zahlreichen Reformen mit sich bringen. Von den krisengeschüttelten Finanz- und Kapitalmärkten können sich die Banken dabei keine Erholung erhoffen. Ulrich Kater geht davon aus, dass die Niedrigzinsphase noch länger anhalten wird. Bei der Bekämpfung der Finanzkrise - so plädieren Sebastian Jauch und Sebastian Watzka - sollte neben den Staatsdefiziten auch die Verschuldungssituation privater Haushalte Berücksichtigung finden. Mit dem richtigen Wertesystem können sich nach Ansicht von Gerd Waschbusch die dunklen Wolken für einige Banken jedoch allmählich auch wieder verziehen. Eine Lösung möglicher Refinanzierungsprobleme sehen Dirk Schiereck und Christoph Auerbach in Pfandbriefemissionen - auch für Sparkassen. Für Stephan Spieckermann verschenken Banken wertvolles Potenzial bei der Verwendung von Forderungen als Kreditsicherheit.
icht mehr viel bewegte. Das kann nicht lange gut gehen. Auf der anderen Seite ist es bedenklich, wenn eine Institution in der Öffentlichkeit so hoch gelobt wird. Sie kann sich dabei leicht überheben und am Ende dann auch wieder fallen. Ganz abgesehen davon, lenkt es von den eigentlichen Aufgaben als Hüter der Währung ab.

Viertens schließlich haben die Notenbanken durch die niedrigen Zinsen und die hohe Liquidität Verantwortung für die Finanzmärkte bekommen. Die Kurssteigerungen auf den Aktien-, Renten-, Immobilien- und Rohstoffmärkten der letzten Monate sind zum größten Teil nicht fundamental begründet. Es ist eine Liquiditätshausse. Das heißt, dass die Märkte in sich zusammenfallen, wenn die Zentralbanken eines Tages Liquidität absaugen und die Zinsen erhöhen. Die Märkte beobachten schon jetzt mit Argusaugen, was mit der Liquidität geschieht, um Anhaltspunkte zu bekommen, wann die Hausse vorbei sein könnte. Das ist auch gesamtwirtschaftlich nicht unproblematisch. Denn es könnte sein, dass die Notenbanken bei Gefahren für die Stabilität aus Rücksicht auf die Finanzmärkte zögerlicher vorgehen, als dies objektiv gesehen angezeigt wäre.

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