Gespräch des Tages

Zentralbanken I - Stagnation vor Stabilität?

Irgendwie passen die Dimensionen zum abgelaufenen Jahr 2008. Wieso sollte sich die Fed bei ihrer Leitzinssenkung Mitte Dezember vergangenen Jahres zu lange mit Trippelschritten von 0,25 oder 0,5 Prozentpunkten aufhalten, die über viele Zinsperioden hinweg die Geldpolitik der westlichen Notenbanken geprägt haben. In einer Zeit gigantischer staatlicher Stützungsmaßnahmen für die Bankensysteme, riesiger Konjunkturprogramme für die Wirtschaft und Betrugsmanövern mit locker zweistelligen Milliardenbeträgen geht auch ein Zinsschritt von bis zu einem ganzen Prozentpunkt durch, selbst wenn er die Notenbank der größten Volkswirtschaft der Welt auf unbestimmte Zeit eines zentralen Teils ihrer geldpolitischen Handlungsfähigkeit beraubt. Die Liquiditätsversorgung der amerikanischen Wirtschaft wird erst einmal direkt durch die Geldmenge gesteuert.

Wie es dieser Tage kommentiert wurde, mag die historische Rückschau auf die weltweite Depression vor achtzig Jahren einen Erklärungsansatz für die aktuelle amerikanische Geldpolitik liefern. Die viel zitierten Fehler einer zu restriktiven Geldversorgung vermeiden zu wollen, mag die Fed in der Tat getrieben haben. Und beim heutigen Ausmaß der Verwerfungen und der täglich spürbaren Ansteckungsgefahr für die Weltwirtschaft hat sie sich offensichtlich auch nicht von der bescheidenen Erfolgsbilanz der japanischen Geldpolitik in den neunziger Jahre abschrecken lassen. Aber seit Mitte Dezember 2008 so konkret mit den geldpolitischen Fakten untermauert in diesen Kategorien denken zu müssen, wirkt mit Blick auf die weltwirtschaftlichen Aussichten für 2009 alles andere als beglückend. Denn irgendwie vermutet man hinter der geldpolitischen Analyse der Fed die Kenntnis oder zumindest die begründete Ahnung von weiteren Entwicklungen à la Madoff und anderen Risikolagen, die auch viele der derzeitigen Prognosen noch gar nicht auf ihrer Rechnung haben.

Schon in den vergangenen, noch vergleichsweise normalen Jahren durfte man sich zunehmend fragen, welche messbaren Wirkungen die Feinsteuerung der Geldpolitik durch die Notenbanken angesichts der vielen kapitalkräftigen institutionellen Mitspieler noch haben kann. Heute klingt das völlig nach einer akademischen Randerscheinung, als Detail von untergeordneter Relevanz. Denn die Befürchtungen sind viel schlimmer und grundsätzlicher: Welcher Einfluss bleibt der Fed überhaupt noch auf ihre Zielgrößen Wachstum und Beschäftigung? Auf deren möglichen Zielkonflikt zur Stabilität und den damit verbundenen Inflationsgefahren für die Zukunft scheinen die amerikanischen Geldpolitiker in diesen Tagen ohnehin nicht mehr zu achten. Selbst die Stagnation oder ein moderates Schrumpfen der Wirtschaftsleistung geht ihnen eindeutig vor - erklärtermaßen auch unter Gebrauch der Notenpresse. Spätestens an dieser Stelle wird die Geldpolitik nicht nur für Außenstehende dann völlig unbegreiflich. Eine ernste Krise aufs heftigste mit genau jenen Instrumenten bekämpfen zu wollen, die von vielen Ökonomen als eine der Ursache der Verwerfungen ausgemacht wurden, erinnert jedenfalls stark an die medizinische Indikation von Gift und Gegengift.

Welche Auswirkungen das für die Geldpolitik im Rest der Welt und insbesondere auch der Europäischen Zentralbank hat, scheint in einem solchen Szenario fast schon nebensächlich. Dass diese mit Abstand wichtigste europäische Notenbank anders als in den USA erst einmal dem Ziel der Preisniveaustabilität verpflichtet ist, könnte sich bei Eintrübung der Wirtschafts- und insbesondere Beschäftigungslage in der öffentlichen Wahrnehmung der europäischen Länder freilich sehr schnell als schwer vermittelbar erweisen. Wenn ein normalerweise besonnen argumentierender und gewiss nicht zu Hysterie neigender Fachmann wie Jürgen Stark als Direktoriumsmitglied und Chefvolkswirt der EZB ziemlich ratlos klingend anmahnt, nach den geldpolitischen Notoperationen doch bald wieder auf einen restriktiveren geldpolitischen Kurs umzuschwenken, gibt das wirklich kein gutes Gefühl über Zustand und Einflussmöglichkeiten der Geldpolitik auf die Wirtschaftslage. Hoffentlich ist nach den vielen hoheitlichen Eingriffen im Bankensektor nicht auch an dieser Stelle auf allzu lange Zeit nur noch der Staat mit seiner Konjunkturpolitik gefragt. Eine unabhängige Geldpolitik ist für das Gedeihen der Weltwirtschaft ein hohes Gut. Es wäre zu wünschen, dass alle Notenbanken sich den verbliebenen Rest davon erhalten und ihre Unabhängigkeit möglichst bald wieder mit einem wirksamen Instrumenteneinsatz untermauern und stärken können.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X