Standortwettbewerb

Redaktionsgespräch mit Lutz Raettig - "Wir haben einen besseren, weil freieren Ordnungsrahmen als andere Länder."

Welchen Stellenwert hat der Finanzplatz Deutschland heute im internationalen Vergleich?

Der Finanzplatz Deutschland hat international eine sehr starke Stellung, weil er sich auf eine große und erfolgreiche Wirtschaft gründet. Das unterscheidet ihn von vielen anderen Standorten. Das betrifft erstens die funktionierende Verbindung von Real- und Finanzwirtschaft. Unser Bankensystem erfüllt außerordentlich gut die Grundfunktionen, die eine große, national wie international stark verwobene Volkswirtschaft braucht. Das fängt an bei Leistungen für Exportfinanzierung und für die Infrastruktur in Deutschland wie im Ausland. Es geht über die Einbettung in das internationale Finanzsystem und die Refinanzierungsseite bis hin zur Intermediationsfunktion für die Staatsfinanzierung mit den wichtigen Beispielen KfW, Post, Bahn und Bund. Hinzu kommen nicht zuletzt Equity Transaktionen: Fast alle Kapitalerhöhungen der Dax-Unternehmen werden zu mehr als der Hälfte im Ausland platziert, gerade für den Bankenbereich gilt das regelmäßig. All diese Anforderungen hat das deutsche Bankensystem auch unter Einschaltung von ausländischen Banken sehr gut gelöst übrigens auch im Bereich der Landesbanken, die heute so stark im Gerede sind. Statistisch wickeln die Landesbanken 20 Prozent des gewerblichen Kreditgeschäftes ab. Wenn man dies abschaffen will, muss erst einmal klar gemacht werden, wie man das bei der tendenziellen Unterkapitalisierung im deutschen Bankensektor in kurzer Zeit absorbieren will.

Der zweite Aspekt sind die vielen anlagebereiten Mittel, die eine prosperierende Wirtschaft kreiert. Sie zu verwalten und anzulegen lockt seit vielen Jahren ausländische Finanzdienstleister an.

Ist Deutschland also eher ein Krisengewinner?

Von der Sache her ja! Das deutsche Bankensystem hatte zwar das Pech, gleich zu Anfang von der Finanzkrise betroffen zu sein. Aber das war nur ein Zufall. Hierzulande ist keine Bank umgefallen, auch wenn die IKB, die HRE und einige kleinere Institute heftig ins Straucheln geraten sind. Letztlich hat das Bankensystem sich aber selbst geholfen, und zum Teil wurde ihm staatliche Hilfe gewährt. Selbst der Ausfall der deutschen Einheit von Lehman Brothers auf der Einlagenseite konnte unter Einbeziehung staatlicher Institutionen im Refinanzierungsbereich von dem Einlagensicherungssystem der privaten Banken geschultert worden. Der Pfandbrief ist als Refinanzierungsinstrument mit einigen Anstrengungen erhalten geblieben. Und die deutsche Börse ist als globales System gesehen stärker denn je positioniert.

Welche Vorteile können Deutschland und Frankfurt in die Waagschale werfen?

Unsere Wirtschaft ist mehr nach außen orientiert und wird viel weniger gelenkt als das in anderen großen europäischen Ländern der Fall ist. Zudem haben wir hier einen besseren, weil weitgehend freien und mehr nach außen orientierten Ordnungsrahmen. Dieser ist wesentlich unpolitischer als etwa in Frankreich und Italien; und ich habe sogar den Eindruck, dass nach der Finanzkrise selbst in UK derzeit die Regulierung enger ist. Zwar hatten einige kontinentaleuropäische Finanzplätze angesichts ihrer zentralen Strukturen ursprünglich eine bessere Ausgangslage, aber die Verbesserung der Qualität und der Leistungsfähigkeit, die in diesen Ländern auf der Verdichtung beruht, kam in Deutschland aus dem Markt heraus. Speziell die deutschen Banken sind aufgrund der Diversität der Expansion der Realwirtschaft in verschiedenen Bereichen vor besondere Anforderungen gestellt worden und haben diese gut bewältigt. Nützlich war dabei sicher das Universalbanksystem, das alle Produktanforderungen unter einem Dach abzudecken suchte.

Wie bewerten Sie die Rolle der ausländischen Banken in Deutschland?

Die Auslandsbanken schätzen den Standort sehr. Wenngleich sich das eine oder andere Institut sicher ein wenig mehr dokumentäres Geschäft wünscht und der Retailmarkt unbestritten schwierig ist, entwickelt sich auch die Ertragsseite ganz gut. Gerade aus dem Bereich Investmentbanking sind bestimmt keine Klagen zu hören. Und auch ausländische Unternehmen, wie die berühmten Tochtergesellschaften mit amerikanischem Kapital nutzen den deutschen Markt sehr aktiv. Dass insbesondere die Deutsche Bank sehr prominent in vielen Konsortien vertreten ist, bedeutet doch national wie international einen deutlichen Vertrauensbeweis für den Finanzplatz und seine Banken.

Ist der Finanzplatz Deutschland mit dem Finanzplatz Frankfurt gleichzusetzen?

In der Bedeutung des Kapitalmarktgeschäftes, als Standort für ausländische Banken und in der Außenwirkung bei der Diskussion wichtiger Themen mag das richtig sein. Aber psychologisch betrachtet bekommt der Finanzplatz Frankfurt aus dem normalen föderalen Geist heraus immer ein wenig Gegenwind.

Für bestimmte Arten von Transaktionen muss man starke lokale Zentren wie Stuttgart und München zum Finanzstandort hinzurechnen. Für börsennotierte Anleihen kleiner mittelständischer Unternehmen oder IPOs mit begrenztem regionalen Charakter sind diese sehr funktionsfähig. Zudem ist München nach wie vor ein bedeutender Versicherungsplatz, auch wenn beispielsweise Allianz Global Investors am Kapitalmarkt maßgeblich von Frankfurt aus agiert.

Registrieren Sie bei anderen europäischen Finanzplätzen wie beispielsweise Paris, Mailand oder Madrid eine Spezialisierung oder Absprachen zur Arbeitsteilung?

Es gibt eine lockere, mehr oder weniger freundliche Kommunikation zwischen den europäischen Finanzplätzen, konkrete Absprachen über die zentralen Arbeitsfelder sind dabei aber nicht erkennbar. Im Zuge des Finanzplatzmarketings wird durchaus die eine oder andere Spezialisierungstendenz herausgestellt, in Paris beispielsweise Aktivitäten rund um Islamic Finance, aber sehr ausgeprägt sind diese Entwicklungen nicht. Aus Frankfurter Sicht sehen wir ohnehin die Marktsituation als viel entscheidender an. Und an dieser Stelle fühlen wir uns mit der starken Volkswirtschaft, einer freiheitlichen Regulierung, freien Kapital- und Kreditmärkten ohne Kapitalmarktkontrollen sowie einer freien Exportwirtschaft ohne größeren staatlichen Einfluss hervorragend aufgestellt. Dass sich die deutschen Banken weitgehend ohne aufgepfropfte Staatsräson traditionell viel freier bewegen können als in anderen Ländern, spricht auch in Zukunft für den Finanzplatz.

Ist das deutsche Bankensystem für die künftigen Herausforderungen gut genug aufgestellt oder brauchen wir mehr international konkurrenzfähige Institute?

Insgesamt zwei oder drei große Banken, die national wie international absolut konkurrenzfähig sind, würden dem Finanzplatz sicher gut tun. Demnach müssten sich neben der Deutschen Bank noch ein oder zwei Institute stärker als heute in diese Richtung entwickeln, zumal auf Seiten der Landesbanken das Wholesale-Geschäft noch zurückgehen wird. Zwischen dem sauber abgrenzbaren Retailgeschäft und dem kleinteiligen Gewerbegeschäft sowie dem Wholesale-Geschäft zeigt sich in Deutschland freilich eine deutliche Lücke. Da haben eigentlich noch mehr Wettbewerber Platz.

Denken Sie dabei neben der Commerzbank auch an die Hypovereinsbank?

Die Bank ist im Süden sowie im Norden Deutschlands gut positioniert, und mit Blick auf einzelne Produktbereiche gilt das beispielsweise auch bei strukturierten Finanzierungen als wichtigem Teil des Investmentbanking. Um zu den ersten beiden noch näher aufschließen zu können, braucht sie aber noch mehr Präsenz im industriellen Bauch Rhein-Ruhr, Rhein-Main und Rhein-Neckar.

Wo sehen Sie die größten Schwächen des deutschen Banken- und Finanzmarktes?

Wenn wir zunächst an die deutsche Bankenstruktur anknüpfen, ist eines der Grundprobleme zweifellos das Retail Banking. Die Lagerbildung in den drei Säulen mit all den Diskussionen um eine Quersubventionierung führt zu einer merkwürdigen Struktur. Einige Wettbewerber aus dem Ausland werden dadurch von vornherein von einem Marktantritt abgehalten. Andere suchen und finden mit einer starken Fokussierung den Erfolg, angefangen von der ING-Diba über Santander bis hin zur heutigen Crédit-Mutuel-Tochter Targobank als Nachfolger der alten Citibank Privatkunden.

Die relativ starke Dominanz des öffentlichen Bankwesens verzerrt aber nicht nur die Wettbewerbslage, sondern hat auch Einfluss auf grundlegende Sachfragen wie die Einlagensicherung. Einzigartig in dieser Welt betreiben die beiden starken Säulen der Kreditwirtschaft die Institutssicherung und zwingen damit angesichts der Wettbewerbssituation die privaten Banken dazu, ein vergleichbares System zu etablieren. Dabei sollte es doch eigentlich vor allem um die Einlagensicherung gehen.

Ein weiterer gravierender Nachteil des Standortes ist schließlich die Vielstimmigkeit, die in der europäischen Politik zweifellos als störend empfunden wird, auch wenn sie angesichts der speziellen Gegebenheiten in Deutschland an vielen Stellen eine gewisse Berechtigung haben mag. Sie birgt die Gefahr, sich zwar bei weniger entscheidenden Punkten Gehör zu verschaffen und sich vielleicht auch durchzusetzen, aber bei wirklich wichtigen Dingen in die Defensive zu geraten.

Führt die sprichwörtliche Überkorrektheit der Deutschen bei der Umsetzung von Regulierungsvorhaben nicht in erheblichem Maße zu Standortnachteilen?

Wenn damit so elementare Dinge wie die Umsetzung von Basel III ohne die gleichzeitige Einführung in den USA gemeint sind, ist das sicher richtig. Aber grundsätzlich ist die frühzeitige und gewissenhafte Orientierung an internationalen Vorgaben für einen Finanzplatz sicher nicht nachteilig. Gleichwohl ist es wichtig, künftige Regulierungen auf breiter internationaler Basis zu vereinbaren.

Was würde passieren, wenn die Amerikaner Basel III nicht umsetzten?

Das wäre ein gravierender Wettbewerbsnachteil, mit der Gefahr, bestimmte Finanzgeschäfte in die USA zu verlagern. Letztlich glaube ich aber nicht daran, dass die USA es sich leisten können, auf die Einführung von Basel III zu verzichten, denn der internationale Druck ist zu stark. Bei Basel II hatten sie sich längst nicht so fest auf die Umsetzung festgelegt und auch politisch nicht so hoch angesiedelt, sprich durch den Präsidenten persönlich. Im Übrigen sind wir über die internationalen Gremien G8 und G20 alle ein wenig aneinandergerückt, auch wenn wir einer Verringerung des Grabens zwischen dem angelsächsischen und kontinentaleuropäischen Finanzmarkt vor anderthalb Jahren deutlich näher waren als heute.

Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Die angelsächsischen Länder haben tendenziell den Vorteil einer besseren Kapitalausstattung ihrer Banken. Und sie haben sehr viel besser funktionierende Kapitalmärkte, die hinreichend Kapital zur Verfügung stellen. Auf der anderen Seite haben sie mit SEC, Comptroller of the Currency und Federal Reserve System den Nachteil einer völlig zersplitterten Aufsicht, die wenn sie angegriffen wird - eigentlich immer vornehm beiseite tritt und nachfragt, wer denn eigentlich gemeint ist. Vor diesem Hintergrund klingt es sehr seltsam, wenn Amerikaner andere Länder anmahnen, ihre Aufsicht in Ordnung zu bringen. Stichwort Deutsche Börse: Welchen Stellenwert hat sie für den Finanzplatz?

Die Deutsche Börse ist nach wie vor ein großes Asset für den Standort Deutschland und speziell Frankfurt. Das gilt abseits aller Diskussionen, welche Shareholder sie noch hätte haben sollen, um möglichst stark unter deutschem Einfluss zu bleiben. Die Börse ist zu einem echten World Quality Player und zu einem Global Player geworden. Noch vor zehn Jahren wäre es vermessen gewesen, sie auf Augenhöhe mit der Nasdaq oder der Nyse zu sehen. Inzwischen hat sie konsequent die besonderen Vorteile des Finanzplatzes genutzt. Dazu zählt eine sehr gute Infrastruktur und ein qualitativ bestens ausgestatteter Arbeitsmarkt - gerade in den Bereichen, die für Börsen wichtig sind: nämlich Prozesse zu erfinden, Prozesse zu betreiben und Prozesse kostengünstig und betriebssicher zu pflegen. Übrigens hat sich dabei auch die viel gescholtene Silostruktur bewährt, auch wenn es lange Zeit gebraucht hat, bis der Weltmarkt deren Vorteile richtig wahrgenommen hat.

Was bedeutet das Zusammen rücken von Deutscher Börse und Nyse?

Letztlich führt das zu einer klaren Stärkung des Finanzplatzes. Die Nyse hat traditionell ein großes Aktien-Know-how, und sie hat in den vergangenen Jahren viel reales Aktiengeschäft eingekauft. Sechs oder sieben Börsen wie beispielsweise Lissabon betreiben dort ihr Aktiengeschäft und würden mit ihren Volumina automatisch im Verbund bleiben. Als zweite Schiene ist das bereits erwähnte Know-how der Deutschen Börse in Bezug auf Prozesse von weiter wachsender Bedeutung, denn schließlich würde die Silostruktur im Clearing und Settlement vom Gesamtkonzern noch wesentlich mehr beansprucht, damit wird das in Frankfurt vorhandene Spezialwissen verstärkt abgerufen und wird zusätzliche Impulse verleihen. Drittens: Wenn die beiden Partner auf nicht konsolidierten Märkten angreifen, haben sie mehr Aussicht auf Erfolg als jeder für sich allein. Die deutsch-amerikanische Kombination eignet sich gut für die weltweite Akquisition, weil jede der beiden Kulturen ihre Verbindungen einsetzen kann.

Insgesamt werden wir zu weit größeren Stückzahlen kommen und können viel neues Geschäft auf unsere Maschinen lenken. Und dieser Kompetenzbereich lässt sich wegen der immensen Kosten einer Verlagerung so leicht nicht aus Frankfurt abziehen, weil hier die technische Infrastruktur und das hoch qualifizierte Personal vorhanden sind.

Wie wird die Aufsicht geregelt sein?

Die neue Börse bleibt unter deutscher Aufsicht, weil sich nur die Shareholder-Struktur ändert, die Tochtergesellschaften aber fortbestehen. 100-prozentiger Shareholder jeder operativen Einheit ist die Holding. Und die Operating Companies unterliegen jeweils dem nationalen Recht.

Wird die SEC stärker in die Belange der Deutschen Börse hineinregieren?

Das ist schwer zu beurteilen, auch wenn aus den USA ein eindeutiges Nein zu hören ist. Man muss im Übrigen an dieser Stelle zur Kenntnis nehmen, dass bei allen immer wieder erfolgten und unterstellten Versuchen der Amerikaner, in andere Finanzmärkte reinzuregieren im Falle der Euronext nichts Gravierendes passiert ist. Nach allen Erfahrungen und allem, was ich aus seriösen Quellen höre, kann die SEC inzwischen loslassen, weil sie nichts verliert.

Welche Bedeutung haben im Standortmarketing für Frankfurt weiche Faktoren wie der Arbeitsmarkt?

Konkret ist der Einfluss von Infrastruktur im weiteren Sinne nur schwer fassbar. Gleichwohl ist er in seiner Bedeutung enorm wichtig. Nehmen Sie als Beispiel die Ausbildungsmöglichkeiten für die Kinder internationaler Mitarbeiter. Es gab kürzlich die 50-Jahr-Feier der Frankfurt International School, die mit fast 2000 Schülern zur größten Privatschule in Deutschland geworden ist. Dazu kommen weitere internationale Schulen in der Umgebung, etwa eine französische, eine japanische und eine koreanische.

An vorderer Stelle zu nennen ist ferner die im Großraum Frankfurt vorhandene IT- Infrastruktur mit der großen Bedeutung des Internetknotens. Die gesamten Back-up-Systeme sind am Finanzplatz konzentriert. Auf diesem Feld haben die Stadt Frankfurt, die Finanzwirtschaft einschließlich der Börse, Fraport als Logistikanbieter und viele Privatanbieter sehr früh großen Weitblick bewiesen und viele Projekte der IT-Infrastruktur verwirklicht. Auch wenn diese Dinge öffentlich eher zurückhaltend kommuniziert werden, sind sie als Standortbedingung von enormer Bedeutung. All diese Projekte laufen seit Jahren außerordentlich stabil und profitieren von dem mittlerweile sehr guten Angebot an qualifizierten Arbeitskräften. Die Mitarbeiter in einem Backoff-System einer Bank oder eines anderen Finanzdienstleisters wissen vielfach, was in ihrer Branche rechts und links vom eigenen Arbeitsumfeld passiert. Das findet man an anderen Finanzplätzen in dieser Form nicht.

Ist in der IT-Branche im Großraum Frankfurt tatsächlich ein größeres Grundverständnis für die Abläufe in der Finanzindustrie zu registrieren?

Ganz eindeutig, wobei das teilweise mit der Auslagerung von Banktechnik zusammenhängt. Auch beim Outsourcing hat es sich nämlich als Vorteil erwiesen, wenn die IT-Seite einen gewissen Einblick in die Finanzbranche mitbringt. Einfache Transaktionen lassen sich sicher an Standorte mit mehr oder weniger fachfremdem Personal auslagern. Eventuelle Fehler können dann vergleichsweise einfach korrigiert werden.

Aber komplizierte Dinge wie Derivatestrukturen oder strukturierte Produkte, so haben leidvolle praktische Erfahrungen gezeigt, sind bei eventuellen Fehlern kaum noch reparabel, weil die Beteiligten viel zu wenig Know-how von der Sache hatten und auch kaum konstruktiv mit den Kunden kommunizieren konnten. In vielen Fällen mussten solche Transaktionen wieder zurückverlagert werden. In diesem Sinne ist Frankfurt in den vergangenen Jahren auch zu einem gesuchten Standort für das Outsourcing im Finanzdienstleistungsbereich geworden.

Die eine Sparte beflügelt also die andere. Wird Frankfurt damit automatisch immer bedeutender?

Die Chance besteht. Aber wir verspielen diese sehr schnell, wenn wir den Standort nicht kontinuierlich pflegen. Eine wichtige Rolle spielen an dieser Stelle die zugewanderten Fachkräfte. Wir müssen diese Menschen aufnehmen, müssen ihren Familien genügend Kindergarten-, Schul- und Ausbildungsplätze bieten und müssen für ein offenes Klima sorgen. Die kürzlich in Frankfurt initiierte Welcome-Veranstaltung für die Führungsmannschaft der europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen (EIOPA) im Kaisersaal des Frankfurter Römer war solch ein sichtbares Zeichen für die Aufnahmebereitschaft dieser Stadt und ihrer Bürger.

Auf wessen Hilfe kann Frankfurt Main Finance bei solchen Gesten zählen - auch auf Berlin?

Nein, diese Dinge müssen wir allein mit Unterstützung der Stadt und des Landes Hessen organisieren. Aber das ist nicht weiter überraschend, sondern war der Ausgangspunkt für die Gründung der Standortinitiative. Neben den Mitgliedern brauchen wir als Rahmensetzer das Land und die Stadt. So ist auch die Hilfestellung ausgelegt. Das Land stellt die Bildungseinrichtungen, Schulen und Verkehrswege zur Verfügung, um europäische und internationale Organisationen aufnehmen zu können. Und die Stadt hilft uns häufig mit den geeigneten Räumlichkeiten.

Wieso ist die Realwirtschaft bisher nicht in der Initiative vertreten? Sind Industrieunternehmen nicht willkommen?

Das ist durch den Zeitablauf bestimmt. Unsere Mission ist zunächst einmal auf die Positionierung von Frankfurt in der internationalen Financial Community beschränkt. An dieser Stelle wollen wir uns erst einmal einen Track Record verschaffen. Für die Zukunft sind Mitglieder aus der Realwirtschaft damit nicht ausgeschlossen.

Können sich international operierende Mitglieder wie die Deutsche Bank oder die Commerzbank überhaupt glaubwürdig in das Standortmarketing für eine Stadt wie Frankfurt einbringen?

Beide Großbanken arbeiten voll in den Gremien und an der Vorbereitung von Sachthemen mit. Das hat zuletzt die Großveranstaltung Frankfurt Finance Summit gezeigt, bei der beide Häuser großes Engagement gezeigt haben und auf höchster Ebene vertreten waren.

Wie soll diese Großveranstaltung positioniert werden? Diesmal konnten Sie mit der Bundeskanzlerin locken, aber grundsätzlich besteht doch gerade in Frankfurt die große Gefahr von Me-Too-Effekten ...

Das ist richtig, deshalb soll die Veranstaltung ausdrücklich in einen Rang gehoben werden, der sie auch in Frankfurt zu etwas Besonderem macht. Die Teilnehmer sollen quasi auf sie warten. In diesem Sinne hat das Präsidium schon den Auftrag vergeben, die Folgeveranstaltung 2012 auf vergleichbarem Niveau zu konzipieren. Frankfurt als Sitz der europäischen Institutionen will sich auf dem Feld der Regulierung und Stabilitätskultur mit Expertise und einer offenen Diskussionsplattform eindeutig positionieren und sich in internationalen Debatten in einer Moderatorenrolle präsentieren. In diese Richtung wollen wir weiterarbeiten.

Ist die dezentrale Struktur Deutschlands ein Vor- oder ein Nachteil für die Initiative?

Unser Auftrag ist klar regional beschränkt. Wir wollen im Sinne der Rhein-Main-Region ausschließlich standortrelevante Themen bearbeiten. Aber manchmal überlappt sich das natürlich mit den Interessen des Finanzplatzes Deutschland. Nicht erwarten kann man von uns bundesweit gültige Stellungnahmen zu politischen Fragen; dafür gibt es neben den Verbänden andere Institutionen wie den ZKA. Wie das beim Frankfurt Finance Summit der Fall war, bieten wir in Frankfurt aber gerne die Plattformen, auf denen Finanzplatzthemen von allgemeinem Interesse diskutiert werden können.

Welche Rolle spielen bei all diesen Dingen die Frankfurter Hochschulen?

Die wissenschaftlichen Einrichtungen sind für die Initiative enorm wichtig. So sind beispielsweise das House of Finance der Goethe-Universität und die Frankfurt School of Finance & Management nicht zuletzt deshalb engagierte Mitglieder von FMF, weil sie uns viele Inhalte liefern, um den Finanzplatz zu positionieren. Auch stellen sie uns oft Räumlichkeiten zur Verfügung. Der Campus der Universität als Veranstaltungsort ist ein Pfund, mit dem wir wirklich wuchern können.

In Anbindung an die beiden Hochschulen hat das Frankfurter Institut für Risikomanagement und Regulierung (FIRM) seine Arbeit aufgenommen. Mit welcher Zielsetzung ist es entstanden?

Frankfurt Main Finance hat für diese Einrichtung die Gesellschaft für Risikomanagement und Regulierung e. V. ins Leben gerufen und mit diesem Förderverein quasi die Infrastruktur geschaffen, das Institut zu gründen. Inzwischen hat es den ersten Studienjahrgang aufgenommen und bietet ein berufsbegleitendes Masterprogramm an. Angelegt ist dieser Executive Master of Risk Management and Regulation auf eine Studiendauer von eineinhalb Jahren. Zum Zweiten vergibt das FIRM Forschungsaufträge nach Frankfurt und nach außen. Die Betreuung der Forschung hat dabei das House of Finance übernommen, die Federführung in der Lehre liegt bei der Frankfurt School.

Das neue Institut soll die Diskussionen befruchten und praktische Vorschläge beziehungsweise Debattenbeiträge zur Verbesserung des Risikomanagements liefern. In diesem Sinne ist derzeit beispielsweise eine laufende Studie zu verstehen, die sich mit der Ausgestaltung von Ratings einer europäischen Ratingagentur beschäftigt.

Stichwort Finanzplatzindikatoren: Ist es sinnvoll die beiden Indikatoren der Frankfurt School und des House of Finance gegeneinander laufen zu lassen?

Die beiden Indikatoren haben ganz unterschiedliche Ansätze und ergänzen sich in der Aussagekraft. Der CFS-Finanzplatzindex basiert auf einer Befragung von Fachleuten, und ist damit vom Konzept her ähnlich aufgebaut wie der Ifo-Konjunkturindex. Das Finanzplatzbarometer gründet sich hingegen auf eine umfangreiche Datenerhebung, vergleichbar mit dem Global Financial Centres Index (siehe Beiträge in diesem Heft - Red.).

Gibt es eine Art der Erfolgskontrolle für FMF?

In harten Zahlen kann man den Erfolg unserer Arbeit sicher nicht messen. Aber ich kann Ihnen ein paar Indikatoren nennen: Da ist erst einmal die Zahl der Mitglieder. Seit Gründung im Sommer 2008 hat sich unser Kreis verdreifacht, und das liegt sicher auch daran, dass unsere Arbeit gut ankommt.

Zweitens: Die Wahrnehmung des Finanzplatzes ist nicht mehr nur die einer Ansammlung von Hochhäusern, sondern die eines funktionierenden Marktplatzes, der aus realen Leistungen und dahinterstehenden Unternehmen besteht.

Wir fokussieren uns in der Kommunikation auf die Stärken des Finanzplatzes und lenken so die Aufmerksamkeit auf Frankfurt, ohne dadurch die anderen deutschen Finanzplätze ins Abseits zu rücken.

Drittens: Es gelingt uns, Frankfurt als Zentrum für Regulierungsfragen zu etablieren, und so in der öffentlichen Diskussion eine wirkungsvolle Stimme zu erheben.

Viertens: Es gelingt uns, mehr Forschungsgelder an die wissenschaftlichen Einrichtungen in Frankfurt zu lenken und die Ausstrahlungskraft unserer wissenschaftlichen Einrichtungen auf das Ausland zu verbessern.

Und natürlich wäre es schön, wenn wir, fünftens, die Dienstleistungen des Finanzplatzes für andere aufstrebende Finanzplätze so vermarkten können, dass die hiesige Wirtschaft davon profitiert.

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