Leitartikel

Eine verkannte Gemeinschaft

Dass Sparkassen und öffentliche Versicherer ziemlich eng zusammengehören, ist in der breiten Wahrnehmung nur spärlich verankert. Selbst wenn beide Seiten das ernsthaft wollten, dürfte sich das Allfinanzbündnis der Öffentlich-Rechtlichen auf absehbare Zeit nur schwer als feste Einheit vermitteln lassen. Denn zumindest bundesweit fehlt den Versicherungen die klar wahrzunehmende und damit leicht vermittelbare Erkennungsmarke. Zwar mögen viele der noch zwölf registrierten Gruppen regional einen guten Ruf und auch einen respektablen Bekanntheitsgrad haben. Doch ganz anders als etwa in der genossenschaftlichen Gruppe mit ihrer R+V (siehe Redaktionsgespräch mit Konrad Irtel, Seite 176) oder die ebenfalls der S-Gruppe zuzurechnenden Landesbausparkassen unter ihrem Kürzel LBS sind die Erscheinungsbilder aufseiten der S-Assekuranz teilweise immer noch stark landsmannschaftlich geprägt.

Die Sparkassen als geschlossenen Block zu positionieren, ist jedenfalls die wesentlich einfachere Teilübung. Beim Umzug eines Kunden von Nord nach Süd oder umgekehrt die Nord-Ostsee Sparkasse oder die Kreissparkasse Garmisch-Partenkirchen als vertrauenswürdigen Ansprechpartner für eine neue Bankverbindung anzusehen, fällt nicht sonderlich schwer. Ob aber der eingefleischte Kunde der Bayern Versicherung in seiner neuen Umgebung ohne Weiteres zur Provinzial Nord-West findet? Und ob die Ostfriesische Landschaftliche Brandkasse, die Lippische Landes-Brandversicherungsanstalt oder die Öffentliche Lebensversicherung Braunschweig für Neubürger ihrer Region so präsent sind, die bundesweit bekannten Mitbewerber aus dem Feld zu schlagen? Die Konkurrenten, angefangen von Allianz, Axa und Debeka über Generali und HDI bis hin zu R+V und Zurich-Gruppe, arbeiten jedenfalls allesamt mit einheitlichem Auftritt. Wenn hingegen die öffentlichen Versicherer mit bundesweiten Kampagnen in den Medien auftreten, lassen sich hohe Streuverluste nur gemeinsam mit der Dachmarke Sparkassen vermeiden. Richtig gut hat es bei dieser Vermarktungsvariante allein die Stuttgarter Sparkassen Versicherung. Nur sie profitiert von der Deckungsgleichheit im Namen.

Man mag nun trefflich darüber streiten, ob eine den Sparkassen vergleichbare Regionalität und Dezentralität, die die öffentlichen Versicherer so gerne als wichtigen Grund für die Wahrung ihrer Identität und Marke anführen, einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil im Versicherungsgeschäft darstellt. Denn der direkte Kundenkontakt ist angesichts der meist langfristig laufenden Verträge seltener als im Bankgeschäft und bringt nur bei der reibungslosen Schadensabwicklung einen wirklich hohen Nutzen für das Cross-Selling. Ganz sicher hat die Wahrung der Regionalität aber nicht zu Markteinteilen im Versicherungsgeschäft verholfen, die auch nur annähernd mit denen der Sparkassen in ihren Kerngeschäftsfeldern Einlagen sowie Firmen- und Privatkundenkredit vergleichbar sind. Zwar hat die Gruppe der öffentlichen Versicherer in den vergangenen Jahren über alle Sparten hinweg immerhin einen Marktanteil von rund zehn Prozent behauptet. Und mit Ausnahme der Allianz müssen sich viele der oben genannten Marken auf dem stark fragmentierten deutschen Versicherungsmarkt mit wesentlich kleineren Stücken bescheiden. Doch aus Sicht der Sparkassen kann das derzeit erreichte Zehntel nicht der Maßstab sein. Sie fühlen sich damit im breiten Versicherungsgeschäft weit unter ihren Möglichkeiten und sehen sowohl in den Beteiligungserträgen als Eigner der öffentlichen Versicherer als auch im Provisionsgeschäft als deren wichtigster Vertriebspartner noch viel Ertragspotenzial. Merkliche Effizienzsteigerungen und fruchtbare Ansatzpunkte zur Stärkung der Wettbewerbsposition des öffentlich-rechtlichen Bankensektors versprechen sie sich nicht zuletzt von einer besseren Einbindung der öffentlichen Versicherer in die Marktbearbeitung vor Ort. Ob das allein durch eine stärkere Verzahnung der Vertriebsaktivitäten erreichbar ist, welchen Beitrag weitere Konsolidierungsschritte der S-Versicherer leisten und welche sonstigen kreativen Lösungen Fortschritte bringen können, wird seit Jahren zwischen den Beteiligten diskutiert. Und genau diese Ausgangslage war der Redaktion mit diesem Heft Anlass für eine Bestandsaufnahme der Marktposition dieses Teils der öffentlich-rechtlichen Finanzwirtschaft.

Mit Blick auf die Strukturdiskussion wirft DSGV-Präsident Heinrich Haasis zu Recht die Frage auf, ob es unbedingt noch zwölf öffentliche Versicherer sein müssen, wenn die fünf größten Einheiten doch schon 93 Prozent des Beitragsvolumens generieren (Seite 166). Wie Gregor Böhmer (Seite 168) will er die in den vergangenen zehn Jahren eindeutig messbaren Synergieeffekte der Konsolidierungsschritte rund um die Sparkassen Versicherung im Südwesten als Ermutigung für andere Versicherungsregionen verstanden wissen, diesem Beispiel zu folgen. Doch Friedrich Schubring-Giese, der als Chef der Versicherungskammer Bayern den größten öffentlichen Versicherer vertritt und gleichzeitig als Vorsitzender des Verbandes der öffentlichen Versicherer fungiert, weiß nur zu gut um das zähe Ringen seiner Organisation um weitere Konsolidierungsschritte und tendiert eher zu einer Besinnung auf das Machbare (Seite 171). Zwar bewegt auch er sich mit dem Konzept einer verstärkten Kooperation und der Bildung von multiregionalen Versicherungsgruppen im Grundsatz in Richtung einer "aktiven Teilnahme am Konsolidierungsprozess". Doch klingt seine Erinnerung an die Konsolidierung von 19 Einheiten im Jahre 1990 auf zwölf heute, an zahlreiche Kooperationen und Gemeinschaftsunternehmen der vergangenen Jahrzehnte sowie an die teilweise satzungsmäßig und gesetzlich vorgeschriebene Gemeinwohlorientierung nicht gerade nach einer zügigen Forcierung der Konsolidierungsbestrebungen seitens der Versicherungen. Allzu fatale Versäumnisse im Bündnis zwischen Sparkassen und ihren Versicherern kann er offensichtlich auch nicht ausmachen. Denn er bescheinigt seiner Gruppe in der Schaden- und Unfallversicherung wie auch in der Lebensversicherung eine bessere Kosten- beziehungsweise Verwaltungskostenquote als dem Markt und betont das Bestreben nach "Erhalt der regionalen Markt- und Ergebnisverantwortung".

Folglich geht sein Appell weg von dem starren Blick auf die bloße Zahl der öffentlichen Versicherer hin zu einem Ausbau der Kooperationen. Konkret bedeutet das die weitere Ausschöpfung der technischen Möglichkeiten, eine wesentliche Intensivierung des Vertriebs und den Ausbau gemeinsamer Aktivitäten, etwa in der betrieblichen Altersvorsorge (Beitrag Langohr-Plato, Seite 188) oder im Asset Management (siehe Ulrich Lingner, Seite 190). Die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit der Provinzial Nord-West und der Sparkassen Versicherung im Asset Management sowie die flächendeckenden Aktivitäten in der bAV darf man in diesem Sinne als geradezu klassische Kooperationsprojekte werten. Aber sie verdeutlichen einmal mehr die gruppeninternen Schwierigkeiten einer einvernehmlichen Abstimmung der Interessenlagen. Wenn heute die Gründung eines bundesweit operierenden Kompetenzcenters für bAV und der Erwerb des rund um die Altersvorsorge unbestritten anerkannten Dienstleisters Heubeck als Erfolg gefeiert und hohe Wachstumsraten gemeldet werden, so ändert das nichts an dem halbherzigen und erschreckend späten Start der S-Gruppe. Das seit vielen Jahren als zukunftsträchtig erkannte Ankerprodukt Altersvorsorge wurde viel zu spät ernsthaft besetzt. Entsprechend bescheiden sind mit unter fünf Prozent die heutigen Marktanteile, und entsprechend schwer wird der Aufholprozess. Kaum weniger stark sind die Eigeninteressen im Asset Management. Bei aller Betonung des besonderen versicherungsbezogenen Know-hows der Gemeinschaftsgründung Vers-AM fällt doch auffällig oft der Hinweis, anderen Einheiten, speziell aus dem Landesbankenbereich nicht in deren geschäftliches Gehege kommen zu wollen.

Die Vers-IT als ursprüngliches Pendant für die Verbindung zwischen Stuttgart und Münster im IT-Bereich ist nicht zuletzt solcher Egoismen wegen 2008 wieder eingestampft worden, und das obwohl gerade die nahtlose Einbindung der Versicherungstechnik in den Sparkassenvertrieb als Erfolgsfaktor gilt. Die Herausforderung ist überall die gleiche: Die Integration der Versicherungsanwendungen in die Softwarelandschaft der Sparkassen, wie sie am Beispiel der Provinzial beschrieben wird (Beitrag Fedlmeier, Seite 185), soll den Beratern der Sparkassen in ihrer vertrauten Anwendungsumgebung eine schnelle umfassende Abwicklung vom Angebot bis zum Vertragsabschluss ermöglichen. Doch wie steht es um kostenträchtige Doppelstrukturen bei Technik, Vertrieb und Produktentwicklung? Für die Gruppe insgesamt zieht Heinz Benölken eine eher ernüchternde Zwischenbilanz gescheiterter IT-Kooperationen (Seite 174): Die Synergiebestrebungen bei den einzelnen öffentlichen Versicherern verhindern teilweise überbetriebliche Synergieeffekte.

Auf einer vergleichbaren technischen Vernetzung gründend erläutert Jürgen Geller (Seite 182) am Beispiel der Sparkassen Versicherung mit dem Agenturmodell, dem Integrationssparkassenmodell und der klassischen Kooperation drei Optionen zum Vertrieb von Versicherungsprodukten. Von besonderem Interesse ist für die Sparkassenseite in all diesen Fällen natürlich die Erlösverteilung. Je mehr sich die Sparkassen für das Alleingeschäft entscheiden, umso höher sind die Provisionszahlungen. Gegen diesen geltenden Grundansatz kann weder die Versicherungs- noch die Sparkassenseite ernsthafte Einwände haben. Aus welchem Vertriebsmodell beide Seiten die größten Vorteile schöpfen, bleibt damit freilich noch offen. Und es fehlt an dieser Stelle auch jede Bewertung. Wie bei der Ausschöpfung sonstiger Anreizsysteme wird stattdessen immer wieder die Entscheidungsfreiheit der einzelnen Sparkassen betont. Ohne es explizit zu formulieren, wird damit der Eindruck vermittelt, als sei es längst nicht nur die fehlende Konsolidierung auf Versicherungsseite, die beiden Parteien die gewünschten Marktanteile verschließt, sondern mindestens ebenso sehr die strategische Ausrichtung vieler Sparkassen. Aus Sicht der Versicherungsseite fehlt es diesen schlicht an der Bereitschaft, Versicherungen voll als Kerngeschäft in den Vertrieb zu integrieren.

Zumindest an dieser Stelle dürfen die Versicherer künftig auf Fortschritte hoffen. Denn im Prinzip bewegen sich all diese Erkenntnisse auf der Ebene einer intensiveren Marktbearbeitung, wie sie die Sparkassen Ende Januar 2009 als künftige Strategie verabschiedet haben. Wer die Ausschöpfung der spezifischen regionalen Märkte künftig klar nach vorne rückt und die Kundenzufriedenheit gleichrangig neben den betriebswirtschaftlichen Kennziffern ansiedelt, wie Heinrich Haasis das im Redaktionsgespräch betont (Seite 162), der wird auch die Versicherungsseite mehr ins Kalkül ziehen müssen. "Wir brauchen weniger neue Konzepte, sondern mehr Konsequenz in der Umsetzung und mehr Bereitschaft, von den Guten in unserer Gruppe zu lernen." Diesen Worten des DSGV-Präsidenten nach müssten die Sparkassen mit dem besten Versicherungsgeschäft künftig als Benchmark gelten. Und die öffentlichen Versicherer werden genau überprüfen können, inwieweit diese viel zitierte Best Practice in ihrem Geschäftsgebiet überhaupt erreicht werden kann. Zurzeit scheint dieser Weg zu höheren Marktanteilen im Versicherungsgeschäft über die Vertriebssteuerung vor Ort zielführender als die ungewisse Aussicht auf Konsolidierungsprozesse unter den Versicherern. Aber wer kann das schon so genau wissen? Vielleicht hängt Letzteres ja doch maßgeblich von anderen Entwicklungen der S-Finanzgruppe ab, etwa der Neuordnung im Landesbankensektor. Mo.

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